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Fatale Neugier oder Curiosity killed the cook
Bis auf das gelegentliche Gezeter der Affen war es still. Die Sterne spiegelten sich im Fluß. Moss bohrte versonnen in der Nase und schnippte den winzigen Rotzkrümel über die Reling. Hin und wieder knackten Zweige im Wald, der nur einen Steinwurf entfernt war und den zu betreten ihnen der Kapitän verboten hatte.
„Kaum auszuhalten, die Scheißhitze“, flüsterte Corona. Er zog ein Tuch aus der Hosentasche, wischte sich den Schweiß ab und studierte den Himmel. „Was würd‘ ich geben für ne kleine Brise…
„Der Koch hat gesagt, Wind gibt’s erst mal keinen. Nicht die nächsten Tage jedenfalls.“
„Was weiß der Koch schon.“
„Der kennt sich aus mit dem Wetter hier. Kommt schließlich aus der Ecke.“
„Der Koch is’n Wilder.“
„Na und ?“
„Ich trau‘ ihm nicht.“
Corona beugte sich vor und starrte aufs Wasser. „Hat irgendwas an sich … kann einen nich richtig angucken … schleicht so merkwürdig rum … Allerdings – kochen kann er, das muß man ihm lassen.“
Moss hob die Hand.
„Ich glaube, eins der Taue hat sich bewegt.“
„Welches?“
„Das auf unserer Seite.“
Als sie am Heck der Grey Aunt standen und hinüber zu dem riesigen Floß blickten, das der Dreimaster seit Tagen durch die Gegend schleppte, seufzten sie gleichzeitig. In vielen Hütten war noch Licht. Vor dem Gemeinschaftshaus brannten einige Lagerfeuer und der Duft von Sauerbraten lag in der Luft. Die Preiskämpfertruppe, welche das Floß gemietet hatte, war aus der Stadt jenseits des Waldes zurückgekehrt und schlug sich die Bäuche voll. Insgeheim beneidete Moss die Männer. Kein schlechtes Leben, das die führen, dachte er nicht zum ersten Mal. Kassieren ordentlich dafür, dass sie den Einheimischen Schlägern was aufs Maul hauen dürfen, und die Weiber laufen ihnen auch noch scharenweise hinterher … Unsereins muß Wache schieben, während diese Barbaren auf dem beschissenen Floß die Sau raus lassen … Na, jetzt werden diese Muskelprotze erst mal Langeweile schieben. Kein Wind – keine Fahrt …
Die schweren Taue, die das Floß mit dem Segler verbanden, schwangen sacht hin und her.
„Ich seh nichts“, sagte Corona. Er musste seine Augen anstrengen, um die großen Poller, an denen die Trossen festgemacht waren, zu erkennen. Alles schien in Ordnung zu sein. Sie lauschten noch eine Zeitlang dem Gelächter und der Musik, dann nahmen sie wieder ihre Plätze zwischen dem Vorderdeck und der Kombüse ein.
Moss gähnte und schloss dabei die Augen. Er hatte noch genau drei Sekunden zu leben.
Der Pfeil, der die warme Luft durchschnitt wie ein kalter Gedanke, bohrte sich in Moss‘ weit geöffneten Rachen. Er spaltete sein Gaumensegel, durchschlug einen Halswirbel und blieb schließlich in der Außenwand der Kombüse stecken. Corona stierte fassungslos auf den Schaft des Pfeils, auf die gesträubten Federn, die im Licht der Großmastlaterne wie ein Staubwedel aussahen.
Als er herumwirbelte, war es bereits zu spät. Es gab niemanden mehr, dem er hätte sagen können, dass, als das Messer auf ihn zu sauste, er einen einzelnen Stern auf der Klinge des Küchenmessers erkennen konnte. Scharf und klar zeichnete er sich auf dem blankpolierten Stahl ab.
Er taumelte nach hinten, drehte sich und bekam das Hemd seines Kameraden zu fassen. Als seine Beine erschlafften, zog er Moss mit sich nach unten. Es knackte, als der Pfeil abbrach.
Der Koch kappte mit der blutigen Klinge die Schlepptaue und sah zu, wie sie versanken. Der Eiserne Mann würde zufrieden mit ihm sein. Er blickte zum Himmel und lächelte. Von Westen näherten sich Wolken. Ein Lufthauch trocknete den dünnen Schweißfilm auf seinem Gesicht.
