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Fix it

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23.10.2006
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Fix it

Ich setze mir den ersten Druck für heute. Erst versuchte ich noch in die rechte Leiste zu gehen, aber da bildet sich wohl mal wieder ein Abszess. Nach ein paar erfolglosen Versuchen schaffte ich es dann doch noch mir einen Schuss ins Bein zu setzen, und das, obwohl alle Gefäße einfach schon völlig im Arsch sind. Wenn ich mir meine Beine ansehe, möchte ich manchmal einfach heulen. Sie sind blau. Kurze Hosen im Sommer? Vergiss es! Genauso gut könnte ich ein T-Shirt anziehen, auf dem steht: "Schau mal, ich bin Heroinabhängig!" Aber wahrscheinlich können das sowieso alle sehen. Auch ohne T-Shirt und kurze Hosen. Aber wenn ich ehrlich bin, meistens interessiert mich das nicht besonders. Nur in klaren Momenten denke ich vielleicht: "Wie konntest du dich nur so zurichten?" Aber die klaren Momente sind nicht sehr häufig. Zum Glück.

Letzte Woche bin ich bestimmt zum hundertsten Mal zugedröhnt über irgendwelchen Scheiß in meinem Zimmer gestolpert und hab mir an den Überresten meines Wohnzimmertischs den linken Knöchel aufgeschlagen. Ich weiß, es wird wieder Monate dauern, bis das zuheilt. Es wird eitern, es wird stinken, es ist immer dasselbe.
Überhaupt habe ich manchmal das Gefühl, mein ganzer Körper ist eine einzige Wunde. Ich habe Wunden, die irgendwelche Menschen, die enttäuschte Freier, Dealer, andere Junkies, die Spritzen, Krankheiten, Schläge, oder einfach nur die Zeit hinterlassen haben.
Wunden, die ich mir selbst zugefügt habe, um den Schmerz wenigstens greifbar zu machen. Manchmal ist es ein Gefühl, als würde das Blut ein wenig von dem Druck mit wegspülen. Dem Druck, den ich oft glaube, nicht eine Sekunde länger ertragen zu können.
Wenn mir dann diese rote, zähe, verseuchte Flüssigkeit die Arme runterrinnt, das Bein entlang läuft, wenn sich der Schmerz von Messern, die am Gasherd zu Brenneisen geworden sind, tief in mein fast schon totes Fleisch gräbt, das sind für mich Oasen der Ruhe. Die einzigen Momente, in denen ich spüren kann, dass ich überhaupt noch lebe.

Wenn der erste Flash so in fünfzehn Minuten nachlassen wird, schleppe ich meinen abgenutzten Körper aus dem Haus und gehe zum Zoo. Es ist fast schon ein Klischee, aber der Schwulenstrich ist immer noch genau da, wo er vor 20 Jahren auch schon war.
Wie ich die verklemmten Typen mit ihren schmierigen Halbglatzen, aber ordentlich polierten Brillengläsern verabscheue, denen ich jeden Tag meinen Schwanz und meinen Arsch hinhalte. Die genau sehen, wie dreckig es mir geht, und dass sie alles mit mir machen können. Ich schaue ihnen schon lange nicht mehr nach, wenn sie wieder nach Hause gehen, wo ihre Frauen schon mit dem Abendessen auf sie warten. Und ich frage mich auch nicht mehr, wie sie ihren Söhnen ohne Scham begegnen können, die doch häufig nur wenige Jahre jünger sind als ich. Wenn überhaupt. Diese Typen sind für mich nur Mittel zum Zweck. Ich benutze sie so, wie sie mich benutzen. Das sage ich mir zumindest immer wieder.

Bis vor drei Monaten habe ich noch in einem Wohnheim für HIV positive gewohnt, aber da bin ich rausgeschmissen worden, weil ich aus dem Methadonprogramm geflogen bin. Weil ich eben doch wieder angefangen habe zu drücken - wie alle anderen, früher oder später. Bei einer der üblichen Urinkontrollen ist es dann doch rausgekommen. Eigentlich total bescheuert, denn es war ja noch nicht mal meine eigene Pisse. Hab ich immer für ein paar Euro von 'nem Kumpel abgekauft der clean ist. Oder war.

