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Fast hätte ich nie...
Fast hätte ich nie erfahren, was in dem Päckchen war.
Wie jeden Abend vor Betreten des Hauses angelt mein Lieblingsehemann mit seinen langen kräftigen Fingern, ich frag mich jedes Mal, wieso er nicht stecken bleibt, die Post aus dem Briefkasten.
Da sich der Briefkastenschlüssel nicht an seinem Schlüsselbund befindet, ist das aus seiner Sicht die schnellere Methode.
Am Montag fischt er eine rote Benachrichtigungskarte heraus. Adressiert an mich. Ich soll was vom Postamt abholen.
"Hast du was bestellt?" Die Art, wie er es sagt, treibt mich sofort in die Verteidigungstonlage: "Nein", beteuere ich, "absolut nichts! Ich habe zwar bei ebay was ersteigert, aber das lass ich mir nicht an die Privatanschrift senden. Das läuft übers Büro."
Sein misstrauischer Blick spricht Bände. Ich bin schon viel zu lange mit diesem Mann verheiratet, als dass ich nicht wüsste, was er nun denkt: 'Da ist bestimmt was schief gelaufen und irgendjemand will uns leimen, wer weiß, was da alles Böses übers Internet gegen uns angestellt wird.'
Ich habe nun mal einen Mann erwischt, der von vorneherein immer die halbleere Flasche sieht und mich in puncto Zweckpessimismus aufs Ausgefeilteste übertrumpft. In solchen Momenten bereue ich zutiefst, nicht besser bei meiner Wahl aufgepasst zu haben und ich wäge dann in Sekundenschnelle ab, ob es schon reicht, mich von ihm scheiden zu lassen.
Am Dienstag verlässt mein Mann vor mir das Haus und nimmt, weil er zum Postamt muss, schon mal die Benachrichtigungskarte mit, um sie dort einzulösen.
Denke ich. Aber weit gefehlt.
Ein Anruf, er ist bereits im Büro eingetroffen, erreicht mich noch zu Hause. Ohne lange Vorrede fragt er inquisitorisch: "Hast du bei amazon was bestellt? Das Päckchen ist von amazon!"
"Nein, auf jeden Fall hab ich dort nichts bestellt, mit Sicherheit nicht!", beteuere ich und gebe meiner Stimme soundmäßig schon mal all meine Zerknirschtheit rein, damit dieser Ehemann nicht noch vorwurfsvoller aufdreht.
Aber zu spät.
"Wer weiß, was du mit deiner Internetscheiße jetzt alles angerichtet hast. Auf jeden Fall habe ich das Päckchen nicht angenommen. Da musst du dich jetzt selbst mal drum kümmern und gucken, wie du da wieder rauskommst!"
Nun gibt es zwei Möglichkeiten den weiteren Verlauf des Tages zu beeinflussen. Ehekrieg oder Waffenstillstand.
Mit anderen Worten, ich halte verbal gegen oder ich schweige.
Ich entscheide mich für Letzteres, weil ich noch einen anstrengenden Bürotag vor mir habe und mit meinen Nervenkräften haushalten muss.
In evotschulmädchenhafter Haltung verharrend lasse ich mir nochmals erläutern, wie höchst unvorsichtig ich in Sachen Internethandel gewesen bin. Dabei hab ich gar nix bestellt, denke ich die innerlich aufmupfig.
Als Ehefrau eines hervorragenden Strafverteidigers bin ich grundsätzlich schon vorverurteilt.
Manchmal bricht der blanke Neid in mir aus, mit wieviel Akribie dieser Mann die wüstesten Straftäter rauskloppt, während ich, wäre er auf der Richterseite tätig, von ihm direkt in den Knast geschickt werden würde.
Vielleicht sollte ich, um eine wenigstens halbwegs faire Behandlung von ihm zu erhalten, seine Mandantin werden und ihn bezahlen?
Es kommt der Donnerstag und wir fahren ausnahmsweise nur mit einem Wagen, also gemeinsam ins Büro. Zuvor jedoch zum Postamt und mein Mann bleibt wie der Wachposten eines Geldtransporters abwartend im Auto sitzen, während ich das Ergebnis meiner angeblichen Internetmissetaten erstmal in Augenschein zu nehmen gedenke.
Es handelt sich tatsächlich um eine Sendung von amazon. Und nun? Ich weiß damit immer noch nicht, was da drin ist.
Einfach nur zurückgehen lassen, hat juristisch betrachtet nicht die richtige Wirkung, um aus so einem vorgeblichen Vertragsverhältnis wieder heraus zu kommen.
Mir bricht innerlich der Juristenschweiß aus, weiß ich doch, wie zäh solche Großfirmen sein können, wenn man einmal in ihre Mühlen geraten ist.
