Flugangst
Schon immer war es meine Meinung, dass niemand sich in die Lüfte begeben sollte, der dies nicht ohne technische Hilfsmittel zu tun vermag. Es ist einfach widernatürlich, wenn ein flugunfähiges Lebewesen sich in einer Höhe von mehreren tausend Metern hunderte Kilometer weit über der Erde fortbewegt. Fliegen sollten meiner Meinung nach nur Vögel, jedoch keine flügellosen Erdbewohner. Mit anderen Worten: Ich habe Flugangst!
Verständlicherweise hielt sich meine Begeisterung deshalb stark in Grenzen als mir meine geliebte Ehefrau mitteilte, dass sie eine fünftägige Reise für zwei Personen nach Rom gewonnen hatte und wir deshalb dorthin reisen würden. Dass dumme an 5-tägigen Reisen in die italienische Hauptstadt ist nämlich immer, dass die An- und Abreise grundsätzlich per Flugzeug erfolgt. Gegen Rom selbst hatte ich nichts einzuwenden, dem Flug sah ich jedoch mit Grausen entgegen.
Nun denn, ich gehöre nicht zu der Sorte Menschen die nicht versuchen ihre Angst zu bekämpfen, schon gar nicht wenn sie ansonsten die Enttäuschung und den Zorn ihrer Gattin fürchten.
Nur wie viel Beruhigungsmittel kann man eigentlich zu sich nehmen, ohne dass diese zu lang anhaltenden gesundheitlichen Störungen, aber zu einer Bewusstlosigkeit führen die sich mit der Flugzeit von Düsseldorf nach Rom deckt? Wussten Sie, dass die meisten Ärzte diese Frage gar nicht verlässlich und vernünftig beantworten können? So erging es auch meinem Hausarzt als ich ihm die Frage nach einer hierfür geeigneten Arznei stellte. Statt eine zufriedenstellende Antwort zu erhalten, verließ ich seine Praxis mit pflanzlichen Beruhigungsmitteln in der Hand.
Pflanzliche Beruhigungsmittel waren nicht das was ich mir vorgestellt hatte. Es hätte zumindest schon ein Präparat sein müssen, welches ungefähr die gleiche Wirkung hat wie eine Vollnarkose
Da wir allerdings nicht zu weit entfernt von der niederländischen Grenze leben kam mir auch schon die nächste Idee, wie ich meine Flugangst besiegen könnte. Ist doch in den Niederlanden Haschisch legal zu erwerben. Und benebelt diese Droge nicht auch die Sinne? Vielleicht sogar so, dass es einem so vorkommt als ob man selbst Flügel hätte?
Dass man in einem Coffeeshop keinen Kaffee bekommt war mir schon bewusst, allerdings hatte ich keine Erfahrungen mit dem Erwerb oder gar Konsum illegaler Drogen. Doch befand ich mich in einer Notlage die außergewöhnliche Taten erforderte. So fuhr ich heimlich nach Holland. Meine mangelnde Erfahrung mit dem Erwerb von Haschisch zeigte sich, als ich den daraufhin sehr verwunderten Verkäufer des Coffeeshops nach einer Gebrauchsanleitung für die Droge fragte. Das Haschisch erhielt ich, eine Bedieungsanleitung dafür nicht.
Am 11. September ging es dann für uns nach zwei für mich schlaflosen Nächten am frühen Morgen mit zwei Koffern und dem Haschisch in der Hosentasche mit dem PKW los in Richtung Flughafen Düsseldorf. Wir fuhren noch nicht allzu lang auf der Landstraße, als ich einen Fasan neben der Fahrbahn sah, der sich gerade zum Abheben anschickte und über die Straße fliegen wollte. Offensichtlich war dessen Startbahn zu kurz. Das Tier schaffte es nicht die Straße in ausreichender Höhe zu überfliegen. So entstanden häßliche Blutflecken auf unserer Windschutzscheibe.
Normalerweise hätte ich, wenn ich nicht in wenigen Stunden in ein Flugzeug hätte einsteigen müssen, den Fasan und die Windschutzscheibe nicht mit einem Flugzeug und einem Flughafengebäude verglichen. Aber angesichts des nahen Fluges fragte ich mich schon was ist, wenn auch der Pilot fälschlicherweise annimmt, dass die Startbahn lang genug ist?
Ich war angesichts dieser Vorstellung nicht mehr dazu in der Lage weiter zu fahren. Also wechselten wir kurzfristig unsere Sitze und meine Gattin fuhr uns zum Flughafen.
