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Flieger Jab

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12.06.2005
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Flieger Jab

Flieger Jab

Es war etwa halb drei Uhr früh, als ich das Buch beiseite legte und die kleine Tischlampe ausschalten wollte. Doch plötzlich erstarrte ich vor Schreck.
„Hey, Jab!“ Ich blickte angespannt zum Fenster, denn aus dieser Richtung kam die unerwartete Stimme.
„Komm doch mal rüber zu mir! Ich möchte dir etwas zeigen. Komm!“ Ich konnte es nicht fassen. Einerseits war ich aufgeschreckt, andererseits hatte ich aber keine richtige Angst. Der Mann musste sich hinter der Gardine verstecken.
Ich schlug die Bettdecke zurück und richtete mich vorsichtig zum Sitzen auf. Im Liegen hatte ich keine Chance, mich zu verteidigen. Wie kam plötzlich eine Person in das Zimmer? Okay, es war eine heiße Sommernacht und ich hatte wie gewöhnlich das Fenster aufgelassen, aber ich wohnte im dritten Stockwerk und es musste recht schwierig sein, den gesamten Weg hinaufzuklettern.
„Wer immer du bist: was willst du und wie kommst du in meine Wohnung?“ Während ich sprach tastete ich vorsichtig unter das Bett, um die kleine Eisenstange zu finden, die ich für den Notfall dort bereithielt.
„Du brauchst keine Angst zu haben, Jab. Ich bin hier!“ Die Gardine wurde zur Seite geschlagen und ein kleiner schwarzhaariger Mann von höchstens 20 Jahren kam zum Vorschein. In diesem Moment hatte ich die Eisenstange ergriffen und hielt sie schützend vor meine Brust.
„Wer bist du? Was willst du? Ich rufe gleich die Polizei.“
„Ich heiße Midusi und ich möchte dir zeigen, wie man fliegen kann.“ Das war natürlich eine klare Antwort, doch sie ließ mich am Verstand meines Gegenüber zweifeln.
„Du willst mir zeigen, wie man fliegen kann? Sag mal, bist du irgendwo aus einer Anstalt entflohen?“
„Aber Jab, du wolltest doch immer schon mal selbst fliegen können, einfach so und völlig frei, oder nicht?“ Woher kannte dieser Knabe meinen Namen und woher wusste er von meinen Träumen vom Fliegen?
„Woher willst du wissen, was ich möchte? Am besten, ich rufe jetzt die Polizei. Immerhin bist du in meine Wohnung eingedrungen.“
„Pass einmal auf!“ Er kletterte auf das Fensterbrett, ging in die Hocke und breitete die Arme weit aus, dann ließ er sich fallen. Ich stürzte zum Fenster.
„Hey, warte! Warum machst du das?!“ Ich blickte nach unten auf den Gehweg, doch nur ein oder zwei Meter unter mir schwebte in der freien Luft dieser Bursche, auf dem Rücken ‘liegend’, die Hände hinter dem Kopf gekreuzt und mich frech anlächelnd.
„Wenn du möchtest, zeige ich auch dir, wie man fliegt. Du hast doch die ganzen Jahre deines Lebens davon geträumt. Dies ist jetzt deine Chance, deine Träume wahr zu machen.“
„Ja, genau, das ist nur einer dieser seltsamen Träume, die vom Fliegen handeln.“
Midusi drehte sich zornig um seine Längsachse und stemmte wütend die Fäuste in die Hüften.
„Ich bitte dich, Jab, du weißt genau, dass dies kein Traum ist.“ Er flog zu mir heran und klatschte mir kräftig ins Gesicht, so kräftig, dass meine Wange brannte.
„Na, tut weh, nicht?“ Es tat wirklich weh. Ich war aber nicht wütend über den Schlag, sondern eher überrascht. Wie sollte ich diesen realen Schmerz empfinden, wenn ich träumte?
„Und schaue deine Freundin an! Sie liegt wie immer friedlich in ihrem Bett. Ein Traum?“ Tatsächlich lag Jolie auf ihrer Bettseite, den Mund weit geöffnet und laut schnarchend.
„Gut. Nehmen wir einmal an, dies ist kein Traum - wieso kannst du fliegen?“ Ich wusste eigentlich gar nicht, was ich sagen sollte, die gesamte Situation war ziemlich abgefahren.
„Wieso kannst du genau das, wovon die gesamte Menschheit seit Jahrtausenden träumt. Warum?“ Midusi zog seine Augenbrauen nach oben und blickte mich an, als sei ich verrückt geworden.
„Weißt du Jab, du hast ja recht. Die Menschen versuchen tatsächlich seit jeher selbständig zu fliegen. Ja, und nun hat es eben einer von ihnen geschafft. Ich, Midusi!“ Er sprach mit einer Selbstverständlichkeit, die mich beinahe überzeugte, dass nicht fliegen zu können, etwas Peinliches sein musste.
„Nun ja, es klingt, wie in einer billigen Fabel“, begann Midusi zu erklären, „aber ich habe einen Stein gefunden, der offenbar vermag, die Schwerkraft unter sich aufzuheben. Wenn man ihn in die Hand nimmt und sich konzentriert, fängt man plötzlich an zu schweben; durch seine Vorstellungskraft steuert man seine Bewegungen.“ Midusi untermalte seine Beschreibungen mit heftigen Bewegungen seiner Arme.
„Und du glaubst also, wenn ich diesen Stein in die Hand nehme, fange ich plötzlich an zu schweben?“
„Ja, genau wie ich. Nur musst du dich dabei konzentrieren, ich meine, auf das, was du vorhast. Du musst es wollen und daran glauben, dann funktioniert es.“
