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Fritten und Bier... und keine Pfeife
Wer auch immer dieser Frittenbude hinter dem Hauptbahnhof einst den Namen Wurst und Durst gegeben hat, er muß ein verfluchtes Genie gewesen sein. Entweder das oder betrunken. Vielleicht auch beides, aber auf jeden Fall gab es in dieser schummrigen Spelunke, die man nur deshalb nicht als abgewrackt bezeichnen konnte, weil es in einem echten Wrack meistens weniger Ratten gibt, die beste Bratwurst der Stadt.
"Moin Walther. Mach mir mal ne Curry klar. Mit Pommes und lecker Pils dabei."
"Geht los, Norbert. Geht los. Rudi und Heinz sind schon am Stammtisch." Eigentlich war diese Information vollkommen unnötig, denn zum Einen war Walthers Laden nicht groß genug, um den Tisch hinten in der Ecke übersehen zu können und zum Anderen waren Rudi und Heinz sowieso immer da.
Während Norbert seinen Mantel an den Garderobenhaken hing, seinen Schal und die Mütze in die Ärmel stopfte und sich eine Kippe ansteckte, war die Diskussion seiner beiden Freunde schon in vollem Gange. Rudi war dabei, eine unförmige Fritte nachdenklich in seiner Hand hin und her zu drehen, so als würde man, wenn man erst einmal den richtigen Blickwinkel auf sie hätte, von dieser Fritte auf die Natur des Universums schließen können. Heinz beschränkte seinen Teil der Konversation auf den ein oder anderen Rülpser und mühsam hervorgebrachte Kicherlaute, während er mit glasigen Augen irgendeinen Punkt am anderen Ende seiner Welt fixierte. Norbert fühlte sich sofort daheim - alles war wie immer.
"Der Punkt ist doch, Heinz, daß diese Fritte hier... hörst du mir eigentlich zu?"
"Hihi..."
"Naja, auf jeden Fall ist diese Fritte hier eigentlich gar keine Fritte, sondern eine Metapher."
"Moin, Rudi, olle Nuckelpinne. Versuchst du schon wieder, Heinz den Sinn des Lebens zu erklären?"
"Einer muß das ja machen. Setz dich, Nobby. Setz dich und hör zu. Das könnte irgendwann ma wichtig werden. Also, ich war grade dabei, Heinz zu erklären, warum diese Fritte hier keine Fritte is."
"Is klar..." Da es sich bei Walthers Fritten um alles mögliche handeln mochte, abgesehen von Kartoffelstäbchen, die in heißem Fett gebadet wurden, fand Norbert die Theorie bisher gar nicht so abwegig.
"Also, sie is natürlich schon eine Fritte, aber zugleich is sie ein Sinnbild dafür, daß ne Fritte, die unter anderm ne Fritte darstellt, unter gewissen Umständen auch mehr sein kann, als nur ne Fritte. Klar?"
"Hihi..." Heinz schloß vergnügt die Augen und träumte von Apfelkorn.
"Glasklar. Ja, echt jetzt. Sag mal, wieviele Bier hat denn der Heinz schon?"
"Is sein erstes. Kennst du Magritte?"
"Wer ist tot?"
"Magritte. Das isn Maler. Der hat dieses Bild gemalt auf dem ne Pfeife zu sehen ist. Drunter hat er dann geschrieben, daß das keine Pfeife sein sollte."
"Warum?"
"Genau das is der Punkt, den ich soeben dem Heinz hier am Auseinandersetzen gewesen bin. Es geht eben darum, daß dieses Bild der Pfeife keine Pfeife darstellt, sondern... sondern... naja, irgendwas anderes halt."
"Und was? Ne Kaffeemaschine vielleicht?"
"Von mir aus auch das. Nun, Magritte hat also dieses Bild gemalt, ja. Und der springende Punkt is jetz, also ich mein, das worum es geht, die Kernaussage meiner Argumentation quasi, das Quentchen auf dem i, die Essenz meiner... also, ich meine..."
"Du meinst das, was du mir sagen wolltest?"
"Genau. Also, Magritte hat keine Pfeife gemalt, sondern ein Bild, das im Prinzip alles darstellt."
"Abgesehen von einer Pfeife, ich weiß", sagte Walther gelangweilt und stellte den Teller mit der Currywurst vor Norbert auf den Tisch. "Bier kommt gleich. Sieben Minuten, du weißt schon."
"Kann ich auch nochn Pils haben?", fragte Rudi.
"Hihi..."
"Für Heinz auch noch eins."
"Der hat doch noch. Du weißt genau, daß er nix verträgt." Walther schüttelte den Kopf und marschierte wieder hinter seinen Tresen, um das ein oder andere Glas mit dem Abwaschwasser von gestern Bekanntschaft machen zu lassen.
"Heinz macht mir Sorgen", sagte Norbert. "Ich mein, der trinkt sonst nie und jetz guck ihn dir mal an..."
"Ja, das is, weil ihn doch gestern diese Außerirdischen entführt haben, weißte. Also, zurück zu der Fritte. Metaphorisch gesehen wollte Magritte uns also sagen, daß man nicht auf die Äußerlichkeit einer Sache sehen sollte, sondern die Intention, die dahinter liegt, begreifen zu versucht haben.... versuchen, begriffen zu haben... oder so. Verstehste?"
