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Familienbanden

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01.06.2008
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Familienbanden

In einer besonders rauchigen Ecke steht er. Er ist groß, gigantisch, jeder der ihn sieht verfällt in großes Erstaunen, denn er sieht unglaublich gut aus. So etwas erwartet man nicht in einer kleinen Stadt, in einer kleinen Bar, in einer kleinen Ecke aber da steht er nun mal: der Billardtisch.
Es ist ein Modell, das schon lange dort steht. Seit den guten alten Fünfzigern schätzt man. Schon einige Male ist er neu bespannt worden, denn der Rauch schadet dem grünen Wolltuch jede Nacht aufs Neue. Doch die Besitzer waren seit jeher darauf bedacht, dass er seine pompöse Erscheinung beibehält und, dass er mitsamt Ausrüstung stets im tadellosen Zustand von den Spielern verlassen wird. Und so steht er da heute noch.
Eine Lampe hängt direkt über dem Tisch. Sie ist so angebracht, dass sie den Tisch bis in die letzte Ecke beleuchtet, bis in die letzte Ecke und nicht mehr.
Die rote Kugel donnert gegen die erste Bande, gegen die zweite und treffsicher in das Loch an der oberen linken Ecke. Nur ein Spieler ist am Tisch, genau genommen eine Spielerin.
Wenn man die Leute nach der Frau fragen würde, die jeden Abend zwischen sieben und halb zehn am Tisch steht, sofern ihr niemand dazwischen kommt, so würden sie diese als eine große, schlanke, junge Frau beschreiben, die stets Jeans trägt. Über ihre Figur kann man kaum mehr sagen, abgesehen davon, dass ihre Brüste wohl nicht mehr als eine handvoll sind, wenn das überhaupt reicht. Ihre kurzen blonden Haare trägt sie zu einem hohen Zopf zusammengebunden, dem einzelne Strähnen entwischen und wirr um ihren Kopf flattern. Niemals trägt sie eine Handtasche, Schminke oder gar Stöckelschuhe, oder andere weibliche Attribute.
Nein, sie nicht.
Doch wie sie heißt... das könnte wohl niemand sagen.
Und Nicki findet das gut so. Sie ist sehr glücklich in dieser kleinen Stadt, am Ende der Welt, wo niemand sie kennt, niemand mit ihr spricht und niemand ihr den Platz am Billardtisch streitig macht.

Die schwarze acht erreicht die linke obere Ecke, knallt noch einmal gegen die Backen, aber dann erklingt das Geräusch der fallenden Kugel und der Tisch gleicht einem englischen Rasen.

Blitzschnell hat sie das Dreieck zur Hand und fischt mit ein paar geschickten Handgriffen die Kugeln aus den Netztaschen, mit einigen harten Geräuschen bringt sie die Plastikgeschosse dazu auf der richtigen Position zu liegen. Mit viel Bedacht schwebt das Dreieck davon.

Ein gewaltiger Split treibt die Kugeln in alle Richtungen. Krachend fahren sie gegeneinander, an die Bande und kommen schließlich, über den unteren Teil der grünen Fläche verteilt, zum Stillstand.
Sie beugt sich nach vorne die halbe 12 voll im Visier. Ihre Finger klammern sich an die Bande, so fest, dass sie spürt wie sie von Augenblick zu Augenblick weißer werden. Das Holz des Queues gleitet zart immer wieder zwischen dem Knöchel des Zeige- und Mittelfingers hin und her, bereit um mit dem richtigen Schwung die Spannung aus den Muskeln frei zu geben. Ihr Arm, der Queue und die Bahn, welche die weiße Kugel laufen soll bilden eine gerade Linie, in ihrem Kopf ist der Lauf des Spielballes genau festgelegt. Die Bande ist ihr Horizont, die Kugel das Objekt ihrer Aufmerksamkeit und das Loch ihr Ziel. Noch einmal atmet sie tief ein. Der Ball wird genau die Bahn laufen, die sie für ihn vorgesehen hat. Und Stoß.

Nicki spielte Billard seitdem sie denken konnte. Ihr Papa hatte sie immer auf eine gedrehte leere Bierkiste gestellt, damit sie über den Tisch schauen konnte. Ungeschickt hatte sie damals mit dem Queue um sich gestochen und das Tuch mehr als einmal geschlitzt. 13 auf rechte untere Ecke.

