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Flussabwärts

Tom

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06.04.2005
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Flussabwärts

Ich sitze in der U2 und betrachte die gelben Wände der Haltestelle Eschersheimer Tor. Es ist so ein Plastikgelb aus einer Zeit, in der unerträgliche Farben als Innovation galten und widerliche Betonklötze Architekturpreise gewannen. Und doch muss es damals mehr Hoffnung gegeben haben als heute. Trotzdem oder gerade deswegen, das frage ich mich.
Die junge Frau, die mir gegenübersitzt, spielt an ihrem mp3-Player herum. Ich betrachte sie, indem ich ihr Spiegelbild im Fenster anstarre. Sie ist sehr hübsch. Haare, Gesicht, Figur – ein echter Hingucker. Sicher ist es feige, jemanden so zu beobachten, aber ein schlechtes Gewissen habe ich deswegen nicht.
Die Frau ist vielleicht neunzehn, vielleicht auch noch jünger, das ist wie immer schwer zu sagen. Ich werde morgen einunddreißig.
Plötzlich wird mir klar, dass ich dieses Wochenende unmöglich in Frankfurt verbringen kann. Wenn ich morgen in meinem Appartment sitze, sinnlos durchs Internet surfe und mir dabei überlege, ob ich den China-Express oder den Pizza-King anrufe, dann könnte etwas Furchtbares passieren. Nicht unbedingt Selbstmord, nein, so schlimm ist es ja noch nicht. Aber eine handfeste Kriese oder Panikattacke oder etwas in der Art, das wäre durchaus möglich.
Die junge Frau schaut mir jetzt direkt in die Augen - also nicht wirklich direkt, das kann sie gar nicht, weil ich den Kopf zum Fenster drehe. Sie blickt ebenfalls in die spiegelnde Scheibe, und dort treffen sich unsere Blicke. Ich erschrecke, aber ich kann gar nicht sagen, ob es an ihrem Blick liegt oder an dem beginnenden Wochenende, auf das ich mich eben noch gefreut habe. Vermutlich trägt beides dazu bei, und mir wird klar, dass ich sofort raus muss aus dieser U-Bahn.
Die junge Frau zuckt zusammen, als ich ruckartig aufstehe und dann beinahe auf sie stürze, weil die Bahn ausgerechnet in diesem Moment bremst. Das Gleichgewicht habe ich bereits verloren, als ich die graue Haltestange zu fassen bekomme, nach der ich in einem Reflex greife. Sie fühlt sich unangenehm glatt an, ohne dabei rutschig zu sein. Ich bilde mir ein, dass sie angewärmt ist und ein wenig feucht von den vielen Händen, die sie heute schon umklammert haben.
„Das war knapp“, sage ich.
Die junge Frau sagt nichts. Sie nickt auch nicht. Vermutlich hat sie meine Worte gar nicht mitbekommen, weil sie ja Musik hört.

