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- 27.02.2002
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Freundschaftsdienst
Es war kalt und feucht, ich war fast taub. Halb eingegraben, um mich herum donnerte das Geschützfeuer. Ich hatte aufgehört bei jedem Schuß zusammen zu zucken. Die Angst hatte mein ganzes Wesen eingenommen und mich erstarren lassen. WIEDER DIESER SCHREI! Ich konnte mich nicht umdrehen, nicht dem Feind ins Auge blicken, nicht zurück schießen. Ich saß nur da, drückte meinen Rücken an die feuchte Lehmwand hinter mir, klammerte mich an mein Gewehr und kniff die Augen zu.
Um mich herum schlugen immer wieder Granaten ein, welche die Erde auseinander rissen um tödliche Splitter und Dreck durch die Luft fliegen zu lassen. DIESER SCHRECKLICHE SCHREI! Ich sah diese Einschläge nicht, denn jedesmal kniff ich meine Augen noch fester zu, so daß es fast weh tat. Nur der Knall und die darauf folgenden Schreie der Verletzten drangen in mein Bewußtsein. Sowieso waren es mehr die Geräusche und Gerüche die ich wahr nahm. So verlor ich mich in dem Zischen der Gewehrkugeln, dem knallen der Explosionen und dem dumpfen Stampfen unserer Luftabwehrgeschütze. ES IST EIN HILFESCHREI! Es mischte sich der Geruch von verschossenem Schwarzpulver darunter, zusammen mit dem von verbrannten Fleisch. Hin und wieder hörte ich die gebellten Befehle unseres Zugführers, wir seien doch keine Muttersöhnchen, sondern echte Männer. Ich hab mich noch nie so nach dem Rockzipfel meiner Mutter gesehnt wie in diesen Stunden im Schützengraben.
Immer wieder sah ich Szenen aus meinem Leben vor meinem inneren Auge ablaufen. Peter und ich, wie wir Bonbons bei Bolschenmeier klauten. Wie wir dabei erwischt wurden und wie meine Mutter uns deswegen ausschimpfte. Peter blieb bei so etwas immer ganz ruhig, er nahm die ganze Schuld auf sich und lächelte hinterher immer als wäre nichts passiert. DER SCHREI IST AN MICH GERICHTET. Er war mein bester Kumpel und damals als ich ins Eis auf dem Dorfteich eingebrochen war hat er mir sogar das Leben gerettet. Niemand sonst hat sich nah genug an die Stelle heran getraut an der ich eingebrochen war. Sie hätten mich ersaufen lassen. Nur Peter nicht. Er lief zum nächsten Haus und besorgte sich eine Leiter und kroch auf ihr an mich heran. Er bekam mich zu fassen und zog mich aus dem eiskalten Wasser. Hinterher hatte er wieder gelächelt als wäre nichts gewesen. Wir sind zusammen erwachsen geworden und haben uns auch zusammen entschlossen uns freiwillig bei der Armee zu melden. Wir waren in den selben Zug gekommen und zogen gemeinsam an die Front. ER FLEHT MICH AN. Anfangs war es für uns wie damals, als wir mit den Kindern aus der Nachbarschaft Räuber und Gendarm spielten. Wir beiden Seite an Seite gegen den Rest. Doch irgendwann merkten wir, daß es nicht so war wie früher. Wir konnten uns nicht mehr um den anderen kümmern, hatten genug damit zu tun unser eigenes Leben zu verteidigen. Ich hätte auch mit jedem anderen in diesen Krieg ziehen können, manchmal wünschte ich mir sogar es sei nicht Peter gewesen der neben mir im Schützengraben lag. ER IST VERSTUMMT.
Als ich die Augen öffnete sah ich ihn. Peter. Er lag kaum eine Armlänge von mir entfernt, in einer dunkel roten Lache aus Blut, seine Gliedmaßen in einem unnatürlichem Winkel vom Körper abgespreizt. Seine toten Augen schauten mich an, sein Mund war zu einer Grimasse verzogen. Voller Schmerz und Mißachtung. Diesmal lächelte er hinterher nicht, als sei nichts gewesen. Es ist etwas gewesen. Er lag schwer verwundet vor mir und ich saß hier mit vollgepisster Hose und war zu feige ihm zu helfen. Wäre es doch nicht Peter gewesen, der da neben mir im Schützengraben gelegen hat.
[Beitrag editiert von: SignoreSalami am 30.03.2002 um 11:52]