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Frühlingssonne
Graf Eckerhardt kam zu spät zum Frühstück. Mit Absicht. Hatte er doch seit seiner Ankunft gestern Abend, den Verdacht, dass sein Gastgeber, Baron von Meienheim, ein Vampir war.
Der hatte ihn eingeladen, weil das alte Gemäuer von Grund auf saniert werden sollte . Der Graf verfügte über ausgezeichnete Verbindungen und sollte dem Baron behilflich sein bei der Auswahl der Handwerker, aber auch beim Umgang mit den Behörden, wenn beim Thema Denkmalschutz vielleicht das ein oder andere Auge zugedrückt werden müßte. Das Gespräch verlief bis spät in die Nacht, und so hatte der Graf das Angebot des Barons mit einem unguten Gefühl in der Magengegend angenommen, auf der Burg zu übernachten. Schliesslich, wer glaubt den heute noch an Vampire...?
Doch der Baron von Meienheim hatte gestern beim Dinner keinen Bissen des Essens angerührt und nur eine dunkelrote Flüssigkeit aus einem hohen Kelch zu sich genommen.
Bedächtig stieg Graf Eckerhardt die knochenbleichen Marmorstufen zum Bankettsaal hinab.
Er hatte gehofft, die Sonne würde um diese Uhrzeit in das alte Gemäuer scheinen. Doch die Fensterläden waren geschlossen und ein fahles Halbdunkel lag wie ein Totenschleier über den barocken Möbeln.
Die Kerzen am riesigen Kronleuchter warfen zuckende Schatten in den Raum. Eine kleine Seilwinde an der Wand erleichterte den Bediensteten das Heben und Senken des schweren Leuchters.
Schnell durcheilte Graf Eckerhardt den Bankettsaal um die Fensterläden zu öffnen. Die Hand schon nach dem ersten Riegel ausgestreckt, ertönte hinter ihm eine Stimme.
„Das, mein lieber Graf würde ich lieber sein lassen". Wie brüchiges Pergament schwebten die Worte des Baron von Meienheim zu ihm. Der Graf drehte sich langsam um und was seine Augen sahen, lies ihn das Blut im Körper erstarren.
Hochgewachsen, hager und von einer animalischen Stärke erfüllt, stand der Baron hinter ihm. Er riß den Mund auf. Die spitzen Eckzähnen wuchsen mit einem hässlichen Geräusch, als wenn Knochen durch Fleisch drang, aus dem Oberkiefer des Vampirs. Die Finger verwandelten sich in lange Klauen, die Haut riß über den Gelenken, heilte aber genauso schnell wieder zusammen.
Der Graf wirbelte herum, zerrte an dem Riegel, doch einer Spinne gleich schnellte sich der Baron nach vorne und klebte wie ein Insekt mit allen Vieren am Fensterladen. Geifer troff aus seinem Maul. Mit zuckendem Kopf verfolgte der Vampir das Zurückweichen des Grafen bis an die gegenüberliegende Seite. Hier fand seine an der Wand entlang tastende Hand einen Säbel und riß ihn an sich.
Mit einem riesigen Satz flog der Vampir durch den Saal, schmetterte den Grafen mitsamt seiner Waffe zur Seite und bemächtigte sich des zweiten Säbels.
„Du willst also spielen? Bitte, ich liebe es, wenn die Maus sich wehrt.“ Mit zwei schnellen Schritten war er bei dem Grafen und deckte ihn mit einer schnellen und blutigen Folge von Hieben ein.
Genüsslich leckte der Vampir das Blut von der Klinge, den verzweifelten Grafen nicht aus seinen kalten Augen lassend.
Mit einer zweiten Serie trieb der Vampir den Grafen vor sich her, bis dieser an die Wand stieß, und sich die Seilwinde schmerzhaft in seinen Rücken bohrte.
Der Vampir schien zu wachsen, seine Kräfte schier übermenschlich, die Säbel vor ihren Körpern gekreuzt zwang er den Grafen zu Boden. Seine Zähne näherten sich der heftig pochenden Halsschlagader des Grafen. Diesem schwanden die Sinne. Vor seinen Augen tanzten die Kerzen des Kronleuchters. Verzweifelt zog er die Beine an den Bauch und stieß den Vampir mit letzter Kraft von sich. Über das Parkett rutschend kam dieser unter dem Kronleuchter zu liegen. Mit einer schnellen Bewegung schlug der Graf den Sicherungsbolzen der Seilwinde beiseite und der Leuchter begrub den Vampir mit einem hässlichen Knirschen unter sich.
Die lange, eiserne Spitze grub sich tief in den Brustkorb des Vampirs.
Eilig betätigte der Graf die Kurbel, zog den Vampir in die Höhe. Er wollte, daß dieses Scheusal mitten in der Sonnenflut hing, wenn er gleich die Fensterläden öffnen würde.
Der Vampir schrie wie eine entfesselte Kreatur der Hölle, eingekeilt in dem riesigen Gestänge aus Metall und Glas, geschwächt durch seine Wunde, die Blut auf den Boden regnen lies, konnte er nichts tun, ausser zusehen wie der Graf das Licht hinein ließ.
Die Sonne fraß sich in den Körper des zuckenden Vampirs, Asche regnete zu Boden und vermischte sich mit dem Blut zu einer zähen Lache. Körperteile des Vampirs, ihres Halts durch den verbrannten Torso beraubt, klatschten zu Boden und wurden dort von der Sonne verzehrt.
Graf Eckerhardt rutschte mit dem Rücken an der Wand zu Boden und genoß die wärmende Frühlingssonne.