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Frau Pawlow

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29.07.2009
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Frau Pawlow

6.30 Uhr. Frau Pawlow stand jeden morgen um 6.30 Uhr auf. Langsam schlüpfte sie in ihre warmen weichen Lammfell Pantoffeln, die immer an der gleichen Position vor ihrem Bett standen. Der Rücken schmerzte heute besonders. Sie biss ihren zahnlosen Kiefer aufeinander und unterdrückte ein Stöhnen. Langsam ging sie in ihr kleines Bad, wusch sich, setzte die Zähne ein und kämmte ihr langes weißes Haar. Sie schaute nicht in den Spiegel, es war nicht wichtig zu sehen, wie sie weiter alterte. Früher, ja, da hatte sie gerne in den Spiegel geschaut. Ihr ganzes Leben hatte sie ihren kleinen silbernen Taschenspiegel, eine altes Erbstück ihrer Mutter, mit sich herum getragen.
„Was bist du nur für ein hübsches Ding“, hatten die Leute früher gemeint.
„Was für eine wunderschöne Frau“, hieß es noch später.

Frau Pawlow hatte früher langes schwarzes Haar, eine makellose Haut und wenn man heute in ihre, immer noch tiefbraunen, Augen in dem faltigen Gesicht schaute, erahnte man, wie schön sie einst gewesen sein musste. Sie war sehr zierlich, aß wenig. In diesem Alter brauchte der Körper nicht mehr viel um zu existieren. Ein paar Bissen in das Marmeladenbrot, ein koffeinfreier Kaffee, hin und wieder ein weiches Ei, mehr nahm sie zum Frühstück nie zu sich. Das Mittagessen im Heim schmeckte nicht, der Kuchen war meist staubtrocken, kein Vergleich zu ihrem saftigen Apfelkuchen, den ihre Kinder und Paul, ihr Mann, früher so gerne gegessen haben.
„Bitte Mama, back doch Apfelkuchen für mich“, bettelte Monika früher jeden Sonntag.

Monika, bei dem Gedanken an sie, traten Frau Pawlow die Tränen in die Augen. Ein Kind soll nicht vor der Mutter gehen, hieß es. Monika hatte sich nicht dran gehalten, der Krebs hatte sich nicht dran gehalten. Monika hatte sie vor 2 Jahren verlassen. Jetzt war sie bei Paul. Paul, der auch viel zu früh gehen musste. Sie alle waren gegangen. Klaus, der jüngste Sohn, war weggezogen. Seine sporadischen Besuche an den Feiertagen wurden immer seltener und die Enkelkinder waren alle längst groß, führten ihr eigenes Leben.

Sorgfältig und routiniert steckte Frau Pawlow ihr Haar hoch, zog sich ihr Sonntagskleid an, die Stützstrümpfe und die schwarzen Lackschuhe und machte sich auf den Weg in die Gemeinschaftsträume. Sie nahm ihr Frühstück wie jeden morgen pünktlich um 7.30 Uhr ein und setzte sich anschließend, wie immer, auf die kleine Bank im Eingangsbereich. Hier spielte sich noch Leben ab. Im Untergeschoss des großen Seniorenwohn-Komplexes befanden sich die Räume des Reha-Zentrums. Junge Leute kamen zu ihren Massage- oder Physioterminen, Angestellte des Heims und des Reha-Zentrums betraten das Foyer, der Getränkelieferant rollte seine Kästen vorbei.

Frau Pawlow kannte die meisten. Der nette junge Mann, der sich das Bein gebrochen hatte, kam seit fast zwei Monaten jeden Dienstag um kurz vor Acht. Erst wurde er von seiner Frau begleitet, die ihn mit den Krücken half. Inzwischen war der Gips ab und er humpelte nur noch leicht. In diesem Alter heilen die Knochen noch. Frau Jansen von Station 5 war vor ein paar Monaten gestürzt und hatte sich einen Becken- und Oberschenkelhalsbruch zugezogen. Sie war nun pflegebedürftig und weil sie fast nur noch in ihrem Bett liegen konnte, zog man ihr Windeln an.