Papa verschwand eines Morgens. Ohne tschüss zu sagen. Weder zu ihr, noch zu Mama. Acht Jahre war sie damals alt. Der Billardtisch im Keller wurde verkauft und Mama verbot ihr den Opa aus England zu besuchen. Dabei war Grandpa O’Hara der beste Billardspieler der Familie.
Und selbst im Fernsehen durfte Nicki nicht mehr anschauen wie Steve Davis eine Kugel nach der anderen versenkte. Immer abwechselnd rot schwarz, rot schwarz. Jedes mal klingelten ihre Ohren, wenn Mama sie angeschrieen hatte und sie weinend im Bett lag. Schließlich war es das einzige, was von Papa noch für sie da war. Zwei auf Mitte rechts.

Dann tauchte dieser Typ auf. Mama stellte ihn als den neuen Papa vor. Der Typ hatte Sommersprossen und kurze rotblonde Haare, ein Gesicht wie ein Fuchs und seine Hände waren immer nass, wann auch immer es dazu kam, das Nicki sie berührte. Jedes Mal nach dem Essen puhlte er mit einem Zahnstocher in seinem Mund herum und reihte seine Essensreste in Kreisformation um den Teller auf. Nicki nannte ihn nicht Papa, niemals. 5 auf oben rechts.

Sie war elf und in ein paar Monaten sollte sie ein Geschwisterchen bekommen. Bruder oder Schwester fragte sie immer. Das wissen sie nicht, sie wollten sich überraschen lassen.
Es war ein Bruder und Frank sollte er heißen. Ein halber Bruder, wenn man es ganz genau nahm. Ein halber Bruder, mit dem man nicht spielen konnte, weil er die ganze Zeit schrie. Es sollte eine Zeit sein, in der Nicki meinte irgendwer hätte sie in einen Glaskasten gesteckt, aus dem man zwar hinaus aber nicht hineinschauen konnte. Mama schien nur noch zu hören wenn der Kleine schrie. Wenn Nicki etwas sagte, war es als wäre die Luft durch die Gardine gefahren.

Unwissend um Nickis Verzweiflung bewegte sie sich mit Flaschen und Windeln im Arm durch die Wohnung wie eine Traumtänzerin. War da was? Ich glaube nicht... Elf auf unten links

Nickis Noten fielen in den Keller, doch die Aufmerksamkeit blieb weiter aus. Und weil sie es nicht anders wusste schmiss sie sich mit ihren elf Jahren auf den Boden und schrie, wie es Frank immer tat. Noch nie zuvor war sie geschlagen worden. Ihre Mutter hatte weggesehen.
Am nächsten Tag musste sie nicht in die Schule am übernächsten erzählte sie, sie wäre die Treppe hinunter gefallen. Ihre Lehrer wunderten sich wie oft ein Mädchen wie Nicki im Monat die Treppe hinunter fiel, doch nach einer Weile taten sie selbst das nicht mehr. Nach zwei Bandenkontakten fünfzehn auf Mitte links.

Grandpa O’Hara starb. Nicki war dreizehn. Seit fünf Jahren hatte sie keinen Queue mehr in der Hand. Doch am Tag von Grandpa’s Beerdigung, zu der Mama- oder war es der Typ?, ja, wahrscheinlich der Typ - sie nicht gehen ließ nahm sie sich abends einen Bus in die Innenstadt, ging in eine Bar an der Ecke mit einem halbvergammelten Tisch und gewann das erste Spiel gegen einen Mann in den Vierzigern. Nie mehr würde sie sich das Spielen verbieten lassen, soweit klar.

In dieser Nacht kam sie erst spät nach Hause. Sie wurde wieder verdroschen, aber das kannte sie ja schon. Sie meinte jeden Knochen einzeln zu spüren, als sie sich die Treppen in ihr Zimmer hinauf schleppte. Frank stand oben, im Bärchenschlafanzug, seine Schmusedecke im Mund und starrte sie mit seinen großen blauen Augen an. „Hast du dir weh getan?“

Wie sehr sie ihn hasste. „Verpiss dich!“ Ob sie all ihre Kraft aufwandte um ihn weg zuschubsen? Sie konnte es nicht mehr sagen, nur dass es laut knackte, er über seine Stimme hinaus schrie und dass es das erste mal war, dass sie vor lauter Schläge das Bewusstsein verlor. Sieben durch Kontakt mit eins auf oben Links.

