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Fingernägel in Las Vegas
Das ewige Fressen ging Angelika dermaßen auf die Nerven! Warum mussten Männer nur dauernd Fleisch essen? Ralf hatte wie immer nichts bemerkt und schnitt gerade sein armgroßes Steak in kleine Häppchen. Sie betrachtete seinen Mund, an dem ein fettiger Tropfen glitzerte. Kai war bereits mit seinem Essen fertig und stierte nun mit dem ausdruckslosen Blick einer verdauenden Kuh auf seinen leeren Teller.
Er hätte ja weiß Gott den Anstand haben können, sie beide alleine fliegen zu lassen, dachte Angelika.
Ralfs Freundin Ellen hatte die ganz Reise angezettelt, nur um im letzten Moment aufgrund einer mysteriösen Erkrankung wieder abzuspringen und sie zu dritt in eine ausgesprochen peinliche Lage zu bringen. Was blieb Angelika und Ralf anderes übrig, als Kai mitzunehmen, zumal alles gebucht war und er keinerlei Anstalten machte, von selber wieder abzuspringen. So flog Angelika unvermittelt mit zwei Männern nach Las Vegas. Die männliche, fleischfressende Übermacht verursachte ihr jetzt schon schlechte Laune.
Ralf kaute konzentriert und schob zügig, aber ohne Hast, immer neue Brocken in seine Mund.
„Mmh“, machte er. „Willst du mal kosten?“
„Nein danke“, erwiderte sie spitz. „Ich bin noch satt vom Frühstück.“
„Wirklich?“, fragte er überrascht. „Du hast noch nur so einen Saft getrunken.“
„Einen Smoothie“, korrigierte sie ihn. „Waren bereits 320 Kalorien.“
„Mein Gott, Angelika. Wie sind im Urlaub!“ Er schüttelte verständnislos den Kopf und nahm einen Schluck Orangensaft. Das war so ziemlich das einzige Gesunde, was er an diesem Tag zu sich nehmen würde. Und doch wurde er nicht dicker, das regte sie am meisten auf. Es war so ungerecht! Sie musste jeden Tag mindestens zwei Stunden Sport machen und sich mehr oder weniger alles verkneifen, damit sie in Größe 38 passte. Er hingegen fraß nonstop wie ein Schaufelbagger alles was ihm vor das Gesicht kam, machte nie Sport, wenn man mal vom gelegentlichen Bowling absah und trug immer noch dieselben Hosen wie vor zwei Jahren! Wo blieb da die Gerechtigkeit?
Kai erwachte aus seiner Trance.
„Heute gewinnen wir was. Ich kann es richtig spüren!“, sagte er. „Es ist ganz einfach, ich habe gestern alles beobachtet und mir ein System ausgedacht.“
Gestern Abend waren sie angekommen und staunend durch die glitzernde und scheppernde Welt des Glücksspiels gelaufen. Man konnte hier zu jeder Tages und Nachtzeit essen, trinken und Geld ausgeben, einzig der Fitnessklub des Hotels hatte schon zu, wie Angelika gereizt festgestellt hatte. Voller Verwunderung hatte sie die Menschen an den Spielautomaten beobachtet, die wie Laborratten davor saßen und auf Knöpfe und Hebel drückten. Ralf war begeistert von einem Spieltisch zum anderen gelaufen und hatte fachmännisch den Leuten über die Schultern geschaut, dabei war Skat das Einzige, was er konnte.
„Ich denke, wir fange bei Roulette an“, meinte er jetzt zu Kai. Dieser nickte und zog ein kleines Notizbuch heraus, in welches er „1.-Roulette“ schrieb.
Angelika lachte auf. „Kannst du dir nicht merken, was Ralf gesagt hat?“
„Es wird ein Plan“, erwiderte Kai herablassend.
„Dann macht’s mal gut, ihr Ocean’s Two“, sagte Angelika und stand auf. „Ich dachte, ich lasse mir hier mal schick die Nägel machen.“
„Heißt das, du willst nicht mit Roulette spielen?“, fragte Ralf enttäuscht.
„Ihr macht das schon“, meinte sie. „Lasst mir noch was von euren Milliarden übrig. Ich buche uns eine Show für heute Abend.“ Damit stand sie auf.
Sie hatte das unbestimmte Gefühl, als ob sich das Blatt zu ihren Ungunsten gewendet hatte. Es war, als ob die Anwesenheit eines weiteren männlichen Wesens sämtliche Junggesellenmacken von Ralf wieder hervorlockte. Heute Morgen waren die beiden Männer mit ihren albernen Sonnenbrillen wie zwei pubertäre Playboys herumgelaufen, sie rülpsten ungeniert beim Essen und kommentierten die implantierten Oberweiten der weiblichen Gäste. Beim Anblick eines Ferraris waren sie ganz aus dem Häuschen geraten und hatten sich in endlosen Kommentaren und Begutachtungen ergangen. Besonders Ralf hatte das Heck des Autos mit einer erregten Zärtlichkeit berührt, die Angelika schon seit langem an anderer Stelle vermisste.
