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Frühlingserwachen

Mac

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16.11.2005
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Frühlingserwachen

"Jetzt kommen auch schon die ersten Bienen für heuer! Es ist früher als sonst, dabei sprießen die Blüten noch nicht mal richtig."

Ich konnte ihre Stimme durch das Fenster hindurch hören. Die Jalousien waren heruntergezogen, aber ich stellte mir Brigitte so vor: das Trägerleibchen offenbarte ihre zarten, blassen Schultern, die eine verborgene Wildheit erahnen lassen. Und eine Süße, die wahnsinnig macht. Sie war guter Laune, lachte und sprach von ihrer Terrasse aus mit dem Nachbarn von unterhalb.

Ich trank meinen Kaffee und roch an dessen Dampf, der einen Geruch von Schweiß und Erde aus der Tasse hervorbrachte, als ob die Kaffeebauern selber herauskämen, und der ein vietnamesisches Plantagenpanorama in meinem Wohnzimmer erschuf. Schwarz und zuckerlos wärmte mich diese Brühe und weckte mich auf.

Sie war wieder in ihrer Wohnung, ließ aber die Fenster offen, um dem Frühling Einlass zu gewähren. Sie summte und öffnete den Kühlschrank, der wahrscheinlich genauso leer wie meiner war, aber sie war ja auch erst seit gestern Abend von ihrer Konzertreise wieder zurück.

"Ich sag' dir, die Wintersaison war noch nie so gut, sie könnte aber besser laufen, wenn du deinen Job machen würdest", sprach sie ins Telefon. "Lediglich ein Journalist, noch dazu von einer Jugendzeitung war da und hat mich genervt. Nein, das kommt nicht in Frage… du musst damit fertig werden ... du hast mir diesbezüglich nichts zu sagen." Sie hängte auf.

Auch sie trank einen Kaffee, wahrscheinlich mit Milch und Zucker. Ich saß hier auf meiner Ledercouch und schlürfte mißmutig den braunen Sud in mich hinein. Meine Zähne mahlten die Körner noch einmal, mein Gaumen zog sich zusammen, ich biss zu und schmeckte die Bitterkeit und ließ sie auf mich wirken. 'Anaïs wird heute kommen um die Sachen zu holen, bevor sie wegfliegt. Ich hoffe, es wird schnell gehen. Nur keinen Streit diesmal.'

Anaïs, Ana- ïs. Ein kurzes erstes A und ein langes Ï. Wir lachten beide, als sie es mir damals erklärte.

Ich ging ins Badezimmer und versuchte sie zu erriechen, aber ihre Kosmetika hatte sie schon mitgenommen. Da war zwar ein Parfum, aber eigentlich war es meines, und sie hatte es auch nur dieses eine Mal verwendet, damals am Morgen als sie die erste Nacht hier war. Ich ging zurück ins Wohnzimmer, denn sie wollte ja doch nur ihre Dokumente und Briefe, die noch hier herumlagen, abholen.

Während ich meinen Schreibtisch durchwühlte, konnte ich Brigittes Geigenspiel hören, wie jeden Morgen, wenn sie da war. Anaïs hat es immer gehasst und in den Wahnsinn getrieben. Mich hat Anaïs' Wahnsinn immer in den Wahnsinn getrieben. Die Tournee schien ihrem Geigenspiel jedenfalls gut getan zu haben, sie spielte lockerer, fröhlicher. 'Ich wette Anaïs wird ihren Senf dazugeben müssen: "Zumindest bin ich dieses Gejaule los" oder so was Ähnliches.'

Ich steckte alles, was ich finden konnte in ein großes Briefkuvert. Das meiste war wahrscheinlich nur Junk, aber sie wollte noch einmal hierher kommen: die ultima conditio-sine-qua-non der Abschiedszeremonie. Ich fand noch meinen alten Amerika-Reiseführer und legte ihn zum Kuvert. 'Man konnte ja wirklich alles nüchtern betrachten und als Erwachsene handeln. Was war schon dabei?'

Gedankenverloren blätterte ich den Reiseführer durch und lauschte dem Geigenspiel. Ich wusste nicht, was sie spielte, aber es gefiel mir. Die Sonne schien nun auch in mein Fenster, sodass ich die Jalousien hochzog und es aufmachte. Ich setzte mich wieder auf die Couch und blätterte weiter im Führer. Erinnerungen überkamen mich. Bilder der Ostküste bauten sich vor mir auf, North Carolina im Herbst, Chapel Hill und Kimberly, die Rothaarige aus Vancouver. Auch sie hatte eine Elfenbeinhaut, so wie Brigitte. Ich musste das Buch wieder weglegen und ging zum Fenster und atmete die laue Morgenluft ein. Brigitte Sohnd, die Schwedin. Sah aber überhaupt nicht schwedisch aus, denn sie war weder blond noch groß, sondern genau das Gegenteil. Nicht so wie Anaïs. Die war blond und groß. Anaïs hatte aber auch immer ein sonniges Gemüt, zumindest mir gegenüber und zumindest solange bis sie Christian kennen lernte.

