Mitglied
- Beitritt
- 13.08.2014
- Beiträge
- 25
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 4
- Anmerkungen zum Text
Ziemlich real.
Flipper
Die Schlacht der Zapfen
Es gibt einen lustigen Brauch in meiner Hauptschule, der Körperertüchtigung und Charakterbildung auf das eleganteste vereint.
Die beiden zweiten Klassen, die 2A und die 2B gehen auf Wanderschaft, erkunden unter Aufsicht ihrer Lehrer die Umgebung, bestimmen Pflanzen und Tierspuren. Es ist kein kurzer Spaziergang, es ist ein 15 Kilometer Marsch. Das Ziel ist eine riesige, umgestürzte Eiche, 6 Kinder müssen sich an den Händen halten um den waagrecht daliegenden Stamm zu umfassen.
Niemand weiß, warum dieser Gigant umfallen konnte. Wann der Sturz passiert ist, ist ebenfalls nicht zu ermitteln. Er liegt auf der Seite, die Krone ist immer noch grün, man kann unter dem massiven Stamm hindurchgehen, ohne sich zu bücken. Wo vorher seine Wurzeln tief ins Erdreich gereicht haben, befindet sich nun ein kleiner Teich. Die Wurzeln sind hinabgewachsen, um diesen Teich zu erreichen. Ich bin erschöpft vom langen Marsch und ich kann das langsame Pulsieren sehen, mit dem der gefallene Baum das Wasser in seine braunen Venen pumpt.
Dieser Baum ist nicht tot, er hat nur seine Perspektive gewechselt, ich kann das gut nachfühlen.
Wir haben einen geistiges Beeinträchtigen im Ort, der sich vor Kindern gerne einen runterholt. Er ist so ein lokales Original. Abends spaziert er neben dem Badeteich so vor sich hin und schreit immer die gleichen Mantras: „Waruuuum?“ „Duuu AAAA!“
Neben dem Badeteich befindet sich ein Sportplatz, mit Basketballkörben und Fußballtoren, dort tummeln sich die 12, 13, 14-Jährigen. Jugendliche in ihrer Pubertät, die allermeisten Jungs sind Sportler, die Mädchen schlank und schön. Die Unansehnlichen und Dicken liegen woanders, weiter Richtung Teich im Schatten der Bäume.
Direkt hinter dem Sportplatz befindet sich ein kleines Wäldchen, ich denke es sind meist Birken, ihre Stämme schälen sich ständig.
Dort steht Flipper – das ist der Name für ihn, keiner weiß, wie er wirklich heißt, beobachtet die schönen junge Leute und masturbiert gelegentlich. Er dürfte so zwischen 40ig und 50ig sein. Er ist verdreckt, stinkt, wandert die Straßen entlang. Aber in den heißen Sommermonaten ist er verstärkt im Wäldchen vor dem Sportplatz anzutreffen. Ich denke, er reagiert stark auf optische Reize.
Wird er entdeckt, machen sich die Mutigsten auf ins Wäldchen und beobachten ihn, während er sich einen runterholt. Wir verspotten ihn und manche bewerfen ihn mit Dreck. Er ist keiner der schnell kommt, das muss man ihm zugutehalten. Die meisten gehen einfach irgendwann wieder und spielen Basketball oder lassen sich den Rücken einölen.
Aus der Sicht von Flipper ist die Stirnseite dieses Sportplatzes direkt vor ihm, erweitert man aber die Perspektive etwas nach hinten, sieht man dort die Baustelle des neuen Sportzentrums, eigentlich existiert bis jetzt nur der Keller und eine Bodenplatte.
Wir gehen in den Keller es gibt kein Licht und naja es ist halt ein Keller. Oben, wir auf unserem stinkenden roten Plastikplatz, auf unseren Coca Cola Handtüchern, gebräunte Schönheiten. Aber dieser Keller, direkt unter unserem Schaulaufen der Eitelkeiten.
