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Freiheit

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19.12.2004
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Freiheit

Es ist heiß. Zu heiß, um hier in diesem stickigen Klassenraum zu sitzen. Zu heiß, um jemandem zuzuhören, der nichts Konstruktives zu meinem Leben beitragen kann. Er weiß doch selbst nicht, wo er steht.

Ich schaue aus dem Fenster. Der blaue, endlose, strahlende Himmel offenbart mir unendliche Freiheit. Eine rote Backsteinwand versperrt mir die Sicht auf den Horizont, wie ein Stoppschild. Die Turnhalle, eine weitere Station der unnütz verbrachten Zeit.
Ich schaue ein letztes Mal nach vorne, wende mich dann ganz diesem Tor in die Freiheit zu. Keine Wand stört die Aussicht mehr. Ich beachte sie ganz einfach nicht. Sie ist nicht mehr da. Ich sehe nur noch weite Felder mit ihrem Korn, das sich zum Himmel emporstreckt und von einem sanften Wind leicht hin- und hergeschwungen wird.

Unbemerkt gleite ich in die warme Luft, sie strömt an mir vorbei. Ich steige höher und immer höher. Ich gleite durch das wolkenlose Himmelreich. Immer schneller. Die Felder verschwinden, nach und nach sehe ich einige Dörfer, ganz klein unter mir. Einige Bäume und Menschen, die ihre alltäglichen Aufgaben tun. Sie gehen einkaufen, arbeiten. Ich gleite weiter, treffe einen Vogelschwarm, grüße sie, ziehe vorüber. Unter mir ein Bauer, der eine unglaublich smaragdgrüne Wiese mäht. Die Farben sind von hier oben intensiver. Die Feldwege bilden Bilderrahmen, welche die Felder voneinander abgrenzen. Nur wenige asphaltierte Straßen hier. Die Sonne begleitet mich, treibt mich an.

Ich steige höher. Die Häuser bilden rote Farbkleckse, die Felder unterscheiden sich nur noch in Nuancen voneinander. In der Ferne kann ich es schon sehen, fast riechen. Ein salziger Geruch, der sich immer mehr verstärkt. Das Meer. Ich steuere immer schneller darauf zu. Muss es erreichen. Es bedeutet vollkommene Freiheit. Ich will frei sein. Salzige Luft umströmt meinen Körper. Sie ist kühler geworden.
Ich erreiche das Meer und schon nach kurzer Zeit umfängt es mich, ringsum nur noch Meer.
Ich breite die Arme aus, lege sie ganz eng an meinen Körper an. Neige meinen Kopf geradeaus und stürze hinab. Vollkommen frei werden die einzelnen Wellen immer größer, die Meereswand kommt näher, immer näher, ich....

„Und was meinst du dazu, Kristin?“, reißt mich plötzlich zurück. Kein Meer, keine Freiheit. Nur ein vorwurfsvoll schauender Relilehrer in einem stickigen, engen Klassenzimmer, der von mir eine Antwort erwartet. Und natürlich zwei Dutzend Schüler, die mich sensationslustig anglotzen. „Keine Ahnung.“, murmel ich und bin damit erst einmal nicht mehr gefordert.

Ich fahre mit meiner Zungenspitze vorsichtig über meine Lippen.
Sie sind ganz verkrustet vom Salz.

 

Hi Poldi,

mir hat die Geschichte gefallen :).
Man wartet sehnlichst auf das Eintauchen, würde dem Prot das von Herzen gönnen...


Eine rote Backsteinwand versperrt mir die Sicht auf den Horizont, wie ein Stoppschild. Die Turnhalle, eine weitere Station der unnütz verbrachten Zeit.

ich fände nach Stoppschild ein Doppelpunkt geschickt, dann kommt man mit dem folgenden Satz besser klar.


Sie sind ganz verkrustet vom Salz.

Eine andere Satzstellung zum Ende hin fände ich schöner.
Laß' Kirstin doch das Salz schmecken!

Das einzige, was ich noch bekritteln will:
Ich konnte mir kein gutes Bild machen, WIE sie gleitet:
Arme ausgebreitet wie ein Segelflieger...muss sie sich selbst noch anstrengen durch Armschlagen *grins* oder wird sie durch die Thermik getragen?

Wünsch dir bald ein tiefes Eintauchen...
bernadette

 

Hi,
schön geschriebene und gerade für Schüler gut nachvollziehbare Geschichte.
Eine Sache nur:

Einige Bäume und Menschen, die ihre alltäglichen Aufgaben tun
"Aufgaben tun" hört sich etwas seltsam an, wie ich finde.
Was hällst du von "die ihren alltäglichen Aufgaben/Arbeiten nachgehen" ?

Viele Grüße,
Neph, der heute noch in kaltes Süßwasser eintauchen wird ;)

 

Hallo Poldi!

Ja, eine schöne Geschichte, die ich wunderbar nachvollziehen kann :)

„Und was meinst du dazu, Kristin?“, reißt mich plötzlich (etwas / eine Stimme) zurück.

ein vorwurfsvoll schauender Relilehrer
Nur eine Kleinigkeit, aber "Relilehrer" klingt für mich sehr umgangssprachlich. Vielleicht "Religionslehrer", oder ist das zu lang?

„Keine Ahnung.“, murmel ich und bin damit erst einmal nicht mehr gefordert.
Ohne Punkt.

Wie gesagt, sehr schön zu lesen und wirklich gut nachvollziehbar :)

LG,
Nanine

 

Hallo Poldi!

Dein Text hat mich gedanklich wunderbar ans Meer entführt. Die Reise aus dem Klassenzimmer heraus hast du treffend beschrieben. Ich kann mich in die Schülerin gut einfühlen. Mir geht es da oft ähnlich, nur eben von der anderen Seite aus. Vorallem die letzten heißen Tage haben meine Gedanken oft wandern lassen. Die Klassenzimmer sind momentan die reinsten Backöfen. Der Schweiß läuft einem unaufhörlich die Stirn hinunter ... man quält sich durch den Stoff und sehnt sich die Sommerferien herbei ...

Gruß,
Theo

 

Hi poldi!

Eine sehr gelungende Geschichte, die man gut nachvollziehen kann.
:thumbsup:
Jedoch finde ich, dass der Ausdruck "Relilehrer" eher in die Umgangssprache gehört. "Religionslehrer" oder einfach nur "Lehrer" hört sich besser an.

Ich fahre mit meiner Zungenspitze vorsichtig über meine Lippen. Sie sind ganz verkrustet vom Salz.

Verbesserungsvorschlag: Ich fahre mit meiner Zungenspitze vorsichtig über meine Lippen. Sie sind ganz verkrustet und schmecken nach Salz.

Wie ich schon sagte: eine sehr gelungende Geschichte. Weiter so! ;)

Lieben Gruß,
Melaa :read: :rotfl: :read:

 

Hi poldi,

mir hat deine Geschichte sehr gut gefallen. Ich konnte mich wieder in meine Schulzeit versetzen. Oft waren die Stunden soooo langweilig und unnütz, dass man hätte die Zeit wirklich besser mit Träumen verbringen sollen.

Du hast die Gefühle des Prot sehr gut beschrieben. Und was immer kommt, wenn man mal im Unterricht träumt, die Frage des Lehrers: „Und was meinst du dazu?" Na ja, so ist man schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.

Meiner Meinung eine rundum gelungene Geschichte aus dem Schulalltag.

Viele Grüße
bambu

 

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