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Frühjahrsangst

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07.08.2005
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Frühjahrsangst

„Sommerlicher Frühlingsdunstkreis heute morgen um 10 Uhr gesichtet. Alle Betroffenen bitte umgehend im Auffanglager registrieren. Es ist noch nicht zu spät. Die Keller sind noch nicht bis zum letzten Platz belegt. Sonderangebote erwarten Sie. Gebt der Sonne keine Chance!“

Sie lief an dem Gewühl Mensch vorbei, hörte die Stimme aus den Lautsprechern auf die Straße platschen und sah gen Himmel. Jetzt schon, dachte sie. Es ist doch erst Januar. Jedes Jahr wird dieser Zirkus vorverlegt, kaum spürbar, immer um ein zwei Tage. Irgendwann sind die Keller nur noch besetzt. Stammkunden gibt es schon in Unmengen.
Wieder Pritsche 6, bitte.
Kein Problem Frau Meier, angenehmen Aufenthalt, wünsche ich.
Das war ihr Text, wenn die Saison angefangen hatte.
Sie bog um die Ecke. Ein Flugblatt klatschte an ihre Beine. Sie blieb stehen und hob es auf. Las kurz und überließ es wieder dem kalten Wind.
Sie verdiente nicht viel. Aber für einen Mantel, der warm hielt, reichte es allemal. Sie mochte den Winter trotzdem nicht und unter ihr, an ihrem Arbeitsplatz, war es ständig kalt und feucht. Sie konnte es einfach nicht verstehen. Diese Hysterie, die mit dem Frühjahr verbunden war. Natürlich hatte Wärme auch ihre Nachteile. Sonne war in hohen Dosen sicherlich auch nicht allzu großartig für die Haut und die Gesundheit, sagte man ihr nach, doch deswegen in Kellern verschwinden, wie die Milch in Tetrapacks verschwunden war? Naja, sie wusste nicht, ob sie diese Erklärung befriedigte.

Nach ein paar weiteren Metern war sie am Eingang des Kellers angekommen. Die Schlange war lang, aber nicht unüberwindbar.

Einen Moment, bitte. Nicht drängeln, wir haben noch Plätze für sie alle. Keine Panik. Du bist zu spät, Kleines. Husch, Husch.

An dem Klumpen Mensch vorbei, hinein in den grauen Alltag des Jobs. Es gab nicht mehr viel Auswahl auf dem Arbeitsmarkt, also wozu beschweren. Hinein in die Uniform und an den Eingang stellen. Knips, da war das Lächeln.

Willkommen im Underworld Palace, was kann ich für sie tun? Einzelpritsche? Welches Stockwerk? Schauen wir mal. Ah ja, Flur 10 wäre noch möglich. Ja natürlich, besonders kühl und schattig. Hier Ihre Handtücher, wenn es Ihnen an etwas fehlt, klingeln. Und denken sie dran: Geben Sie der Sonne keine Chance!

In der Mittagspause nach unzähligen neuen Gästen verschwand sie nach draußen, um eine Zigarette zu rauchen. Dabei rauchte sie gar nicht. Aber falls sie jemand fragen sollte, was sie denn an der frischen Luft so dringend wollte, war das die Standardantwort. So hatte sie es auf der Berufsschule gelernt und es stand in der Einweisung vom Chef höchstpersönlich diktiert und abgesegnet.

Es war immer noch kalt, der Wind war noch stärker geworden und sie fror kurz. Bis sie die Augen schloss. Scheiß Job. Wirklich beschissen, schlecht bezahlt und sie hatte zweimal monatlich entweder eine Unterkühlung oder eine Blasenentzündung oder beides. Ihr Atem war zu sehen. Sie freute sich so sehr auf das Frühjahr. Gott, wie sie sich darauf freute von der Sonne ausgetrocknet zu werden und das ohne einem Klumpen Mensch zu begegnen.
Herrlich.

 

Hey choc,

mich beschleicht das Gefühl, dass die Geschichte etwas (zu) stark von der Tetrapak-Werbung mit dem Essen im Dunkeln beeinflusst ist...Ich lese die arbeitsmäßige Gefangenschaft in einer ungeliebten Welt heraus, und den gegen diese Welt gerichteten emanziperten Individualismus, der in gewissem Sinne noch von der Engstirnigkeit der Masse profitiert. Aber leider ist das aus meiner Sicht kein "revolutionärer" Ansatz, sondern ein schon seit langer Zeit klischeeisiertes Inseldenken einer vermeintlich intellektuellen Masse. Ohne besserwisserisch klingen zu wollen kann ich in diesem Zusammenhang allen, die es noch nicht gelesen haben, wärmstens Sartres Stück "Die schmutzigen Hände" empfehlen. Stilistisch finde ich den Übergang von hochgestochener Gewühl-Klumpen-blickte-gen-Himmel-Sprache zu Umgangsfloskeln nicht in jedem Fall geglückt.

gruß, nils

 

