- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 3
Feuer
Sie wusste, dass etwas passieren würde, lange bevor der Wind es ihr zuflüsterte und das Feuer laut knisterte.
Vielleicht hatte sie es gewusst, als sie nachts aus dem Schlaf hochfuhr, mit dem Geruch von brennendem Holz in der Nase und umgeben von der Dunkelheit, oder, als der Regen unnatürlich fest gegen die Fenster klopfte und ihr Kopf zu schmerzen begann.
Jetzt saß sie vor den Flammen und konzentrierte sich, immun gegen die Hitze, obwohl es ein heißer Sommertag war. Verworrene Bilder tauchten auf, teils aus ihren Träumen, teils aus der Realität und es war schwierig, sie richtig einzuordnen. Letztendlich gab sie auf und streckte ihre tauben Glieder, die vom langen Sitzen schwer geworden waren.
Nach einem Blick hinaus entschied sie, ein wenig spazieren zu gehen.
„Hey! Sendya!“ hörte sie eine Stimme, als sie den steinigen Weg zum Park einschlug. Sie kannte die Stimme und obgleich sie keine Lust verspürte, jetzt auf normale Konversation zu machen, drehte sie sich um.
Er kam auf sie zu, Rem, ein junger Mann, vielleicht zwei, drei Jahre älter als sie, sie hatte nie gefragt.
„Und, alles okay bei dir?“, fragte er leise nach einem schnellen Blick rundum. „Geht’s dir gut?“
Sendya schloss die Augen. „Es geht mir gut, Rem. Lass mich in Ruhe.“
Er stemmte die Arme in die Hüften, sah sie an, mit einem Gesichtsausdruck, der teils Empörung, teils Traurigkeit widerspiegelte.
„Sendya! Wieso bist du so? Leina sagte gestern schon, dass-“
„Lass mich endlich in Ruhe!“, entgegnete sie heftig und stieß ihn aus dem Weg. „Glaubst du, dass wir zusammengehören, nur weil wir… weil wir anders sind? Glaubst du das?“
Rem machte eine Fingerbewegung, eine ganz kleine nur, und Wasserwirbel entstanden in der Luft und flogen in Spiralen über seiner Handfläche.
„Wie, meinst du das?“, fragte er provozierend und beobachtete sie genau. „Tja, dann sind wir in der Tat anders.“
Nach einer weiteren Bewegung traf sie ein kleiner Tropfen im Gesicht.
Sendyas Augen blitzten und sie bemühte sich, sich zu beherrschen. Wut wallte in ihr auf, auf Rem und auf sich selbst, und das machte sie noch wütender. Wut hasste sie, sie konnte sich dann nicht mehr konzentrieren, und manchmal, da …
Sie wischte ihre Gedanken mit einem Kopfschütteln zur Seite, und zischte stattdessen Rem an: „Was tust du?! Wenn dich jemand sieht?!“
Rem war ganz gelassen und er lächelte, selbstgefällig. Sie konnte es nicht ausstehen, und er wusste das. Innerlich mahnte sie sich, nicht die Kontrolle zu verlieren.
„Du kannst dich beruhigen. Ich habe vorher alles überprüft, es ist keiner in der Nähe“, entgegnete er lässig.
„Treib mich nicht zur Weißglut, Rem. Du willst doch nicht, dass …“
Auge in Auge standen sie sich gegenüber, den Blick starr ineinander versenkt und schließlich war es Rem, der als Erster wegsah. Er schnippte mit den Fingern und das Wasser verschwand. „Nein, Sendya, das will ich nicht“, erwiderte er sanft, so, wie sie ihn noch nie hatte sprechen hören, außer einmal vielleicht, zu Leina.
„Ich will nur, dass du uns vertraust.“ Und mit diesen Worten drehte er sich um und ging.
Sendya sah ihm noch eine Weile nach, wie er mit hochgezogenen Schultern davonschritt, ohne sich noch einmal umzudrehen. Dann ging sie weiter, egal, wohin.
Oft hasste sie es, anders zu sein, aber gleichzeitig hatte es etwas eigenartig Tröstendes an sich. „Wenn mir kalt ist, wärmt es mich…“, murmelte sie vor sich hin und machte gedankenverloren die gleiche Handbewegung wie zuvor Rem. Stirnrunzelnd betrachtete sie die orangeroten Flammen, die leicht flackerten und ihr neuen Mut zurückgaben.
Sie wollte es nicht zugeben, doch im Grunde genommen bereitete es ihr genauso viel Sorge wie Rem und Leina, dass der Kreis noch nicht vollständig ist. Wasser, Feuer, Luft… Aber ohne Erde sind wir verloren.
Manchmal dachte sie wehmütig an Leina und Rem, die beiden, die sich gefunden hatten. Sie wusste, sie machten es nicht absichtlich, sie kümmerten sich um sie, aber gleichzeitig wünschte sie sich eine eigene Schulter zum Anlehnen.
