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Freundschaft

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02.11.2001
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Freundschaft

Ich sehe Ralf im Zimmer stehen.
Die Flasche mit dem Rosewein darin hält er dicht an den Körper gepresst. Ja, das ist Ralf.
Und die beiden anderen dort.
Gaby und Conny.
Zwei Jahre kennen sich die beiden.
Wie sich die aneinander schmiegen beim tanzen.
Musik von Nick Cave.
Das Schwarz in den Tönen. Seine Stimme und das Piano dahinter.

Ich küsse die kleine Frau.
,Isa' sage ich. Mehr braucht es nicht. Sie versteht mich. Alles ist da. Die Hüttenwärme, die Musik.
,Into my arms' singt Nick Cave.
Sanddünen liegen vor den Fenstern des Holzhauses. Das hohe Gras. Fasane rufen darin. Ein Verschmelzen von Rufen und den Wolkentürmen darüber. Ein Abend mit Wind.

Dänemark und seine Nordsee.
Oft haben wir davon gesprochen, hierher zu fahren. Gestern kamen wir an. Schon müde und wieder durstig. Der Motor von Ralfs Wagen hat noch lange geknistert im Dunkel vor dem Haus. Wir gingen in jener Nacht an den Strand. Ein Muschelstrand. So einer, von dem Isa erzählte in einem Hotel in München. Schalen von Krebsen und anderen Tieren knackten unter unseren Schuhen und silbern war das Meer. Der Sand, fein wie Asche, trug uns lautlos und nur die Wellen hatten Stimmen. Kein Wort musste sein. Eines wäre zuviel gewesen. Das wussten wir und wir schwiegen fast atemlos.

Jetzt ist der erste Tag zu Ende und die paar leeren Weinflaschen leuchten im Kerzenschein. Wir alle hier drinnen haben die Ahnung vom nahen Meer. Der Sturm vom Nordosten wühlt die See weit draußen auf. Wir tanzen. Ralf auch. Mit der Weinflasche. Im Gebälk des Hauses steht der Duft von Gebratenem. Conny hat das Bierfass angeschlagen und sein Lachen dabei klingt nach unendlicher Freundschaft. Vorgestern fuhr er noch mit dem Bagger und grub Straßen auf.
Sein Job eben. Ich liebe ihn dafür, dass es ihn gibt.
Wir haben uns eine Nische geschaffen. Hier sind wir und genau so wollten wir das, haben wir uns darauf gefreut. Ich sitze angelehnt an die Wärme einer wunderbaren Frau. Wir reden kaum. Es ist schön, so wie die Nacht nun ihren Anfang macht mit uns.

Wie alles um dieses Haus stöhnt und keucht. Wie der Wind rüttelt.
Kennen wir uns Jahrzehnte, dass wir mit diesem Gottvertrauen beieinander hocken?
Der Wein hat den Kopf schwer gemacht. Wie frisch das Bier nun schmeckt. Haubentaucher krächzen hinter den Dünen. Ralf erzählt von den Tagen seiner Jugend hier oben. Wir lauschen seinen Worten und dem Knattern der Fahne über dem Dachgiebel. Sand knirscht gegen das Fensterglas. Wir füllen das Haus mit unserer Freundschaft und wissen alles darüber. Es sind Stunden, die zu Augenblicken werden. Es muss nichts berichtigt, nichts erklärt werden. Es ist schön, dass wir fünf es geschafft haben bis zu diesem Ufer.

Die kleine Frau schneidet Weißbrot. Ich sehe sie dabei und wie sie geschickt mit dem Käse hantiert. Wie der Sturm beim Öffnen der Türe in den Vorraum drängt und die Papierservietten fliegen lässt. Dann ist sie wieder zurück mit dem leeren Mülleimer, wieder bei mir.
Das Haus ist dunkel.
Nur um die Kerzen ist gemäßigte Helligkeit.
Alte Kissen, der Esstisch, die Vasen auf dem Fensterbrett, die kleine Küche mit ihren Pfannen und Töpfen, die auf Haken hängen, alles wirkt plastisch. Skulpturen, die sich ergänzen und schon immer da waren.
Wie bin ich müde, denke ich. Sie reden über Entfernungen, langsame Sätze ohne einer Eile darin. Ich erzähle von meinem Bruder, von seinen Kindern, von einer Stadt, die weit weg ist von Muschelstränden.

Manches Mal braucht es Entfernungen, um zu finden.
Geborgen und frei fühle ich mich inmitten dieser Freundschaft.