Frank schaute sie am nächsten Tag genauso lieb an wie sonst. Sie konnte es kaum fassen, hatte er ihr verziehen? Eine dicke Schramme an seinem Kopf blutete immer noch. Er nuckelte an seinem Butterhörnchen und blickte seine große Schwester an, wie er es am Abend zu vor getan hatte. Wahrscheinlich wäre sie noch wütender geworden, wenn sie nicht soviel Mühe damit gehabt hätte sich auf dem Stuhl zu halten.
Und nach ein paar Minuten war der Hass verschwunden. All seine Schuld, die er daran hatte, dass er war, wer er war, dass er diese Eltern hatte, die sie selbst so sehr quälten, all das verschwand hinter seinem lieben Lächeln. Ja, sie konnte nicht sagen warum, aber sie verzieh ihm dass er geboren worden war. Er war ihr Bruder, ein heimlicher Verbündeter in einer Welt voller Schmerz.
Es sollte ein bisschen besser werden.

Eins auf Mitte rechts

Nicki spielte fast jeden Abend in verschiedenen Kneipen. Und sie verdiente eine Menge Geld damit, denn niemand vermutete hinter einem kleinen blonden Mädchen eine Spielerin die den Tisch in einem Zug leer räumen konnte.
Und dann traf sie ihn. Sie glaubte es war der Mann fürs Leben, der Mensch für das „bis das der Tod euch scheidet.“ Ein Spieler wie er im Buche steht. Er besiegte sie, unzählige Male. Bis er ihre Unschuld zu seinen Gewinnen zählte. Wie war noch sein Name?
Drei auf Mitte links.
Es war ein Tag im November. Doch keiner wie diese Tage eigentlich immer sind. Es war schönster Sonnenschein und der Sommer sträubte sich ein allerletztes Mal gegen die Übermacht der kalten Winde. Sie kam von der Schule nach Hause, hatte Angst, denn eine erneute schlechte Mathe Note stand zur Beichte. Doch an diesem Tag kümmerte es ihre Mutter nicht
Weinend saß sie am Küchentisch. Zu essen gab es nichts, nicht mal für Frank. Stundenlang muss das so gegangen sein, vielleicht auch nur Minuten, doch das kann Nicki kaum sagen, denn in ihrer Hilflosigkeit gab es keine Zeit. Sie stand daneben, während ihre Mutter in Tränen versank. Noch nicht mal ihre Gefühle von diesen ewigen Minuten kann sie mehr in ihr Bewusstsein rufen. Wie sollte sie Mitgefühl in irgendeiner Art für die Frau empfinden, die ihr das einzige, was sie liebte immer wieder versuchte zu nehmen? Wie, wenn sie ein anderes Kind vor sie stellte, nur weil dieser einen anderen Vater hatte? Wie, wenn ihre ständige Gleichgültigkeit jedes verdammte Mal so weh tat?
Urplötzlich zerstörte ihre Mutter die Anspannung. Sie sprang auf, stürmte zur Tür, riss einen Mantel vom Haken und verließ das Haus. Zurück blieben sie und die Stille.
Erst ihr Stiefvater brachte wieder Leben in das Haus. Wo sie wäre wollte er wissen, warum sie weggegangen sei. Er fuhr nicht los um sie zu suchen.
Spät abends schreckte Nicki hoch, weil zu ihr Türklappern und Schlüsselknallen durch den schwarzen Brei eines traumlosen Schlafes gekrochen war.


Ein Hirntumor wurde das neue Familienmitglied. Kein Gespräch in den kommenden zwei Wochen wurde ohne ihn geführt. Nicki verstand keines davon. Alles was sie verstand war die Gefahr für ihre Mutter. Dann kam der Tag an dem sie das letzte Mal vor all den Chemotherapien und Operationen durch die Wohnung ging. Wie ein Geist schwebte sie jedes Zimmer ab. Vergangene Tage erstanden aus der Asche und strichen ihre bleichweißen Wangen. Als letztes betrat sie Nickis Zimmer. Und nur hier flossen ihre Tränen. Es waren viele, sie konnte sich nicht zurückhalten. Doch Nicki selbst sah sie nur an. Kein Wort kam über ihre Lippen und mit Schweigen verschwand sie ihm Krankenhaus. Vielleicht würde sie nie wieder kommen. Sollte sie trauern? Sollte sie jubeln?

