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Frühlingsgefühle

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03.03.2007
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Frühlingsgefühle

Frühlingsgefühle


Der Tag war fade und das Wetter miserabel, weil der Winter sich alle Mühe gab, die Fehler der vergangenen Wochen wieder gutzumachen. Der Schnee fiel in dicken Flocken und verlieh dem Antlitz der grauen Großstadt eine vorübergehende Maske der Besinnlichkeit. Mich konnte er nicht täuschen. Ha!

Unter dem friedlichen Weiß lag eine Fratze verborgen, ein grauenerregendes Ungetüm voll von Psychopathen und Sozialarbeitern, immer kurz davor, das Messer zu zücken und den Bauch eines Unschuldigen aufzuschlitzen oder einem das Hirn mit schleimigen Phrasen herauszuätzen. Mehr noch als alle Massenmörder und Interaktionskommissare gingen mir die Fachjargonsjongleure der lyrischen Internetforen auf den Senkel. Dieses wiederwärtige Völkchen mit seinen geistlosen Versmassakern, lyrische Konstrukte, die nur dazu geschaffen waren, der Ästhetik einen mit rostigen Nägeln versehen Pfahl in der Arsch zu rammen, nur um nachher sagen zu können: „Ja, aber Jambus ... !“.

Ich nippte an meinem halb leeren Bier und war gerade dabei mich in Hassphantasien zu verlieren, als das Telefon läutete.
“Ja, hallo?“
Ich musste daran denken, dass mein Vater jetzt einen Scherz aus „Guten Tag, Herr Hallo“ machen würde. Meine Galle begann zu brodeln. Es war aber nicht mein Vater am Telefon, sondern sie, und sie, schien es, wollte reden.
„Hi Schatz! Alles klar bei dir?“
„Hä? Was? Wer bist du?“
„Ich bin' s, Nina! Was ist denn los mit dir? Du klingst voll wütend!“
„Ach, verdammte Scheiße, mir geht’ s hervorragend. Ich denke ständig an Selbst- oder Massenmord und die Autofahrer müssen langsam fahren.“
Für einen Augenblick war es ziemlich still auf der anderen Seite, nur ab und an war ein Kratzgeräusche und dumpfe Stimmen zu hören.
„Du, sorry, Marie hat mich grade unterbrochen. Wir sind hier beim Einkaufen im, äh ... „, es folgte wieder Kratzen und Murmeln, „ ... ah, im Hanseviertel.“
„Wunderbar... äh.“
„Ich hab' mir diese eine Bluse gekauft, von der ich dir, glaub' ich, erzählt habe.“
Sie hatte mir nicht davon erzählt, die blöde Schlampe. Aber eigentlich war mir das vollkommen egal. Sollte das Konto ihres Alten ihren dekadenten Lebensstil ausbaden.
Ich begann an der Warze meines linken Fußes zu kratzen, während sie belanglosen Unsinn über ihre Garderobe erzählte und den möglichen Anlässen, zu denen ich mitkommen sollte, bei denen sie getragen werden konnte. Ich hatte nur ungebügelte Hemden mit Brandlöchern und zerrissene Jeans anzubieten. Außerdem wollte ich ihre arschglatte Verwandtschaft unter keinen Umständen kennenlernen.
Sie schwafelte und schwafelte. Ihre Stimme erinnerte mich an die grässlichen Gemälde, die normalerweise in den Warteräumen von überfinanzierten Versicherungsbüros und Arztpraxen zu finden sind: Früchte und Blüten in unbeschreiblichen Farben, auf eintönigen Hintergründen. Ein Furz in das Gesicht der Natur.
„Diese roten Tops sind in diesem Sommer voll 'in'. Ich hab' mir auch eine superschöne Bluse gehohlt und ... “
„Äh, hey, wie lange dauert dein Monolog noch?“
„Wie meinst du das, Albie?“
Kalte Schauer wanderten mein Rückenmark hinunter. Verniedlichungen waren mir gänzlich zuwider, vielmehr noch in dieser nasalen Aussprache, die so sehr zu körperlicher Gewalt animiert.
„Zuerst einmal: Ich heiße nicht „Albie“! Steck' dir deine beschissenen Verniedlichungen sonst wo hin. Und jetzt, was ich meine: Du laberst mich hier mit so unglaublich langweiliger Scheiße zu. Mein Gehirn versucht schon seit Minuten den Raum zu verlassen, mein Magen schreit „Gewalt, Gewalt!". Also: Was willst du von mir und wie lange willst du mir noch auf den Keks gehen?“
Schlucken war zu hören.
„Äh, du, wenn ich gewusst hätte, dass du so schlecht drauf bist, hätte ich später angerufen!“
Ihr Stimme klang zittrig, aber mich konnte das nicht besänftigen. Ha!
„Was heißt hier später! Ich will diesen ganzen Mist überhaupt nicht hören; nicht jetzt und nicht später - überhaupt nicht! Deine schmierige Verwandtschaft interessiert mich nicht und erst recht nicht die spießigen Klamotten, die du anziehen willst!“
„Aber, aber ... “, ich schien sie gut erwischt zu haben, sie klang gebrochen. Ich gratulierte mir insgeheim. „ ... du hast doch gesagt, dass du Hans so gerne kennenlernen würdest und Eva ... und ...“
„ 'Nen Scheiß habe ich gesagt! Leg mir hier nicht irgendwelchen Mist in den Mund. Deine lächerlichen Phantasien kannst du für dich selbst ausbaden. Ich mach' Schluß!“
Meine Rage war klar wie der stechende Schmerz von Sonnenstrahlen in den Augen, wenn man nach einer Woche das erste mal wieder an die freie Luft tritt.
Bevor ich den Hörer auf die Gabel schlug, fügte ich knurrend hinzu.
„Und ruf' mich nie wieder an!“