Vor dem Hotel sprang sie die Hitze an, wie eine Feuerwand. Kein Wunder, dass kaum ein Mensch auf der Straße war. In Las Vegas spielte sich alles innen ab, in klimatisierten Kunstwelten mit Kunstpflanzen, Kunsthimmel und Kunstbrüsten. Sie erhaschte einen Blick auf ihr Spiegelbild. Sie wurde immer fetter, es war so deprimierend. Obwohl sie noch nicht einmal Dreißig war, fing ihre Brust schon an, abzusacken. Von ihrem Hintern mit den Fettgrübchen ganz zu schweigen. Wie viel wohl so ein Brustimplantat kostete? Tatjana, ihre Kollegin, hatte von einer Bekannten berichtet, die sich für 12 00 Euro Hintern, Brust und Fettabsaugung hatte machen lassen. Kein schlechter Preis für ewige Glückseligkeit, hatten die Kolleginnen alle gemeint. Aber würde so etwas Ralf überhaupt auffallen?
Wenigstens konnte sie schöne Fingernägel haben, dachte Angelika und betrat den Nail Spa Salon. Die einzige Kundin außer ihr war eine unförmige Frau, deren Schenkel über den Sitzrand schmolzen, wie heißer Käse. Augenblicklich besserte sich Angelikas Laune und sie ließ sich von der zwitschernden vietnamesischen Angestellten auf einen Stuhl pressen. In Windeseile tauchte diese Angelikas Füße in ein sprudelndes Fußbad. Wie von Geisterhand erschien noch mehr Personal und machte sich mit Mundschutz und Feile über die Füße von Angelika und der dicken Frau her. Sie waren allesamt kleine Asiatinnen, die an den riesigen Beinen der Kundinnen herumfuhrwerkten wie überalterte Kindergartenkinder beim Basteln. Sie schwatzten aufgeregt miteinander in ihrer unverständlichen Sprache, ab und zu lachte eine von ihnen schrill auf. Worüber amüsierten sie sich? Machten sie Witze über die Schweinsfüße der Dicken? Oder über Angelikas eigene, gelblich verhornte Krallen? Konnte es sein, dass sie die Kundinnen anlächelten und dabei zu ihrer Kollegin „Gott, hast du diese verkeimten Hufe gesehen“, sagten?
„Where are you from?“, fragte plötzlich die dicke Frau.
„Hm?“ Angelika zuckte erschrocken zusammen. „Tschörmännie“, sagte sie dann.
„Ah Germany“, kicherte die Dicke. „They all hate our President don’t they?“ Angelika wusste nicht, was sie antworten sollte. Sie entschied sich der Einfachheit halber für „Yes.“
Die Dicke nickte zufrieden. „He’s a donkey“, sagte sie und betrachtete ihren linken Fuß, der sich unter der fachmännischen Behandlung in ein perlmuttglitzerndes Schmuckstück verwandelt hatte. Dann beugte sie sich vertraulich herüber.
„Did you know the president’s library burned down?“, fragte sie.
Angelika gab ein unbestimmtes Geräusch des Mitgefühls von sich.
„He was heartbroken“, sagte die Frau. „Both of his books got destroyed!” Sie lachte schallend auf. Angelika lachte erleichtert mit. Ihre Fingernägel wurden jetzt gestutzt und poliert. Die dicke Frau war fertig und stand auf.
„Thanks girls“, rief sie den Angestellten zu. Dann wandte sie sich wieder an Angelika.
„Did you win anything?“, fragte sie.
“Oh, no, nothing I ….”, Angelika suchte nach Worten. Wie sollte sie in ihrem spärlichen Schulenglisch erklären, dass sie Glücksspiel für eine blödsinnige Zeitverschwendung hielt? Wenn es nach ihr ginge, wären sie an die Ostsee gefahren.
„Try it!“, sagte die Dicke. Sie fischte einen Chip aus ihrer Hosentasche und gab ihn Angelika.
„Fänk you!“, erwiderte Angelika verlegen
Eine halbe Stunde später machte sie sich in der dampfenden Hitze wieder auf den Heimweg.
Ihre Nägel glänzten feucht und obszön rot in dem gleißenden Licht. Sechzig Dollar hatte der Spaß gekostet, was aber sicher noch vergleichsweise wenig war, verglichen mit dem, was Kai und Ralf garantiert verplempert hatten.
Als sie an der Hotelrezeption vorbei kam, fiel ihr wieder ein, dass sie ja für die Gestaltung des Abends verantwortlich war. Nach einem kurzen stotternden Gespräch mit der plastisch schönen Empfangsdame merkte Angelika, dass sie komplett überfordert war. Die Auswahl war gigantisch, ein Ereignis jagte das andere. Zögernd zeigte sie auf den einzigen Namen, der ihr bekannt vorkam: Celine Dion.