An der nächsten Station steige ich aus und nehme eine U-Bahn in die entgegengesetzte Richtung. Es geht mir gleich besser. Meine Hände zittern kaum noch, und der Schweiß auf meiner Stirn trocknet, was wohltuend kühlt.
In der Drogerie an der Hauptwache kaufe ich eine Zahnbürste, Zahnpasta, Mundwasser und ein Deo in einer Sprühflasche, das angeblich orientalisch riecht – alles andere kann ich morgen noch irgendwo besorgen. Dann fahre ich mit der S-Bahn zum Hauptbahnhof und ziehe an einem Automaten ein Ticket nach Berlin. In Berlin war ich schon lange nicht mehr.
Um den Zug noch zu erreichen, muss ich einen ziemlichen Spurt hinlegen. Ich bin völlig ausser Atem, als ich den Großraumwagen betrete und nach einem freien, nicht reservierten Platz suche.
„Thomas, wo willst du denn hin?“, fragt mich Sven.
Sven ist ein Arbeitskollege, der jedes Wochenende nach Berlin fährt, wo seine Frau und zwei Kinder auf ihn warten. Da stehe ich nun im Gang von diesem blödsinnigen ICE, und der Schock, den unser zufälliges Zusammentreffen auslöst, lähmt mein Gehirn. Wo will ich hin? Nach Berlin. Aber doch nicht mit Sven! Eigentlich ist er ein netter Kerl, doch eine Diskussion über sein Lieblingsthema, die demographische Zeitbombe, ertrage ich nicht mal bis Fulda, geschweige denn bis Bahnhof Zoo.
Der Boden ist mit einem dezent blauen Teppich ausgelegt, auf dem ich ein Muster aus kleinen grauen Quadraten entdecke, die in Reih und Glied angeordnet sind. Mir wird richtig schwindelig, und ich stottere ein paar Sekunden leise vor mich hin. In Svens Augen erkenne ich einen Anflug von Besorgnis. Dann habe ich mich wieder unter Kontrolle und sage: „Nach Köln. Ich fahre nach Köln.“
Sven zieht die Augenbrauen zusammen und erklärt mir, dass dieser Zug hier aber nach Berlin fährt, und durch die Bahnhofshalle schallt eine Ansage von wegen Türen schließen selbständig.
„Mensch Sven, da habe mich wohl im Gleis geirrt“, sage ich, drehe mich um, renne los und rufe dem Zugbegleiter zu, dass ich noch raus muss. Der sieht gestresst aus und schüttelt mit dem Kopf, aber irgendwie schaffe ich es doch auf den Bahnsteig, Gott sei Dank. Allerdings springe ich so hektisch aus dem Zug, dass ich mit dem Fuß umknicke, noch ein paar Meter vorwärts stolpere und schließlich stürze. Das Jakett ist schmutzig, mein Handgelenk schmerzt, der Knöchel sowieso, aber alles in allem ist mir nichts Ernsthaftes passiert. Ich raffe mich auf und sammle die Utensilien aus dem Drogeriemarkt ein, die aus der Tüte entkommen sind, als ich sie losgelassen habe. Dann schaue ich nochmal rüber zum ICE, der sich nun in Bewegung setzt, und da ist Svens Gesicht hinter einem der Fenster. Es verzieht sich zu einem konsternierten Grinsen, was aber bei Sven nicht aussergewöhnlich ist. In den endlosen Besprechungen, die wir regelmäßig im Büro abhalten, grinst er oft so. Ich hingegen vermeide es, in diesen Konferenzen Gefühlsregungen zu zeigen. Meistens sitze ich nur da, nicke, höre nicht zu und stelle mir vor, dass ich mit dem Stuhl nach hinten umkippe, dass ich falle, durch den Boden einfach hindurchfalle, dass ich immer tiefer falle, durch endlos viele Etagen weiter und weiter.

Der nächste ICE nach Berlin fährt erst in einer Stunde, und solange kann ich natürlich nicht warten. Ich spüre die aufkommende Nervosität. Einer Anzeigetafel entnehme ich, dass in zwanzig Minuten ein Zug nach Köln geht. Köln ist ohnehin besser, nachdem ich Sven gesagt habe, dass ich dorthin will. Wenn ich nun doch nach Berlin reisen würde, und das rauskäme, dann müssten sie mich im Büro ja für verrückt erklären. Da ist Köln wirklich die bessere Wahl.
Ich hoffe, dass ich das Berlin-Ticket zurückgeben kann, und stelle mich an der Warteschlange vor einem Schalter an. Es geht jedoch überhaupt nicht voran, weil niemand, egal ob vor oder hinter dem Schalter, das neue Tarifsystem begreift. Letztendlich verlasse ich meinen Platz in der Schlange, weil mir auffällt, dass ich das Ticket verloren habe – vermutlich beim Sturz.

Ich stehe am Gleis und beobachte, wie mein ICE in den Bahnhof einfährt, als auf einmal ein Wahnsinnshupen einsetzt, wie ich es bisher bei keinem Zug gehört habe. Obwohl der ICE noch ein ganzes Stück von mir entfernt ist, kommt es mir vor, als befände sich die Hupe direkt neben meinem Ohr. Ich starre den Zug an und versuche zu ergründen, was dieser Höllenlärm soll.
Jemand tippt mir auf die Schulter und deutet auf einen kleinen Elektrowagen, der einen Anhänger mit Getränkekisten über den Bahnsteig zieht. Das Gefährt wartet einen halben Meter hinter mir darauf, dass ich ihm den Weg freigebe. Es ist also doch nicht der Zug, der so seltsam hupt – das hätte mich auch gewundert.