Der traditionsreiche Abschluss der Wanderung ist die Tannenzapfenschlacht. Die Regeln sind denkbar einfach. Eine Klasse – die 2 A begibt sich auf die überlegene Position auf den umgestürzten Stamm. Es ist immer die A, vielleicht sind das die besseren Schüler, vielleicht ist das die Tradition.
Ich bin in der A Klasse, gehe aber freiwillig vor den umgestürzten Baum, ich denke, ich wollte etwas heroisch vor den Mädchen wirken. Der Mann, der die Schlacht alleine entscheiden kann und der ganze Scheiß.
Tannenzapfen waren genug vorhanden, die Schlacht begann. Ich bin ein guter Werfer und habe gleich mal zwei Gegner gut an der Birne erwischt. Aber es war vorbei, bevor es begonnen hatte. Aus ihrer überlegenen Position bewarf uns die A mit Tannenzapfen und es dauerte nicht lange und mehr und mehr Kämpfer wechselten die Seite. Das ist eine Regel der Tannenzapfenschlacht: Man kann ganz einfach die Seite wechseln, möglicherweise hat das einen erzieherischen Nutzen. Einzelne A Kämpfer liefen den Stamm hinunter und sammelten die abgeschossenen Tannenzapfen wieder auf. Die Logistik ist eine der wichtigsten Voraussetzungen des Krieges.
Mehr Mitstreiter ließen mich im Stich, sammelten noch ein paar Tannenzapfen auf und erklommen den umgestürzten Baumstamm. Es wurde immer brutaler. Inzwischen war ich nur mehr der Einzige, der noch Zapfen den Baum hinaufwarf. Für jeden Zapfen, den ich warf, kassierte ich einen Hagel von 10 oder mehr Gegenangriffen.
Sie lachten über mich, weil ich alleine so dastand und Treffer um Treffer kassierte. Schulfreunde, schöne Mädchen in die ich so halb verliebt war, verspotteten mich. Inzwischen weinte ich, weil sie mich so verraten hatten, aber ich konnte nicht weichen. Weil ich weinte, verspotteten sie mich härter. Sie riefen mich an: Komm zu uns, komm zu uns auf den Baum! Lass es doch sein!
Aber ich konnte nicht. Irgendwann wurden sie dann oben müde und hörten auf. Die Lehrer hatten sich traditionell zurückgezogen und tauchten wieder auf, als es vorbei war.
Am Rückweg machten wir Rast in einem Gasthaus. Wir bekamen Würstel und eine Semmel. Ich baute den höchsten Turm aus Bierdeckeln.
Flipper bezog für seine Masturbationsperformances den Keller des zukünftigen Sportzentrums.
Es war ja doch Sommer und sehr heiß, er hatte immer eine dicke Arbeiterhose und ein schweres Hemd an.
Ein Mädchen, in das ich mehr so dreiviertel verliebt war, ging in den Keller und schaute zu. Ich sage das ganz ehrlich, ich wollte sie beschützen, deshalb hielt ich mich im Hintergrund und beobachtete nur, was vor sich ging.
Flipper holte seinen ziemlich ekligen Penis hervor und begann daran herumzurubbeln. Ich bin jetzt kein Peniskritiker, aber wenn das rot und blatterig aussieht und 5 Meter weit riecht, dann bin ich bei eklig. Das Mädchen schaute ihm zu, ohne einen Kommentar, ohne eine Reaktion, bis das Ganze mit einem recht beachtlichen Samenerguss erledigt war. Sie wirkte kühl und interessiert.
Sie drehte sich um, sah mich und ging ohne einen veränderten Gesichtsausdruck an mir vorbei.
Good old Flipper lebte nicht mehr lange. Sein „Waaaruuum?“ und „Du aaaaaa!“ verstummte endgültig. Ein Stück lebendige Folklore ging verloren. „Waruuum?“ im Mondlicht, so herrlich gruselig, man hat fast darauf gewartet.
Ich glaube, sie haben ihn einfach totgeschlagen. Oder ein Auto hat ihn überfahren, er ging immer die Straßen entlang. Aber nicht dort.