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Familiensinn

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04.02.2005
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Familiensinn

Familiensinn


„Möchtest du noch ein Stück Kuchen?“
Ich halte das nicht mehr aus, ich muss hier raus. Die Frage verneinend nehme ich meine Jacke. „Es tut mir leid, ich habe was Wichtiges vergessen. Ich muss gehen. Danke für alles!“
Ich könnte kotzen. Sarah sieht mich fragend an. Ich will nichts mehr sagen. Ich hauche ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange und verschwinde.

Die frische Luft tut gut. Diese heile Welt, diese glückliche, perfekte Familie da drinnen – es tut einfach weh. Wahrscheinlich sollte ich froh darüber sein, dass sie mich so herzlich aufnehmen, aber ich kann es nicht. Ich muss immer wieder an meine eigene Familie denken. Der Gedanke lässt mich nicht los...niemals tut er das.
Ich kann mich schon nicht mehr daran erinnern, wann sie sich das letzte Mal wirklich um mich gekümmert, um mich gesorgt hat. Sie will sich selbst verwirklichen. Da ist kein Platz mehr für ihren Sohn, geschweige denn für ihren Mann. Wenn man das überhaupt noch Mann nennen kann. Er sitzt zu Haue und besäuft sich. Abend für Abend. Dann liegt er lallend in der Wohnung rum, sich selbst bemitleidend. Jedes Mal, wenn ich die Tür aufschließe. höre ich ihn sehnsüchtig, fast flehend rufen: Sabine, bist du das?
Nein, wiedermal war es nur der dumme Sohn. Sie lässt sich nur noch blicken, wenn er arbeiten ist – immerhin kriegt er das noch auf die Reihe.
Wann hat sie das letzte Mal Essen für mich gemacht? Einen Kuchen für mich gebacken, so wie Sarahs Mutter es ständig tut? Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nur, dass ich jeden Tag wahnsinnigen Hunger habe. Was ich nicht habe, ist Geld, um mir was zu kaufen. Das geht für den Stoff drauf.
Wenn sie nach Hause kommt, und ich zufällig da bin, fragt sie, wie es mir geht, aber eigentlich interessiert es sie nicht. Das ist nur so eine Höflichkeitsfloskel, so wie „Du siehst gut aus“ oder „Das schmeckt aber gut“. Ich antworte jedes Mal, dass soweit alles in Ordnung ist, aber ich Hunger habe. Vielleicht treffe ich ja irgendwann mal ihre Muttergefühle.
Ihre Antwort lautet aber jedes Mal nur: Im Keller sind Kartoffeln, kannst dir die doch machen.
Während sie das sagt, füttert sie den Hund. Kurz danach verschwindet sie wieder. Was sie offenbar nicht weiß: Die paar Kartoffeln, die noch da sind, sind verschimmelt.

Ich habe angefangen, ihr zu folgen, sie zu beobachten. Sieh trifft sich mit einem Anderen. Sie halten Händchen, küssen sich, lachen...wenn das alles wäre. Er ist Witwer, hat zwei Kinder. Mädchen. Ich sehe, wie sie mit ihm in sein Haus geht und dort die warmherzige Mutter spielt. Sie kocht für sie, spielt mit ihnen, macht alle Dinge, die eine Mutter mit ihren Kindern so anstellt, die eine Frau mit ihrem Mann so tut.
Ich weiß, dass es nicht gut für mich ist, sie zu beobachten...danach brauche ich jedes Mal irgendeine Befriedigung, Drogen, Sex...oder Anderes. Hauptsache etwas, das mich für einen Moment ablenkt. Dann gehe ich nach Hause, mein auf dem Boden vor in Selbstmitleid zerfließender Vater hofft erneut, ich wäre sie. Wieder eine Enttäuschung, ein neuer Schluck aus der Flasche. Er ekelt mich an. Wie könnte ich ihn noch respektieren oder als Mann ansehen. Er ist ein Witz, ein zerrissenes Abziehbild seiner Selbst. Er weiß von der Sache mit dem Anderen, will es aber nicht wahrhaben. Er liebt sie. Sagt er. Für mich ist es Abhängigkeit, eine Sucht, die ihn nicht von ihr loslässt, keine Liebe. Ich habe ihm schon tausendmal gesagt, er soll sich scheiden lassen. Immer wieder die gleiche Antwort: Ich liebe sie doch so, und sie wird auch irgendwann wieder merken, dass sie mich liebt.
Ja klar, so wie er sich verhält bestimmt. Er zeigt jede Minute wie sehr er es wert ist, ihn zu lieben. Wie schon gesagt, ein Witz!
Sie lässt sich auch nicht scheiden. Des Geldes wegen. Sie will schließlich ihre Absicherung nicht verlieren. Arbeiten geht sie nicht, ist sie noch nie. Sie verdient sich ein paar Euros durch eine Sexhotline dazu. Aber sonst...sie lässt sich von ihm, während sie sich um ihre „andere Familie“ kümmert. Wir interessieren sie einen Scheißdreck, sie nimmt nur, gibt aber nichts zurück...zumindest nicht an uns. Sie gibt sich dem Anderen hin, ihm und seinen Kindern. Was verdammt noch mal ist mit mir? Nur weil ich volljährig bin, heißt das doch nicht, dass sie mir keine Mutter mehr sein muss. Sollte das nicht eine Pflicht, ein Gefühl ihrerseits sein, das bis ans Lebensende besteht? Ich hasse sie dafür! Ich würde es ihr manchmal gerne ins Gesicht sagen, aber das ist sie mir doch nicht wert. Sie hat mir soviel angetan, viel mehr als sie sich bewusst ist, sofern sie sich überhaupt im Klaren darüber ist, dass sie mir etwas angetan hat. Sie hat mich zerstört und tut das immer noch.
Sie ist schuld daran, dass ich den Stoff mittlerweile brauche! Sie ist schuld daran, dass ich keine Liebe empfinden kann, für niemanden! Sie ist schuld daran, dass sie sterben mussten! Nicht ich! Meine Hand war es vielleicht, die es getan hat, aber nur wegen ihr. Wie sollte ich Achtung für Frauen empfinden? Wie sollte ich sie nicht hassen?
Ich weiß nicht mehr wie viele es sind, ich habe aufgehört zu zählen. Ich weiß, dass Sarah die Nächste sein wird. Ihre scheiß heile Familie, ihre perfekte kleine Welt. Ich ertrage das nicht, das muss aufhören. Immer dieses Gefasel von Liebe und Harmonie. Bald wird auch ihre Familie wissen, wie es ist, zerstört zu sein. Wie es ist, verloren zu sein und jemanden zu vermissen. Und Sarah wird dann ganz mir gehören, sie wird nur noch für mich da sein, kein anderer Mensch wird sie je wieder zu Gesicht bekommen. Dieses kleine Miststück würde ja doch nur irgendwann jemanden verletzen...vielleicht sogar mich. Das tun sie doch alle!