Diesmal löse ich das Ticket beim Kontrolleur. Das kostet zwar einen Aufschlag, aber darauf kommt es jetzt nicht mehr an. Der Kontrolleur trägt einen dreiteiligen dunkelblauen Anzug und eine rote Krawatte zu einem hellblauen Hemd – alles tadellos. Aber die Bartstoppeln an seinem Kinn werfen die Frage auf, ob er sich vor Dienstantritt rasiert hat. Vielleicht liegt es einfach nur daran, dass er ein dunkelhaariger Typ ist, und die sehen ja oft schon nach wenigen Stunden wieder unrasiert aus. Oder er will sich nicht übermäßig oft rasieren, weil er dann eine Hautreizung mit ganz vielen kleinen roten Pusteln bekommt, aber sein Vorgesetzter hat ihm deswegen mit einer Abmahnung gedroht, woraufhin er beim Betriebsrat vorstellig wurde, und da sagte man ihm, er solle sich ein Attest von seinem Arzt ausstellen lassen, und es gingen jede Menge Schriftstücke hin und her – Gott weiß, wer alles in dieser Angelegenheit involviert war.
Ich finde ein komplett leeres Sechser-Abteil – an einem Freitagabend, das hätte ich nicht gedacht. Zuerst öffne ich das Fenster eine Handbreit und freue mich darüber, dass das überhaupt geht, denn in einem dieser furchtbaren Großraumwagen könnte ich sowas ja gar nicht machen. Dann lasse ich mich in den Sitz fallen, schließe die Augen und kann mich zum ersten Mal heute entspannen.
Der Zug verlässt den Bahnhof, und die warme Abendluft des ausklingenden Jahrhundersommers weht mir durch die Haare. Ich höre, dass sich die Tür öffnet, und bete, dass es nur ein Zugbegleiter ist. Dann öffne ich die Augen und sehe die Frau, die mir vorhin auf die Schulter getippt hat, als der alberne Elektrowagen vorbei wollte, und erst jetzt fällt mir auf, dass sie gar nicht übel ausschaut. Eben auf dem Bahnsteig war ich so verwirrt, dass ich sie kaum wahrgenommen habe.
„Ist hier noch frei?“
Sie spricht langsam und deutlich und einen Tick zu laut und zeigt dreimal auf den Sitzplatz mir schräg gegenüber. Weil mir nichts Geistreiches einfällt, das ich sagen könnte, beschränke ich mich auf ein Lächeln und ein Nicken.

Hinter Mainz führen die Schienen am Rhein entlang. In den grünen Hängen des Flusstals tummeln sich kleine Burgen und Schlösser, und ich bin mittlerweile froh, dass ich mich für diese märchenhafte Strecke entschieden habe.
Von Zeit zu Zeit wende ich den Blick von der Landschaft ab, und schaue kurz rüber zu der Frau, die mit einem Bleistift Wörter in einem medizinischen Fachbuch unterstreicht. Sie ist bestimmt eine Studentin.
Alle paar Sekunden streift sie sich die Haarsträhnen hinters Ohr, die ihr sofort wieder ins Gesicht fallen, weil sie den Kopf gesenkt hält. Vermutlich hat sie sich das während der unheimlich langweiligen Unterrichtsstunden irgendwann in der sechsten oder siebten Klasse angewöhnt – den Kopf so zu senken und dauernd die Haare wegzustreichen, und als sie mit ihrem letzten Freund Schluss gemacht hat, obwohl der ein lieber Kerl war, aber irgendwie passte es eben doch nicht, da hat sie noch viel mehr mit ihren Haarsträhnen herumgespielt als früher, wie sie noch ein Kind war, und es ist ihr wieder einmal bewusst geworden, wie schrecklich sie diese Angewohnheit findet. Aber ich mag es, wenn sie das macht.
Einmal, als ich rüberschaue, kramt sie in ihrem Rucksack und zieht eine Papiertüte heraus, die sie wegwerfen möchte. Ich ziehe den Deckel des grauen Abfallbehälters hoch, der unter dem Fenster angebracht ist, damit sie die Tüte samt Inhalt hineinstopfen kann. Wir müssen beide grinsen - wahrscheinlich, wegen der Winzigkeit des Behälters. So kleinen Abfall gibt es ja überhaupt nicht. Das erinnert mich ans Militär. Da hatten die Mülleimer auf den Stuben zwar eine normale Größe, aber sie mussten rund um die Uhr geleert sein, und das ist irgendwie derselbe Unsinn.
Ich sehe hinunter zum Fluss, der in Folge der Hitze dieses Rekordsommers zu einem schmalen Rinnsal verkümmert ist. Die Abendsonne glitzert auf den müden Wellen, und ich stelle mir vor, dass wir, die Studentin und ich, dort unten auf den Kieseln des ausgedehnten Ufers sitzen.
Nachdem wir Koblenz hinter uns gelassen haben, benutzt sie ihr Mobiltelefon.
„Hier ist die Karo“, sagt sie und teilt ihrem Gesprächspartner mit, wann sie ankommen wird und dass sie heute abend noch ausgehen will. Sie sagt auch wohin und fragt, ob er oder sie nicht mitkommen möchte.
„Tschüss“, sagt sie zu mir, bevor sie in Bonn aussteigt.
Ich lächle und hebe die Hand.

