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Freiheit
Freiheit
Sie kommen. Wie jede Woche. Sie werden uns wieder zu der Frau bringen. Sie will uns auseinander bringen, Emma und mich. Immer wieder das Gleiche...Sie kommen einfach herein, ohne zu klopfen. Emma beschimpft Sie...sie war schon immer sehr impulsiv. Ich frage Sie- wie jedes Mal- wann das endlich aufhört, warum Sie uns nicht einfach in Ruhe lassen können. Sie antworten nicht, stattdessen greifen Sie uns an unseren Armen und zwingen uns mit Ihnen mit zu gehen. Sie fühlen sich so stark in Ihren weißen Gewändern. Was bleibt uns anderes übrig? Ich habe schon vor einer langen Zeit aufgehört mich zu wehren. Emma ist da anders, sie schlägt um sich, beschimpft Sie weiter. Es nützt nichts. Im Gegenteil, dieses Mal sind Sie sogar sehr aggressiv. Ob Sie es herausgefunden haben? Es wäre das erste Mal.
Kurze Zeit später sind wir wieder bei der Frau. Sie möchte, dass wir uns hinsetzten. Das tun wir, auch hier bleibt uns nichts anderes übrig. Wenigstens ist Emma ruhiger geworden. Das wird sie meistens bei der Frau. Sie fragt uns wie wir uns heute fühlen, nein, eigentlich fragt Sie nur mich. Sie redet fast nie mit Emma, ich weiß nicht warum, ich verstehe das nicht, ich verstehe Sie nicht.
Ich sage Ihr, dass ich mich etwas seltsam fühle.
Wahrscheinlich wegen gestern Nacht. Ich fühle mich nach solchen Nächten immer so, obwohl das letzte Mal schon länger her ist.
Ich kann mich auch noch an das erste Mal erinnern, es geschah kurz nachdem Emma in mein Leben trat. Es war Ihre Idee, ich war erst nicht ganz überzeugt davon, ließ mich aber umstimmen. Sie wollte, dass mein Vater unser Erster wird. Ich war einverstanden, es musste sein. In dieser Nacht tat es noch gut...die Male danach nicht mehr. Danach fühlte es sich jedes Mal so....falsch an. Jedenfalls für mich, Emma war anderer Meinung, wie sooft.
Emma fühlt sich nicht komisch, ihr geht es gut. Das sagt sie der Frau aber nicht, sie redet nie viel mit Ihr. Die Frau weiß über gestern Nacht Bescheid, ich kann mir nicht erklären woher, ich habe es Ihr nicht gesagt. Sie fragt mich nach dem Grund. Ich will es Ihr nicht erzählen. Sie fragt weiter, sie sagt es würde mir helfen, darüber zu sprechen. Ich sehe unsicher zu Emma, fragend blicke ich sie an, Hilfe suchend. Sie sagt nichts, überlässt es mir.
Die Frau bemerkt meinen inneren Konflikt, sie weiß immer, wenn ich mich zerrissen fühle und unschlüssig bin was ich tun soll. Sie lächelt mir ermutigend zu, manchmal glaube ich fast Ihr vertrauen zu können. Aber Emma bläut mir immer wieder ein vorsichtig zu sein, niemandem außer ihr zu vertrauen. Sie meint, andere wollen nur, dass ich leide. Sie wünscht sich, dass ich glücklich bin, sie liebt mich.
Ich öffne den Mund, immer noch unschlüssig. Die Frau fragt wieder: Warum? Ich merke wie Worte versuchen aus meinem Inneren zu dringen, aber ich fühle mich als würden sie von einer Macht in mir aufgehalten. Ich fühle diese Macht oft in mir. Als wollte sie mir verbieten bestimmte Dinge zu tun oder zu sagen. Als nächstes spüre ich wie meine Augen feucht werden, wie Tränen meine Wangen hinunter laufen, als suchten sie die Freiheit. Ich bin nicht frei, nicht im Moment. Die Frau sagt, ich soll mir soviel Zeit lassen, wie ich brauche. Ich nicke leicht, das nehme ich nur am Rande wahr. Ich schließe die Augen, was zur Folge hat, dass für einen kurzen Moment weitere Tränen ihren Weg in die Freiheit suchen. Ich würde es Ihnen gerne gleich tun...einfach in die Freiheit rollen.
Ich versuche mich zu sammeln, mein Kopf tut so weh. Als ich mich bereit fühle die Augen wieder zu öffnen, fange ich an zu erzählen.
Er wollte uns wehtun, er hat Emma angefasst, sie wollte das nicht und hat ihm das auch gesagt. Er wollte nicht hören. Sie wollte mich vor ihm beschützen, sie wollte nicht, dass er mir zu Nahe kommt. Ich weiß nicht woher sie das Messer hatte –Emma, wieso sagst du denn nichts? Erklär es ihr doch, bitte, Sie wird es verstehen – Hören Sie, wirklich, sie wollte nicht, dass es soweit kommt. Als er zusammensackte und nur noch dalag, bekam sie es mit der Angst zu tun, sie wimmerte und war verzweifelt....genau wie ich. Wir wussten nicht was wir tun sollten, wir standen unter Schock...also liefen wir...liefen einfach weg. Bis zu unserer Tür und verschanzten uns dahinter. Wir hatten Angst...
