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Fridolin
Niemals würde er wieder zurück in das Haus gehen. Niemals. Es war nicht mehr sein Zuhause. Das Zuhause, in dem er als kleiner Junge gelacht und sich wohlgefühlt hatte war Vergangenheit. Sie war krank geworden und dadurch hatte sich alles verändert.
Der Himmel war mit Sternen übersät. Jakob blickte nach oben, versuchte alle Sterne auf einmal zu sehen und nach ihnen zu greifen. Sie sind zu weit weg, flüsterte eine leise Stimme in ihm. Viel zu weit weg, da musst du dich schon ein bisschen mehr anstrengen. Jakob strengte sich mehr an. Reckte seinen Arm immer weiter gen Himmel. Es fehlte nur noch ein kleines Stück, er zerrte an seinem Arm, presste die Lippen aufeinander und schloss die Augen. Nur noch ein kleines Stück, nur noch ein kleines Stück... er hatte es geschafft. Er umklammerte den Stern erst mit der einen Hand, zog ihn zu sich herunter und umklammerte ihn dann mit beiden Händen. Fest umschlossen.
„Du zerdrückst mich,“ sagte eine leise, liebliche Stimme.
„Oh, entschuldige“, murmelte Jakob, leicht zurückschreckend. Mit der Tatsache, dass der Stern sprechen konnte hatte er nicht gerechnet. Aber da er nun einmal sprechen konnte, würde er auch einen Namen haben.
„Wie heißt du?“ fragte Jakob und öffnete langsam seine Hand. Der kleine Stern blinzelte ihn an und lächelte schließlich.
„Ich habe keinen Namen. Deswegen hast du mich doch geholt. Ich gehöre dir. Du kannst mir einen Namen geben.“ Jakob überlegte und wiegte den kleinen Stern in seiner Hand hin und her. Er gehört mir. „Gefällt dir Fridolin?“
„Ja.“
Zufrieden nickend stapfte Jakob weiter, der Stern in seiner umschlungenen Hand. Der Schnee war hoch und der Wind pfiff. Es war kein weiter Weg. Bis zu seinem Haus waren es nur noch ein paar Meter. Kurz vor dem Haus blieb er stehen.
„Ich möchte nicht hinein gehen,“ sagte Jakob leise zu dem Stern. „Meine Schwester ist krank und meine Eltern sind traurig. Meine Schwester wird sterben und meine Mutter wird noch trauriger sein. Es riecht nach Medizin und es muss immer dunkel sein, da meine Schwester Kopfschmerzen hat. Es ist sehr dunkel darin,“ er schniefte und sah Fridolin mit großen, erwartunsgsvollen Augen an. Fridolin zog die Augenbrauen hoch. Es wirkte beinahe vorwurfsvoll.
„Du hast doch mich. Ich bin hell," Fridolin machte eine bedeutungsvolle Pause und fügte dann noch hinzu: "ich bin ein Stern.“ . Jakob wartete kurz. Dann öffnete er die schwere Holztür und ging hinein. Der Medizingeruch drang ihm entgegen und die Dunkelheit verschlang ihn. Aber er wusste, Fridolin würde ihm den Weg zu seinem Zimmer weisen. Fridolin leuchtete in seiner Hand.
Jakob ging an dem Elternschlafzimmer vorbei. Seine Eltern unterhielten sich leise. Sie flüsterten, um die Schwester nicht zu wecken. Er blickte kurz in das Zimmer seiner Schwester. Das hatte er schon seit einigen Tagen nicht mehr getan. Sie schlief ebenfalls. Ruhig und friedlich hörte er ihren Atem. Er ging weiter zu seinem Zimmer. Das Zimmer war klein. Nur ein Bett, ein Fenster, ein Schrank und sein Schreibtisch standen darin. Aber das Bett war gemütlich und groß und man konnte durch das Fenster blicken, wenn man darin lag. Ohne sich auszuziehen kroch er hinein und öffnete seine Hand. Fridolin war verschwunden. Jakob erschrak kurz und blickte dann durch das Fenster. Der Himmel war immer noch wolkenlos und die Sterne funkelten. Und Jakob wusste, wenn er morgen wieder nicht nach Hause wollen würde, würde er einfach wieder nach Fridolin greifen.