Ich hörte wie das Telefon ihr Geigenspiel unterbrach. "Seit Gestern. Natürlich. Ich werd' dir alles erzählen müssen, aber nicht am Telefon. Komm doch später vorbei. So gegen vier?"

Anaïs würde reinrauschen, mitleidig einen Rehblick aufsetzen und gut Freund bleiben wollen, als ob es an mir alleine liegen würde. Andererseits wusste ich auch, dass es besser so war, sie würde in die Staaten reisen, und das war es auch schon. 'Es war doch eh schon so lange vorbei, und nicht erst seit ich sie Christian vorgestellt habe.'

"Und dann hat er mich um meine Telefonnumer gefragt, so ganz beiläufig und mir gleichzeitig seine Visitenkarte in die Hand gedrückt. Ich wusste ja, worauf das hinauslaufen würde. Natürlich habe ich nicht, aber er wird mich besuchen. Nein, nein, nichts dergleichen."

Brigitte schien nun doch alles am Telefon erzählen zu müssen.

Eigentlich wollte ich heute Nachmittag noch Verschiedenes erledigen, aber ich wusste jetzt schon, dass daraus nichts werden würde.

Der Kaffee schmeckte besonders gut. Ich nahm daher noch mal die Dose mit den Bohnen vom Regal, gab mehrere Löffel von der dunkelbraunen Masse in die Mühle und drückte für zwanzig Sekunden den Knopf. Der Duft war nun allgegenwärtig. Zusammen mit dem Reiseführer machte er richtig Reiselaune. Indonesien, Hawaii oder doch nach Jamaika zum Blue Mountain?

Anaïs hatte nie meine Liebe zum Kaffee geteilt. Sie rümpfte zwar immer die Nase, wenn ich mal in einem Restaurant Filterkaffee haben wollte, aber von Kaffee hatte sie in Wirklichkeit keine Ahnung, nur soviel, dass Filterkaffee unter dem Genuss von Espresso liegen muss. Mir war jegliche Kaffeezubereitung lieb. Sei es Espresso, Filter, die Französische Presse oder türkisch. Auf die Röstung kam es auch an, und wenn man mal anfängt damit herumzuexperimentieren, erkennt man, dass unterschiedliche Arten der Zubereitung und Röstung eben unterschiedliche Getränke und Genüsse hervorbringen und somit war Filterkaffee für mich nicht weniger wert als Espresso. Aber ich schätze, eine italienische Erfindung hat einfach mehr Sex-Appeal als die einer deutschen Hausfrau.

Auf der Wand vis-à-vis der Küche war ein helles Rechteck sichtbar, wo zuvor noch Anaïs' Gemälde gehangen hatte. Ich hatte es ihr damals auf unserer Venedigreise gekauft, in einer Galerie im jüdischen Ghetto. Es waren venezianische Motive darauf, alles sehr farbenfroh und hatte damals irgendwie zu uns gepasst. Es wunderte mich eigentlich, dass sie es beim Auszug mitgenommen hatte, da sie das Bild immer als reinen Kitsch ansah. Aber nun war es zum Glück weg. Was hätte ich damit auch anfangen sollen?

Noch bevor sie den Schlüssel in die Wohnungstür steckte, erkannte ich sie am Klang ihres Ganges.

"Ich habe schon einen Reiseführer. Danke, aber." Während wir im Wohnzimmer standen, spielte ich mit meinem Ohrläppchen. Mit der anderen Hand kratzte ich mir mein Kreuz. Anaïs sah aus wie immer. Hübsch. Aber die Art, wie sie danke sagte, ärgerte mich schon wieder.

"Ich hab' den Reiseführer teilweise beschriftet und kommentiert. Aber es stimmt schon, er ist schon ein paar Jahre alt."

Sie durchsuchte die Papiere im Kuvert und begann dann wie selbstverständlich die Schreibtischschubladen zu öffnen.

"Da hab' ich schon alles durchsucht. Nimm das Kuvert, lass den Schlüssel auf dem Tisch und geh einfach." Warum ich mich so ärgerte, wusste ich nicht. Sie sah mich jedenfalls an, als ob ich ihr eine geknallt hätte. Ich fühlte mich plötzlich hundselend. "Magst du Kaffee?"

"Nein, Christian wartet unten", knallte sie mir zurück.

