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Flugangst

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28.10.2003
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Flugangst

Ich lege den Hörer auf die Gabel und trete aus der Telefonzelle. Mein wöchentlicher Bericht ist wieder einmal abgeliefert. Meine Lebenspartnerin Martha steht auf dem Gehsteig und sieht abgefroren aus in ihrem grauen, leicht schäbigen Mantel, ihren klobigen Schuhen und den dichten braunen Locken, die unter ihrer Pudelmütze hervorlugen.
Ein Mann, der auf das Freiwerden der Telefonzelle gewartet hat, bindet seinen Hund an einem Laternenpfahl an. Er blickt mich lange und etwas verwundert an, bevor er in die Zelle tritt. Vielleicht hatte er das Gespräch mitgehört? Oder bilde ich mir seine Verwunderung nur ein? Schön langsam werde ich paranoid. Vielleicht war Jans Idee mit diesem Job doch nicht so gut gewesen. Hatte aber auch keiner ahnen können, welchen Erfolg ich haben würde.
Ich umarme meine Martha, küsste sie und hake mich bei ihr ein. Wir gehen die Straße hinunter zu unserem Lieblingskaffeehaus. Wir sind schon ein ungleiches Paar! Martha wir nun bald fünfundvierzig, ist unscheinbar, etwas rundlich, eine typische mittelalterliche Bewohnerin dieser etwas heruntergekommenen Vorstadt, in der wir wohnen. Von mir behaupten meine Freunde immer, ich sei ein Feschak, ein gut aussehender Typ mit meinen achtundzwanzig, einer, auf den die Frauen stehen. So der Sonnyboy, mit dem die Damen gerne auf einen Traumurlaub in die Südsee fliegen würden.
So war Jans Idee ja auch entstanden. Wir waren zusammen in der Kneipe gesessen, wie so oft. Jan ist mein bester Freund, ihm vertraue ich alles an. Er arbeitet in einem Reisebüro, vielleicht ist er deswegen offener und kreativer als die meisten. Ich hingegen, nachdem ich Journalismus und Theaterwissenschaft studiert hatte, war natürlich arbeitslos. Aber Schreiben ist nun mal meine Leidenschaft. Nur, verdienen sie mal ihr Leben mit Geschichten und Lyrik! Zum hundertsten Mal hatten wir an diesem Abend meine Probleme gewälzt, viel Bier war schon geflossen.
Am folgenden Morgen rief mich Jan begeistert an: „Ich hab was für dich! Ich habe in dem bekannten Reisemagazin Südwind gesehen, dass die jemanden für einen Artikel über die Malediven suchen. So eine Art Reisebeschreibung. Die zahlen gut, heißt es im Inserat, das wäre doch ein toller Einstieg für dich!“
„Jan, du weißt doch, dass ich panische Angst vor dem Fliegen habe, wie soll ich denn das machen? Außerdem hätte ich nun ja wirklich nicht das Geld, um auf die Malediven zu fliegen.“
„Ach Quatsch, du hast ja Fantasie, wenn du willst, leih ich dir meine Ferienprospekte und einen Bildband vom letzten Jahr, den Rest findest du im Internet!“
In meiner Verzweiflung stimmte ich zu, setzte mich zu Hause hin und schrieb. Jans Buch war ganz gut, den Rest füllte wirklich meine Fantasie ein. Ich gab mir zwar nicht die Mühe, jedes Detail zu prüfen, aber im Großen und Ganzen klang mein Reisebericht doch sehr glaubwürdig. Ich sandte ihn ein.
Meine Freude war riesig, als ein paar Wochen später ein Brief des Verlages eintraf: Nicht nur war dieser Artikel angenommen, man wollte mich kennen lernen und über einen monatlichen Reisebericht mit mir verhandeln! Ich konnte es kaum fassen! Aber wie sollte ich das bloß anstellen? Wieder war es Jan, der mich überredete: „Geh ja hin, oder willst du weiterhin von der Hand in den Mund leben?" Ich ging also hin und stellte mich vor. Die Damen der Redaktion warfen mir Blicke zu, das fiel auch dem Redakteur auf: „Ich denke, wir sollten ein Portrait von ihnen mit dem Artikel gemeinsam publizieren, das wird gut ankommen.“ Er bot mir an, jeden Monat in eine Feriendestination zu reisen, einen romantisch gewürzten Reisebericht abzuliefern und dafür monatlich dreitausend Euro zuzüglich pauschalem Spesenersatz zu kassieren. „Aber ich hoffe doch, dass sie ledig sind? Um unsere Leserinnen richtig träumen lassen zu können, erscheint mir das Voraussetzung.“ - „J-Ja“, stammelte ich. War ja nicht gelogen, Martha und ich waren ja nicht verheiratet.
Ich ging heim wie in Trance. Da war ich also, ein arbeitsloser Journalist, verkrachter Schriftsteller, der Todesangst vor dem Fliegen hat, mit einer älteren, unscheinbaren Frau zusammenlebt, und sollte fortan monatlich in ein südliches Paradies fliegen und mit meinen Berichten und meinem unverheirateten Charme ein vorwiegend weibliches Publikum schreibend verführen! Und das alles zu einer Traumgage.
Jan war natürlich Feuer und Flamme für den Plan. Er würde mir die nötigen Daten über sein Reisebüro schon liefern, auch Flüge, die ich nie anträte und Hotels, in denen ich nie wohnen werde, buchen. Und außerdem solle ich unter einem Pseudonym schreiben, das mache sich sowieso besser.
Ein Star des Reiseberichts bin ich also geworden. Ein paar andere wollten mich schon abwerben, aber so weit will ich mein Glück nicht versuchen. Zwei Mal im Jahr gibt mein Magazin eine Party mit mir für meine Fans, aber zu mehr als Autogrammen lasse ich es nicht kommen, obwohl man mir schon alles Mögliche angetragen hat ...! Ich liebe ja meine Martha über alles. Deswegen will ich auch all dieses Geld verdienen, damit wir es zusammen schön haben. Aus unserer schäbigen Vorstadt will sie sowieso kaum raus, wir haben dort jetzt eine etwas größere Wohnung, das genügt uns. Martha weiß von dem allen ja nichts. Ich mache ihr vor, dass ich mein Geld mit Gedichten und Lyrik verdiene, und das macht sie glücklich für mich. Damit es nicht zu sehr auffällt, lege ich einen Teil meines Gehaltes auf die Bank, für später, wenn meine Berichte einmal nicht mehr so ziehen.
Die ausgebrochene Handymanie bereitet mir allerdings Kopfzerbrechen. Da ich im Verlag vorgebe, auf meinen Reisen nie länger als eine Nacht in demselben Hotel zu bleiben und oft spontan zu planen, habe ich mit meinem Redakteur vereinbart, mich nur einmal pro Woche telefonisch zu melden. Bis jetzt hat das auch ganz gut geklappt, aber seit neuestem will mir meine Redaktion ein Handy mit Fotokamera einreden! „Da kannst du uns dann hier und da einen Zwischenbericht mit Foto für unseren Internetsite an die Fans senden.“ Wie lange ich dem wohl noch aus kann?
Martha und ich sind fast bei Café angekommen. „Geh nur voraus,“ sagt sie, „ich hol noch schnell nebenan die Zeitung.“ Ich gehe zu unserem Lieblingstisch, setze mich, bestellte zwei Kaffees und warte. Kurz darauf kommt Martha bei der Tür herein, Zeitung unter dem Arm. Plötzlich sehe ich, dass sie das noch etwas dabei hatte. Sie zieht eine Ausgabe von Südwind heraus! „Schau mal, ich hab mir gedacht, vielleicht könnten wir uns jetzt einmal einen Urlaub leisten. Und sonst können wir ja davon träumen, wenn du wirklich nicht fliegen willst. Da soll einer immer so tolle Reiseberichte schreiben, hat mir der Trafikant gesagt.
Martha fängt an zu blättern ...