Ich brauchte ein paar Minuten, bis sich meine Atmung wieder beruhigt hatte. Dann aber war ich seltsam gut gelaunt und trank mit viel Lust mein Bier. Ab und an lachte ich laut auf.
Als meine Flasche fast leer war, hörte ich dann auch endlich, wie der Schlüssel in der Wohnungstür herumgedreht wurde.
„Hey, da bin ich wieder“ , sagte Albert und gab mir ein kühles, neues Bier.
„Hat jemand angerufen?“

 
Zuletzt bearbeitet:

Albert Kopejkev schrieb:


-
Hallo kurzgeschichten.de-Community,

Ich habe diese Geschichte auch an anderer Stelle im Internet veröffentlicht. Sollten Fragen entstehen, bin ich ich gerne dazu bereit, zu ihnen Stellung zu nehmen. -

Da das hier auch mein Stelldichein ist, werfe ich auch noch ein ungezwungenes "Hallo" in die Runde und wünsche viel Spaß beim Lesen meiner Geschichten.

Grüße

Albert


Sowas bitte immer in ein Extraposting unter die Geschichte.

Hallo Albert,

Herzlich willkommen bei kg.de.

Mir hat deine Geschichte übrigens gut gefallen. Lustig wird sie natürlich nur durch das Ende, aber das sitzt.

Gruß
krilliam Bolderson

 

Hallo Albert,

+++++++++++++ ACHTUNG SPOILER ++++++++++++++++

auch ich finde die Geschichte sehr gelungen. Kleiner Zweifel: ich gehe mal davon aus, dass Albert und der andere (Bruder?) seeehr ähnliche Stimmen haben, denn das arme Mädl müsste doch die Stimme ihres Freundes erkennen. Oder, wenn sie doch weiß, dass da ein zweiter mit ähnlicher Stimme wohnt, mal fragen, wer wirklich am Telefon ist.
Aber das tut dem Effekt am Ende keinen Abbruch. Gelungen.