"Nein, aber red weiter. Ich muß eh essen."
"Ich mein, das is doch quasi die Aussage von dem Bild jetz. Und wenn man das auf die Fritte überträgt, dann is das keine Fritte, also rein äußerlich schon, aber worum es geht ist, daß diese Fritte alles sein kann."
"Außer einer Fritte?", fragte Norbert mit vollem Mund.
"Du hast mir nich zugehört, oder? Das spielt doch hier überhaupt keine Rolle jetz!"
"Tut mir leid." Walther brachte ihnen zwei Bier an den Tisch. Normalerweise hätte Rudi jetzt protestiert, daß die sieben Minuten noch gar nicht um gewesen wären, aber er war zu sehr in Rage wegen der Frittensache. Heinz koordinierte seine Hand zumindest soweit, daß er sein halbvolles Glas erheben und mit seinen Freunden anstoßen konnte. Dann schlief er ein.
"Ja, war wohl ne harte Sache für ihn, das mit den Außerirdischen. Haben ihm wohl irgendwas in den Hintern gepflanzt."
"Du, ich esse noch."
"Macht ja nix. Jedenfalls haben die ihn dann nackt auf der Straße liegen lassen. Mitten im Winter!"
"Saubande."
"Jawoll! Saubande. Aber zurück zu meiner Fritte, die ja, wie wir jetzt rausgefunden haben, quasi alles darstellen kann..."
"Inklusive einer Fritte."
"Alles inklusive einer Fritte. Naja, und jetz wird's nämlich interessant. Überlegt man nämlich, daß nicht nur die Fritte alles sein kann, also rein von der Intention her, dann könnte auch alles andere irgendwas anderes sein. Oder sogar alles."
"Hä?"
"Alles halt."
"Ach so." In Wirklichkeit hatte Norbert kein Wort verstanden, aber er wußte, wann es besser war, Rudi nicht zu unterbrechen. Stattdessen schluckte er den letzten Wurstzipfel runter und spülte mit ausreichend Bier nach.
"Juhungs... mir isss nich so gut gerade..." Heinz war aufgewacht und hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Magen.
"Mußt du kotzen?"
"Nee... hihi... dassoch nich. Pibbi machn."
"Ja, so ein halbes Pils triebt enorm", sagte Norbert mit ironischem Unterton.
"Findest du deinen ironischen Unterton angemessen? Ich mein, der Heinz verträgt halt nix."
"Ja, tut mir leid. Also, dann trag ihn mal zum Klo."
"Nix Klo. Das hat der Walther doch dichtgemacht, als letztens der Penner da einfach so in die Ecke ge..."
"Ach ja, richtig. Also nach draußen."
...
"Juhungs... mir is kalt..."
"Das liegt am Schnee, Heinz."
"Wolln wir... wolln wir nich um die Wette..."
"Och nee, Heinz, lass mal. Aus dem Alter sind wir doch raus."
"Ach, nu ste... stelldeuch ma nich so a... an."
Da Norbert die Idee eigentlich ganz reizvoll fand und auch Rudi zugeben mußte, daß das Bier bei ihm einen gewissen Druck verursachte, standen die drei nur wenig später vor einer jungfräulich weißen schneebedeckten Wiese hinter dem Imbiss. Walther gab den Schiedsrichter.
"Also Jungs, ganz leicht eigentlich. Wir spielen nach alter Hamburgregel. Gewonnen hat, wer seinen Namen am leserlichsten in den Schnee pinkeln kann."
"Hihi... dassis aber lahangweilig..."
"Naja, für Nervenkitzel is gesorgt, Jungs. Ihr wißt doch, daß ich im Sommer hier diese Maulwürfe hatte. Und da hab ich Fallen ausgelegt, die den Biestern mit Strom kommen. Die müßten hier noch irgendwo unter dem Schnee liegen."
"Du weißt aber schon, Walther, daß das nicht ganz ungefährlich is, oder?", fragte Norbert, dem diese Enthüllung Unbehagen verursachte. Er war mal als Kind gegen einen Weidenzaun gelaufen und hatte seitdem ein Trauma, was Strom anging.
"Willste kneifen?"
"Nix da. Geht los jetz!", sagte Walther. "Auf die Plätze, fertig und dann los."
"Hihi..."
...
Der weitere Verlauf des Abends ließe sich in etwa so zusammenfassen, daß Norbert nach Meinung der Einmannjury seinen Namen am besten darstellen konnte, was vor allem seinem kunstvollen Aufschwung beim N zu verdanken war, Rudi die Falle getroffen hatte, die in diesem Fall wirklich nur eine Falle darstellte und von der Metaphorik von allem nicht die geringste Ahnung hatte und Heinz auf eine Revanche bestehend noch ein zweites Bier orderte und dieses dann doch nicht trank.
... und irgendwann am nächsten Tag entdeckte Walther beim Putzen seiner Kneipe unter dem Tisch eine unförmige Fritte. Nachdenklich drehte er sie in seiner Hand hin und her, so als würde man, wenn man erst einmal den richtigen Blickwinkel auf sie hätte, von dieser Fritte auf die Natur des Universums schließen können...