 

keine aufregende geschichte aber schön und flüssig geschreiben. Die Idee als solche ist eigentlich ganz lustig. Was ich mich die ganze Zeit gefragt habe ist, warum bleibt er bei Martha? und wie kam er überhaupt jemals zu Martha?
Klingt nach einer vielversprechenden, begehrten Karriere für den jungen Mann, die dazu noch das beinhaltet, was er gelernt hat (Journalismus). Flugangst lässt sich beheben.

Vielleicht bin ich nicht romantisch oder "gut" genug um deine Figur zu verstehen. Außerdem hätte er Marthe alles erzählen können, oder etwa nicht?

bye

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Diego,

was mir an der Geschichte gefällt, sind der Anfang und der Schluss.

Zuerst der Anfang: Die Szene rund um die Telfonzelle ist richtig spannend. Ich frage mich: Wer ist dieser Fremde, der auf den Ich-Erzähler wartet und ihn so seltsam ansieht? Verfolgt er den Ich-Erzähler wirklich? Ist das Leben des Erzählers bedroht? Ist er im Geheimdienst oder sind Gangster hinter ihm her? Du hast es geschafft, mich für die Geschichte zu interessieren.

Dann kommen ein paar Mitteilungen an den Leser:

Martha wird nun bald fünfundvierzig...
Ich werde aus der Szene rausgeschmissen, und es kommen Dinge, bei denen ich das Gefühl habe, der AUTOR sagt mir was. Formal ist das ein Innerer Monolog, aber ich hatte den Eindruck: Jetzt kommen Infos für den Leser. Da fühle ich mich zu sehr betreut: Ich will mir als Leser mein eigenes Bild machen.