Das stimmte so nicht ganz. Ich hatte Angst, schreckliche Angst. Emma hingegen hatte es erregt ihn zu töten. Sie fühlte sich gut dabei, stach immer wieder und wieder zu. Ich schrie sie an, sie solle damit aufhören, doch sie verhielt sich wie im Wahn. Sie stach auf ihn ein als wäre Er nichts als ein seelenloses Stück Fleisch. Ich wusste nicht einmal, ob er uns wirklich wehtun wollte. Vielleicht wollte er auch helfen. Doch ich glaube, das ist jetzt nicht mehr wichtig, genauso wie es die Male davor nicht wichtig war. Emma redete auf mich ein, sagte, es musste sein, sonst würden wir jetzt vielleicht an seiner Stelle dort auf dem nackten, kalten Boden liegen wie ein benutztes Handtuch. Ich wusste nicht, ob ich ihr das glauben sollte, aber ich gab es vor...ich wollte sie nicht verletzen, ich liebe Sie schließlich. Aber trotzdem erregte es sie, das Töten, das Blut, die Macht über ein fremdes Leben gerichtet zu haben. So sehr hatte es ihr Feuer entzündet, dass wir gingen, um jemanden zu finden der es löschen würde. Wir fanden ihn einige Türen weiter. Er war immer bereit, egal wann wir zu Ihm gingen. Wir hatten vor ein paar Monaten damit angefangen. Emma sagte, es mache ihr Spaß einen Mann zu benutzen, einen der bereit war zu tun, was immer sie von ihm verlangte.
Sie fackelte nicht lange, ging auf ihn zu und forderte das, wonach es ihr begehrte. Ich sah zu, wie ich es jedes Mal tat. Sie wollten, dass ich mitmache, aber das brauchte und wollte ich nicht. Es war mir auch so, als fühlte ich ihn in mir.
Das alles sage ich der Frau nicht, ich will Emma schützen. Aber Emma fängt plötzlich trotzdem an, mich zu beschimpfen. Ich verstehe das nicht, was habe ich denn falsch gemacht? Sie schreit mich an, ihr Gesicht ist wutverzerrt. Ich halte mir die Ohren zu und schließe wieder die Augen. So habe ich es auch schon früher gemacht, immer wenn ich Vater nach Hause kommen hörte. Ich wollte ihn nicht hören, nicht sehen.. nicht spüren....
Der Schmerz in meinen Kopf wird immer schlimmer. Die Frau redet auf mich ein. Ich versuche Sie anzusehen.. Sie scheint meine Gedanken zu kennen...habe ich sie doch laut ausgesprochen? Ich weiß es nicht. Die Frau sagt, ich müsse Emma als einen Teil von mir akzeptieren, sonst würde es immer so weiter laufen. Es würde mir zunehmend schlechter gehen. Sie sagt ich muss die Wahrheit erkennen, nur ich selbst kann Emma und mich wieder zueinander führen, nur ich kann erreichen, dass Emma nicht mehr über mich bestimmt. Sie sagt ich müsse endlich einsehen, dass Emma wieder ein Teil von mir werden muss, dass ich sie nicht weiterhin als eigenständige und vor allem dominante Person sehen und behandeln darf.
Warum sagt sie das? Emma muss wieder ein Teil von mir werden? Wie soll das funktionieren? Warum wieder? Sie ist doch ein normaler Mensch, das war sie schon immer. Oder etwa nicht? Warum werde ich so unsicher, warum nehme ich Emma plötzlich anders wahr. Was passiert hier? Mein Kopf fühlt sich an als würde er explodieren. Ich fange an, mit meine Fäusten gegen ihn zu hämmern. Die Frau versucht mich aufzuhalten, Emma nicht. Sie lacht. Ich höre sie laut und deutlich lachen. Sie sagt, ich sei ein kleiner hilfloser Wurm, nicht ein Stück besser als der Mann von gestern Nacht. Schwach und unterlegen. Wieso tut sie das? Ich dachte sie liebt mich. Die Frau hält mich fest, blickt Hilfe suchend um sich. In mir explodiert es erneut, aber nicht so wie gerade in meinem Kopf. Es ist, als würde gleißendes Licht durch mich fließen. Ich muss meine Augen ein weiteres Mal schließen. Ich erkenne, dass Emma mich nicht weiter beherrschen darf, dass sie mir nicht gut tut, dass sie nur auf Ihren Vorteil aus ist und mich ausschließlich für Ihre Zwecke missbraucht. Genau wie Vater damals, nur auf eine andere Art und Weise. Ich fühle mich von Ihr ausgesaugt. Ich will das nicht mehr. Nachdem ich meine Augen diesmal öffne, sehe ich, dass die Frau mir wieder gegenüber sitzt, ich habe aufgehört mich zu schlagen. Als ich mich umblicke ist Emma nicht mehr da und ich spüre, dass ich sie nie wieder sehen werde. Mir wird so vieles klar, ich fühle mich auf eine eigenartige Weise stärker. Ich weiß, dass ich noch nicht so weit bin von hier weg zu gehen. Ich sage der Frau, dass ich zurück in mein Zimmer möchte. Ich bin erschöpft, möchte mich ausruhen. Die Frau warnt mich noch, dass ich damit rechnen muss, ins Gefängnis zu kommen. Sie sagt auch, dass sie weiterhin versuchen will mir zu helfen, den anderen klar zu machen, dass es nicht meine Schuld war.
Es war Emmas Schuld, dass weiß ich. Ich weiß auch, dass ich mich ohne Gegenwehr darauf einlassen werde, wie ich es immer getan habe. Nur auf Emma, oder sonst jemanden, der von mir Besitz ergreifen will, werde ich mich nie wieder einlassen. Denn jetzt bin ich frei.