Ich hatte nie gedacht, dass es mir jemals Freude machen könnte in einen Stau zu kommen. Doch sahen meine Augen voll entzücken kurz vor Düsseldorf einen sehr zähflüssigen Verkehr. Wir kamen gut zwei Stunden nur wenige Kilometer voran. Mit offensichtlich zu guter Laune verkündete ich nun meine Zweifel daran, dass wir es noch rechtzeitig schaffen würden zum Flughafen zu kommen. Jedenfalls hatte meine Ehefrau einen wenig erfreuten Gesichtsausdruck an sich als sie mit hörbar zorniger Stimme sagte: „Zu früh gefreut! Zwei Stunden Stau habe ich eingeplant.“
Tatsächlich kamen wir pünktlich am Flughafen an. Leider mussten wir auch nicht lange nach einem Parkplatz suchen. Meine Nervosität stieg angesichts des nahenden Abflugs immer mehr. Den von zu Hause in der Thermosflasche mitgebrachten Kaffee verschüttete ich auf dem Parkplatz mit zittrigen Händen zur Hälfte aus dem Becher.
Als wir den Airport betraten gingen meine Gedanken bis zu dem Augenblick als ich den uniformierten Zollbeamten mit Schäferhund sah, nur dahin wo ich wohl gleich ungestört den Joint würde rauchen können. Doch Zollbeamte und deren ausgebildete Hunde sind für jeden der Drogen mit sich führt ein Albtraum. Dass war mir noch nie so bewusst geworden.
Glücklicherweise hatte ich die beiden Staatsdiener früh genug gesehen und konnte noch unbemerkt von anderen Personen das Haschisch gleich in einem Mülleimer im Vorbeigehen entsorgen. Kurze Zeit später vernahmen wir aus sicherer Entfernung das Gebell des Hundes vor dem Mülleimer, wobei meine Ehefrau mich verwundert ansah und fragte: „Was hat das Tier wohl mit dem Mülleimer?“ Achselzuckend lief ich weiter.
Es half nichts, jetzt musste das pflanzliche Beruhigungsmittel herhalten, dass ich vorsichtshalber auch noch mitgenommen hatte. Eine Wirkung jenes Medikaments verspürte ich trotz heftiger Überdosierung nach dessen Einnahme nicht.
Eigentlich konnte mir das Warten vor dem Abfertigungsschalter und den Einlass in den Flieger gar nicht lang genug dauern. Stets war die Hoffnung vorhanden, dass sämtliche Flüge etwa wegen eines Bombenalarms nicht mehr stattfinden würden. Doch wurde ich enttäuscht.
Es wurde uns lediglich am Gate mitgeteilt, dass der Flug eine geringfügige Verspätung hätte. Nachdem wir eine halbe Stunde gewartet hatten, teilte man uns mit, dass wir voraussichtlich nochmals drei Stunden warten müssten. Nach drei Stunden erhielten wir die Mitteilung, dass der Abflug sich nun zirka um weitere 8 Stunden verzögern würde.
Wir erhielten als kleine Entschädigung einen Verzehrgutschein. Leider bekommt man mit diesem am Düsseldorfer Flughafen kein Haschisch. Dafür aber reichlich Alkohol. Nur in Gegenwart meiner Frau konnte ich mich einfach nicht flugfertig trinken. Während wir den Gutschein in ein Essen und wenige Getränke umsetzen, setzte ein mit fliegender Damenkegelclub aus Düsseldorf diesen komplett in Alkoholika um.
Nach 11 ½ Stunden Warten war es denn soweit. Mein Schatz und ich stiegen als letzte Passagiere in den Flieger ein. Leider hatten wir keine nebeneinander liegenden Sitzplätze bekommen. Doch keiner wollte mit uns die Sitze tauschen. Meine Liebste konnte also nicht meine Hand halten. Dafür saß ich mitten zwischen zwölf nunmehr vollkommen besoffener Frauen des Düsseldorfer Damenkegelclubs.
Gerade hatte der Pilot sich via Lautsprecher vorgestellt, da schrie hinter mir, jemand laut: „Nein, bloß nicht! Nicht schon wieder der, nicht schon wieder eine Notlandung!“ Sofort sprang ich hoch und wollte aus dem Flugzeug stürzen, als ich erkannte, dass zwei Sitzreihen hinter mir ein aus Funk und Fernsehen bekannter Komiker saß. Er fand seine Äußerung vielleicht witzig. Ich nicht! Nach dieser Äußerung habe ich mir von ihm keinen einzigen Film mehr angesehen.