Ich war plötzlich überzeugt, dass es stimmte, denn ich nahm meine gesamte Umgebung sehr reell wahr. Der leichte Wind in meinem Gesicht, die helle Stimme von Midusi, Jolies Schnarchen, einfach alles.
„Okay, dann gib mir den Stein, ich werde es ausprobieren.“ Midusi war sichtlich erfreut.
„Gerne, Jab. Aber du musst ihn mir wiedergeben, weil ich nur diesen einen Stein habe. Ich wollte in den nächsten Tagen einen weiteren Stein dieser Art suchen, aber du kannst dir ja vorstellen, wie schwierig das ist.“ Midusi machte einen doppelten Salto nach vorne und landete gekonnt auf dem Fenstersims. Er gab mir den Stein in die Hand. Er war glatt, schwarz und rund und hatte etwa die Größe einer Pflaume.
„Hey, Jab, du weißt doch, dass ich dir vertraue, oder?“
Ich drückte den Stein, schloss die Augen und sagte mit fester Stimme:
„Ich fliege. Ich fliege.“ Midusi fiel mir ins Wort.
„Oh nein, Jab! Du hast es nicht verstanden.“ In der Tat hatte ich mich keinen Zentimeter in die Luft bewegt. Midusi schlug sich kräftig aufs Herz.
„Hier! Es muss von Innen kommen! Das hat nichts mit fest drücken und Selbstsuggestion zu tun.“ Nun blickte Midusi mir lächelnd ins Gesicht. Er hatte große runde Augen und ein ebenso rundes Gesicht.
„Nimm den Stein leicht in die Hand, schließe die Augen, konzentriere dich und habe einen sanften aber starken Willen, zu fliegen.“
Ich nahm wieder den Stein und konzentrierte mich. Tatsächlich schwebte ich prompt unter der Decke. Die veränderte Perspektive und das Gefühl der Schwerelosigkeit begeisterten mich.
„Ich kann fliegen!“, rief ich und fiel dadurch sofort wieder auf den Boden.
„Mach nicht so´n Lärm, Jab. Komm ins Bett!“ Jolie war kaum zu verstehen, da sie vollkommen schlaftrunken sprach. Midusi zog seine Schultern nach oben und blickte mich mit ausgebreiteten Armen fragend an, als wollte er mir die Entscheidung überlassen, Jolie einzuweihen. Sie lag zur Hälfte auf meiner Bettseite und hatte die Augen geschlossen. Ich hielt die Luft an, um kurz abzuwarten, was passieren würde. Nach ein paar Sekunden atmete Jolie wieder tief und regelmäßig, war also wieder eingeschlafen. Spätestens jetzt wusste ich, dass ich nicht träumte.
Ich richtete mich wieder auf und blickte Midusi entschlossen an.
„Weiter!“
„Gut, Jab. Also, du hast es jetzt geschafft, aber vorhin als du das gerufen hattest, hast du deine Konzentration verloren und bist dadurch abgestürzt.“
„Ja, ich weiß, aber das macht nichts, ich habe es nun verstanden.“ Mein rechtes Knie schmerzte, ich musste darauf gelandet sein.
„Na gut, Jab“, sagte Midusi ernst, „dann kannst du jetzt versuchen, sanft aus dem Fenster zu schweben. Denke in der Luft die Bewegungen, die du ausführen möchtest und du wirst sie ausführen und bleibst in der Luft.“ Ich atmete tief durch, denn ich war sehr aufgeregt.
„Meinst du nicht, ich brauche doch noch etwas Übung, hier auf dem Trockenen?“
„Du brauchst keine Übungen mehr, Jab. Dein Wille zu fliegen und deine Konzentration sind stärker als meine. Genieße deine Zeit! Jetzt!“ Midusi schien ungeduldig, nahm meinen Arm und führte mich zum Fenster. Neben dem Fenster stand das Bett, in dem Jolie wieder sehr fest schlief.
„Komm, tritt auf das Sims und fange an, dich zu konzentrieren.“ Ich hockte nun im offenen Fenster und spürte die frische Luft der Nacht. Ich breitete die Arme aus; einige Regentropfen eines heraufziehenden Sommergewitters kamen auf meine Hände.
„Es regnet. Macht das nichts aus?“
„Keine Rede. Regen hat keine Wirkung. I’m singing in the Rain, just singing and dancing and laughing in the Rain“ sang Midusi plötzlich in der bekannten Melodie.
„Kennst du nicht dieses Lied? Jeder kennt es! Es ist von Nat King Cole.“
„Nein“, rief ich laut und dreht mich zu Midusi um, „es ist von...“ Midusi war nicht mehr zu sehen.
„Midusi, wo zum Teufel...“ ich drehte mich weiter und verlor dabei das Gleichgewicht. Mit einem lauten Rums fiel ich direkt neben das Bett auf den Boden.
„Komm wieder rein, du bist aus dem Bett gefallen!“ Jolies müder Kopf hing direkt über mir.
„Jolie, hast du diesen Midusi gesehen, er war...“
„Jab, jetzt komm ins Bett, du hast einfach nur schlecht geträumt und bist dabei aus dem Bett gefallen.“ Ich kroch unter die Bettdecke und nahm Jolie in den Arm.
„Jolie, ich bin eben geflogen; ich habe über dem Boden geschwebt. Ich weiß es genau.“ Jolie lachte kurz auf und murmelte etwas, was ich nicht verstand. Kurz darauf schlief sie wieder ein.
Ich streckte mich aus und versuchte den Kopf leer zu bekommen, um einschlafen zu können, aber mein rechtes Knie schmerzte und hinderte mich daran. Ich wusste nicht, was geschehen war. Im Schimmer der Straßenlaterne sah ich einen kleinen schwarzen Stein auf dem Fußboden liegen.