 

hallo aqualung, eine neue, schöne geschichte von dir. eine story, die ruhe verströmt, die mit einer absolut minimalen handlung auskommt und ohne direkte rede - die aber dafür das innere auge und die anderen sinne gefangen nimmt.


Es muss nichts berichtigt, nichts erklärt werden.
- kann man es knapper und prägnanter sagen? so ist die stimmung, wenn alles stimmig ist. menschen, natur, licht, braten, wein und sogar das bier darauf!

ein paar kleinigkeiten....

Ich sehe sie dabei und wie sie geschickt mit dem Käse hantiert
- da dürfte was fehlen.


Haubentaucher krächzen hinter den Dünen
- ob man die hört bei sturmwind und knatternder fahne auf dem dach? ich bezweifle es.

und noch etwas: bei CONNY dachte ich spontan an eine weibliche person (abkürzung von Cornelia); war denn etwas erstaunt über das "er".

beste grüße. ernst

 

Hallo Aqualung,

es klingt sehr professionell, ja... es ist beeindruckend.
Vielleicht ist dies der Grund warum ich Deine Geschichten mind. zweimal lesen muß, um sie zu verstehen, eine Vorstellung zu bekommen.

Ich kann mir vorstellen, daß man sich in einer gewissen Grundstimmung befinden muß, Leser wie Schreiber, um Zugang zu finden. Mir gelingt es nicht, mir fehlt der Schlüssel. Ja, ich glaube tatsächlich, daß die Denkstrukturen Fundament jeder Arbeit sind.

Ich habe angedeutet, daß ich ein paar Fragen an Dich habe, werde jetzt aber doch ersteinmal abwarten, um mehr von Dir zu lesen, mal sehen, ob sich da etwas bei mir tut.


Liebe Grüße Archetyp

 

Hi Aqualung,

ich muß mich meinen Vorrednern anschließen; diese Geschichte ist wunderschön. Sie erzeugt fast schon bekannte Bilder in einem und jeder weiß, was Du mit diesem Gefühl Freundschaft meinst. Ich zumindest kann gut nachfühlen, wie Dir beim Schreiben dieser Geschichte zumute gewesen sein muß.
Es ist ein Gefühl von Sicherheit und (wie drückt man's aus?) Melancholie.

Gruß,
stephy

 

Vielen Dank euch Dreien für das Lesen meiner Geschichte.

Hallo Ernst,

wie soll ich meinem ersten und schnellsten Kritiker danken..
Conny steht für Conrad. Er will das so und es passt auch ganz zu seinem liebenswerten Wesen. Vielleicht war das Krächzen der Haubentaucher auch nur vom Wind vorgegaukelt, was meinst du?

Hallo Archetyp,

freue mich sehr, dass dich meine Geschichten zum Nachdenken bringen und du mit deren Zuordnung noch nicht klar kommst. Stehe für Fragen jederzeit offen.

Hallo stephy,

danke für deine herzliche Kritik. Genauso wollte ich das mit dem Schreiben ausdrücken. Und es ist nichts gedichtet dabei. Es waren das Momente, in denen ich Freundschaft unglaublich intensiv spüren durfte.

Liebe Grüße an Euch - Aqualung

 

Hi, ich bins schon wieder,

ich muß sagen, du hast es absolut drauf, Stimmungen zu erzeugen mit deinen Sätzen. Es ist diese Art und Weise, beim Erzählen viele kleine Sandkörner zu einem vollständigen Strand zusammenzufügen (wenn ich mal ein bißchen metaphern darf), und schon hört man die Wellen rauschen.

Und ich gebe dir recht: Die Entfernung verändert die Sicht, die Perspektive auf die Dinge, und sie gibt ihnen damit auch manchmal eine ganz neue Wertschätzung.

Klasse!

LG

Die Trainspotterin

 

Hallo Trainspotterin,

es freut mich sehr, dass auch mal jemand wieder in älteren Geschichten von mir kramt. Besonders freue ich mich darüber, dass du diese Geschichte gefunden hast.
Dass ich dir damit Bilder vermitteln konnte. Dass du darauf was zu schreiben wusstest.

Liebe Grüße - Aqua

 

Die ist auch schön, wirklich, die habe ich bloß gerade erst entdeckt.
Sehr schön sind die Worte, sie machen mir Gänsehaut.
Ich höre Nick Cave, sehe die Kerzen flackern und ahne inmitten der Menschen das Nordsee unten am Strand.
Fast schon unverzeilich die Geschichte erst jetzt zu lesen.
*********Merlinwolf**********

 

Danke für die Worte, die du dazu gefunden hast, Merlinwolf.

Liebe Grüße - Aqua

 

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