Grüße, nic

 

Hallo


bolderson:
Freut mich, dass die Geschichte ihr Ziel erreicht hat. ;)
Das mit den Zusatzkommentaren werde ich in Zukunft beachten.

+ Spoiler ;) +

Nicita:
Danke für dein Lob.
Der Gedankengang, dass die Beiden Brüder sein könnten, gefällt mir. Davon, dass ihre Stimmen recht ähnlich sind, gehe ich im Prinzip irgendwie aus, aber der Hauptgrund, warum Alberts Freundin nicht auf die Frage (Wer bist du eigentlich?) kommt, ist ihre eigene Persönlichkeit (Der Hang, alles als gegeben zu nehmen und sich selbst in den Vordergrund zu stellen).

Grüße


Albert

 

Hallo Albert!
Wirklich ne gelungene pointierte Geschichte! Das mit den ähnlichen Stimmen ist doch naheliegend, ich werde ständig am Telefon für meine Schwester gehalten und umgekehrt.
Sehr lustig auch das: "Guten Tag Herr Hallo."
grüsschen

 

Moin Albert,

Ich machs kurz: Das fand ich richtig gut.
Witzig geschrieben, toller Stil, astreine Formulierungen und darüberhinaus endlich mal eine Pointengeschichte, die wirklich funktioniert. Das Ende zündet total, wirkt nicht gekünstelt oder fix mal drangeschraubt, und macht den Text daher wunderbar rund.

lyrische Konstrukte, die nur dazu geschaffen waren, der Ästhetik einen mit rostigen Nägeln versehen Pfahl in der Arsch zu rammen, nur um nachher sagen zu können: „Ja, aber Jambus ... !“.
:thumbsup:

 

Hi Albert!

Ich fand deine Geschichte auch gut. Ich musste zwar am Ende nicht wahnsinnig lachen, aber dafür ein bisschen irre grinsen (und tue es immer noch :D). Man merkt schon, dass die ganze Zeit auf ne Pointe hingearbeitet wird, aber auf deine Lösung bin ich beim Lesen nicht gekommen.

Nix zu meckern, hat mir einfach nur gefallen.

Beste Grüße,
Seaman

 

Hallo Albert,

der zweite Absatz ist sprachlich top, und das hier

nur um nachher sagen zu können: „Ja, aber Jambus ... !“.
ist einfach nur :lol: :thumbsup:

Die Pointe sitzt wie schon lange nicht mehr bei mir. :thumbsup:

Lediglich zwei, drei Flüchtigkeitsfehler haben sich eingeschlichen, die du sicher findest (" vergessen beispielsweise oder " unten statt oben am Ende)

Zu recht empfohlen worden.

Bruder Tserk

 

Nun gut, da die Geschichte empfohlen wurde, muss sie ja gut sein, habe ich mir gesagt. Leider konnte ich überhaupt nicht lachen, denn ich mag keine Horrorgeschichten und ich finde, das was dieser Arsch da tut, absolut Horror und für ein menschliches Zusammenleben geradezu tödlich. Und sowas wird dann auch noch als lustig propagiert. Jetzt bin ich wirklich sauer ujnd verärgert.

 

Hallo,


ich hätte nicht erwartet, dass meine Geschichte doch noch so viele (meist positive) Antworten bekommt.
Es freut mich sehr, dass ihr darüber lachen konntet und ich danke für die positiven Rückmeldung.

Dass du die Geschichte, jobär, nicht lustig und unmenschlich findest, kann ich sehr gut verstehen, weil sie ja genau dieses Thema behandelt. Leider ist die sarkastische/zynische Ecke genau das, wo ich selbst am meisten lachen kann und so muss ich deine Kritik leider an die Geschmacksfrage weiterreichen.
Danke trotzdem für deine ehrliche Kritik.


Grüße,

Albert

 

Was ist an der Geschichte so schlimm? Das "Missverständnis" wird sich aufklären, Nina und Albert finden wieder zusammen, bekommen drei Kinder, gewinnen im Lotto und genießen später ihren Lebensabend auf Teneriffa.