 

Die Erzählung ist, soweit ich das erkennen kann, OK. Aber inhaltlich habe ich einiges zu bemängeln:

Wenn Midusi ein Mensch ist (wie er selbst behauptet), wieso kann er dann Gedanken lesen? Dass er weiß, dass der Prot vom Fliegen träumt, kann man leichter erklären: Jeder Mensch, besonders jeder (junge) Mann träumt vom fliegen. Ist einfach so. Gedankenlesen ist hier überflüssig und ein Kennzeichen schlechter Fantasy: Wenn der Autor nicht weiter weiß, ist's halt Zauberei. Aber Zauberei muss wie jedes erzählerische Element einer inneren Logik genügen und darf nicht einfach als deus ex machina überall die Lücken stopfen.

Noch gravierender: Warum segelt der Kerl einfach in ein Schlafzimmer und versucht einen wildfremden zum Fliegen zu bringen? Ich habe die ganze Zeit damit gerechnet, dass der Prot sich den Hals bricht und Midusi mit seiner Freundin durchbrennt ... aber nix: nur ein ödes "war ja nur ein Traum... oder?!" am Schluss.
Also etwas mehr Motivation bitte, oder jemand, den der Prot kennt, bei dem Midusi also einen Beweggrund hat, ihn mit dem Geschenk des Fliegens zu beglücken.