Aber all das wird bald ein Ende haben. Ich hab endlich einen Platz zum Entziehen bekommen. Außerhalb von Berlin, weit weg von der Szene.
Das ist jetzt meine allerletzte Chance. Wenn ich es diesmal nicht schaffe, kann ich mir gleich 'nen Goldenen setzen. Dann schaffe ich es nie mehr. Die Sozialarbeiterin hat versprochen, dass sie mich nach dem Entzug versucht in ein Programm auf dem Land unterzubringen. Ich muss so schnell wie möglich raus aus Berlin.
Ich werde gesunde Luft atmen und im Garten arbeiten. Ich werde wieder essen können, ohne zu kotzen. Wenn jemand vor mir eine schnelle Bewegung macht, werde ich nie mehr zusammen zucken und die Hände vors Gesicht halten. Mein Körper wird wieder mehr sein, als ein auseinander fallendes Gerüst, das meine vernarbte Hülle trägt, die das Außen schon lange nicht mehr durchlässt. Es wird Menschen geben, die mich gerne anfassen. Die sich um mich kümmern, wenn ich kränker werde. Ich werde die Sonne wieder spüren können, und das verschwommene Gewirr um mich herum wird sich entwirren und in eine klare Welt verwandeln.
Ich kann mir alles schon so genau vorstellen.
Ich bin mir ganz sicher, diesmal klappts.

Ich brauche nur noch einen Schuss.

 

Hallo lightdark,

natürlich gibt es heutzutage noch Drogensüchtige und Drogentote. Und natürlich hat sich für sie seit mehr als zwanzig Jahren nicht wesentlich etwas verändert.
Auch der Kreislauf aus Sucht, Entzug, Hoffnung und Rückfall ist sicherlich für viele gleich. Ebenfalls kann ich mir vorstellen, dass die Monologe entsprechend selbstmitleidig und Verantwortung abschiebend sind. Aber gerade das stört mich an diesem Text. Er heult mir etwas vor, weckt keine Fragen, die Christiane F oder ihre Ghostwriter nicht auch schon gestellt haben, sondern zielt für mein Gefühl nur darauf, zu triggern.
Das macht ihn in so deutlicher Absicht für mich langweilig.

Lieben Gruß, sim

 

@Sim: Schade, dass der Text für dich langweilig ist, ich verstehe auch was du meinst. Ich finde allerdings nicht unbedingt, dass der Prot selbstmitleidig ist und die Verantwortung abschiebt. Es ist eher eine resignierte Grundhaltung, eben bis auf den Bruch, wenn er an seine Träume denkt. Ihm ist völlig klar, dass er die Verantwortung für das trägt, und ich meine nicht, dass ich das anders dargestellt habe. Ich werde den Text nochmal lesen und überlegen, ob mir etwas einfällt, wie ich ihn interessanter machen kann. Trotzdem Danke.

@Färt: Danke für die Hinweise, habs geändert. Das der Text nicht betroffen macht, ist natürlich schade, klar wollte ich das erreichen. Ich denke, letztendlich hat es auch viel damit zu tun, dass man normalerweise so weit weg ist von dieser Welt und der Text dann möglicherweise konstruiert und klischeehaft erscheinen mag. Aufgrund von beruflichen Erfahrungen kann ich sagen, dass es aber so ist. Das ändert natürlich nichts an der Qualität des Textes... ;) (Von der ich gehofft hatte, sie ist besser als hier bewertet, aber naja...)

Grüße,lightdark

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo lightdark,

Für mich kommt der Text schon recht authentisch rüber. Gut, er ist ein bisschen verknappt, einige Schattierungen mögen fehlen, aber der Grundton stimmt. Auch erscheint mir der Prot nicht gleichgültig gegenüber sich selbst.

Das Problem sehe ich eher darin: Wer sich noch nicht mit der Problematik beschäftigt hat, für den ist der Text sicher interessant, und er bietet ihm in kurzer Form den typischen Fixer. Aber für diesen Leser reichen die Infos dann nicht aus. Der würde gerne genauer wissen, wie jemand so tief abrutschen kann, wie sein Tag aussieht, und wie verlogen seine Träume sind ...

Wer aber Christiane F. und anderen schon zugehört hat, für den bringt dein Text nichts neues. Mit dem Prot kann man kaum mitleiden, da keine Handlung und Entwicklung stattfindet, nur eine Zustandsbeschreibung.

Viele Grüße
Pischa

Vielleicht könnte schon ein Dialog mit einer (neuen? betroffenen?) Sozialarbeiterin die Geschichte mehr ans Herz gehen lassen, wenn der Leser den Fixer durch ihre Augen sieht. Oder der Fixer blubbert seinem Freund/Bruder/ ... die Ohren voll, von dem er Geld für einen letzten, allerletzten Schuss will ...

 

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