Freundschaft
Ich sehe Ralf im Zimmer stehen.
Die Flasche mit dem Rosewein darin hält er dicht an den Körper gepresst. Ja, das ist Ralf.
Und die beiden anderen dort.
Gaby und Conny.
Zwei Jahre kennen sich die beiden.
Wie sich die aneinander schmiegen beim tanzen.
Musik von Nick Cave.
Das Schwarz in den Tönen. Seine Stimme und das Piano dahinter.
Ich küsse die kleine Frau.
,Isa' sage ich. Mehr braucht es nicht. Sie versteht mich. Alles ist da. Die Hüttenwärme, die Musik.
,Into my arms' singt Nick Cave.
Sanddünen liegen vor den Fenstern des Holzhauses. Das hohe Gras. Fasane rufen darin. Ein Verschmelzen von Rufen und den Wolkentürmen darüber. Ein Abend mit Wind.
Dänemark und seine Nordsee.
Oft haben wir davon gesprochen, hierher zu fahren. Gestern kamen wir an. Schon müde und wieder durstig. Der Motor von Ralfs Wagen hat noch lange geknistert im Dunkel vor dem Haus. Wir gingen in jener Nacht an den Strand. Ein Muschelstrand. So einer, von dem Isa erzählte in einem Hotel in München. Schalen von Krebsen und anderen Tieren knackten unter unseren Schuhen und silbern war das Meer. Der Sand, fein wie Asche, trug uns lautlos und nur die Wellen hatten Stimmen. Kein Wort musste sein. Eines wäre zuviel gewesen. Das wussten wir und wir schwiegen fast atemlos.
Jetzt ist der erste Tag zu Ende und die paar leeren Weinflaschen leuchten im Kerzenschein. Wir alle hier drinnen haben die Ahnung vom nahen Meer. Der Sturm vom Nordosten wühlt die See weit draußen auf. Wir tanzen. Ralf auch. Mit der Weinflasche. Im Gebälk des Hauses steht der Duft von Gebratenem. Conny hat das Bierfass angeschlagen und sein Lachen dabei klingt nach unendlicher Freundschaft. Vorgestern fuhr er noch mit dem Bagger und grub Straßen auf.
Sein Job eben. Ich liebe ihn dafür, dass es ihn gibt.
Wir haben uns eine Nische geschaffen. Hier sind wir und genau so wollten wir das, haben wir uns darauf gefreut. Ich sitze angelehnt an die Wärme einer wunderbaren Frau. Wir reden kaum. Es ist schön, so wie die Nacht nun ihren Anfang macht mit uns.
Wie alles um dieses Haus stöhnt und keucht. Wie der Wind rüttelt.
Kennen wir uns Jahrzehnte, dass wir mit diesem Gottvertrauen beieinander hocken?
Der Wein hat den Kopf schwer gemacht. Wie frisch das Bier nun schmeckt. Haubentaucher krächzen hinter den Dünen. Ralf erzählt von den Tagen seiner Jugend hier oben. Wir lauschen seinen Worten und dem Knattern der Fahne über dem Dachgiebel. Sand knirscht gegen das Fensterglas. Wir füllen das Haus mit unserer Freundschaft und wissen alles darüber. Es sind Stunden, die zu Augenblicken werden. Es muss nichts berichtigt, nichts erklärt werden. Es ist schön, dass wir fünf es geschafft haben bis zu diesem Ufer.
Die kleine Frau schneidet Weißbrot. Ich sehe sie dabei und wie sie geschickt mit dem Käse hantiert. Wie der Sturm beim Öffnen der Türe in den Vorraum drängt und die Papierservietten fliegen lässt. Dann ist sie wieder zurück mit dem leeren Mülleimer, wieder bei mir.
Das Haus ist dunkel.
Nur um die Kerzen ist gemäßigte Helligkeit.
Alte Kissen, der Esstisch, die Vasen auf dem Fensterbrett, die kleine Küche mit ihren Pfannen und Töpfen, die auf Haken hängen, alles wirkt plastisch. Skulpturen, die sich ergänzen und schon immer da waren.
Wie bin ich müde, denke ich. Sie reden über Entfernungen, langsame Sätze ohne einer Eile darin. Ich erzähle von meinem Bruder, von seinen Kindern, von einer Stadt, die weit weg ist von Muschelstränden.
Manches Mal braucht es Entfernungen, um zu finden.
Geborgen und frei fühle ich mich inmitten dieser Freundschaft.