Schon erwähnt: Etwas schwaches Ende. Grundsätzlich habe ich nichts gegen alte Ideen (wie auch, gibt ja kaum neue), aber ein neues Element, eine neue Sichtweise hat mir hier total gefehlt.

 

Hallo Naut,

es freut mich, dass du meine Geschichte grds. okay findest.

Mit der Realität und Fiktion ist das so eine Sache bei Erzählungen und Kurzgeschichten, die wie meine dem Surrealismus zuzuordnen sind. Traum, Realität und Vorstellung sind zentrale Begriffe des Surrealismus und haben schon so manchen versierten Kritiker und Interpretierenden in die Plausi-Falle oder auf´s Glatteis gelockt. Gewagt ist es immer, Interpretation und Kritik zu vermischen, und noch gewagter ist es sicherlich seine Kritik auf einer Interpretation aufzubauen, wie du es tust. Gewagt, weil die Interpretation ja völlig daneben liegen kann und die darauf aufbauende Kritik dann ergo ins Leere läuft. Und generell sollte man sich überlegen, ob man bei surrealen Geschichten den Plot detailliert auseinandernimmt und auf Unplausibilitäten untersucht, in der Regel führt das zu nichts, weil die zu vermittelnde Message einer solchen Geschichte den Anspruch hat, (ohne überheblich sein zu wollen) über diesen Details zu stehen, um vielmehr einen dahinterstehenden Sinn der Geschichte zu vermitteln. Schaust du dir ein Bild von Escher an, kritisierst du ja wahrscheinlich auch nicht, dass seine Zeichnung gegen die Regeln der Physik verstößt, wie es bei Escher meistens der Fall ist.

Nun ja, du baust deine Kritik auf der Behauptung auf, dass Midusi eine reelle Gestalt, nämlich ein Mensch sei; er behaupte es sogar selbst, schreibst du. Natürlich ist Midusi keine reele Gestalt, denn Menschen können nicht ohne Hilfsmittel fliegen oder schweben. Midusi selbst behauptet es ja nur, und seine Behauptung ist wie sein weiteres Tun und Handeln (Schweben), das nicht real sein kann, somit entsprechend der Fiktion zuzuschreiben. Also, nur weil er es behauptet, muss es noch lange nicht stimmen. Die weitere Hinterfragung seines Handelns ist somit eigentlich nicht so passend, zumindest nicht wie du es tust und aus den gen. Gründen für sich beantwortet.

Deine Interpretation vom Fliegen in deinem 2. Absatz greift deshalb auch zu kurz und hat weder etwas mit Fantasy noch mit Zauberei zu tun – es hat etwas mit der Kunst des Surrealismus zu tun (und diese richtig zu interpretieren).

In deinem 3. Absatz verlangst du dann richtige Action. Warum muss es immer Action sein? Dafür gibt es doch 2 eigene Genre auf KG.de. „Die Entdeckung der Langsamkeit“ von Stan Nadolny ist hier ein sehr gutes, beinahe therapeutisch wirkendes Buch für solche Leser, die am Ende einer Geschichte immer Action, Happyend oder sonstwelche Aufgeregtheiten erwarten und ohne diese tief unglücklich sind.
Du schreibst hier „aber nix: nur ein ödes "war ja nur ein Traum... oder?!"“ – um deine Frage zu beantworten: wie kann es ein Traum sein, wenn Jab am Ende der Geschichte den Stein auf dem Boden liegen sieht? Spätestens hier ist der surreale Charakter der Geschichte verwirklicht und hätte dich zu einer – um es diplomatisch auszudrücken – anderen Interpretation/ Kritik verleiten sollen.

Meine vorangehende Geschichte "Die große Wut des Himmels - 2. Version" müsste eigentlich aufschlussreich für dich und für das Verständnis des "Flieger Jab" sein – auch diese Geschichte ist surrealistisch und erwartet nicht im geringsten einen Plausicheck. Tipp: warum wollte Midusi, dass Jab sich aus dem Fenster stürzt? Spiegelt es vielleicht Jabs Angst vor dem Tod wider? Denkt er, dass jemand ihm an den Kragen will? Will ihn jemand im Beruf stürzen? Die letzte Interpretation muss schließlich der Leser selbst leisten und sollte nicht vom Autor selbst erfolgen. Aber du siehst, es gibt durchaus noch weitere Gedankengänge, außer, dass es nur ein Traum gewesen sein soll.