„Excellent choice“, gratulierte ihr die Frau mit routinierter Fröhlichkeit. Zu spät fiel Angelika ein, dass sie Celine Dion mit Barbara Streisand verwechselt hatte.
Sie konnte schon von weitem sehen, dass der Meisterplan von Kai keinen Erfolg gehabt hatte. Kai und Ralf saßen missmutig an einem kleinen Tisch in der endlosen Lobby und tranken Bier.
„Na, wo ist der Champagner?", rief sie fröhlich. Kai winkte ab. Ralf zuckte mit den Schultern.
„Wie viel“, fragte Angelika leise.
„Ist doch egal, wir sind im Urlaub!“, antwortete Ralf mit aufgezwungener Munterkeit. Kai blickte griesgrämig den Kellnerinnen auf den Hintern, die als römische Jungfrauen in schlackernden Umhängen und mit Lorbeerkränzen auf dem Kopf herumliefen. Das schien ihn an etwas zu erinnern.
„Hast du was Geiles für heute Abend gebucht?“, fragte er.
„Celine Dion“, sagte sie.
Eine Sekunde lang blickten die beiden Männer sie sprachlos an.
„Celine Fucking Dion?“, fragte Kai schließlich und klatschte die Hand auf den Tisch, dass das Bier schwappte. „Bist du bescheuert?“
„Nun reg dich nicht so auf“, sagte Angelika schnippisch.
„Gab’s denn nichts anderes?“, fragte Ralf kläglich. Jetzt reichte es ihr aber. Es war, als ob sie, Angelika, das fünfte Rad am Wagen war! Warum zog Kai nicht gleich in ihr Zimmer, wo er die ganze Nacht lang mit Ralf Pornofilme gucken und Wettstrategien ausknobeln konnte?
„Dann bucht ihr doch was Besseres!“, sagte sie ärgerlich. „Ich gehe mich jetzt frisch machen.“
Wütend ließ sie die beiden sitzen. Kai schlug sich immer wieder an die Stirn, um ihre grenzenlose Unfähigkeit zu demonstrieren.
Sie lief an den klimpernden Maschinen vorbei, vor denen Leute im Alter ihrer Eltern wie Zombies saßen und darauf hofften, dass sich drei gleiche Bildchen auf dem Monitor zeigen würden. Wie ein Labyrinth waren die Gänge und Hallen angeordnet und zum ersten Mal fiel ihr auf, dass es nirgendwo Fenster oder Uhren gab. Man wollte die Kundschaft offenbar in einer Art Dauerrausch halten, der nicht durch so etwas Schnödes wie Zeit oder Sonnenlicht gestört werden durfte.
„Would you like to play Ma’m?“, fragte sie jemand, der vor einem gigantischen Rad stand.
Wheel of Fortune stand darauf. Sie wollte gerade ablehnen, als ihr der Chip der dicken Frau einfiel. Warum nicht. Sie hatte keine Ahnung, wie viel das Ding wert war, oder was sie hier eigentlich machte, aber sie legte den Chip auf ein Symbol und wartete geduldig mit den anderen dummen Schafen vor dem Rad. Der livrierte Mann presste einen Knopf und das Rad sauste los. Nach kurzer Zeit hielt es wieder an.
„Oh my God!“, kreischte eine Frau neben Angelika. Was war denn los? Hatte tatsächlich jemand etwas gewonnen? Und warum starrten sie sie alle so an?
„We’ve got a winner!“, schrie der Angestellte ekstatisch. Wildfremde Leute klopften Angelika auf die Schultern, die immer noch nicht ganz verstand, was hier passierte.
„How…how much?“, stammelte Angelika.
Der Mann schrie etwas, von dem sie nur die letzte Zahl verstand. Mehrere Tausend?
Celine Dion krähte, dass ihr Herz immer weiterleben und lieben würde. Sie trug eine Art silbernen Strampelanzug und sah noch schrecklicher als auf den Fotos aus.
„Mann ist das ein Scheiß“, sagte Kai wütend. Seine Laune war ins Bodenlose gerutscht, als Ralf mit der Neuigkeit aus der Bar kam, dass irgendeiner heute einen Riesengewinn am Glücksrad abgesahnt hatte.
„Stimmt garantiert nicht“, meinte Kai und winkte ab. „Die fabrizieren doch Lügen, damit die Leute schön blöd ihr Geld ausgeben.“
„Ich glaube schon, dass es stimmt“, sagte Angelika. Sie war froh, dass das Gekreische von Celine ihr dröhnendes Herz übertönte.
„Was weißt du denn schon!“, fuhren sie beide Männer gleichzeitig an.
Sie nahm einen Schluck und zuckte mit den Schultern. Ihr neues Leben bot ungeahnte Möglichkeiten.
Sie hätte es ja vielleicht sogar geteilt. Aber nun erst recht nicht.