Also entschließe ich mich, beherzt den Päckchenempfang zu quittieren.
Ich werde dann hineinschauen und das Ganze mit einem geharnischten Brief zurücksenden.
Selbstverständlich unter Verwendung meines anwaltlichen Briefkopfes und Androhung von Tod und Teufel, für den Fall, dass man mir weiterhin unbestellte Waren als bestellte unterzujubeln gedenkt.
Auf Drängen meines Mannes, der plötzlich von weiblicher Neugierde gepackt wird, werde ich genötigt noch im Auto das Päckchen zu öffnen.
Außen angebracht ist übrigens ein Aufkleber, auf dem "Geschenk" steht.
Perfide gemacht, denke ich. Der Empfänger soll eingelullt werden und denken, er sei beschenkt worden.
In letzter Zeit eine ausgefeilte Methode der Nepper, Schlepper und Bauernfänger. Ha, nicht mit mir.
Ich öffne das Päckchen. Zum Vorschein kommt ein in hübschem Geschenkpapier und Schleifchen verpacktes Buch und meine Annahme, dass es sich hier um ein perfektes Täuschungsmanöver handelt, sieht sich bestätigt.
Na wartet, euch werd ich lehren, auf diese plumpe Art und Weise eine Anwältin aufs Kreuz legen zu wollen.
Früher konnte man die Vorbereitungshandlungen der Geldräuber noch gut enttarnen, wenn es hieß: "Wir laden Sie herzlich zu einer Gratiskaffeefahrt in die Holsteinische Schweiz ein. Jeder Teilnehmer erhält ein Pfund Kaffee und ein halbes Pfund Butter und ein Überraschungsgeschenk gratis."
Mein Opa ist mal von so einer Kaffeefahrt glücklich mit zwei gut erhaltenen Rheumadecken für sich und Oma nach Hause gekommen.
So und nun macht amazon also schon Kaffeefahrten?
Da sei mein waches Auge vor.
Das Päckchen war nun schon mal auf, dann konnte ich auch getrost das Geschenkpapier entfernen. Zum Vorschein kommt ein Buch von Isabel Allende mit dem Titel „Aphrodite“ und eine noch krausere Stirn meinerseits.
Was nun? In dem Päckchen befindet sich noch ein Rücksendezettel, was mich auf der Stelle zu der Überzeugung bringt, dass es sich hier um ein höchst raffiniert getarntes Kaufangebot handelt.
Sobald ich im Büro angekommen bin, werde ich die juristische Keule schwingen und
die ganze Chose mit juristischen Drohungen versehen, zurück gehen lassen.
Mein Mann startet schon mal den Wagen.
Ich will gerade das Buch in den Karton zurückstopfen, da fällt mir ein in den Farben des Geschenkpapiers gehaltener größerer Umschlag auf. Bestimmt enthält der nur weitere Werbeaufdringlichkeiten. Ist ja neuerdings üblich, dass die Versandhäuser jeder noch so winzigen Bestellung gleich ein Kilo Werbeflyer hinzufügen.
Ich ziehe aus dem Umschlag ein Kärtchen auf dem steht:
"Hi, Elvira, du als Juristin wirst dich mit Verjährungsfristen auskennen. Uns bleibt zu hoffen, dass es nicht zu spät ist, dir zu sagen, wie schön es bei dir war. Danke nochmal und ganz liebe Grüße von all deinen Gästen."
Meine Stirn zieht sich kraus, während ich dies meinem Mann vorlese.
Seltsam, woher wissen die erstens, dass ich Juristin bin und zweitens meine Privatanschrift und dass mit den Gästen? Welche Gäste? Ich hatte schon oft Gäste. Und keine Unterschrift, niemand als Urheber erkennbar? Abgefeimt.
Bis mein Blick auf den Absender trifft. Maria aus Mettmann. Moment mal...Maria aus Mettmann?
"Die kenne ich" ruf ich entgeistert aus "das hier, das ist ein Geschenk von Maria und den ganzen Leuten, die letztens zum Frühstück da waren. Das sind die, du weißt doch, die uns den Schokoladenosterhasen und das Katzengras mitbrachten. Na, das ist ja ein Ding", und langsam sickert Freude in mein Gehirn.
Was für eine Überraschung.
Meine Welt ist wieder in Ordnung.
Mein Mann allerdings, dessen Zweckpessimismus mal wieder eine Niederlage erleiden musste, sagt gar nichts mehr und grunzt nur verhalten.
Wahrscheinlich erinnert er sich gerade daran, wie er mit mir den Osterhasen vertilgt hatte.
Ich hatte ihm großzügigst den Rücken und die Bauchlappen zugeteilt.
Und ausserdem war er jetzt mit Fahren beschäftigt.
* * * * *