Normalerweise finde ich es blöde, eine Kritik auseinanderzunehmen. Aber wenn diese gänzlich von falschen Voraussetzungen ausgeht und deshalb im Ergebnis thematisch daneben liegt, muss ich mich schon dazu äußern. Ansonsten finde ich Kritik immer klasse und freue mich auf weitere.

Gruß
Andijo

 

Eine nette Geschichte, kein großer Wurf aber klassisch.
Manchmal fehlte mir so das Gefühlvolle. Es ist sicher kein Fehler sondern mehr eine Sache des Stils…, eben mehr so meiner….
Allerdings hatte ich die ganze Zeit gedacht, „Hoffentlich ist das jetzt kein Traum!“
Es war einer…
Du hast dich aber gerettet, weil sein Knie ja schmerzt.
Aber, wo ist Midusi? Er kann doch ohne Stein auch nicht fliegen.
Gibt es eine Fortsetzung?

Gruß 3

 

Andijo,

verzeih, wenn meine Kritik etwas verkürzt wirkte. Du hast darauf sehr detailliert geantwortet, was mir zeigt, dass Du Dir mehr Gedanken über Deine Geschichte gemacht hast, als ich erst erwartet hatte.

Durch meine Neigung, meine Gedanken kurz zu formulieren, habe ich mich mißverständlich ausgedrückt: Ich kritisiere nicht die grundsätzliche Unmöglichkeit des Geschehens, sondern die innere Unlogik. Dein Beispiel mit Escher ist hervorragend gewählt: In jedem seiner Bilder entwirft Escher ein Universum, das ganz fest gefügten Regeln gehorcht. Diese Regeln sind nicht die Gesetze unseres physikalischen Universums, aber sie sind in sich schlüssig. Das kann ich bei Deiner Geschichte leider nicht ganz finden, aus den schon erklärten Gründen.

Surrealismus bedeutet auch, bewusst mit Regeln und Gesetzen zu spielen, Regeln der physischen Welt, aber auch der Literatur und Erzähltechnik. Surrealismus bedeutet nicht, alles in Beliebigkeit aufzulösen. An den von mir erwähnten Punkten ist Deine Geschichte, zumindest meiner Meinung nach, dieser Beliebigkeit sehr nahe. Das gefällt mir nicht.

Ich betone noch einmal, dass die Geschichte nicht einer klassischen Logik folgen muss, das wäre öde. Aber der Leser sollte vielleicht bei einigen Dingen ein Aha-Erlebnis haben, indem Fragen, die er sich während der Geschichte stellt auch beantwortet werden - wenn auch auf unerwartete, regelwidrige, ja, surreale Weise.

Seltsamerweise denken viele Leute immer, ich würde mir mehr Action wünschen. Das ist nicht der Fall, ich verabscheue Geschichten, die nur aus platter, äußerer Handlung bestehen. Absatz 3 sollte nur andeuten, dass ich zu diesem Zeitpunkt nur zu genau wusste, wie Deine Geschichte weiterläuft, und leider erfüllte sie meine Erwartung vollauf. "war ja nur ein Traum... oder?!" war meine Formulierung um anzudeuten, dass es diesen Plot der Verunsicherung, ob das beschriebene Geschehen real ist (erst ist es real, dann ein Traum, dann wieder real), schon sehr oft gab. Das heißt nicht, dass man das nicht mehr bringen kann, ich fand es nur sehr vorhersehbar und - wie ausgeführt - beliebig umgesetzt.

Ich hoffe, Du verstehst meine Position jetzt genauer, und ich rechne damit, dass Du mit meinen Geschichten auch nicht mehr anfangen kannst. Ich hoffe allerdings, dass Du diese Kritik nicht persönlich nimmst.