Frau Pawlow wollte nicht von Fremden gewaschen werden, sie wollte keine Windeln. Sie war eine erwachsene, gebildete Frau, sie hatte 2 Kriege überstanden, 1945 hatte sie Deutschland mit ihren eigenen Händen vom Schutt befreit. Sie hatten immer viel gearbeitet, sie und ihr Paul. Nach dem Krieg hatten sie sich eine kleine Existenz mit dem Blumenladen aufgebaut. „Blumen Pawlow“ war schnell beliebt in der Gegend. Selbst der Bürgermeister bestellte seine Gestecke, Kränze und Sträuße bei ihnen. Sie hatten gut gelebt, die Kinder wurden geboren, ein Haus gekauft. Paul hatte, vorausschauend und sorgsam wie er war, genug für den Altersstand zurück gelegt. Schon mit 50 hatten sie sich in dem adretten Seniorenheim eine kleine Wohnung gekauft. „Dann werden wir zwei in Würde alt“, meinte er damals und drückte zärtlich ihre Hand.

Aber es war anders gekommen. Paul war vor 10 Jahren einfach beim Rasenmähen im Garten umgefallen – das Herz. Ein paar Jahre hatte Frau Pawlow noch in ihrem Häuschen gelebt, an dem soviel Erinnerungen hangen. Hier waren ihre Kinder groß geworden, hier hatten sie glückliche Zeiten verbracht. Schnell wurde der Garten und die Arbeit im Haus zuviel. Viel mitnehmen konnte sie nicht in das kleine Appartement in der 3. Etage des Seniorenheimes. Tapfer hatte sie sich von dem größten Teil ihrer Möbel getrennt. Das alte Sofa auf dem sie und Paul so gerne gesessen und die alten Fotoalben betrachtet hatten, wurde von der Müllpresse zerkleinert. Ihr Ehebett, in dem sie jeden Abend händchenhaltend eingeschlafen waren, durfte nicht mit.

„Sie haben jetzt ein chices Einzelbett“, meinte die Pflegerin, die ihr beim Auspacken der Sachen half.
Die weißen Krankenbetten waren in allen Zimmern Standard. Frau Pawlow sagte sich oft, dass sie in diesem Bett einmal sterben würde – sie mochte es nicht und es schlief sich auch nicht gut darin. Es war ihre vorletzte Ruhestätte.

„Ich möchte Bonbons“, jammerte Herr Clausen von der 1.Etage und klopfte immer wieder mit zitternder Hand auf die Empfangstheke.
„Nein Herr Clausen, sie hatten heute schon welche“, erwiderte die nette Empfangsdame.
Herr Clausen war demenzkrank. Er ist mal ein stattlicher Mann gewesen. Die Frauen müssen ihm reihenweise zu Füssen gelegen haben. Frau Pawlow hatte sich die Fotos aus seiner Jugend einmal angeschaut. Er ist mal ein erfolgreicher Anwalt gewesen, ging regelmässig zur Jagd und hatte die ganze Welt bereist. Jetzt wurde er von der Empfangsdame, die nicht älter als 30 sein konnte, gemaßregelt. Jeden Tag bettelte er um Bonbons und wenn er welche bekam, verlangte er wie ein Kind immer mehr.

„ So ist es eben mit dem Alter“, meinte Frau Kroll vom Appartement gegenüber vor ein paar Wochen. „Das Altern wäre leichter zu ertragen, wenn der Prozess rückwärts laufen würde. Dann wären wir am Ende unseres Lebens wieder hilflose, faltenlose, süsse Babys und würden genießen, dass man uns versorgt“, lachte sie noch abends. Am nächsten morgen kam sie nicht zum Frühstück Nun war der Platz neben Frau Pawlow im Speisesaal leer.