Es geht dann weiter mit:

So war Jans Idee ja auch entstanden. Wir waren zusammen in der Kneipe gesessen ...
Eine Rückblende beginnt, und ich dachte: Du willst einen Einschub machen, der den Leser auf die Folter spannt. Mich interessierte hier immer noch die Geschichte mit dem Fremden...

Dann kommen ein paar Dialoge mit Freund Jan, die für mich etwas steif klingen. Beispiel:

Ich habe in dem bekannten Reisemagazin Südwind gesehen, dass die jemanden für einen Artikel über die Malediven suchen.
In dem bekannten Reisemagazin Südwind: Das klingt nicht wie gesprochen, finde ich. Ein Freund von mir würde eher sagen: Im "Südwind" hab ich eine Anzeige gesehen: Die suchen ... Die Information, dass der "Südwind" eine Reisezeitschrift ist, braucht es m.E. nicht. Es wär besser, wenn der Leser nicht sofort drauf kommt, damit ein bisschen Geheimnis erhalten bleibt. Spannung ist die Kunst, Fragen aufzuwerfen, und die Antworten zurückzuhalten.

Der Ich-Erzähler sendet seinen Bericht ein. Und es geht weiter mit dem Satz:

Meine Freude war riesig, als ein paar Wochen später ein Brief des Verlages eintraf:...
Meiner Ansicht nach fängst du diesen Satz falsch an. Ich frage mich: Wie wird der Verlag reagieren? Wird der Erzähler angenommen? Wenn du aber anfängst mit "Meine Freude war riesig, als", dann ist sofort alles klar. Mein Vorschlag wäre sowas wie: Mit heißen Fingern bemühte ich mich, den Brief aufzukriegen. Er fiel mir aus der Hand, dann begann ich zu lesen. Das Schreiben begann mit einigen Floskeln: die große Zahl der Reiseberichte, das Internet, Überinformation, blabla. Offensichtlich eine Ablehnung. Aber dann ...

Dann kommt diese Stelle:

Die Damen der Redaktion warfen mir Blicke zu, das fiel auch dem Redakteur auf: "Ich denke, wir sollten ein Portrait von ihnen mit dem Artikel gemeinsam publizieren..."
Hier schlägt der Text nochmal eine andere Richtung ein. Jetzt geht es um das Äußere des Ich-Erzählers. Ich frage mich allmählich, um was geht es hier eigentlich?

Dann beendest du die Rückblende mit dem Satz:

Ein Star des Reiseberichts bin ich also geworden.
Die Gefahr des Auffliegens (per Handy) wird erwähnt, dann geht die Anfangsszene weiter:
Martha und ich sind fast bei Café angekommen.... Sie zieht eine Ausgabe von Südwind heraus!... Martha fängt an zu blättern ...
Dieser offene Schluss gefällt mir: Die Geschichte wird nicht ganz zu Ende erzählt, das ist gut so. Der spannende Anfang und der offene Schluss, das ist gelungen.

Aber ich glaube, du erzählst zu viel. Zu viel Handlung für einen so kurzen Text. Und zu viele Motive: Man wird als Leser hin- und hergerissen, weiß nicht, um was es eigentlich geht.

Da ist zunächst der Fremde vor der Telefonzelle: Man fragt sich, was hat es mit dem auf sich, kommt der später nochmal? Aber er taucht nicht mehr auf. Sowas nennt man ein "Blindes Motiv". Typisch für Detektivromane, der Leser wird auf eine falsche Fährte geführt, aber hier passt das m.E. nicht.

Dann kommt die Frage der Arbeitslosigkeit. Dazu noch das Motiv der Flugangst. Man fragt sich: Ist die Flugangst die Achillesferse des Erzählers, wird das dem Erzähler den Hals brechen?

Anschließend geht es nun um den Schönling und darum, ob sein Foto die Leserinnen begeistern wird. Und ganz am Schluss wird noch gefragt: Kommt Martha den Lügen des Ich-Erzählers auf die Spur und was sind die Folgen?

Das ist alles zu viel, glaube ich. Du erzählst mindestens vier Geschichten, statt einer. (Passiert mir auch oft. Ich teile dann die Geschichte und mache mehrere daraus.)

Grüße aus München,
dein Stefan

 

Danke

Danke, lieber Stefan, für deinen ausführlichen Kommentar und die Zeit, die du dir dafür genommen hast, das ist toll. Da ich aber nicht hopp-hopp antworten, bzw. reagieren will, und mich der Weihnachtsstress voll gepackt hat, melde ich mich nach den Feiertagen mit Veränderungen etc.

Bis bald

Diego

 

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