Naut

 

An Naut und Dreimeier

Hmm.... nur ein Traum? Nein, ich denke ich hätte das erklärt, siehe meine Antwort an Naut. Nur weil eine Geschichte in einem Schlafzimmer spielt und surrealen Charakter hat oder weil man sich nicht alles erklären kann (und muss), ist sie nicht immer gleich ein Traum.
Naut, es gibt im Internet diverse Seiten, die sich mit Surrealismus beschäftigen, die können dich bestimmt diesem interessanten Thema näher bringen. Dort lernt man auch, das Thema von Fantasy und sich aneinanderreihenden irrealen Beliebigkeiten abzugrenzen. Es gab auf KG.de mal ein gutes Projekt zum Thema Surrealismus, das leider vor meinem Eintritt zu Ende war. Ich habe bei den Kritiken hier auf KG.de festgestellt, dass diese sich oft bei verschiedenen Geschichten wiederholen (seltsamerweise) und sich leider häufig nur in hohlen Phrasen erschöpfen, dass Interpretation und Kritik vermischt bzw. verwechselt werden und Klischees übergestülpt werden.
Letztlich kann ich euch mit meinen Geschichten den Weg in den Surrealismus nur zeigen, beschreiten müsst ihr ihn schon selbst. Das ist hier noch nicht so richtig passiert und setzt in der Regel voraus, sich tiefergehend und in der Theorie damit zu beschäftigen, und auch nicht immer gleich einen Schnellschuss abzugeben, nach dem Motto, irgendwas von meiner Kritik wird ja schon stimmen.
Sorry, nehmt´s nicht zu persönlich, betrifft ja nicht nur euch, bin gespannt auf eure künftigen Geschichten und ob ich euch dann mit einer guten konstruktiven Kritik erfreuen kann.

Viele Grüße
Andijo

 

Andijo,

ich nehm's nicht persönlich, keine Angst.

Zunächst nochmal zu Deiner Geschichte: Ich habe sehr genau verstanden, dass das ganze kein Traum war, die Hinweise im Text sind überdeutlich. Dennoch erzeugst Du bewusst diese Verunsicherung im Leser, indem Du den Protagonisten zweifeln lässt. Dieses Motiv ist nicht neu und - für sich allein genommen - nicht besonders originell, darauf wollte ich nur mit meinem Kommentar hinweisen. Ich möchte nochmal betonen, dass das nicht mein Hauptproblem mit der Geschichte war (siehe oben).

Allgemein zur Kritik: Du beschreibst das Dilemma von KG.de sehr klar, aber ich habe eine andere Sicht dieser Netz-Seite. Meiner Meinung nach besteht der Zweck von KG.de nicht darin, eine professionelle Literaturkritik zu bekommen. Das wäre kaum möglich, denn von ihrer Vorbildung her könnten allenfalls zwei bis vier Leute hier dieses leisten. Der Nutzen, den man aus KG.de ziehen kann besteht vielmehr darin, einen Einblick zu bekommen, was Leute mit sehr verschiedenen Voraussetzungen aus deinen Geschichten ziehen.

Hier gibt es beispielsweise Studenten der Philosophie, die auch sehr versteckte Hinweise in einer Geschichte finden, einfach, weil sie wissen, wonach sie suchen müssen. Hier gibt es Ingenieure, die dich auf nicht funktionierende Konstruktionen in deiner Geschichte hinweisen. Es gibt Leute, die fremde Sprachen beherrschen und dich auf falsche Übersetzungen aufmerksam machen. Und es gibt einfach "ganz normale" Leute, die dir ohne jede Vorbildung sagen, was sie persönlich in deiner Geschichte gefunden oder vermisst haben.

Ich finde das gut, weil ich dadurch manchmal auf Schwachpunkte meiner Geschichten aufmerksam werde, die ich vorher nicht gesehen habe. Manchmal kommen natürlich auch Kommentare wie "Ich fand's doof, weil ich's nicht verstanden habe." Tja, soll's geben.

Wenn Du mit meiner Kritik nichts anfangen kannst, weil ich Deiner Meinung nach zu wenig Ahnung vom Surrealismus habe (was so sein mag), dann darfst Du sie getrost ignorieren. Wenn Du Wert darauf legst, von meiner laienhaften Meinung nicht mehr belästigt zu werden, schreib mir eine PM. Ich versichere Dir allerdings, dass ich hier niemanden mit Schablonen abspeise: Ich schreibe zu jeder Geschichte das, was mir dazu wichtig ist, in der Hoffnung, dass es dem Autor irgendwie helfen könnte.

