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22.12.2008
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Er lies sich auf die Bank neben der Haltestelle fallen und blickte sich ausdruckslos um. Direkt gegenüber stand ein heruntergekommenes Gebäude, eines von denen, die nur noch als quadratische Litfaßsäule gebraucht wurden. Kein Putz mehr auf den Wänden stand das Haus vor ihm in der Kälte. Auf Höhe der ersten Etage stach eine Straßenlaterne aus seiner gekerbten Silhouette hervor und beschien die Straße sanft; streichelte den kalten Stein mit ihrem süßen Licht.
Sein Blick streifte die dunklen Fenster, die wie furchtbare Narben an dem Steinklotz klebten. Sie waren von einem morschen Holzrahmen ins Mauerwerk eingefasst, das blättrige Glas war bei einigen von ihnen löchrig. Er bemerkte, dass die Fenster sehr dunkel waren. Ja, Sie waren wirklich ziemlich schwarz. Schwarze, tote Fenster. Das höllischste Schwarz, dass er je gesehen hatte! Rabenschwarz! Und das bei der süßen Laterne nebenan!

Seine Züge waren nun nicht mehr ausdruckslos. Er spürte, wie sein Herz schneller schlug. Wie können die Fenster nur so schwarz sein? So unsinnig schwarz! Wem nützen die schwarzen Fenster? Waren es die Fenster wert, das die Laterne ihnen ihr Licht opferte? Törichte Laterne! Sinnloses Haus! Abreißen sollte man es!​
Angeekelt drehte er sich links weg.
Im Glas der Haltestellenüberdachung sah er das schwarze Haus wieder. Schon wollte er sich erneut abkehren, da bemerkte er etwas. Neben den unverschämten Fenstern und hinter der Laterne hingen nun Andere. Die waren auch schwarz. Nur 2 Fenster, die waren hell erleuchtet. Man konnte direkt in die warme Stube blicken.
Hastig drehte er sich dem alten Haus zu. Doch neben der Laterne waren nur die immergleichen, schwarzen Fenster. Trieb der verdammte Klotz jetzt Schindluder mit ihm?
Wieder sah er in das Glas. Da waren Sie wieder, und sie strahlten so schön! Jetzt begriff er.​
Er beugte sich vor, weit vor das Glas. Nur drehte er sich diesmal nicht zu dem Klotz gegenüber, sondern etwas nach links. Da waren sie. Er hatte sie schließlich gefunden. Sie strahlte noch heller als durch das Glas, welches ihm die Fenster dort zeigte, wo sie waren; sie nicht reflektierte, wie es den toten Altbau reflektiert hatte. Er überprüfte nochmal. Da sah er wieder den bekannten, schwarzen Stein und die furchtbaren Fenster auf ihm. Genau daneben die wunderbar warmen Stuben, die man durch die Fenster sah.
Wie eine Lawine überrollte es ihn. Hinter diesen verhassten Schwarzen gibt es doch auch Stuben! Große, leere Räume. Dunkle Räume, schwarze Räume.
Eine unbeschreibliche Trauer fuhr ihm durch die Knochen. Niemand kümmert sich noch um die schwarzen Stuben. Sie lassen sie stumm sterben; stumpf verwittern. Keiner putzt das Haus neu an. Niemand wechselt die morschen Rahmen aus. Keiner verkabelt die Räume hinter den Fenstern und hängt eine Lampe auf.
Die Liebe stirbt.
Der Wille verwelkt.
Schwarz wird es.
Um mich herum nur noch Blinde.
Bin ich ein Schatten?​

Irgendwann wird auch die Laterne nicht mehr leuchten und es wird Niemanden kümmern. Weil nie jemand aus den schwarzen Fenstern das Licht auf der Straße gesehen hat. Die Laterne wird nur noch als rostiger Kadaver dahängen.
Tot.​
Mit feuchten Augen stieg er in die Straßenbahn ein.
Als er Zuhause ankam, dachte er lange nach.

Diese Nacht war die erste, in der er ohne heruntergelassene Jalousie schlief.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey rueganerin,

erstmal danke für die Kritik. Der Name wird dir vielleicht von einer anderen Seite betrachtet aussprechlicher erscheinen ;)

Das letzte von dir ausgesuchte Zitat war auch schon vor dem Einstellen hier kurz davor gestrichen zu werden, ich habs dann aber einfach mal dringelassen. Wurde dann doch bestätigt.

Ansonsten nehm ich alles gern an, die übertriebenen Emotionen, die ich darstellen wollte, brauche ich jedoch persönlich für meine Deutungsebene, da es ja eine relativ belanglose Inhaltsebene ist. Es scheiterte dann eher an der sprachlichen Darstellung und daran, dass ich das Extreme einfach zu gern habe.

Achja und blättriges Glas... wer im Osten wohnt wird das bestimmt kennen, das ist eine Verwitterungserscheinung von Glas in verkommenen Altbauten, das Material wird irgendwie spröde und dadurch, dass die Scheiben meist mehrschichtig sind, sieht das dann nach verwelkten Blättern aus.

gruß,
Nnisnu

PS: Das Haus, das für die Geschichte Modell gestanden hat (vor ca. 2 Jahren) wird gerade renoviert. :D

 

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