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Frau Blum
Frau Blum
Ein kahler Baum im Wind, leises Rauschen. Klirrende Kälte. Der Eisverkäufer als Nikolaus verkleidet. Ein Kind weint. Luise steht am Fenster und blickt auf die Straße. Luise sollte heute eigentlich zu ihrer neuen Arbeitsstelle, die sie nach langem Suchen gefunden hat. Luise steht am Fenster, hinter dem Vorhang versteckt, und blickt nach draußen, wo so viele Menschen sind. Der Tisch, das Bett, der Holzboden mit dem alten Teppich darauf, eine Blume auf dem Fenstersims, das ist ihre Welt. Das ist alles, was sie besitzt. Luise steht am Fenster und die alten Ängste kommen wieder.
Was soll ich da draußen, da ist es kalt, da sind viele Menschen, Leere, obwohl ich nicht alleine bin, eingeengt, trotzdem dort keine Mauern sind, was soll ich da. Er wird mich finden.
Luise blickt auf ihre Unterarme. Voller Narben. Sie verspürt die Lust eine weitere hinzuzufügen. Luise geht in die Küche und sucht nach einem Messer. Auf dem Küchentisch liegen ihre Tabletten.
Nimm sie nicht, dann geht’s dir besser! Nimm sie nicht und du bist frei!
Die alten Bilder kommen ihr in den Sinn. Luise zuckt zusammen und will rufen nein, nein, lass mich. Aber sie kann nicht. Der Schmerz befreit sie für kurze Zeit von ihren Gedanken. Sie ist fasziniert, wie das Blut langsam den Arm hinabläuft, sich ein kleiner roter Bach bildet und der erste Tropfen auf den Boden fällt. Der Schmerz befriedigt sie.
Luise befindet sich wieder in ihrer eigenen Gedankenwelt, wo alles nicht so schlimm ist. Um sie niemand, der sie verletzen kann, der sie bedrängen kann. In ihrer Welt ist sie ganz allein. Nichts und niemand um sie herum. Nur Leere. Leere, die schwärzer ist als die Nacht, die weiter ist, als der Horizont.
Was war das? Sie schreckt hoch und blickt um sich. Da klingelt es erneut. Sie geht wie in Trance auf die Tür zu. Mit langsamen Schritten. Ganz langsam. Nur noch zwei Schritte, dann hast du es geschafft. Sie greift nach der Klinke, weiß, dass ihre Nachbarin vor der Tür steht. An die Nachbarin hat sich Luise mittlerweile gewöhnt. Luise hebt mit letzter Kraft die Hand,
Als die Tür geöffnet wird, blickt Frau Blum in ein weißes Gesicht, in ausdruckslose Augen. Alles in Ordnung, Luise? Erst als Luise zusammenbricht fallen Frau Blum die Einschnitte an den Armen auf.
Die letzten Atemzüge. Luise hat ein Glänzen in den Augen. Zum ersten Mal seit langem durchströmt ein Glücksgefühl ihren ganzen Körper. Sie schließt die Augen und ihr letzter Gedanke ist endlich.
Draußen ist es kalt. Der Nikolaus ist weiter gezogen. Der Wind rauscht in den kahlen Bäumen. Ein Kind weint.