Ganz zu schweigen davon, dass sie die Mission erfüllen mussten…
Obwohl sie jetzt ganz und gar ein Mensch war, erinnerte sie sich manchmal an früher, an ihr früheres Leben, als sie noch etwas war, was sie sich nun nicht mehr erklären konnte. Dann dan sah sie endlos blauen Himmel, vermischt mit dem sanften Rot der Blumen und roch nach Zimt duftende Luft.
Und noch seltener erinnerte sie sich daran, dass sie glücklich war…
Es bereitete ihr Alpträume, Angst, denn oftmals wusste sie nicht, wer sie war: Sendya oder diejenige, die sie früher war, in diesem anderen Leben, das manchmal wie ein Schatten an ihr vorbeihuschte.
Plötzlicher Wind weckte sie aus ihren Gedanken und wendete ihren Blick nach vorne. Sie fröstelte in ihrem T-Shirt, obwohl es Hochsommer war, während ihr Zimtgeruch in die Nase stieg, und eine dunkle Ahnung sie erfasste. Kurz sah sie vor ihrem inneren Auge Flammen, die sofort wieder verschwanden.
Als sie langsam um sich sah, bemerkte sie, dass sie mitten im Wald stand. Hier unten hatten die Bäume keine Blätter, aber weit über sich erblickte sie das grüne Dach, durch das an einigen Stellen der helle Sonnenschein blitzte.
Sie streckte ihre Hand nach einem Stamm aus, der so wunderbar standhaft aussah… Und erstarrte.
Sie fühlte Bewegungen, Bewegungen in der Luft, Stimmen riefen ihr etwas zu und ihr schwindelte.
„Es wird passieren…“
Da war diese Stimme, die plötzlich aus dem Nichts kam und etwas wie Schmetterlingsflügel, das ihr übers Gesicht streifte. Das Licht wurde heller, blendend, sie vermochte kaum mehr die Augen offen zu halten…
Sie spürte eine Hand auf ihrer Schulter.
„Geht’s dir nicht gut?“
„Rem!“, dachte sie im ersten Augenblick, doch als sie hinter sich sah, erblickte sie einen anderen jungen Mann, braune Haare, braune Augen.
„Ja… alles okay“, antwortete sie. Und blinzelte. Irgendetwas an ihm war seltsam, vertraut und fremd… Sendya starrte ihn weiter an.
„Wie heißt du?“, fragte sie aus einer plötzlichen Eingebung heraus.
Der Junge zögerte. „Eon“, antwortet er dann.
Sendya nahm seine Hand, wie selbstverständlich, ihre Gedanken rasten, sie sagte nichts. Er ließ es geschehen und wartete ab, mit zerstreutem Gesichtausdruck, doch er bewegte sich nicht.
Sie betrachtete ihn, sein Gesicht, seine Wange, und da plötzlich sah sie es, an der linken Seite seines Halses: einen kleinen Kreis mit einem durchgehenden Strich.
„Du hast das Mal!“, rief sie aufgeregt und lachte. Lachte und konnte nicht mehr aufhören. Kann es sein? Kann es sein, dass sie hier endlich das gefunden hatte, was sie so lange gesucht hatte? Würde der Kreis sich endlich schließen?
„Na und?“, fragt Eon in Abwehhaltung und wich vor ihr zurück. „Welches Mal?“, fügte er dann hinzu, als ihm sein Fehler aufging.
Doch sie hatte die Angst und die Wahrheit in seinen Augen längst gesehen.
„Komm schon! Siehst du meines nicht?“
Zögernd strich er ihr Haar zur Seite. Lange Zeit herrschte Stille.
„Du hast Recht“, antwortete er dann langsam. „Du hast es auch. Also, wer bist du?“
„Feuer“, sagte sie mit einer Stimme, die nicht ihre eigene zu sein schien, die viel zu hell klang, „ich bin Feuer.“
„Dann bist du es…“, murmelte er und griff nach ihrer Hand. „Oder?“
„Ich bin es.“ Zur Bestätigung nickte sie noch mit dem Kopf und ihre Augen leuchteten.
„Also… Der Zimtgeruch. Kann es anfangen?“, fragte er. Leichter Wind fuhr durch ihrer beider Haare und bewegte die Blätter, sodass das Sonnenlicht über ihre Körper tanzte.
„Ja“, wisperte sie und ließ es zu, dass er sie umarmte.
Jahre, hunderte von Jahren auf der Suche, und jetzt war es soweit. Sendya vergrub ihr Gesicht an Eons Schulter und seufzte leise.
„Es wird passieren“… schien der Wind zu säuseln und Sendya verschloss die Worte in ihrem Herzen und lächelte.
„Das wird es“, bestätigte sie.
Über ihnen raschelten die Blätter und die Luft roch nach Zimt.