Als ich durch den Kölner Hauptbahnhof gehe, dämmert es bereits. Durch die Glasfassade der Vorhalle kann ich den Dom betrachten, und der ist beinahe schwarz. Das hat aber nichts damit zu tun, dass es draussen dunkel wird, das ist klar, denn der Dom wird angestrahlt. Nein, es muss an den Tonnen von Abgasen liegen, die sich tagtäglich in den Sandstein fressen. Während mich der Anblick dieses kränkelnden Bauwerks geradezu fertig macht, renne ich einen älteren Herrn um, der sich nur mit aller Mühe nach unserem Zusammenstoß auf den Beinen halten kann. Er ist ziemlich aufgebracht und sagt, dass ich gucken soll, wo ich hinlaufe. Damit hat er natürlich Recht, und ich entschuldige mich mehrmals. Dann frage ich ihn, von welchem Gleis aus die Züge nach Bonn gehen. Ich merke nämlich plötzlich, dass ich nicht länger in Köln bleiben kann. Er sagt, dass er das nicht weiß, und dann fügt er hinzu, dass ich aber auch eine U-Bahn nehmen könnte, gleich dort drüben links. Die nehme ich auch, denn für alles andere fehlen mir die Nerven.

In der U-Bahn schlafe ich ein, und als ich aufwache, liegt das Tunnelsystem und die Stadt hinter mir. Auf den Bänken sitzen nur noch vereinzelt ein paar Leute herum, und niemand unterhält sich. Am Fenster zieht eine gewalltige Raffinerie vorbei, deren Kessel und Leitungen von Millionen Neonröhren beleuchtet werden. Ich stelle mir vor, wie diese Anlage in ihre Bestandteile zerlegt und nach China oder Indien verschifft wird, nachdem so ein aufstrebender Manager mit seinem gewinnenden Lächeln und einer neuen Formel aus einer Fortbildung berechnet hat, dass sich das alles hier nun nicht länger rentiert. Genauso wird es kommen, und die Fürsten der Dienstleistungsgesellschaft werden ihre Mobiltelefone ans Ohr pressen, das Geschäft mit den Chinesen oder Indern aushandeln und dann in ihren Sportlimousinen nach Hause fahren und ihren Frauen erzählen, dass früher die Provisionen lukrativer waren. Wie ich mir das vorstelle, muss ich laut lachen, und die übrigen Fahrgäste blicken verstohlen zu mir rüber. Ich versuche, an etwas anderes zu denken, weil ich nämlich viel zu oft über diesen ganzen Irrsinn - die Wirtschaft und diese Sachen - nachdenke, und dann spüre ich so einen ungesunden Hass auf die Welt.