Grüße, nic

 

Hallo Albert,

auch mir hat deine Geschichte sehr gut gefallen - besonders das Ende. Aber eine Kleinigkeit hätte ich noch zu meckern. :D

Dieses wiederwärtige Völkchen mit seinen geistlosen Versmassakern, lyrische Konstrukte, die nur dazu geschaffen waren, der Ästhetik einen mit rostigen Nägeln versehen Pfahl in der Arsch zu rammen, nur um nachher sagen zu können: „Ja, aber Jambus ... !“.
Der Deminutiv "Völkchen" passt mEn nicht ganz zu dem Adjektiv "wiederwärtig". Im vorigen Satz sagt dein Prot, dass ihm die "Fachjargonsjongleure der lyrischen Internetforen auf den Senkel" gehen. Falls es nur ein "Völkchen" ist, verstehe ich seinen Unmut nicht. Bei vielen, also einem "wiederwärtigen Volk", sehe ich das ein. ;)
Ihre Stimme klang zittrig, aber mich konnte das nicht besänftigen. Ha!

Ciao

MiK

 

Hi,

hat mich nicht sonderlich in die Höhe gerissen.
Liegt wohl an der nicht ganz nachvollziehbaren Situation

a) die beiden wohnen zusammen
-> dann sollte sie damit rechnen, auch mal nicht Albie dran zu haben
-> er könnte zumindest ahnen, wer da spricht

b) sie hat sich verwählt
-> dann darf Albie nicht nach Hause kommen
-> er wird ihr nicht so lange zuhören

Heißt:
Wenn die Situation wirklich so ist, wie Du sie am Ende in der Pointe schilderst, dann müssen die Figuren anders agieren.

Der Prot. der auf mich wie ein "Alles Hasser" und "Leckt mich alle am Arsch"-Typ wirkt, müßte eigentlich sofort den Hörer wieder hinschmeißen, wenn er den Anrufer nicht identifizieren kann oder dieser in ihm weniger Interesse erzeugt als an seiner Warze.

Höchstens bei mehrfachen Anrufversuchen kann es sein, daß in ihm der bösartige Wunsch entsteht, jemanden mal zu ärgern.
Ansonsten kann ich mir nicht vorstellen, daß jemand sich
a) so ein Zeug anhört und darüber aufregt
b) und dabei nicht mal überlegt, wer das ist

Heißt, es ist arg konstruiert, um die Pointe überraschend zu machen. Denn wenn er die Frau mit Absicht auf die Rolle nimmt und offensichtlich ist es ja keine Absicht, sondern eher ... ja was eigentlich ... Unerfahrenheit ein Gespräch zu beenden?
Denn wenn er es mit Absicht macht, muß das in die ICH-Sicht des Prot. mit einfließen.

Fazit:
So richtig erscheint mir die Situation nicht real. Man kann nicht erbost über einen Anruf sein und den Anrufer dann trotzdem über mehrere unverständliche Phrasen in der Leitung halten -> wozu?

Einzige Lösung:
Er ist wirklich etwas blöd und die haben ihre Handys vertauscht aber selbst da braucht man sehr viel Phantasie, um eine annähernd alltägliche Situation zu konstruieren.

Darum:
Nette Pointe aber arg zusammengebastelt

Die zusammenhanglose Einleitung ist zwar ebenfalls schön zu lesen, hat aber aus meiner Sicht keine Verbindung zur Geschichte

Grüße
mac

 

Hallo Albert Kopejkev,
ich muss hier auch was dazu sagen, wenn auch nix Neues.

Also ich habe gelacht! Scheiß egal, warum die die beiden verwechselt - ich habe mich auch gar nicht danach gefragt, bis ich die Kommentare gelesen habe. Deine Erklärung mit der Oberflächigkeit leuchtet aber ein.
Zu Recht empfohlen!

Gibt's noch mehr aus der Ecke Sarkasmus/Zynismus? Ich schaue gleich nach!

Gruss
K.

 

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