Als dann der Pilot auch noch erklärte, dass es wegen eines Fehlers der Bordelektronik, der hoffentlich gänzlich behoben wäre, zur zeitlichen Verzögerung des Abflugs kam, war ich nahe eines Nervenzusammenbruchs. Ich hatte schreckliche Angst davor, was wäre, wenn die Bordelektronik während des Fluges versagen würde.
Um mich schnellstmöglich etwas abzulenken schlug ich ein mitgebrachtes Nachrichtenmagazin auf. Wie der Zufall so spielt, fand ich auf Seite 8 den Artikel über die gefährlichsten Fluggesellschaften und auf Seite 9 die Statistik darüber mit welchem Flugzeug ein Absturz am wahrscheinlichsten ist. Die Statistik sprach leider nicht für unseren Flieger.
Während ich mir Gedanken machte, ob ich noch aussteigen kann, sprach mich meine linke Sitznachbarin an. Ich verstand sie nicht. Entweder sprach sie eine mir nicht geläufige Fremdsprache oder aber der Alkohol hatte zu großen Einfluss auf ihre Aussprache. Auch darüber machte ich mir jetzt Gedanken. Möglicherweise hatte sich eine arabische Extremistin mit blond gefärbten Haaren unter die Fluggäste gemischt und würde hier einen Terroranschlag verüben.
Als schließlich die Stewardess die Sicherheitsvorkehrungen an Bord erklärte, wurde ich fast gänzlich wahnsinnig. Sprach sie doch von Sicherheitsgurten, Notausgängen, Notbeleuchtung und Schwimmwesten. Hat sich eigentlich mal irgendjemand darum Gedanken gemacht, was derartige Informationen für Panik bei Leuten mit Flugangst auslösen können? Plötzlich war mir bewusst, dass wir auf dem Weg nach Italien irgendwo im Mittelmeer im Dunkeln notlanden könnten. Dann also sollte ich mich der Notbeleuchtung folgend, vorsichtshalber um nicht noch in Panik von anderen Passagieren überrannt und tot getreten zu werden als letzter, zum Notausgang begeben, nachdem ich in wohl möglich mühevoller Kleinarbeit die Schwimmweste unter dem Sitz weg gebastelt hatte um dann mit ihr irgendwo im Mittelmeer auf einen Hai zu stoßen. Dies natürlich unter der Voraussetzung, dass nicht plötzlich der Sicherheitsgurt klemmen und sich nicht mehr öffnen lassen würde.
Wenn hier ein reale Gefahr bestand, so war schon jetzt Handlungsbedarf gegeben. Also schnappte ich mir sofort die Schwimmweste und legte diese sicherheitshalber schon mal an. Der daraufhin herbeigeeilten Stewardess erklärte ich, dass ich mich auf keine Diskussion einlassen und die Schwimmweste nicht vor der Landung auf einem Flughafen wieder ablegen würde. Sie akzeptierte dies schließlich, nachdem ich ihr versprach die Schwimmweste zumindest nicht vor einer Notlandung im Wasser aufzublasen. Den Sicherheitsgurt schnallte ich so fest, dass mir fast die Luft weg blieb.
Wenig später starte die Maschine. Meine Sitznachbarin rechts neben mir, eine Endfünfzigerin, die sicherlich weit mehr als 150 kg wog, aber dennoch Leggings mit einem hautengem T-Shirt über ihren für einen Eintrag ins Guinessbuch der Rekorde wegen seiner Größe fähigen Busen trug, fasste mir plötzlich mit ihrer Pranke aufs linke Knie und fragte mich: „Na wohl Angst vorm fliegen?“ Dabei grinste sie mich so breit an, dass ich befürchtete jeden Moment ihre Zahnprothese auf meinen Schoß zu haben. Der Geruch von Alkohol der mir aus ihrem Mund entgegen schlug, hätte zudem beinahe ausgereicht mich auch betrunken zu machen.
Nur kurz nachdem wir von der Erde abhoben, meinte mich die Keglerin dann auch noch zu einem Blick aus dem Fenster animieren zu müssen. Sie hatte soeben bemerkt, wie hoch wir schon waren, als ich mich zwischen ihr und dem Sitz vor ihr schleunigst hindurch schob um das Rollo mit einem einzigem Ruck nach unten zu ziehen. Ich wollte das nicht sehen!
