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Frühlingsgefühle
Frühlingsgefühle
Der Tag war fade und das Wetter miserabel, weil der Winter sich alle Mühe gab, die Fehler der vergangenen Wochen wieder gutzumachen. Der Schnee fiel in dicken Flocken und verlieh dem Antlitz der grauen Großstadt eine vorübergehende Maske der Besinnlichkeit. Mich konnte er nicht täuschen. Ha!
Unter dem friedlichen Weiß lag eine Fratze verborgen, ein grauenerregendes Ungetüm voll von Psychopathen und Sozialarbeitern, immer kurz davor, das Messer zu zücken und den Bauch eines Unschuldigen aufzuschlitzen oder einem das Hirn mit schleimigen Phrasen herauszuätzen. Mehr noch als alle Massenmörder und Interaktionskommissare gingen mir die Fachjargonsjongleure der lyrischen Internetforen auf den Senkel. Dieses wiederwärtige Völkchen mit seinen geistlosen Versmassakern, lyrische Konstrukte, die nur dazu geschaffen waren, der Ästhetik einen mit rostigen Nägeln versehen Pfahl in der Arsch zu rammen, nur um nachher sagen zu können: „Ja, aber Jambus ... !“.
Ich nippte an meinem halb leeren Bier und war gerade dabei mich in Hassphantasien zu verlieren, als das Telefon läutete.
“Ja, hallo?“
Ich musste daran denken, dass mein Vater jetzt einen Scherz aus „Guten Tag, Herr Hallo“ machen würde. Meine Galle begann zu brodeln. Es war aber nicht mein Vater am Telefon, sondern sie, und sie, schien es, wollte reden.
„Hi Schatz! Alles klar bei dir?“
„Hä? Was? Wer bist du?“
„Ich bin' s, Nina! Was ist denn los mit dir? Du klingst voll wütend!“
„Ach, verdammte Scheiße, mir geht’ s hervorragend. Ich denke ständig an Selbst- oder Massenmord und die Autofahrer müssen langsam fahren.“
Für einen Augenblick war es ziemlich still auf der anderen Seite, nur ab und an war ein Kratzgeräusche und dumpfe Stimmen zu hören.
„Du, sorry, Marie hat mich grade unterbrochen. Wir sind hier beim Einkaufen im, äh ... „, es folgte wieder Kratzen und Murmeln, „ ... ah, im Hanseviertel.“
„Wunderbar... äh.“
„Ich hab' mir diese eine Bluse gekauft, von der ich dir, glaub' ich, erzählt habe.“
Sie hatte mir nicht davon erzählt, die blöde Schlampe. Aber eigentlich war mir das vollkommen egal. Sollte das Konto ihres Alten ihren dekadenten Lebensstil ausbaden.
Ich begann an der Warze meines linken Fußes zu kratzen, während sie belanglosen Unsinn über ihre Garderobe erzählte und den möglichen Anlässen, zu denen ich mitkommen sollte, bei denen sie getragen werden konnte. Ich hatte nur ungebügelte Hemden mit Brandlöchern und zerrissene Jeans anzubieten. Außerdem wollte ich ihre arschglatte Verwandtschaft unter keinen Umständen kennenlernen.
Sie schwafelte und schwafelte. Ihre Stimme erinnerte mich an die grässlichen Gemälde, die normalerweise in den Warteräumen von überfinanzierten Versicherungsbüros und Arztpraxen zu finden sind: Früchte und Blüten in unbeschreiblichen Farben, auf eintönigen Hintergründen. Ein Furz in das Gesicht der Natur.
„Diese roten Tops sind in diesem Sommer voll 'in'. Ich hab' mir auch eine superschöne Bluse gehohlt und ... “
„Äh, hey, wie lange dauert dein Monolog noch?“
„Wie meinst du das, Albie?“
Kalte Schauer wanderten mein Rückenmark hinunter. Verniedlichungen waren mir gänzlich zuwider, vielmehr noch in dieser nasalen Aussprache, die so sehr zu körperlicher Gewalt animiert.
„Zuerst einmal: Ich heiße nicht „Albie“! Steck' dir deine beschissenen Verniedlichungen sonst wo hin. Und jetzt, was ich meine: Du laberst mich hier mit so unglaublich langweiliger Scheiße zu. Mein Gehirn versucht schon seit Minuten den Raum zu verlassen, mein Magen schreit „Gewalt, Gewalt!". Also: Was willst du von mir und wie lange willst du mir noch auf den Keks gehen?“
Schlucken war zu hören.
„Äh, du, wenn ich gewusst hätte, dass du so schlecht drauf bist, hätte ich später angerufen!“
Ihr Stimme klang zittrig, aber mich konnte das nicht besänftigen. Ha!
„Was heißt hier später! Ich will diesen ganzen Mist überhaupt nicht hören; nicht jetzt und nicht später - überhaupt nicht! Deine schmierige Verwandtschaft interessiert mich nicht und erst recht nicht die spießigen Klamotten, die du anziehen willst!“
„Aber, aber ... “, ich schien sie gut erwischt zu haben, sie klang gebrochen. Ich gratulierte mir insgeheim. „ ... du hast doch gesagt, dass du Hans so gerne kennenlernen würdest und Eva ... und ...“
„ 'Nen Scheiß habe ich gesagt! Leg mir hier nicht irgendwelchen Mist in den Mund. Deine lächerlichen Phantasien kannst du für dich selbst ausbaden. Ich mach' Schluß!“
Meine Rage war klar wie der stechende Schmerz von Sonnenstrahlen in den Augen, wenn man nach einer Woche das erste mal wieder an die freie Luft tritt.
Bevor ich den Hörer auf die Gabel schlug, fügte ich knurrend hinzu.
„Und ruf' mich nie wieder an!“
Ich brauchte ein paar Minuten, bis sich meine Atmung wieder beruhigt hatte. Dann aber war ich seltsam gut gelaunt und trank mit viel Lust mein Bier. Ab und an lachte ich laut auf.
Als meine Flasche fast leer war, hörte ich dann auch endlich, wie der Schlüssel in der Wohnungstür herumgedreht wurde.
„Hey, da bin ich wieder“ , sagte Albert und gab mir ein kühles, neues Bier.
„Hat jemand angerufen?“