Ich nehme das erste Hotel, das ich in Bonn entdecke. Es ist ein kleines Hotel am Rande der Altstadt, und der Mann an der Rezeption will mit mir über den Post-Tower reden. Keine Ahnung warum. Vielleicht, weil ich nicht direkt losstürme, als er mir den Zimmerschlüssel aushändigt. Da denkt er wohl, ich möchte noch ein wenig Konversation treiben, dabei will ich mich eigentlich nur einen Augenblick sammeln. Oder er meint, dass mich dieser Tower interessiert, weil ich ja aus Frankfurt komme und mich also mit Hochhäusern auskenne. Jedenfalls erzählt er, dass jeder Bürger seine Einwände gegen den Bau des Towers einreichen konnte. Im Stadthaus gab es einen Raum, wo Zettel bereit lagen, auf denen man seine Bedenken ausformulieren konnte. Dann gab man seinen Zettel einem der anwesenden Sachbearbeiter.
„Was wurde aus den Zetteln?“
Ich frage ihn das eher aus Höflichkeit, denn im Grunde ist mir das Schicksal dieser armseligen Zettel völlig gleich. Er zuckt mit den Schultern.

Es ist kurz nach zehn, und ich beschließe, einen Spaziergang zum Fluss zu unternehmen – vom Hotel aus sei es nicht weit dorthin, sagt der Mann an der Rezeption. Mein Jakett lasse ich im Zimmer, weil die Temperatur auch über Nacht nicht ernsthaft zurückgehen will. Vielleicht sollte man irgendwo im Süden leben, wo es sich immer so verhält mit der Temperatur. Vielleicht wäre das die Lösung.
Einer meiner Cousins ist letzes Jahr nach Fuerte gezogen. Er ist dort Teilhaber von einer Ferienanlage, und wenn er auf der Terasse sitzt und die eingeflogene Tageszeitung aufschlägt und liest, dass es hier mal wieder nicht voran geht mit den dringenden Reformen, dann lächelt er bestimmt und sagt leise vor sich hin: „Ja, so sind sie.“
Ich wandere die Promenade entlang auf den das Panorama dominierenden Post-Tower zu, dessen gesamte Front abwechselt rot, gelb und blau leuchtet. Dieses Ungetüm ist eine überdimensionierte Terrorlitfasssaeule. Fast Food fürs Auge, an das man sich erschreckend schnell gewöhnt.
Allerdings kenne ich in Frankfurt wesentlich hässlichere Hochhäuser, und einige davon sehen sogar dermaßen grauenvoll aus, dass es wohl Absicht gewesen sein muss. Ich frage mich, was aus den Architekten geworden ist. Begreifen sie mittlerweile, was sie da angerichtet haben? Quält sie ihr Schuldbewußtsein? Treibt es sie in den Wahnsinn oder zum Selbstmord?
Vor dem Post-Tower steht ein weiterer Turm, der um ungefähr ein drittel niedriger ist und so klobig, dass ich mir wünsche, er stünde doch wenigstens dahinter, damit mir sein Anblick erspart bliebe. Das ist alles kaum zu fassen, und ich bedauere bereits, dass ich mir ein Zimmer in dieser Stadt genommen habe.
Der kleinere Turm muss das ehemalige Abgeordnetenhaus sein. Als sich der Regierungssitz noch hier befand, wurde das Gebäude öfters mal in der Tagesschau gezeigt, daran erinnere ich mich, und mir rauschen einige Bilder durch den Kopf, die mit der Fahndung nach RAF-Mitgliedern und Demonstrationen gegen Atomkraft zu tun haben. Damals, als ich noch zur Grundschule ging, hatte ich immer ein bisschen Angst, dass mich die RAF entführen oder erschießen könnte, oder dass ein Kraftwerk hochgehen könnte, so wie es später, als ich längst nicht mehr an Super-GAUs geglaubt habe, in Tschernobyl tatsächlich passiert ist.
Jedenfalls waren in den Siebzigern immer Leute mit wirren Frisuren und überdimensionierten Brillen im Fernsehen zu sehen, und irgendwie ist allen erst viel später aufgefallen, wie lächerlich das aussah.
Aber es gab eben auch noch Hoffnung damals, weil man dachte, wenn erstmal die durchgeknallten RAF-Menschen gefasst sind und das mit der Atomkraft geregelt ist und die Russen friedlich bleiben, dann wird es schon richtig aufwärts gehen. Da ahnte man ja noch nichts von der Globalisierung.