Nun zupfte Anaïs am Ohrläppchen und kratzte sich mit dem rechten Fußrücken den linken Unterschenkel. Das türkisblaue enge Leibchen betonte ihre sportliche Figur und ihr glattes blondes Haar wirkte heller als sonst. Anais' verzerrtes Lächeln offenbarte wie fremd wir uns schon waren. Sie wandte ihren Kopf. Ganz langsam durchmaß sie die Wohnung, ließ das große Bücherregal, die modernen Möbel und die alte Chesterfieldcouch noch mal auf sich wirken. Sah hinüber in die Küche, wo die Espressomaschine stand, die sie mir zu meinem Geburtstag oder zu Weihnachten geschenkt hatte. Eine La-Pavoni-Handhebelmaschine, verchromt mit Cappuccinoautomatik. Ich hatte sie nur ein paar Mal verwendet, da mir der Espresso aus dem Cona-Coffee-Maker einfach besser schmeckte.

"Deine Wohnung schaut eigentlich scheiße aus. Nichts passt zusammen. Diese Ikeamöbel mit dieser alten Couch. Das selbst gemachte Bücherregal – in Blau! Deine Wohnung ist … unruhig ... so wie du. Wie ich hier zum ersten Mal war, hätte ich es schon wissen müssen."

Sie nahm lachend die Wohnungsschlüssel vom Bund und legte sie auf den Tisch: "Man sieht sich."

"Oder auch nicht. Viel Spaß in Amerika."

Es war würdelos. Bitter. Ärgerlich. Ich setzte mich wieder in meine Ledercouch, trank meinen vietnamesischen Kaffee, meine neueste Entdeckung, und blätterte im Reiseführer. Durch das offene Fenster drangen die Sonne und das Geigenspiel der Nachbarin. 'Vielleicht mag Brigitte einen Kaffee?'

 

hallo mac,

ich bin froh, dass ich mir deine andere geschichte durchgelesen habe. während "Der Tod zu Weihnachten", diese einsatzgeschichte, mir gar nicht zugesagt hat, gefällt mir diese geschichte recht gut. es liegt hauptsächlich am erzählstil. dieser ist nämlich schön, fliessend und angenehm zu lesen. der inhalt selber weist nicht viel bewegung auf, er beschreibt einen moment, einen rückblick in die vergangenheit und einen vorausblick in eine mögliche zukunft. es wird nicht viel erzählt oder philosophiert, es wird erzählt, wie es ist, worin sich die beiden frauen gleichen und unterscheiden und wie die trennung und letztendlich auch der abschied ablief. für den mann ist das kapitel beendet, er sucht nach der alternative. nichts weltbewegendes, und das schön erzählt. gefällt mir gut!

im einzelnen:

Ich trank meinen Kaffee und roch an dessen Dampf, der einen Geruch von Schweiß und Erde aus der Tasse hervorbrachte, als ob die Kaffeebauern selber herauskämen, und der ein vietnamesisches Plantagenpanorama in meinem Wohnzimmer erschuf. Schwarz und zuckerlos wärmte mich diese Brühe und weckte mich auf.

nicht ganz einfach!

Sie war wieder in ihrer Wohnung, lies aber die Fenster offen,

"lies" >> "ließ"

ich biss zu und schmeckte die Bitterkeit und lies sie auf mich wirken.

"lies" >> "ließ"

aber sie wollte noch einmal hierher kommen: die ultima conditio-sine-qua-non der Abschiedszeremonie.

nach doppelpunkt geht es gross weiter

Ich musste das Buch wieder weglegen und ging zum Fenster und atmete die laue Morgenluft ein.
Nun zupfte Anaïs an ihrem Ohrläppchen und kratzte sich mit ihrem rechten Fußrücken den linken Unterschenkel. Ihr türkisblaues enges Leibchen betonte ihre sportliche Figur und ihr glattes blondes Haar wirkte heller als sonst. Ihr verzerrtes Lächeln offenbarte wie fremd wir uns schon waren. Sie wandte ihren Kopf.
in der ganzen geschichte hast du eine kleine stilistische schwäche. du wiederholst die nebenwörter zu oft. hier das extremste beispielt. "ihr" kommt hier sieben mal vor. es wäre gut, wenn du auf einige artikel zurückgreifen würdest, speziell dann, wenn die zugehörigkeit auch so klar ist, ohne dass eine besitzanzeige für klarheit sorgen muss. z.b. würde sie es nur wagen ihren eigenen unterschenkel zu kratzen, hier könntest du auf das "ihr" verzichten.
aber andere nebenwörter wie "mal" oder "immer" werden oft gedoppelt!

die sie mir zu einem Geburtstag oder zu Weihnachten geschenkt hatte.

"einem" >> "meinem"

fazit:

solide geschichte, die ich gerne gelesen habe.

bis dann

barde

 

Hallo Barde,

ich bin froh, dass diese Geschichte mehr deinen Geschmack getroffen hat. Und danke auch für die stilistischen und grammatikalischen Tipps.

Bezüglich dem Doppelpunkt: Ich dachte, nach dem Doppelpunkt wird nur gross weitergeschrieben, wenn ein vollständiger Satz folgt, also Subjekt und Prädikat? Oder geht es nach korrekter (neuer?) Rechtschreibung immer gross weiter nach Doppelpunkt?

LG
Mac

 

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