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Fische fangen
Zwei Elemente schienen sich zärtlich zu berühren. Der laue Sommerwind strich sachte über den kleinen Teich und die Abendsonne ließ die Wasseroberfläche glitzern und funkeln. Rote Lilien säumten das Ufer und verströmten einen köstlich süßen Duft.
Da fiel wie aus dem Nichts ein kaum merklicher Schatten auf das satte, dunkle Moos am Teichesrand, welches sich über grauen Stein ergoss. Zwei nackte Füße schmeckten so gleich den Untergrund und ließen ihre honiggelben Beine auf dem warmen Fels niederknien. Als schließlich auch die Hände ihren Halt gefunden hatten, offenbarte das Wasser das Spiegelbild eines Mädchens, so fanden die einen. Die anderen sahen eine junge Frau, und beides war sie wohl. Doch sie erblickte nur die goldenen Fische, die lautlos durch eine andere Welt glitten. Dieses goldene Geschmeide glänzte in ihren tiefen Augen und steigerte die Faszination des Mädchens bis zum kaum mehr erträglichen Verlangen. Eine Hand tauchte in das kühle Nass, um eines dieser bezaubernden Geschöpfe zu ergreifen. Doch kaum hatten ihre Finger die kalten Schuppen umschlossen, war das Tier auch schon wieder entwischt. Sie versuchte es noch ein zweites und drittes Mal, doch umso fester ihr Griff wurde, umso schneller entwand sich der Fisch aus ihrer Hand. Enttäuschung erfüllte ihr Herz und strömte in dicken Tränen über ihre Wangen.
Wie sie so da saß und um Fassung rang, bemerkte ein Fisch, es war ein besonders schönes Exemplar, die Gestalt am Ufer sitzen und hielt inne. Er betrachtete sie einige Zeit, und weil Luft und Wasser zwei so unterschiedliche Elemente sind, erkannte er nur undeutlich die junge Frau. Trotzdem ließ ihn ihre Erscheinung nicht mehr los, und er wollte mehr von ihr sehen.
So reckte er seinen Kopf aus dem Wasser, und sofort formten sich seine wulztigen Lippen zu einem zart geschwungenen rosa Mund. Ein markantes Kinn stützte diesen, und es bildete sich weiter ein hübsches Gesicht. Dichtes Haar fiel in seine eisblaue Augen, die neugierig und unablässig die junge Frau betrachteten. Auch die seidenen Flossen waren nun kräftige Hände, die, an dem grauen Fels sich festhaltend, einen sehr wohlgeratenen Jüngling aus dem Teich zogen.
Das Mädchen hatte unterdessen diese seltsame Verwandlung mit großem Erstaunen verfolgt und darüber ihre anderen Sorgen vergessen. Doch schnell erinnerte sie sich mit Beschämung an ihre Tränen und so überlegte sie hastig, was sie nun machen sollte. Wenn sie ihm näher trat, würde er nicht wieder sofort entgleiten? - Denn er war ja ein Fisch, das hatte sie gesehen!
Da geschah plötzlich das Unausweichliche. Ein Gedanke der jungen Frau reihte sich an den anderen, und schon bald bestand sie fast nur noch aus diesen. Wie man weiß, sind Gedanken gewöhnlich unsichtbar, und so begann ihre Erscheinung ganz langsam zu verblassen. Ihre honiggelbe Haut verlor ihre Farbe, ihr weiches Haar war kaum mehr zu erkennen, und letztlich blieben nur noch Konturen zurück.
Der schöne Jüngling verstand nicht, was vor sich ging, und als er die junge Frau aus den Augen verloren hatte, beschloss er, in seinen Tümpel zurückzukehren, um wieder ein Fisch zu werden.
Auf dem Wasser war das Funkeln und Glitzern der Abendsonne derweilen verloschen, und sie malte nur noch ein tiefes Rosa und Gelb an den Horizont. Der süße Duft der bunten Blumen legte sich schwer über die Welt, und von dem Mädchen war nichts mehr zu sehen.