Vierzehn auf Mitte rechts.
Jeden Tag nach der Schule verbrachte sie im Krankenhaus. Sie sah ihre Mutter barfüßig im weißen Hemd über den grauen PVC laufen. Sie sah ihre Wangenknochen jeden Tag ein Stück mehr hervorstehen, sie sah ihre Haut jeden Tag dünner werden bis sie einem dünnen Zellophanüberzug glich, sie sah ihre Finger jeden Tag den Klauen einer Krähe ähnlicher werden und sie sah sie jeden Tag um viele Jahre älter werden.
Sie hatte ihren Geruch verloren, der süße Geruch, den eine Mutter an sich trägt und den kleine Kinder suchen, wenn sie sich in Mamas Bett kuscheln. Sie roch wie alles hier. Desinfektionsmittel.
Die ersten Tage sprachen sie nichts. Nicki saß bloß dort eine Stunde, vielleicht zwei, bis es Abendessen gab. Dann ging sie in eine Kneipe. Zu dieser Zeit spielte sie oft allein, denn das Gebrüll und Gegröle der Männer war ihr fremd wie nichts auf der Welt.
Doch als die Haare gefallen waren begann ihre Mutter zu lachen. Sie sagte sie habe sich abgefunden. Es wird weitergehen, oder auch nicht, sagte sie. Sie begann mit Nicki zu reden. Zum ersten Mal seit Jahren gehörte die Aufmerksamkeit ganz Nicki. Und die begriff, dass sie sich nichts sehnlicher als das gewünscht hatte. Sie sprachen über alles. Über Nickis Freunde, über die Schule, über so etwas wie Zukunftspläne, ja, später sogar über das Spiel.
Nicki war glücklich. Den Krebs würde Mama besiegen, das war klar. Und dann würde nichts mehr so sein wie es war. Sie freute sich auf die Stunden im Krankenhaus. Auch Mama sagte, es wäre ihr schon lange nicht mehr so gut gegangen.

Nicki sollte bald verstehen warum.

Er hatte seinen Job gekündigt. Angeblich um Mama näher zu sein. Das sagte er zu Nicki. Doch traf sie ihn nie im Krankenhaus weder beim hinein, noch beim hinausgehen. Weihnachten war vorbei, und die ersten Schneeglöckchen des neuen Jahres bahnten sich einen Weg ans Tageslicht. Ja, das hatte sie an diesem Tag festgestellt, auf dem Weg vom Krankenhaus nach Hause. Niemals zuvor waren ihr die kleinen Blumen aufgefallen. Doch nun erblickte sie Kampfgeist in ihnen, sah wie zart und zerbrechlich sie waren, aber sie waren die einzigen zwischen Schnee und Eis. Es war auf dem Weg vom Krankenhaus nach Hause, denn es war ein Tag an dem sie mit dem Spiel aussetzte. Den Grund hatte sie vergessen.

Sie öffnete die Tür und da stand er. Nackt. Sie schnappte nach Luft. War es Erschrecken, Empören, Entsetzen? Doch für klare Gedanken war keine Zeit. Sekunden später lag sie am Boden. Er vergriff sich an ihr, Riss ihre Hose herunter. Seine harte Hand griff ihr zwischen die Schenkel. Sie konnte sich nicht wehren. Sie war aus Stein. Nichts in und an ihr konnte sich rühren. Es müsste etwas geschehen. Ein Aufbäumen, ein lauter Schrei, doch nichts. Sie fühlte das Sterben in jedem seiner Stöße. Ein Dolch von innen. Schmerz.

Frank spielte draußen im Schnee. Sein Lachen war die ganze Straße hinunter zu hören. Mit einer Bewegung riss er die Schneeglöckchen ab, warf sie n die Luft und überließ sie dem Tod.

Zehn gegen Kopfbande. Verschossen. Drei, vielleicht vier Zentimeter.

Sie brach über dem Tisch zusammen. Eine Sekunde, zwei Sekunden, ein tiefer Atemzug, dann richtete sie sich erneut auf. Nochmals zielen.

Nun hörte Nicki auf zu reden. Mama fragte sie oft was denn los sei, weshalb sie teilnahmslos vor ihr saß, sie geistesabwesend anstarrte. Doch bald ließ sie das Fragen sein, denn der Krebs ergriff besitz von ihr. Was die Ärzte gestern noch als Heilung verhießen waren plötzlich neue Metastasen. Diesmal im ganzen Körper.
Zehn bleibt bedrohlich an der langen Bande. Sechs unten links.

Es war nicht bei dem einen Mal geblieben. Der Schlüssel zu ihrem Schlafzimmer war verschwunden und des nachts im Bett fühlte sie seine nassen Hände auf ihrer Haut, an ihren jungen Brüsten zwischen den Beinen. Jedes Mal erbrach sie danach auf ihren Teppich, alles was in ihr war trat die Flucht an. Waren es nur Alpträume, die sie dazu zwangen das gleiche immer und immer wieder durchzumachen? Oder war es Realität und er verging sich wieder und wieder an ihr, verschmutze sie mehr und mehr, tötete sie tag für Tag? Den beißenden Gestank in ihrer Nase wurde sie nie mehr los.

