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Flirt in der Kneipe
„Hey, Süße, na, wie wär’s mit uns beiden, eh?“ Sein fauliger Atem lässt mich meinen sofort anhalten. Was bildet sich dieser schmierige …?
„Wirklich, Baby. Ich würde dich auf Händen über die Schwelle tragen.“
„Ach ja? Und warum sollte ich mich von einem wie dir tragen lassen?“
„Weil ich die Sensibilität in Person bin, geschnallt? Mit mir kannst du träumend zu den Sternen aufschauen und die Romantik genießen. Ehrlich. Für dich, Baby, würde ich den Mond vom Himmel holen.“
Sein Kaugummi wandert im Mund hin und her. Alle Blicke sind auf uns gerichtet.
„Verpiss dich.“
„Whouhuuu, sie hat ‚Verpiss dich’ gesagt. Hey, Jungs, is’ das ’ne Frau oder was?“
Zustimmendes Gegröle erfüllt das Lokal.
„Nee, ehrlich. Das verdien’ ich nicht. Ich bin wirklich der sensibelste Mann, den du dir vorstellen kannst. Ich hab keine Angst, Gefühle zu zeigen, weißt du. Mit mir kannste über alles reden, und ich werde immer auf dich eingehen.“ Johlender Beifall vom Tisch neben der Bar.
„Ist ja ganz was Neues.“
„Ey, Süße, glaubste mir etwa nich’? Ich kann echt Gefühle zeigen. Du musst nur mal sehen, wie ich flenne, wenn wir uns Liebesfilme ansehen. In meinen Tränen kannste ’ne Katze ersäufen.“
„Ich mag Katzen.“
„Ist doch nur so ’ne Redensart, Baby. Ich weiß halt, worauf’s ankommt für einen Kerl.“
„Würdest alles tun, um ’ne Schnitte ins Bett zu kriegen, häh?“
Er versuchte, ehrlich verletzt zu wirken. „Ey, komm, das ist unfair. Ich weiß, was du von deinem Stecher erwartest. Ich werd’ dir morgens das Frühstück ans Bett bringen, immer Rosen schenken, dir jeden Wunsch von den Augen ablesen. Ich spiel dir sogar auf meiner Gitarre vor, wenn du willst.“
„Welchen Teil von ‚Verpiss dich’ hast du jetzt nicht verstanden?“
Er sprang auf den nächstgelegenen Tisch. „Hey Jungs! Wer ist der Sensibelste?“
„Nor-bert! Nor-bert!“, skandierten die Gäste.
„Wer redet über seine Probleme?“
„Nor-bert! Nor-bert!“
„Wer heult, wenn er ‚Casablanca’ sieht?“
„Nor-bert!“
„Wer kriegt von Opern Gänsehaut?“
„Norbeeert!“
„Na siehste. Also Süße, wie wär’s? Ey, und denk nicht, das wären meine einzigen Vorzüge. Ich hab’ außerdem einen unheimlich dicken …“
„Machste auch den Abwasch?“
„Häh?!“
„Ob du auch den Abwasch machst. Und überhaupt, Küche, Haushalt, Putzen und so.“
„Joh, also …“
„Ja?“
„Ja, klar, also ich bin ja … also der richtig moderne Typ, da mach ich alles mit, logisch.“ Seine Stimme wird immer leiser.
„Dann biste ’n jämmerliches Weichei. Geh mir aus den Augen!“
Der Typ schleicht sich wie ein geprügelter Hund davon, begleitet von Johlen und Pfiffen.
„Entschuldigen Sie.“ Eine Brillenschlange mit einem Gesicht wie eingeschlafene Arschbacken macht sich neben mir breit und fängt an, nervös auf der Theke und seinen Knien rumzunesteln.
„Darf ich Ihnen einen Cocktail spendieren? Ich … ähm … ich meine, willste ein Bier?“
Eisiges Schweigen. Das wirkt immer. Er räuspert sich.
„Gestatten Sie, dass ich mich vorst … will sagen, Baby, ich bin, also, ich bin einer von den ganz Harten. Wollen wir eine Nummer schieben?“
Meine Faust ist diesmal schneller als meine guten Manieren. Plötzlich fliegt der Spacken rücklings vom Hocker. Wird wohl Zeit, dass ich mich verziehe.
Dass Männer es heutzutage auch immer so nervig kompliziert machen müssen. Als ich noch einer war, da wussten wir noch, was wir wollten.