Viele Grüße,

Naut

 

Hallo Naut,

danke für deine Antwort, dadurch habe ich jetzt einen besseren Einblick. Ich find´s gut, dass du mir als KG.de-Neuling etwas erläuterst, wie das mit den Kritiken hier zu verstehen ist, wie die verschiedenen Kritikertypen an die Geschichten herangehen und was man selbst für sich daraus ziehen kann - vielen Dank! Deshalb und wegen unseres harten aber wie ich finde fairen Kritiken-Austauschs würde ich mich gerne über weitere Kritiken von deiner Seite freuen.

Ganz lieben Gruß und bis hoffentlich demnächst
Andijo

 

Gut, nachdem wir uns jetzt einig sind (siehe auch meine PM) noch einige Kleinigkeiten, die mir aufgefallen sind:

Du neigst dazu, Zahlen in Ziffern zu schreiben: 3 Uhr, 3. Stock. Das mag Dein persönlicher Stil sein, aber ich bevorzuge es, zumindest kleine Zahlen ausgeschrieben zu lesen. Ich finde, das verbessert den Lesefluss: drei Uhr, dritter Stock.

Mit einem lauten Rums fiel ich direkt neben das Bett auf den Boden.
Es müsste hier m.E. nach "Rumms" heißen.

 

Hallo Naut,

bezüglich der Zahlen hast du absolut Recht, bis 12 sollte man sie klein schreiben. Aber der Rums hat lt. Duden nur ein "m".

Viele Grüße
Andijo

 

Hmm, das mit dem "Rums" wusste ich nicht. Eine weitere Unregelmäßigkeit, die man sich merken muss :(

 

Vielleicht liegt es daran, dass ich mir gerade ein paar Stunden Bachmann-Preis-Lesung angetan habe, aber ich finde die Geschichte wenig ansprechend und mir fällt sofort ein Wort ein, das eben in jener Lesung fiel: Literaturimitation.

Zum einen und ganz profan fällt die sehr holprige, espritlose Sprache auf. Handwerklich ist der Text einfach schlecht geschrieben. Die Geschichte wird heruntergeleiert, es kommt keine Stimmung auf, keine Atmosphäre, es holpert und stolpert an allen Absatzecken. Keinerlei sprachliche Rafinesse, sondern bodensätzige Grundschulsprache.

"Ich drückte den Stein, schloss die Augen und sagte mit fester Stimme..." - aus solchen Sätzen besteht der Text und solche grundschuligen Sätze klingen überhaupt nicht und lassen ein Gespür für Sprache sehr vermissen. Dazu die gestelzten, lieblos aneinander gepappten Dialoge. Das rabaukt daher, dass es keinen Spaß macht, und ich habe den Verdacht, dass das keine Absicht, sondern Unvermögen ist.

Der Inhalt der Geschichte ist erstmal von der Basis her wirklich nicht neu, was in der Natur der Sache liegt und daher nicht zum Nachteil gereichen muss. Traum/Wirklichkeit, Wirklichkeit/Traum, so oft verwurstet - es kommt halt wie immer darauf an, wie das umgesetzt wird.

Einer kommt ins Schlafzimmer, bringt dem Anderen das Fliegen bei, der ist erst überrascht, dann recht angetan, später kann er's und wacht auf - ???
Das ist so banal, so brav und irgendwie schon wieder albern. Es ist einfach ein schlecht erzähltes Märchen ohne Moral. Tausch die Charaktere aus, nimm die Eisenstange weg und schon haben wir die Geschichte vom leuchtenden Stern, der vom Himmel steigt, um klein Peterle das Fliegen beizubringen.

Die nachträgliche Erklärung des Ganzen zum surrealistischen Kunsttext ist Unsinn und albern. Surrealismus transzendiert Regeln und Konventionen. Er ist ein Überheben und ein Spiel. Du spielst nicht und du transzendierst keine Regeln, weil man dazu auch einige davon beherrschen muss. Dass auf einmal jemand fliegen kann und das mit dem Traum und der Wirklichkeit nicht ganz klar ist, macht keinen surrealistischen Text.