Guten Tag erstmal,

ah ja. Ich muss gestehen, dass doch tatsächlich die Werbung große Muse dieser Geschichte war und rein vom Lesen bemerke ich selbst noch einige Holpersteine. Da gebe ich Recht, obwohl es nett wäre, wenn du die Übergänge, die du nicht für gelungen hälst, genauer benennen würdest. Du hast ziemlich stark interpretiert, interessant, interessant und ich höre heraus, dass du was gegen die vermeintlich intellektuelle Masse hast, zu der du vermeintlich nach deinem Ausdruck her auch zu gehören scheinst.;)
Revolutionär sollte das nicht sein und der ganze Text ist aufgebaut aus Klischees. Aber gut, ich gehe in mich und denke drüber nach. Werten Dank für deine Kritik.

Liebe Grüße A.H.

 
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Hi choc!

Mir ging es ähnlich wie nils: Ich versuchte die ganze Zeit, eine relevante gesellschaftskritische Botschaft herauszulesen, aber irgendwie wollte mir das nicht so richtig glücken. Ein einzelner Mensch stemmt sich gegen die Masse und wird dadurch frei. Das ist schön für den einzelnen Menschen, aber es ändert die Verhältnisse nicht. Na ja, vielleicht wolltest du auch nur ein wenig "Eskapismus" rüberbringen. Dann wäre ich nur unzufrieden mit der Aussage, nicht mit der Machart des Textes. ;)
Eines aber ist wichtig anzumerken: Die Furcht vor der Sonne kommt mir etwas zu parabelhaft rüber, weshalb du den Text besser nach "Philosophisches" verschieben solltest. Da wird er auch von Anfang an philosophisch aufgenommen. Ich hatte nämlich durchaus Schwierigkeiten, dieses Angst-vor-Sonne-Motiv richtig einzuordnen, und nur dank nils' Kommentar ist mir das gelungen.

Ein paar Einzelheiten:

Aber für einen Mantel, der warm hielt, reichte es allemal. Sie mochte den Winter trotzdem nicht, und unter ihr, an ihrem Arbeitsplatz, war es ständig kühl und feucht.

Warum trotzdem? Sollte sie den Winter mögen, weil sie sich seinetwegen einen Mantel leisten kann? Das ist unlogisch, denn sie kann ja nur arbeiten, wenn der Winter sich dem Ende nähert. Und in welcher Beziehung steht das Nicht-Mögen zu den Eigenschaften des Arbeitsplatzes?
Die Beziehungswörter scheinen mir nicht richtig gewählt zu sein. Eigentlich sind es ja drei völlig verschiedene Gedanken und sollten auch in unterschiedlichen Absätzen eingeflochten werden.
Das Wort kühl passt auch irgendwie nicht, weil da immer die Konnotation "angenehm" mitschwingt. Da solltest du kalt einsetzen.

Natürlich hatte Wärme auch seine Nachteile.

Ihre.

Sonne war in hohen Dosen sicherlich auch nicht allzu großartig für die Haut und die Gesundheit, sagte man ihr nach,

Der nachgeschobene Nebensatz ist ein wenig unglücklich, und das Wort großartig - nun, das könnte Absicht sein, um die Frau als wenig gebildet zu charakterisieren, aber du könntest es trotzdem durch gut ersetzen.
Also: Na schön, Sonne war in hohen Dosen sicherlich nicht allzu gut für die Haut und die Gesundheit. Jedenfalls sagte man ihr das nach.

Willkommen im Underworld Palace, was kann ich für sie tun?

klingeln und denken sie dran

Für Sie.

In der Mittagspause, nach ungefähr 30 neuen Gästen und ihrer Abfertigung

Wichtig ist hier nicht die ungefähre Zahl, sondern die Größenordnung. Außerdem ist der letzte Teil überflüssig, weil offensichtlich.
Mein Vorschlag: In der Mittagspause, nach unzähligen Gästen, verschwand sie ...

verschwand sie nach draußen, um

Vergiss nicht, die Kommas einzufügen, an den von mir angegebenen Stellen. ;)

und sie hatte zweimal monatlich entweder eine Unterkühlung oder eine Blasenentzündung oder beides.

Das macht es allerdings völlig unverständlich, warum die Leute so erpicht auf diese unterkühlten Räume sind. Du schreibst in dem Text, dass die Gesellschaft der Sonne schädliche Eigenschaften zuschreibt, aber nicht der Wärme. Deshalb würde ich den Aspekt mit den kalten Räumen besser ganz weglassen. Lass die Leute sich nur vor der Sonne fürchten.

Scheiß Job. Wirklich beschissen, schlecht bezahlt

Das mit der Bezahlung lässt die Prot ein wenig kleingeistiger wirken, als ihre rebellische Haltung gegen die Gesellschaft nahelegt. ;)

Ciao, Megabjörnie

Edit: Hab deinen Kommentar erst nach dem Posten gelesen.