Ich suche mir ein Taxi und sage dem Fahrer, dass ich zum Jazzkeller will, aber den kennt er nicht. Ich kenne den auch nicht, aber Karo, die Studentin aus dem Zug, wollte heute abend dorthin. Das habe ich ihrem Telefonat entnommen.
„Es gibt die Jazz-Galerie in der Oxfordstrasse“, meint der Fahrer.
„Jazz-Galerie. Genau, das ist es“, sage ich.
Der Fahrer gibt Gas, und ich bin gespannt, ob ich sie treffen werde.

 

Hallo groper,


es freut mich, dass du auch mal eine Geschichte von mir gelesen hast - und auch noch diese Lange.

Deinen Kritikstil empfinde ich persönlich als relativ aggressiv, aber da ich weiß, dass das eben so deine Art ist, nehme ich das natürlich nicht persönlich.


Viele Grüße
Tom

 

Hallo Tom!

Also eigentlich bin ich immer sehr gutmütig, aber deine Kurzgeschichte ist nicht gerade unlangatmig (gibt`s das Wort???). Als der Prot aus dem ICE springt, wäre es spätestens Zeit gewesen zur Sache zu kommen .... oder ein Ende zu finden. Sei mir nicht böse, aber ich muss groper in gewissen Maße recht geben ... obwohl ich mich als Neuling nicht so weit aus dem Fenster lehnen sollte ...

Gruß,
Theo

 

Hello Tom,

da hast Du aber Langeweile in epischer Breite zelebriert und auch wirklich jede gedankliche Kleinigkeit aufgeschrieben, die niemanden interessiert und auch die Geschichte nicht voranbringt, z.B.:

'Der Kontrolleur trägt einen dreiteiligen dunkelblauen Anzug und eine rote Krawatte zu einem hellblauen Hemd – alles tadellos. Aber die Bartstoppeln an seinem Kinn werfen die Frage auf, ob er sich vor Dienstantritt rasiert hat. Vielleicht liegt es einfach nur daran, dass er ein dunkelhaariger Typ ist, und die sehen ja oft schon nach wenigen Stunden wieder unrasiert aus. Oder er will sich nicht übermäßig oft rasieren, weil er dann eine Hautreizung mit ganz vielen kleinen roten Pusteln bekommt, aber sein Vorgesetzter hat ihm deswegen mit einer Abmahnung gedroht, woraufhin er beim Betriebsrat vorstellig wurde, und da sagte man ihm, er solle sich ein Attest von seinem Arzt ausstellen lassen, und es gingen jede Menge Schriftstücke hin und her – Gott weiß, wer alles in dieser Angelegenheit involviert war.'

Ausführlicher ging's nicht?

Vielleicht passt diese überzogene Detailverliebtheit in die Rubrik 'Satire', aber wenn sie einigermaßen lesbar sein soll, müsste sie wohl um gut die Hälfte gekürzt werden. Das würde vom Inhalt ja nicht unbedingt etwas kosten. ;-)

Viele Grüße vom gox

 

Hallo teo, hallo gox,


erstmal danke fürs Lesen und fürs Feedback.

@teo: ich bin dir bestimmt nicht böse. Ich bin für jede Kritik dankbar, und wenn sie ehrlich (also ruhig auch mal negativ) ist, und nicht gleich irgendwie beleidigend, dann ist das eine große Hilfe für die eigene Weiterentwicklung.

@gox: die gedanklichen Kleinigkeiten, die ich aufgeschrieben habe, und die niemanden interessieren und auch die Geschichte nicht voranbringen, sind in meinen Augen die Geschichte. Sie besteht ja aus nichts anderem als einer Auflistung solcher Gedanken, eingebettet in der Rahmenhandlung einer spontanen Reise. Diese gedanklichen Kleinigkeiten sind der Eingang in die Gedankenwelt des Prot, und ganau das war mein Ziel. Dass euch das ganze langweilt, war natürlich nicht geplant, aber da muss ich nun wohl leider durch.

Mit Satire hat das sicher nichts zu tun - trotz der überzogenen Detailverliebtheit.


Viele Grüße
Tom

 

Hello Tom -

gegen gedankliche Kleinigkeiten, auch Nichtigkeiten oder Phantasien als Geschichte ist sicher nichts einzuwenden. Nur möchtest Du den Leser ja auch dazu bringen, noch den folgenden Satz zu lesen und dafür empfehle ich doch eine deutliche Straffung.

Viele Grüße vom gox

 

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