Freiheit
Das fahle Mondlicht drang durch das kleine, in einer Buchtung liegende Fenster nur spärlich herein. Doch immerhin reichte es, um den Raum in ein gespenstisches Licht zu tauchen. Eine Bank war unmittelbar vor dem Fenster in die graue Wand eingelassen. Die Bank war keineswegs gepolstert oder dergleichen, sondern aus harten, rohen Holzplanken gemacht. Sie passte gut in das Erscheinungsbild dieses Raumes. Da war noch ein Tisch mit einem Stuhl zu sehen, ebenfalls sehr grob gezimmert. Das ganze Zimmer schien etwas Düsteres und Trauriges zu wiederspiegeln. Die grauen Wände wirkten in diesem Mondlicht noch grauer und die dunklen Ecken des Zimmers noch dunkler. Auf der Bank stand ein Mann. Seine Hände hatte er um die Metallstangen geschlungen, die als eiserner Vorhang vor dem Fenster angebracht waren. Die Stirn des Mannes war gegen die kalten Eisenstangen gepresst und seine Augen starrten auf einen ganz bestimmten Punkt ausserhalb des Fensters. Man konnte nicht sagen dass diese Augen glänzten, denn in dem gespentischen Mondlicht sahen sie noch farbloser aus, als alles andere. Diese farblosen Augen richteten sich auf etwas Grosses, Rundes und Grelles am Nachthimmel. Sie richteten sich auf den vollen Mond, der bedächtig und still auf die Welt unter ihm hinunterzuschauen schien.
Die Hände des Mannes klammerten sich noch fester um die Eisenstangen, die Augen wurden noch starrer und ihr Blick wurde noch sehnsüchtiger. Er träumte. Das war ihm als einziges geblieben und das war das einzige, was ihn mit den Leuten in der Aussenwelt verband. Sie, diese Leute in der anderen, fernen Welt, diese Leute in der geordneten Zivilisation, sahen genau wie er den Mond und genau wie er fühlten sie beim Betrachten dieses Gestirnes am Nachthimmel den Ruf der Freiheit. Nur spürte er diesen Ruf viel stärker, es schrie in ihm geradezu danach: Freiheit! Dieser Mond am Nachthimmel, er vermittelte ein Gefühl der Freiheit, oder er gaukelte zumindest eines vor. Nur dieses eine Wort hatte der Mann im Kopf: Freiheit! Er sehnte sich danach, diese eingesperrt sein frass ihn innerlich auf, es zerstörte ihn, es raubte seinen Willen, es stumpfte ihn ab.
Der Mond verschwand hinter den Wolken, und mit ihm das eigenartige Licht, das er gespendet hatte. Es wurde dunkel im Raum. Die Hände des Mannes lockerten sich, liesen die Eisenstangen los. Seine Augen bewegten sich, sie sahen bittend nach oben. Doch der Mond blieb verschwunden in den Wolken. Er, der Mann, stieg von der Bank hinunter, legte sich mit bedächtig langsamen Bewegungen darauf und schloss die Augen. Wann würden sie ihn hier rauslassen, wann würden sie ihm den Wunsch nach Freiheit erfüllen? Er wusste es nicht, weil er aufgehört hatte, die Tage zu zählen. Er hoffte immer noch, glaubte immer noch daran, dass er tatsächlich noch erfahren würde, was Freiheit hiess. Und dieser Mond, den er Nacht für Nacht betrachtete, lies ihn träumen von der grossen Freiheit in der grossen, weiten Welt.