Zwei Dinge blieben noch zu tun.
Zunächst musste die restliche Besatzung sowie die beiden seltsamen Kreaturen, welche in der Kajüte des Kapitäns in ihren Käfigen vor sich hin dämmerten, unschädlich gemacht werden. Er entnahm dem kleinen Stoffbeutel an seinem Gürtel eine Handvoll Kupferkraut und presste es zu einer Kugel zusammen. Dann öffnete er vorsichtig die Luke über dem Laderaum, in dem die Mannschaft schlief. Er setzte die Kugel mit angehaltenem Atem in Brand, ließ sie fallen und schloß die Luke, bevor der giftige Rauch ihm gefährlich werden konnte.
Die Stufen zur Kapitänskajüte knarrten leise. Er blieb stehen und lauschte. Doch außer dem Schnarchen des Kapitäns und den ersten Regentropfen, die auf die Decksplanken fielen, war nichts zu hören. In der einen Hand das todbringende Kraut, in der anderen sein Luntenzeug, wartete der Koch vor der niedrigen Tür, bis er sicher sein konnte, daß dort drin niemand wach war. Dann drückte er vorsichtig die Klinke herunter.
Als der Spalt gerade groß genug war, um eine Hand hindurch stecken zu können, kam ihm ein verlockender Gedanke. Er wollte die schwarzen Tücher von den Käfigen ziehen und endlich mit eigenen Augen sehen, was für Fabelwesen der Kapitän in der Stadt der Wunder an Bord hatte bringen lassen. Er verstaute Kupferkraut und Lunte in der Hosentasche, zog sein Messer und stieß die Tür ganz auf. Seine Augen hatten sich mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt, und so konnte er im schwachen Licht der Sterne, das durch die beiden Bullaugen schimmerte, mühelos die Umrisse der mannshohen Käfige sowie die Koje, aus der das Schnarchen drang, erkennen.
Zwei lautlose Schritte…
Ein mit aller Kraft geführter Hieb…
Das Schnarchen brach ab.
Der Koch versuchte eine Zeitlang vergeblich, das Messer aus dem Brustkorb des Kapitäns zu ziehen und wandte sich schließlich achselzuckend den Käfigen zu. Unter den Tüchern war jetzt ein Scharren und Schnauben zu hören. Die Geräusche kannte er nur zu gut. Immer, wenn er das Essen serviert hatte, waren die Kreaturen hinter dem schwarzen Stoff unruhig geworden.
Er entzündete die Laterne, die an der niedrigen Decke baumelte, und rieb seine feuchten Handflächen aneinander. Dann streckte er den Arm aus.
Der Regen wurde stärker. Ein kräftiger Wind ließ die Masten knarren. Die Ankerkette straffte sich. Auf dem Fluss erloschen die Feuer und die Menschen flüchteten lachend in ihre Hütten. Niemand bemerkte, dass das Floß Fahrt aufgenommen hatte und langsam davon trieb.
Der Stoff fühlte sich seltsam an. Fast wie menschliche Haut, dachte der Koch. Er zögerte kurz und zog mit einem Ruck beide Tücher zugleich herunter.
Was er sah, ließ ihn aufstöhnen. Das Licht der Laterne reichte aus, um hinter den Holzstäben die grotesk verformten Gliedmaßen der monströsen Geschöpfe zu erkennen. Eines der Dinger riß sein abscheuliches Maul auf und gab ein Zischen von sich. Ein dünner Speichelstrahl traf den Koch zwischen die Augen. Er streckte beide Arme von sich und wich zurück. An der Türschwelle wäre er fast gestürzt, aber er fing sich und hetzte die Treppe hinauf. Seine Augen brannten entsetzlich. Er legte den Kopf in den Nacken und heulte den Himmel an. Der Regen zerfloß auf seinen Pupillen und verdampfte augenblicklich. Zitternd und halbblind nahm er einen widerwärtigen Geruch wahr. Im selben Moment, als er erkannte, dass seine Augen begonnen hatten, sich in Rauch aufzulösen, hörte er von von unten das Geräusch von splitterndem Holz.
Das Letzte, das der Koch wahrnahm, waren heisere Klagelaute, gefolgt von wütendem Kreischen.