Vielleicht liegt es ja wirklich daran, dass ich mir gerade ein paar Stunden Bachmann-Preis-Lesung angetan habe, aber ich empfinde den Text als albern, als lustlos dahingekritzelte, sprachlich unwahrscheinlich anspruchslose und schon von daher langweilige und einfach schlecht geschriebene Literaturimitation. Man hat das Gefühl, da versucht einer den großen Wurf zu Papier zu bringen und er kann es einfach nicht, er kann es nicht.

 

Hallo Thomas,

die Kritik des Textes ist deine Ansichtssache, okay. Obwohl es auch ein Stilmittel sein kann, den Ich-Erzähler bewusst eine holprige Sprache benutzen zu lassen, in einer bewusst "dialogdominierten" Geschichte.

Aber wenn du Kritik an einem Text übst, dann solltest du genau das auch tun, und dich eben nicht derart unqualifiziert über den Autor auslassen. Aussprüche wie "er kann es einfach nicht" solltest du dir bitteschön ersparen, weil sie nichts mit dem Text zu tun haben und du dich in den Augen anderer damit sicherlich selbst disqualifizierst. Denn jeder weiß, dass man zu solch einem Urteil aufgrund einer Geschichte des Autors gar nicht kommen kann. Bleib also lieber sachlich anstatt hier so rumzustänkern, oder hab ich dich mit irgendwas persönlich angegriffen?

Viele Grüße
Andijo

 

Hi,
vorweg: Ich habe Kritik an dem Text und nur an dem Text geübt und vielleicht hast du übersehen, dass da "man hat das Gefühl, dass..." steht, übrigens im letzten Satz in einer Reihe von sehr vielen Sätzen, in denen ich dieses Gefühl begründet habe.

Nichtsdestotrotz bin ich gespannt auf deine Ausführungen, warum du den Text mit Absicht so schlecht geschrieben hast. Welche Funktion hat dieses von dir mit Bedacht gewählte Stilmittel? Mich hast du damit ja gründlich in die Irre geführt.

liebe Grüße
Thomas

 

Hallo Andijo,

beim Tauchen durch die mehr oder minder erfrischenden Gewässer von KG.de blieb ich auch an deiner Geschichte hängen – und das sogar eine ganze Weile. Dies lag allerdings nur zum Teil an der Geschichte selbst, die ich solide geschrieben und unterhaltsam finde (deine „Wut des Himmels“, in der du eine ganz andere Stilrichtung verwendest, gefällt mir noch besser). Der Hauptgrund für mein intensives Verweilen waren die zahlreichen Kommentare, zu denen dein Text andere Mitglieder dieses spaßigen kleinen Internet-Forums motiviert hat.

Mir ist aufgefallen, dass du dich sehr von dem einen oder anderen Beitrag hast provozieren lassen, und ich möchte dir an dieser Stelle ans Herz legen, ein wenig lockerer mit Kommentaren von anderen KG.de-Leuten umzugehen. Meiner Meinung nach geben hier nämlich einige Möchtegern-Ranickis Kommentare einzig zu dem Zweck ab, andere zu ärgern.

Die „Nörgel-Auswüchse“, wie ich diese Art der Kommentare mal nennen will, haben grundsätzlich nichts mit der Qualität einer vorgestellten Geschichte zu tun und treffen wohl jeden auf KG.de immer mal wieder. Du könntest hier zum Spaß eine Passage aus einem Werk von Franz Kafka unter deinem Namen reinstellen (bitte nicht wirklich machen, verstößt gegen das Urheberrecht!) und müsstest nicht lange auf dumme „Find ich doof“-Sprüche warten. Ich würde dir deshalb empfehlen, künftig nur noch auf konstruktive Kritiken zu antworten, denn das wiederum kann ja für das eigene schreiberische Schaffen sehr hilfreich sein.

Und mal ehrlich: Willst du jemanden ernst nehmen, der in seinem Kommentar gleich zweimal krampfhaft beiläufig darauf hinweisen muss, dass er sich gerade ein paar Stunden Bachmann-Preis-Lesung angetan hat? Wenn man sich seine Ausführungen ansieht, dann hat man doch irgendwie das Gefühl, dass sich da jemand mit ebenso beleidigenden wie pseudo-sachkundigen Bemerkungen selbst jegliche Fähigkeit zur vernunftbegabten Konversation abspricht, oder?

Besser einfach ignorieren! :cool:

Gruß,

HGW

 

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