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Dieses Kurzgeschichte wird wahrscheinlich Teil einer zukünftigen Sammlung mit dem Titel „Wir Kasadeutschen“ sein.
Fata Morgana
Wie immer saßen auf beiden Seiten des Marktausgangs zwei Reihen kleiner, alter Frauen ohne Verkaufslizenz. Jede Babuschka hatte kleine Schneeverwehungen auf Hut und Schultern. Sie alle saßen vor Säcken mit gerösteten Sonnenblumenkernen, bis auf die letzte; die hatte ein struppiges Bäumchen in einem Tontopf vor sich. Und ein kleines Schild, auf dem mit schwarzem Filzstift auf brauner Pappe stand: „Geldmagnet“.
An so etwas konnte ich nicht einfach vorbeigehen.
„Wie viel wollen Sie für diesen jämmerlichen Rattenschwanz haben?“, fragte ich mit meiner gleichgültigsten Stimme und tippte mit dem Finger gegen die Pflanze.
Jeder weiß, dass man auf einem orientalischen Markt, sei es ein Souk in Casablanca oder ein Basar in Vientiane — und Kasachstan ist auch der Osten —, als Käufer niemals Interesse zeigen darf, sonst zahlt man drauf. Man muss feilschen. Das Feilschen gehört hier fest zur Kultur; den festgesetzten Preis ohne Widerrede hinzunehmen, ist geradezu eine Ohrfeige. Obwohl dieses Großmütterchen eindeutig nicht von hier war. In ihrem schmalen, hakennasigen Gesicht, das nicht von der grellen Steppensonne gegerbt schien, erahnte ich etwas vage Vertrautes, aber längst Vergessenes ...
„Du bist selber ein Rattenschwanz!“, parierte die Alte mit krächzender Stimme. Sie musterte mich aufmerksam mit ihren verblassten, ehemals blauen Augen über den Rand ihrer Brille hinweg und sagte plötzlich auf Deutsch: „Für dich, Dana — zweieinhalb. Tausend.“
„Wie kommt’s, dass Sie mich kennen?“, fragte ich verblüfft und reichte ihr dreitausend Tenge.
„Kein Wechselgeld“, sagte die Oma, nahm das Geld und drehte mir den Rücken zu.
Sieh dir mal das Kraftfeld dieser alten Schachtel an! Wirklich ein Geldmagnet! Sie zieht die Knete einfach an, dachte ich vergnügt und eilte nach Hause.
Es blieben nur noch ein paar Kleinigkeiten zu klären; ich musste nur herausfinden, wie ich diesen Magneten in meine Richtung drehen konnte. Und dann würde ich im Geld schwimmen.
Auf dem Heimweg machte ich einen scharfen Umweg und stürmte in einen Baumarkt.
„Geben Sie mir eine Schaufel! Die größte, die Sie haben.“
Der Verkäufer schielte auf den Geldbaum in meinen Händen und sagte: „Kein Wort mehr.“ Und er brachte mir die gewaltigste Schaufel, die sie hatten.
„Haben Sie auch eine in Pink?“, fragte mein Mund.
„Wir haben pinke Farbe. In Sprühdosen.“
„Geben Sie mir drei. Und ein paar Säcke dazu.“
Ich hatte vor, Geld in Säcke zu schaufeln und sie im Flur zu lagern, wie Kartoffeln!
Der Rest des Weges war ein ziemlicher Kampf: Die Schaufel schlug mir ständig gegen die Beine, die Sprühdosen klapperten in meinen Taschen, und der Topf mit dem Baum zerrte an meinen Armen. Die Säcke flatterten hinter meinem Rücken wie ein Fallschirm.
Aber ich habe es geschafft. Was tut man nicht alles für einen Traum!
Zu Hause stellte ich den Baum feierlich auf das Küchenfensterbrett, goss ihn und leistete den Geld-Schwur: „Ich schwöre, niemals drinnen zu pfeifen, niemals nach Sonnenuntergang den Müll rauszubringen und mein Bargeld immer im Portemonnaie zu behalten. Möge es Geld auf mich regnen! Mein Wort ist fest wie Stein, es soll kein andres sein.“
Die ganze Nacht träumte ich von einem goldenen Regen: Zeus schwebte über mir, barfuß, in einem bis zum Bauchnabel hochgerutschten Chiton, und hielt aus irgendeinem Grund einen Regenschirm, während Priapos mit einem Hubschrauberdröhnen, wie verrückt lachend, Kreise um uns drehte.
„Sie hat um Goldregen gebeten, nicht das!“, hörte ich plötzlich eine vertraute, krächzende Stimme und sah die alte Frau von vorhin — gekleidet in lange blaue Gewänder mit spitzer Kapuze. Sie zwinkerte mir verschwörerisch zu und erhob sich auf einem Besenstiel in den Sternenhimmel. Schlagartig fiel mir ein, wo ich sie schon einmal gesehen hatte: auf einem Stich in einem antiquarischen Märchenbuch, gedruckt in Frakturschrift. Die Fee Morgana, meine gute Fee!
Als ich am Morgen in die Küche kam, sah ich, dass mein Kater Putin an meinem Geldbaum kaute, Schluckauf hatte und meine Pläne, reich zu werden, buchstäblich an der Wurzel vernichtete.
Im Flur lagen still die Säcke und die pinke Schaufel.
Dieser Text wurde mit der magischen Kraft aufgeladen, Geld zu bringen. Druck ihn aus, verbrenn ihn und iss die Asche. Möge der goldene Regen ... pfuiteufel! ... Goldregen mit dir sein!