Fisch mit Käse ?
Wir vermieten zwei Zimmer unseres Hauses an Studenten. Eines Tages im März 1990 hatte wieder einmal einer unserer Mieter sein Studium beendet und war ausgezogen. Wir gaben ein Inserat in unserer Zeitung auf, aber es meldete sich niemand darauf; eine Woche später wollten wir ein zweites Inserat aufgeben, der Redaktionsschluß war um 16:00 Uhr jedoch klingelte das Telefon um 14:00 und es meldete sich ein Mann, welcher aus den neuen deutschen Bundesländern stammte und sprach mit einem ihm sehr eigentümlichen unverkennbar thüringerischen Akzent. Nun interessierte er sich für unser Zimmer und sogleich fragte er: "Ist das Zimmer noch frei?" Ich antwortete: "Ja natürlich, kommen Sie doch einfach gleich vorbei!" Mein Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung entgegnete jedoch: "Ich bin Lastwagenfahrer und die ganze Nacht auf der Straße unterwegs gewesen; ich komme in 5 Minuten um mir das Zimmer anzuschauen"
Genau nach Ablauf dieser kurzen Zeit stand er vor unserer Tür: Uwe, er war Nachtfahrer und er schlief bei seiner Freundin. Uwe stellte sich uns vor im Pyjama mit dem Regenmantel drüber, das Wochenblatt kam um 12:00 oder 13:00 er hatte gerade seine Nachtschicht ausgeschlafen bis mittag und als er aufwachte hat ihn seine Freundin sofort rausgeworfen und so stand er nun vor unserer Haustüre. Wir zeigten ihm das Zimmer, er sah es sich nur kurz an, als ob ihn das gar nicht sonderlich interessieren würde. Wir zeigten ihm noch die Küche, den Waschraum, unseren Garten und als wir so über den Rasen spazierten, wollte meine Frau von ihm wissen: "Nehmen Sie das Zimmer nun, oder nicht?" Er entgegnete etwas überrascht: "Ist doch klar, natürlich nehme ich das Zimmer!" Er sei zu uns gekommen weil er Hals über Kopf bei seiner Freundin ausziehen musste; dabei sei er schon 2x verheiratet gewesen und 2x sei seine Ehe gescheitert, er sei immer geschieden worden, hätte 2 Töchter die daraus hervorgingen und zudem noch eine weitere Tochter vor seinen Ehen und für alle zahle er immer noch Unterhalt. Jetzt bei seiner Freundin musste er ausziehen, da er ständig nachts arbeiten müsse, sie aber tagsüber und man hätte sich kaum noch gesehen, kaum noch gesprochen miteinander und in letzter Zeit nur noch gestritten miteinander.
Uwe zog bei uns ein und schon bald bekamen wir seine Eigenheiten mit. Er mochte früher z.B. keinen Käse auf Pizza, weil er partout keinen Käse aß. Er wollte noch nicht mal Pizza mit Käse probieren; er bestellte sich immer Pizza ohne Käse; die Beilagen waren egal, nur Käse durfte nicht drauf sein! Einmal, erzählte er, einmal wäre er von der Mutter seiner Freundin ausgetrickst worden. Seine Freundin war seine Vorgesetzte, deren Mutter die Direktorin des Transportunternehmens in dem er arbeitete und eines Abends, als er bei der Familie eingeladen war, bereitete die Mutter eine Pizza zu und belegte diese mit vielen vielen Beilagen; darunter befand sich jedoch Käse verborgen, den er leider nicht sehen konnte. Er kostete und die Pizza schmeckte wunderbar; er war zwar reingelegt worden, jedoch endete dies in einer durchaus positiven kulinarischen Erfahrung. Es war seine erste Pizza mit Käse und nicht die letzte, von da ab aß er immer Pizza mit Käse.
Wir hatten immer ein sehr gutes Verhältnis mit unseren Untermietern und als eines Tages meine Frau ihren 60.ten Geburtstag in Spanien feierte, luden wir viele Freunde, Bekannte und deren Kinder dorthin ein. Auch Lastwagenfahrer Uwe war unter den Gästen auf der Liste - nur Uwe war zuvor noch nie geflogen. Der Flug war jedoch schon für alle gebucht, es blieb ihm nichts anderes übrig als in das Flugzeug einzusteigen um an der Feier in Spanien teilnehmen zu können. Uwe hat gezittert und geschwitzt als das Flugzeug zu rollen begann; er hat sofort nach dem Start das Fenster abgedunkelt, damit er nicht nach draussen sehen musste. Als wir jedoch in Alicante gelandet waren, war Uwe sehr stolz auf sich selbst, stolzer als so mancher Spanier sogar. Dabei war Uwe kein Spanier, aber er war geflogen !
Am Tag der Geburtstagsfeier gab es im Garten auf dem Campingplatz früh Kaffee und Kuchen - jedoch keinen Alkohol, weil, wenn man Holländern in der Frühe Alkohol gibt, dann sind sie am Abend immer noch da und trinken ständig weiter. Zum Mittagstisch hatten wir uns ein feines Fischrestaurant im Nachbarort Calpe ausgesucht. Es lag malerisch direkt am Strand und war bekannt für seine hervorragende Küche.
Was jedoch Uwe betraf: Er hatte noch nie Fisch gegessen und überhaupt: "Uwe mag keinen Fisch!" Nur in einem Fischrestaurant gibt es leider keine anderen Speisen - außer Fisch! Er ging jedoch tapfer mit zum Restaurant und als wir da mit 60 Personen an den sehr hübsch dekorierten Tischen im Kerzenschein saßen, fragte ich ihn: "Uwe, was willst Du essen?" Er entgegnete: "Pommes frites!" "Naja, Uwe, es gibt hier keine Pommes! Vielleicht können wir ausnahmsweise Pommes als Beilage zu einem Fischgericht ordern, wäre das eine Lösung?" Uwe nickte kurz und ich fuhr fort: "Weißt Du was, ich habe da eine Idee, ich esse Seezunge und Du bestellst das gleiche nur mit Pommes dazu und wenn Dir der Fisch nicht munden sollte, kannst Du immer noch die Pommes alleine essen!" Uwe gab exakt dieselbe Bestellung beim Kellner auf wie ich und bestellte zusätzlich Pommes, auch wenn der Ober etwas verwundert dabei dreinblickte. Als das Gericht serviert wurde schaute mir Uwe genau auf die Finger und replizierte sämtliche Tätigkeiten, die ich ausführte. Er beobachtete mich genau beim Zerlegen des Fisches und filetierte auf gleiche Weise sein Gericht mit dem ihm äußerst seltsam anmutenden Besteck. Als er dann neugierig den ersten Bissen auf der Gabel in seinen Mund schob, verdrehte er nur kurz die Augen und ich erkannte in seinem Gesicht den Ausdruck: Lecker!
Er war übrigens der Erste der bei diesem Mahl fertig war, noch vor allen anderen anwesenden Gästen und...
...seitdem isst Uwe Fisch !