Und irgendwann werde ich meinem Vater dabei helfen sie zu verlassen – oder viel mehr von ihr verlassen zu werden. So sehr ich ihn auch verachte, will ich ihn doch von ihr befreien, möglicherweise hat er dann noch eine Chance ins Leben außerhalb der Flasche zurück zu finden. Irgendwann ist auch sie dran, ich warte nur auf den richtigen Zeitpunkt. Sie und ihre verschissene Möchtegern-Familie. Alle werden sie büßen.
Ich werde mir und meinem Vater die nötige Freiheit verschaffen, sonst wird es immer so weiter gehen.
Doch jetzt gehe ich erstmal zurück zu Sarah und entschuldige mich für mein plötzliches Verschwinden von eben. Sie und ihre Eltern werden mich ja doch wieder bei sich aufnehmen und mir ihr Glück unter die Nase reiben.
Nicht mehr lange...

 

Hi Maruis!

Erstmal danke für's Lesen und deinen schnellen Kommentar!

Er ist auf jeden Fall über 18, ich habe ja auch geschrieben: "Nur weil ich volljährig bin, heißt das doch nicht..."
Dass du denkst, er ist jünger liegt wahrscheinlich daran, dass er sich fragt, warum ihm seine Mutter nichts mehr zu essen macht usw.
Das ist aber nur der Fall, weil er sieht, dass es in anderen Familien anders zu geht, auch wenn die "Kinder" schon älter sind. Er ist verzweifelt und innerlich vielleicht auch irgendwie noch ein Kind, weil er nie die Mutter hatte, die er sich wünscht. Deshalb macht er sich auch Gedanken über solche, auf den ersten Blick vielleicht banalen Dinge.

Ich hatte auch Probleme mit diesem Abschnitt und ich glaube, dass du damit recht hast, dass es zuviel Gefasel ist. Aber ich wollte mit einbringen, dass er mit dem Gedanken spielt auch seine Mutter zu töten. Deshalb kann ich das nicht einfach streichen. Ich überleg mir was anderes...
Oder hat vielleicht jemand eine Idee, wie ich das besser zum Ausdruck bringen kann?

Gruß
Thaleia

 

Hallo Thaleia,


Textzeug (fast nur Satzzeichenfehler :) ):

Jedes Mal, wenn ich die Tür aufschließe, höre ich ihn sehnsüchtig, fast flehend rufen: Sabine, bist du das?

Was ich nicht habe, ist Geld, um mir was zu kaufen.

Wenn sie nach Hause kommt, und ich zufällig da bin, fragt sie, wie es mir geht, aber eigentlich interessiert es sie nicht.

Ich habe angefangen, ihr zu folgen, sie zu beobachten.

Er weiß das mit dem Anderen, will es aber nicht wahrhaben.
"Er weiß von der Sache mit dem Anderen, ..." klingt schöner

Ich liebe sie doch so, und sie wird auch irgendwann wieder merken, dass sie mich liebt.