Um kurz vor 10 Uhr belebte sich die Eingangshalle rapide. Der Paten-Kindergarten besuchte das Heim mit den Kindern zum jährlichen Weihnachtssingen. Die Bewohner freuten sich immer sehr darauf. Weihnachten war für einige eine traurige Zeit, andere freuten sich über die kleinen Nikolausfeiern, das Adventssingen und auf den traditionellen Besuches des Kindergartens. Frau Pawlow erkannte das kleine Mädchen mit den langen blonden Zöpfen, was schon die letzten drei Jahre dabei gewesen ist. Sie war im letzten Jahr sehr gewachsen. Nächstes Jahr würde sie sicher den Kindergarten verlassen um zur Schule zu gehen.

Die Kinder kicherten, quatschten und liefen neugierig in der Halle umher. Frau Pawlow wurde warm ums Herz. Zu gerne beobachtete sie die diese sorglosen Wesen, die noch ihr ganzes Leben vor sich hatten. Sie war nicht verbittert, sie hatte ihr Leben gelebt und es war ein gutes Leben gewesen. Sie hatte es noch selbst in der Hand.

Nach der kleinen Weihnachtsfeier, dessen Höhepunkt die Zusammenkunft mit den Kindern gewesen war, wurden die Kerzen auf den Tischen wieder gelöscht und der Tag ging seinen Gang. Abends gab es im Gemeinschaftsraum den Weihnachtsfilm „Ist das Leben nicht schön?“ mit James Steward. Tränen glänzten in Frau Pawlows Augen. Wie oft hatten sie und ihr Paul diesen Film in der Weihnachtszeit gemeinsam angeschaut, zusammen mit den Kindern.

Später ging sie die drei Etagen zu ihrem Appartement alleine hinauf. Sie hatte den Aufzug noch nie benutzt, auch wenn das Treppensteigen sie inzwischen sehr anstrengte. In ihrem kleinen Appartement setzte sie sich in ihren alten Schaukelstuhl und schloss die Augen. Langsam wippte sie hin und her. Bilder schossen ihr in den Kopf, während sie rhythmisch hin und her schaukelte und dabei „Stille Nacht, heilige Nacht“ summte.

Sie hatte Klaus im Arm, das kleine rosige Wesen mit den dicken Backen, wog ihn in ihrem Schaukelstuhl in den Schlaf, während sie den Duft von Kerzen und Tannennadeln wahrnahm. Paul, so schön und jung, stand lächelnd neben ihr, die Hand auf ihre Schulter gelegt, während Monika ihre Puppe in dem nagelneuen Puppenwagen schob. Sie erinnerte sich an Weihnachten 1975. Klaus kam mit seiner ersten großen Liebe zum Weihnachtsessen und verkündete, dass sie Großeltern werden würden. Das nächste Weihnachten lag die kleine Britta in der Wiege. Sie hatte die schwarzen dichten Haare von ihrer Großmutter geerbt und Pauls und Klaus wasserblauen Augen.

Sie erinnerte sich an den brennenden Weihnachtsbaum irgendwann in den 60ern und den trostlosen Weihnachtsfesten während der Kriegsjahre, an denen sie kaum zu essen hatte. Sie dachte an ihre schöne Mutter, die ihr als kleines Mädchen die langen Haare kämmte und ihr dabei das Ave Maria vorsang bevor sie zur Christmette gingen.

Als Frau Pawlow ihr Lied beendet hatte, warf sie einen letzten liebevollen Blick auf das vergilbte Hochzeitsfoto. Dann strich sie sich zum letzten mal durch ihr Haar und öffnete das Fenster. Die kalte Winterluft schlug ihr entgegen, sie atmete ruhig und tief durch. Dann kletterte sie auf das Fenstersims. Sie hatte ihr Leben gelebt und es war ein gutes Leben gewesen.