 

Guten Abend Megabjörnie,

Danke für die Verbesserungsvorschläge. Ich setz mich dran sobald ich Zeit habe. Die Kommata sind mein Verhängnis, ich denk meist nicht dran im Schreibfluss sind sie immer so störend;) . Der Mantel sollte so ein bischen darauf anspielen, dass sie sich finanziert mit dem Job, den ihr erst andere und deren Dummheit ermöglichen, aber dieser Mantel sie auch mit dem Winter in Verbindung bringt, den sie so gar nicht mag. Die Prot. sollte eigentlich überhaupt nicht individuell nur normal im Gegensatz zur Masse wirken. Scheint nicht so geglückt:dozey: Sie verdient ihr Geld damit, ihr ist im Grunde ziemlich egal, welcher Trend ihr Leben finanziert. Ihr reicht das, was sie macht aber auch nicht. Im Grunde will sie mehr Geld verdienen und ärgert sich darüber, dass sie nur diesen Job machen kann. Der Klumpen Mensch- natürlich sehr stark Klischeebehaftet diese Formulierung- lässt alles mit sich machen, wie Milch in Tetrapacks- das Bild ist mir wichtig- lässt er sich aus Irrglauben, durch Werbung in sein Hirm verpflanzt, einpferchen. Der normale Menschenverstand- die Prot.- sagt doch eindeutig: Schwachsinn. Wärme ist gut und schön. In Kellern ist es dunkel und feucht und ungemütlich, wie kann man nur. Aber es funktioniert. Man weiß nicht wie, aber es klappt. Vermarkte etwas richtig und der Verstand setzt aus. Das war mein Anliegen. Mich irritiert so etwas nämlich sehr stark. Wie geht das? Frage ich mich und ich frage mich das, arbeite aber wenig daran, es zu ändern. Das ist nämlich die Prot. genau diese Einstellung hat sie: Ach wie dumm die Menschen sind, aber ich verdiene dran. Gut so. Sie will nicht verändern, sie will nicht drüber nachdenken, wie man die Menschen verändert. Sie ist im Grunde ein Bild des alltäglichen Menschen. Seien wir ehrlich, es gibt eine Masse und wir gehören dazu, wir denken nur, wir sind anders, leben es aber nicht so stark aus, dass wir uns sagen könnten, etwas verändert zu haben. Deshalb Gesellschaft und nicht Philosophie. Daran ist nichts philosophisch. Die Sprache, die sich auf sie bezieht, ist nur so gewählt ausgedrückt um ihre Sicht von sich selbst zu zeigen, die sich von ihrem eigentlichen Dasein aber unterscheidet. Ich muss noch daran arbeiten. Das kommt noch nicht stark genug heraus. Ich danke dir auf alle Fälle. Solche Kritik lese ich gern, das hat Inhalt, darauf kann ich reagieren. Gut einen wunderschönen Abend noch.

Liebe Grüße A.H.

 

Der Klumpen Mensch- natürlich sehr stark Klischeebehaftet diese Formulierung- lässt alles mit sich machen, wie Milch in Tetrapacks- das Bild ist mir wichtig- lässt er sich aus Irrglauben, durch Werbung in sein Hirm verpflanzt, einpferchen. Der normale Menschenverstand- die Prot.- sagt doch eindeutig: Schwachsinn. Wärme ist gut und schön. In Kellern ist es dunkel und feucht und ungemütlich, wie kann man nur. Aber es funktioniert. Man weiß nicht wie, aber es klappt. Vermarkte etwas richtig und der Verstand setzt aus.

Du hast aber nicht die Werbung selbst dargestellt, sondern nur ihre Wirkung. Dadurch gibt es nichts, was das Verhalten der Masse plausibel machen könnte. Davon abgesehen ist es ja nicht so, dass die Masse nur passiv falsche Wahrheiten des Marketings aufnimmt, sondern umgekehrt das Marketing auch auf aktuelle Trends im gesellschaftlichen Mainstream reagiert. Demnach müsstest du also noch einen Faktor einbauen, der plausibel macht, warum die Masse diesen Schwachsinn glaubt. Zum Beispiel Nachrichten von der dünner werdenden Ozonschicht; es gibt gerade in Deutschland immer wieder Hysterien wegen zum Teil lächerlicher bis ersponnener Risikofaktoren wie Rinderwahn, Maul- und Klauenseuche, Vogelgrippe oder Feinstaub - da ließe sich bestimmt was machen.

 

Guten Morgen Megabjörnie,

Das ist gut, dann bekommt der Text vielleicht auch mehr Fluss. So habe ich immer das Gefühl, es fehlt was. Ich muss nur schauen, wie am besten verknüpfen. Ob ich es vorweg stelle oder irgendwo als Hinweis platziere. Mal schauen.
Ja ich lese gerade noch mal, es lässt wirklich nicht so eindeutig erkennen, wieso sie das tun. Ich finde auch immer mehr, dass die Sprache "holpert". Ach ja. So ist das.
Danke dir.

Alles Liebe
A.H.

 

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