Er zeigt jede, Minute wie sehr er es wert ist, ihn zu lieben.

Aber sonst...sie lässt sich von ihm, meinem Vater versorgen, während sie sich um ihre „andere Familie“ kümmert.
Den erklärenden Nebensatz könntest du eigentlich streichen. Es ist ja klar, wer gemeint ist.

Ich weiß, dass Sarah die nächste sein wird.
groß

Und irgendwann, werde ich meinem Vater dabei helfen sie zu verlassen
Den Beistrich kannst du streichen

Alle werden sie büssen.
büßen


Deine Geschichte macht zuerst den Eindruck einer normalen, trostlosen Alltagsgeschichte, weshalb ich vom Schluss umso mehr überrascht wurde.
Sicherlich nicht perfekt, hat mir aber trotzdem gefallen.

Seine Gedanken zum Schluss hinsichtlich seiner Mutter finde ich ganz gut - würde die Stelle deshalb auch nicht ändern.


Gruß,
131aine

 

Hi Blaine!

Danke, mit Kommas (oder doch Kommata?) hab ich's nicht so. Ich glaube, das wird sich nie ändern :hmm:

Aber was ich mal gelernt habe: Vor und und oder kein Komma. Deshalb hab ich das nicht geändert, den Rest schon :)

Es freut mich wirklich sehr, dass sie dir gefallen hat. Besonders, da sie erst die zweite Geschichte ist, die ich geschrieben habe. Ich übe also eigentlich noch und bin daher über jede Kritik und jeden Rat froh.

Danke und Gruß
Thaleia

 
Zuletzt bearbeitet:

Aber was ich mal gelernt habe: Vor und und oder kein Komma.
Ich sag dir was: Genau das Gleiche hat man mir in der Schule auch vermittelt.

Das kannst du vergessen. Für Schulaufsätze mögen diese Regeln ja gut und schön sein, aber in der Praxis kannst du die vergessen. Es sei denn, du willst auf Schulaufsatz-Niveau bleiben...

In der Schule hat man mir auch gesagt, dass man keine Sätze mit "Und" beginnen darf. In meiner letzen Geschichte hatte ich gleich zwei Sätze hintereinander, die mit "Und" begannen, und es war stilistisch am schönsten. Aber ich schweife ab...

Durch die zusätzlichen Beistriche vor den Bindewörtern liest sich der Text um einiges flüssiger. Nimm einmal einen Roman zur Hand, dann wirst du sehen, dass ich keinen Mist schreibe.
Hinsichtlich Orthografie mache ich wenige bis gar keine Fehler, du kannst mir ruhig vertrauen, ich habe Recht.

@Marius Manis: Danke für deine Schützenhilfe!

 

Ok, ich gebe mich geschlagen und werde das noch ändern ;)

Schulaufsatz-Niveau ist natürlich nicht das, was ich anstrebe...also vertraue ich euch :)

Was das Ändern des Schlusses betrifft, bin ich mir immer noch unsicher. Einerseits stimme ich dir zu, Marius, aber andererseits will ich es doch drin lassen.
Ich denk da nochmal drüber nach. Vielleicht gibt's ja noch mehr Meinungen dazu?

Jedenfalls danke euch beiden wirklich für eure Ratschläge!

Gruß
Thaleia

 

Achso, diese Sache mit dem Alter und der Erzählweise.

Ich kann dir da irgendwie nicht so ganz zustimmen. Ich kann nicht ganz nachvollziehen, warum er nicht so reden sollte. Und ich glaube auch nicht, dass er zurückgeblieben ist, nur weil ihm auffällt, dass andere in seinem Alter noch von ihren Müttern umsorgt werden und er sich das nunmal auch wünscht. Dieses etwas kindliche Verhalten ist ja wirklich nur auf das Verhältnis zwischen ihm uns seiner Mutter zu beziehen. Trotzdem kann er ja, wenn es um andere Dinge geht, reif sein. Vielleicht auch gerade, weil seine Mutter sich nicht um ihn kümmert und gekümmert hat. Denn er war schliesslich immer auf sich allein gestellt und muss daher eine gewisse Reife besitzen. Ich hoffe du verstehst was ich meine, ist etwas schwer zu erklären.

In meinem Bekanntenkreis gibt es einen ähnlichen Fall, natürlich ohne das Töten. Aber ich kenne jemanden, der schon ziemlich lange ohne die Fürsorge seiner Mutter auskommen muss, weil sie sich lieber um sich selbst kümmert. Er wünscht sich, dass sie für ihn da ist, würde sich darüber freuen, wenn sie mal für ihn kochen würde - all diese Dinge, die Mütter so machen halt. Aber trotzdem ist er reif und erwachsen. Ich glaube er ist 22...

Ich denke einfach, dass so etwas unabhängig von Alter und Reife ist, jeder wünscht sich doch Geborgenheit und Liebe. Nur ist es bei einigen vielleicht stärker ausgeprägt als bei anderen.

Gruß
Thaleia

 

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