 

Hallo Engelchen211,

deine Geschichte lässt mich ein wenig ratlos zurück. Deswegen, weil ich mich am Ende gefragt habe, was genau du mitteilen wolltest. Klar, es geht um die Gedanken einer älteren Frau, die vielleicht kurz vor ihrem Tode steht. Sie erinnert sich und lässt die Gedanken schweifen.
Aber soll sich die Aussage der Geschichte darin erschöpfen?

Du hast einen recht angenehm zu lesenden Schreibstil. Warum vergeudest du deine Worte für einen solchen schlichten Plot?

Ich erwarte ja gar nicht, dass du das Rad neu erfindest. Und ich finde die Idee, über eine alte Frau zu schreiben durchaus akzeptabel. Aber diese Geschichte wäre auch dann nicht spannend, wenn sie die erste ihrer Art wäre über alte Leute zu schreiben.
Diese Geschichte beschreibt viel, aber sagt nicht genug.

Wenn du etwas Spannung erzeugen möchtest und genau das hätte diese Geschichte dringend nötig, dann versuche es mit folgenden Mitteln:
zunächst benötigst du eine Geschichte, also irgendetwas, was mit Frau Pawlow passiert.
Vielleicht beschließt sie am nächsten Tag nicht in dieser völlig aufgeräumten Art genau nach Zeit zu handeln. Vielleicht setzt sie sich einfach ganz dünn bekleidet zu Paul ans Grab und wartet bis sie erfroren ist. Was auch immer, erfinde eine Veränderung bei ihr. Das ist die äussere sichtbare Veränderung.

Wichtig ist aber erst recht die innere Veränderung. Von Trauer zu Wut oder von Gelassenheit zu Aufregung oder von Angst zu Gelassenheit, von Neugierde zur Erkenntnis.

Und dann setze Satz für Satz aneinander unter der Bedingung, das jeder Satz, der dem anderen folgt stets eine Fortführung der Geschichte ist, Satz für Satz auf das Ziel zu, ohne Umwege! Umwege kann man sich später immer noch (vielleicht) erlauben. Du gehst Schritt vor Schritt, jeder Schritt eine Steigerung des Gefühls, eine Steigerung der Verwandlung.

Ich hoffe, ich habe dir ein wenig verständlich gemacht, was das Problem bei dieser Geschichte ist. Ich bin mir sicher, dass du das hinbekommst, denn schreiben kannste. :)

Lieben Gruß
lakita

 

hallo Lakita, ich habe diese Geschichte geschrieben, weil ich letztens einen Bericht im Fernsehen über Suizid bei alten Leuten gelesen habe, die nicht damit zurecht kommen, dass sie am Ende ihres Lebens stehen und nicht mehr so können wie sie wollen. Sie haben Probleme damit, dass sie nicht mehr sind wie sie sind. Der Bericht hat mich im Herz getroffen und da ich jeden Tag an einem Seniorenheim vorbeigehe, tut es mir leid, wenn ich Leute sehe, die früher mal fit und agil waren und nun in diesem Heim die letzten Jahre verbringen (müssen). Es gibt eine hohe Suizid Rate bei alten Leuten und eigentlich dachte ich, es kommt am Ende rüber, dass Frau Pawlow springt und sich das Leben nimmt. Ich wollte es nur nicht so offensichtlich machen und dachte es geht aus den letzten Worten und zwischen den Zeilen hervor. Ich wollte keine Spannung erzeugen sondern leise Töne anschlagen. Tut mir leid, wenn dir die Geschichte nicht gefallen hat :(

 

Hallo Engelchen211,

ich fürchte, dass du mich in Bezug auf das Thema Spannung missverstanden hast. Ich habe dich nicht ermuntern wollen, einen spannenden Thriller zu schreiben. Leise Töne dürfen durchaus sein. Keine Frage.
Ich habe den Spannungsaufbau gemeint, den jede gute Geschichte haben sollte. Auch eine Geschichte mit leisen Tönen benötigt einen spannenden Aufbau. So meinte ich es.

Lieben Gruß
lakita

 

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