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Flügelschlag vorm Regenbogen-Mond
Allein und hilflos stolperte eine einsame Frau durch die Wildnis. Über ihr schimmert der Vollmond in einem unnatürlichen Rot, leicht umrandet von einer einsamen Wolke, die sich wie die einsame Frau ihren Weg durch die Zeit sucht.
Gleichmäßig und wohlstimmend wie die Rotation der Erde bebt der Körper der Frau. Ein Lächeln, rötlich erleuchtet durch den Vollmond, ein unwillkürlich geformtes Herz, und einer einsamen Frau, schön wie das Licht der Sonne auf dem Mond, entspringt ein Junges, prachtvoll und unschuldig, wie der Glanz des Mondes, durch den rötlichen Schein der Sonne erhellt. Die Wolkenfetzen, vom Wind verweht, geben nun freie Sicht für den Mond auf das liebvolle Geschehen der einsamen Frau und dem schreienden Neuankömmling.
Friedvoll wie Engel segeln zwei bläulich-weiße Tauben über den klaren Himmel, der für sie ein Heim zu sein scheint, gesellig und ruhig wie ein sanfter Flügelschlag.
Vereinzelt leuchten die Sterne auf die einsame Frau herab, die liebevoll ihrem Sprössling den gut gefüllten Bauch streichelt. Die Gedanken des Jungen sind klar wie der bläuliche Himmel über ihm. Vereinzelt schwirren, wie die Sterne, Wünsche durch seinen Kopf, welche mit einem Blick auf die stattliche Figur hinter der nächsten Wolke verschwinden. Nichts scheint das Licht des schwindenden Mondes und der am Himmelszelt dahinziehenden Sterne trüben zu können. Langsam und gemächlich vergeht die Zeit, und die beiden Tauben haben ihren Weg gefunden, den sie diese Nacht noch fliegen möchten.
Lampenschein und Kerzenlicht; gelb werden die Flügel erleuchtet. Im selben Rhythmus flackert die Flamme der Kerze, im selben Rhythmus hört man die beiden Tauben schlagen.
Sie folgen dem Fluss, dem endlosen Kanal, der sich unter ihnen den Weg durch die Berge bahnt, und nur selten Nebenmündungen aufweist. Nur schwer durch den abnehmenden Mond erkennbar zeichnet sich der Lauf der Dinge, die augenscheinlich so schön, und doch nicht besonders sind. Wer wird es wagen, des Nachts an den gelblich-feurigen Schein der Sonne zu denken, wo doch die pulsierende Aura des Mondes noch den Rhythmus weist?
Und doch, der Blick der Tauben erfasst nicht nur den Flusslauf, und den Weg, den er ihnen weist. Viel mehr betrachten sie die Spatzen, die fröhlich in dem Fluss baden, viel mehr erquicken sie sich an der atemraubenden Pracht des Adlers, der stolz und majestätisch über ihnen seine Kreise zieht, und bald wie ein Pfeil in die Fluten jagt. Wenn doch nur der Fluss nicht wäre, wäre doch nur nicht der Mond. Trotzdem folgen sie ihrem Weg, unermüdlich, bis der Mond vergeht.
So weit ist ihr Weg, und dennoch lässt er sie im Stich. Längst ist ihr Ziel noch nicht erreicht, und trotzdem gibt es kein Entkommen. Der einst so schöne Vollmond, welcher das Geschehen der einsamen Frau betrachtet hat, und den Weg den Tauben gewiesen hat, begibt sich nun selbst auf seinen letzten Pfad, der ihn endgültig aus dem trübsinnigen Treiben leiten wird. Verzweifelt flattern die Tauben durch die Wildnis. Ziellos und unbestimmt, panisch mit den Flügeln schlagend halten sie sich in der Luft, die kurz vor dem Entflammen steht.
Etwas großes nähert sich. Machtvoll und kühn, tapfer und mutig erscheint in der Ferne ein feuriger Ball, der ein grelles Licht auf alles Leben wirft.
Grün leuchten die Bäume auf, die Büsche, jedes einzelne Blatt strahlt in voller Kraft, als ob es die ganze Zeit nur darauf gewartet hätte, endlich strahlen zu können.
Grün schimmert das Spiegelbild des Waldes auf dem Fluss, den die weißen Tauben zwar sehen können, aber dennoch zu spät erfassen werden, um wieder an den Weg erinnert werden zu können. Hoffnungsvoll blicken sie gen Himmel, nach einer letzten Chance suchend, den Weg in die Wärme dennoch zu finden, aber die erbarmungslose Sonne gewährt es ihnen nicht.
Sie sind verloren. Sie werden ihr Ziel niemals erreichen. Erschöpft von dem langen Flug gleiten die Tauben auf einen naheliegenden Ast, umrandet von der grün leuchtenden Krone. Dort sitzen sie nun und warten. Warten, mit smaragdgrün flammenden Augen, ob sich ihnen nicht schließlich doch eine Lösung eröffnet.
Der Mann, welcher vor so langer Zeit von der einsamen Frau, die, wie die Wolken, unwillkürlich ihren Weg durch die Zeit suchte, geboren wurde, hat sich nun bereit gemacht. Nicht viel hat er erlebt, das Ziel nicht erreicht. Doch auch er wird diesen Schritt wagen müssen. Über ihm knallt die rot brennende Sonne auf ihn herab, gnadenlos, ohne die Wirbel auf seinem Rücken zu zählen. Nicht viel steht hervor, nicht viel hat einen unnatürlichen Platz eingenommen. So wünscht er sich doch, er wäre unter anderen Umständen zur Welt gekommen, so wünscht er sich doch, der Mond hatte ihn länger vor der unbarmherzigen Sonne beschützt, doch nützt es ihm nichts mehr.
Plötzlich fiel ihm der dreiköpfige Wächter der Hölle wieder ein. Angst befiehl ihn. Er wäre wie für ihn geschaffen. Einen Augenblick schien es so, als ob sein Leben noch mal an ihm vorbei ziehen würde. Doch war dies bald vergangen. Auf seinem Weg durch die endlose Sackgasse blieb er plötzlich an einem Zweig hängen. Er schaute auf ihn hinab. Rot leuchtete er, als ob er in Brand stände, aber doch konnte er die Flammen nicht sehen. Eine diabolische Hitze stieg in seinen Kopf. Qualvoll umrandeten ihn die um sich schlagenden Feuerbrünste. Ein letztes mal sah er über sich zwei weiße Tauben sitzen. Er hatte das Gefühl, als dass er sie schon ewig kannte, und doch sah er sie zum ersten mal. Sie schrieen. Ein unnatürlicher Lärm kam von ihnen aus, der ihm das Mark in seinem Rücken gerinnen ließ.
Sein letzter Blick erfasste die beiden Tauben, wie sie von zwei gierigen Mäulern verschlungen wurden.
Allein und hilflos war er nun zwischen riesigen Zähnen gefangen, die sich wie jede verschwendete Sekunde in seinen Körper bohrten, und ihn erkennen ließen, was er getan hatte.