Eines Tages rannte ihr einer der Ärzte schon von weitem entgegen. Er redete schnell, viel zu schnell. Endlich sei sie hier, es wäre ernst sehr ernst. Und sie rannte, rannte zu dem Zimmer, in dem ihre Mutter nun schon seit Monaten dem Tod entgegen siechte Die Antwort auf die Frage der Zeit.
Ein letzter Kampf, letzte Medikamente, stoßende Infusionen aus dicken Nadeln in einen Papierdünnen Körper, letzte Hände von Ärzten und Schwestern.
Ein letztes Mal ihre Hand halten. Festhalten.
Langsames Abflachen des Atems, langsames Herzergeben.
Dann ein letzter schwacher Schrei aus dem Mund ihrer sterbenden Mutter: „Nicki“.

Zehn nun knapp an der Acht vorbei auf oben rechts.

Sie öffnete die Tür. Er war nicht dort gewesen. Nicht einmal in ihrem Tod war er bei ihr gewesen.
Niemand hatte ihre Ankunft bemerkt und sie schlich nach oben. Wollte allein sein. Doch da hörte sie ein lautes Weinen aus dem Wohnzimmer. Und brüllen.

Blinde Wut ließ sie rennen. In vollen Schritten die Treppe hinunter. Frank lag am Boden. Seine Lippe war aufgeplatzt, das Auge blau und mit hochrotem Kopf kreischte er um sein Leben. Er stand über ihm, die Hand zum Schlag sauste auf Frank nieder. Immer wieder und wieder.
In seinem Zorn blieb sie unbemerkt, sie verstand nicht was er brüllte, doch sie hörte auch nicht hin.
Das Blut pulste in ihren Adern. Venen drückten den Hass an ihre eiskalte Haut.
Der Rausch trieb sie in die Küche und sie griff nach einem großen Brotmesser. Rasende Lust an der Gewalt beherrschte sie, endlich, sie war dran, nun hatte sie die Macht. Sie würde ein Ende setzten. Wut, Grausamkeit, Wahn brannten im Inferno ihrer Augen.
Mit Anlauf aus dem Hausflur sprang sie auf ihn, begrub beinahe Frank, der noch in letzter Sekunde sich aufrappeln und wegstolpern konnte und rammte mit aller Kraft die ihr Körper nur aufzubringen vermochte das Messer in den Rücken.

Neun glatt und sauber in unten rechts

Das Blut hing an allen Wänden. Frank war käsebleich, die Knie agezogen, die Arme herumgeschlagen. Sein Körper in Wippbewegungen zitterte. Sie wusch sich das Blut von den Händen.
„Dummer Junge, dusch dich und pack deine Sachen. Ich bringe dich zu Onkel Jamie.“

Und auch wenn Onkel Jamie und Frank sich nie zuvor begegnet waren, so nahm er doch denn verwaisten Jungen auf, denn Nicki schrieb ihrem früheren Lieblingsonkel einen langen Brief, den Frank ihm in die Hand drückte, und der alles erklärte. Über Mama und warum Frank alleine kam. Doch über den Stiefvater verlor sie kein Wort.

Nun lebte sie hier. Mittlerweile war sie fünfundzwanzig. Zu ihrem Bruder hatte sie nie wieder Kontakt aufgenommen, keine Nachricht über ihren Wohnort. Auch zu keinem anderen in ihrer Familie. Nicht einmal die Beerdigung ihrer Mama hatte sie besucht.

Doch Reue empfand sie keine. Für nichts von dem was sie getan hatte.

Die schwarze acht verschwand geradlinig in der rechten Mitte. Und sie richtete sich auf, denn es war an der Zeit zu gehen.

Da landete eine Hand auf ihrer Schulter. „Nicole O’Hara?“ Die Stimme klang hart und rau. „Ja?“ Nicki drehte sich nicht um. Alle in der Bar, die nicht bereits aus Neugier zum Tisch starrten horchten auf. War da zum ersten Mal ihr Name gefallen?
Mit festem, zwingendem Griff nahm man ihr den Queue aus der Hand und drückte ihre Hände zusammen. Das kalte Eisen der Handschellen klickerte zweimal bis sie fest um ihre schmalen Handgelenke saßen. „Sie werden hiermit wegen Verdacht auf Mord an Thomas Krüger festgenommen. Sie haben das Recht die Aussage zu verweigern.“

 

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