Zwar klemmte ich kurze Zeit wegen der beengten Platzverhältnisse zwischen Brüsten und Bauch meiner Sitznachbarin und deren Vordersitz halb liegend fest. Doch erkannte meine Sitznachbarin zum Glück meine Not rasch und quetsche sich derart in den Sitz, dass ich mich aus meiner misslichen Lage befreien konnte.
Wenig später kam die Bordverpflegung. Dieses Wort ist äußerst zutreffend, denn Essen hätte ich das auch nicht genannt. Da ich ohnehin keine Mahlzeit und schon gar keine Bordverpflegung in meinen Zustand lange intus behalten hätte, verzichtete ich gerne darauf. Zudem plagten mich jetzt heftige Ohrenschmerzen. Den plötzlichen Druckunterschied in der Kabine als Folge des Steigflugs vertrugen meine Ohren nicht.
Meine rechte Sitznachbarin mochte die Spaghetti mit Tomatensosse jedoch nicht verschmähen. Nur beim Öffnen der in Folie eingeschweißten Nahrung, stellte sie sich wohl wegen des in Massen verkonsumierten Alkohols so ungeschickt an, dass die eine Hälfte der Mahlzeit auf ihrem Busen und die andere auf meiner Hose landete. Ihre Versuche meine Hose mit ihrem Taschentuch gleich mit zureinigen, wehrte ich gerade entschieden ab, als ich sah, dass meine linke Sitznachbarin aufstand und aus ihrer sich in der Ablage befindlichen Tasche eine Flasche mit Flüssigkeit holte.
Soeben hatte ich noch etwas über die Gefährdung des Flugverkehrs durch Flüssigbomben gelesen. Jetzt war mir alles klar. Der Damenbart war mir gleich sehr verdächtig vorgekommen und dann diese Fremdsprache. Es war vermutlich ein Mitglied der Al Kaida, dass da neben mir saß. Ein arabischer Extremist, der sich um ja keinen Verdacht zu erregen einer Geschlechtsumwandlung unterzogen hatte und sich als betrunkenes Mitglied eines Düsseldorfer Damenkegelklubs ausgab. Es stand für mich außer Fragen, dass er ohne ein entschlossenes Eingreifen meinerseits gleich eine Explosion herbeiführen würde. Blitzschnell schnallte ich mich ab und griff nach der Flasche. Es gelang mir sofort diese zu konfiszieren.
Die daraufhin wieder herbeigeeilte Stewardess, die selbe die noch wegen der Schwimmweste wütend auf mich war, versuchte sofort die Situation zu klären. Bei dem Versuch mir die Flasche wegzunehmen, fiel diese zu Boden und verbreitete im Flugzeug den Duft von Whiskey.
Meine Ehefrau, die fünf Sitzreihen hinter uns, das Geschehen beobachtet hatte, war ebenfalls herbeigeeilt und schlug meiner linken Sitznachbarin vor die Plätze zu tauschen. Offensichtlich verstand diese doch deutsch und willigte jetzt sofort ein. Ich hielt an meiner Theorie mit dem arabischem Extremisten nicht länger fest.
Größere Diskussionen mit der Stewardess gab es nicht mehr, da wir in heftige Turbulenzen gerieten und sie selbst somit auch Platz nehmen musste.
Meine Frau setze sich neben mich und hielt mir meine Hand, als das Flugzeug ordentlich durchgeschüttelt wurde. Es beruhigte mich etwas. Obschon mir der Gedanke, dass unsere Kinder Vollwaise würden, wenn wir doch noch abstürzen sollten, nicht aus dem Kopf ging. Waren es wirklich Turbulenzen oder hielten die Flügel der Maschine den ständigen Beanspruchungen nicht mehr stand?
Nach der Landung hatte ich nur noch ein Ziel, so schnell wie möglich ins Freie zu gelangen. Jemand der keine Flugangst hat, weiß gar nicht was es für ein Gefühl ist einen Flieger zu verlassen.
Den Aufenthalt in Rom habe ich trotz allem doch noch sehr genossen. Dies ohne an den Rückflug zu denken. Wir hatten ein Hotel mit einem exzellentem Service. Der Service war so gut, dass man mir gleich am Tag unserer Anreise eine Bahnfahrkarte, mit der ich fünf Tage später die Rückreise mit dem Zug ins norddeutsche Flachland antreten konnte, verschaffte