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Frühlingsmoment
Von einem Geräusch, ich weiß nicht welchem, bin ich aufgewacht. Sekundenlang starre ich in die Dunkelheit, und nach einiger Zeit beginnt sie sich vor meinen Augen zu bewegen, kleine und große Wolken, schwarze Flächen, die über- und untereinander gleiten und ständig ihre Form verändern.
Ich bleibe still liegen, ganz still, und ziehe die Decke bis zum Hals hinauf. Meinen Fuß, den ich, weil mir so warm war, aufgedeckt hatte, winkle ich schnell an.
Ich weiß nicht, woher es kommt oder warum, aber oft, wenn ich nachts aufwache, habe ich dieses Gefühl.
Diese Angst, dass ich nur unter meiner Decke sicher bin. Ich kneife die Augen zu und versuche krampfhaft, wieder einzuschlafen, doch ich bin viel zu aufgeregt.
Langsam öffne ich die Augen wieder, und nach einiger Zeit ist die Dunkelheit plötzlich nicht mehr so dunkel. Kleine Lichter sind an der Decke zu sehen und meine Angst schwindet langsam.
Es ist warm in meinem Zimmer, beinahe zu warm für mich, unter meiner dicken Bettdecke. Vorsichtig, darum bemüht, dass mein Bett mit der quietschenden Matratze kein Geräusch macht, stehe ich auf.
Das Licht lasse ich aus, wozu auch, ich sehe gut mittlerweile und mein Zimmer kenne ich wie meine Hosentasche oder meine Nase oder sonst was. Außerdem will ich mich in der Nacht nicht sehen, mein verquollenes Gesicht und meine wirren Haare…
Noch unterstützt durch das grelle, künstliche Licht.
Ich tappe auf nackten Sohlen zu meinem Fenster und kann dabei nicht verhindern, dass ich mir den linken Zeh an etwas stoße. Das habe ich nun davon, dass ich das Licht nicht angeschaltet hatte. Irgendwo in meinem Hinterkopf erinnere ich mich daran, dass ich kurz vor dem Zubettgehen mein Regal noch umgestellt habe.
Ich schaue nach draußen und sehe Wiese, in weiter Ferne Berge und schließlich den Himmel. Zum ersten Mal fällt mir auf, dass der Himmel gar nicht schwarz ist… Er ist heller als die Landschaft, dunkelblau vielleicht und hie und da, wenn auch teilweise von Wolken bedeckt, gespickt von leuchtenden, kleinen Punkten, die mich an Glühwürmchen erinnern. Natürlich sind es keine Glühwürmchen… Nur Sterne, viele Sterne, aber ich gehöre nicht zu den Leuten, die schon versucht haben, sie zu zählen. Genauer gesagt habe ich nicht oft die Möglichkeit, sie mir anzusehen. Nachts bin ich nie draußen, ich habe ein bisschen Angst vor der Dunkelheit.
Mir fällt auf, dass das Dach des Nachbarhauses seltsam erhellt ist und ich runzle die Stirn. Es macht mich neugierig, und die Erkenntnis, dass die Nacht gar nicht schwarz ist, tröstet mich.
Auf leisen Sohlen gehe ich nach unten, ins Erdgeschoss, setze behutsam einen Fuß vor den anderen, um kein Geräusch zu machen. Als ich bemerke, dass ich nur ein kurzes, weißes T-Shirt trage, ist es schon zu spät, ich will nicht noch einmal zurückgehen und es ist mir auch egal. Ich öffne die Terrassentür und ein Schwall kühler Luft kommt mir entgegen. Was drinnen schwül und beinahe unerträglich ist, finde ich draußen kalt. Ich spüre, wie sich die Härchen an meinen Armen aufstellen und mich ein Schauer durchfährt. Trotzdem, obwohl ich ein Frösteln nicht unterdrücken kann, trete ich hinaus.
Nach einigen Schritten schon bin ich auf der Wiese angelangt und fühle das weiche Gras unter meinen Füßen. Grillen zirpen ganz sanft und leise und leichter Wind fährt durch mein Haar und kitzelt mich an der Schulter. Ich lege meinen Kopf in den Nacken und atmete tief ein und aus, und es riecht einzigartig nach frischen Blättern und Blumen und Tau und feuchter Erde. Frühlingsduft…
Das Dach meiner Nachbarn ist wieder dunkel wie eh und je und ich überlege gerade, ob ich mir das Leuchten nur eingebildet hatte, als er plötzlich erscheint: Hinter wie hingepustet wirkenden Wolken kommt der Mond hervor und taucht alles in ein silbrig- blaues Licht.
Ich freue mich so, innendrin, und ich weiß nicht einmal, warum eigentlich, es ist doch nichts Besonderes. Als auch noch der Wind stärker wird, der zwar kalt ist, doch meine Haut vorsichtig streichelt, und die Gräser am Wiesenrand zu wogen beginnen, kann ich nicht anders: Ich lache laut heraus.
Immer noch lachend lasse ich mich zu Boden fallen und breite die Arme aus. Trinken will ich, in mir aufnehmen, diesen Frühlingsmoment. Meine Augen sind weit offen und ich schaue nach oben, in den Himmel, zum Mond und zu den Sternen, dann kehrt mein Blick zurück und bleibt an weit entfernten Baumwipfeln und Bergspitzen hängen. Feuchte Kälte durchdringt mich von unten, von der Erde und vom Gras, aber ich mag es so, dieses Gefühl.
Mit den Fingerspitzen fahre ich über das stoppelige Gras, das sich in die finstere Nacht erstreckt. Es kommt mir vor, als würde ich in einer endlosen, grünen Wüste liegen. An meinen Beinen, meinen Armen juckt es, vielleicht krabbeln Ameisen darüber, vielleicht sind es Käfer, vielleicht der Wind: Es ist mir egal.
Einzig dieser Augenblick zählt.