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Gambetta der alte Junggeselle

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09.04.2005
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Gambetta der alte Junggeselle

Als Gambetta an diesem Morgen den Bus nahm, wusste er nicht, dass in der strada di Fiori bereits eine ebenso altermässige Dame nach ihm Ausschau halten würde. Er ließ sich nämlich jeden Tag vom städtischen Bus in die Altstadt kutschieren, wo er dann bei einem caffè machiatto die Zeitung las.
Noch vor einem Jahr arbeitete er bei der Steuerbehörde. Seitdem ist er pensioniert, verfolgt kein bestimmtes Ziel mehr. Er ist Junggeselle und wird es wohl bis zu seinem Tode auch bleiben. Über seine Pensionierung hatte er mit niemand gesprochen, sogar der cameriere der ihn schon seit über zwanzig Jahre in diesem Lokal bediente, blieb ahnungslos. Äußerlich war es ihm auch nicht anzumerken, dass er kein Staatsdiener mehr war, er trug wie immer einen tadellosen Anzug, Hemd und die dazu passende Krawatte. Normalerweise verweilte er etwa eine halbe Stunde im Kaffeehaus, genauso lang wie er es noch vor einem Jahr tat, stand dann auf, hängte den Zeitungshalter wieder an den Haken und verabschiedete sich höflich. Doch an diesem Tage sollte alles anders werden.
Gambetta saß ganz lässig am runden Tisch, die Beine übereinander gekreuzt, als sich Schritte näherten. Ein Hauch von süßlichem Parfum umgarnte ihn plötzlich. Eine Dame fragte mit charmanter Stimme, ob sie sich an seinen Tisch setzen könnte. Gambetta nickte, obwohl er nicht so recht verstand, warum sie gerade diesen Tisch auswählte, wo doch die anderen nahezu alle leer waren.
„Signor Gambetta… Rino Gambetta?“
„Ja, Signora“, antwortete dieser und war überrascht, dass sie seinen Namen kannte.
„Signorina“, berichtigte sie seine Anrede.
Gambetta entschuldigte sich und wollte weiterlesen. Doch die Dame beließ es nicht dabei. Sie redete weiterhin auf ihn ein, sodass Gambetta schlussendlich die Zeitung nach einer Weile auf die polierte Tischplatte hinlegte.
„Hören Sie Signorina, ich kenne Sie nicht …“
„Mein Name ist Florella Batista“, unterbrach Sie ihn.
„Na gut, Signorina Batista, was wollen Sie von mir und überhaupt wer hat Ihnen meinen Namen gesagt“, wollte er wissen.
„Eine gute Bekannte von Ihnen, ihr Mann ist Bäckermeister.“
Gambetta schluckte, denn er wusste sehr wohl, wen sie damit meinte, er hatte nämlich vor langer Zeit ein Techtelmechtel mit der Bäckersfrau. Wollte die vornehme Dame ihn vielleicht damit erpressen? Als hätte sie seine Gedanken gelesen, erklärte sie, dass sie an seinem frühen Liebesleben keine Interessen anzeigen würde. Ihr läge nur etwas an der Zukunft.
„Zukunft?“, wiederholte Gambetta nichts ahnend.
„Genau, an unsere Zukunft“, beherzigte sie ihre Absicht.
„Hören Sie Signorina …“
„Batista.“
Wiederum musste Gambetta schlucken, doch diesmal war es nicht aus Peinlichkeit, sondern vielmehr aus Entrüstung. Aber er konnte sich beherrschen, schließlich war er ja jahrzehntelang ein Staatsdiener gewesen und Wutausbrüche konnte er rechtzeitig zügeln.
„Hören Sie Signorina Batista, was Sie mit ihrer Zukunft bezwecken, ist Ihnen allein überlassen, aber meine Zukunft möchte ich schon selbst gestalten.“
„Ihre Zukunft? Sie haben doch keine, sehen Sie sich an, Sie sind ein Träumer, Sie gaukeln den Menschen tagtäglich etwas vor, dem Nachbar … sogar dem Kellner.“
„Wie bitte?“ Gambetta versuchte ruhig zu bleiben, blickte rüber zu der dampfenden Espressomaschine, winkte dem Kellner zu. Dieser trat sogleich an den Tisch. Er beugte sich leicht zu Gambetta hinunter und fragte:
„Wie immer Signor Gambetta ein caffè machiatto?" „Nein, ein Espresso“, erwiderte er dem verdutzten Kellner, denn es war das erste Mal in den vielen Jahren, dass er einen Espresso bestellte.
„Sehen Sie sich doch an, Signor Gambetta, Sie sind über ein Jahr aus der Arbeitswelt ausgeschlossen und benehmen sich so, als gehörten Sie noch zu dieser Möchtegernelite des Staates.“
„Na und, was stört Sie daran?“
„Nichts, aber ich werde dieses Jahr ebenfalls aus dieser angeblich heilen Arbeitswelt ausscheiden, und ich will nicht wie Sie in der Vergangenheit weiterleben, ich will in der Zukunft etwas wagen.“
„Schön für Sie“, sagte Gambetta und nippte an der kleinen Porzellantasse.
„Wissen Sie Signor Gambetta, … das Leben ist, wie der Giro, es besteht aus Etappen. Nach jeder Etappe versucht der Fahrer neue Kräfte zu sammeln, damit er die Nächste vielleicht besser fahren kann. Bis er dann die letzte Etappe vor Augen hat. Dieser Etappe möchte er dann seine restliche ganze Kraft aufopfern, und wir stehen vor der letzten Etappe Signor Gambetta.“
„Hören Sie Signorina, Sie können jetzt weiter philosophieren, ich jedenfalls werde nach Hause fahren.“
„Das geht aber nicht, Signor Gambetta.“
„Warum?“
„Wegen der Nachbarn, was würden die sich ausdenken, wenn Sie so früh nach Hause kämen. Sie sollten doch in ihrem Büro sein.“
Gambetta wollte nichts mehr hören, stand auf und wollte der Frau entfliehen. Sie aber trat ganz nahe an ihn ran und mit leiser Stimme flüsterte sie ihm zu:
„Am Freitag, werde ich wiederkommen, dann können Sie mir ihre Entscheidung mitteilen, allein weiter zu vegetieren oder gemeinsam mit mir die Zukunft neu gestalten.“
„Was macht Sie so sicher, dass ich am Freitag hier aufkreuze?“
„Sie werden kommen, und Sie werden bis dahin Gedanken anstellen. Sie werden sich jemanden anvertrauen und wenn es nur, wie bei mir, der zottigen Katze ist.“
Und wie Recht sie hatte; war es der Espresso oder waren es gar die Faseleien dieser Frau, jedenfalls schien Gambetta völlig aufgedreht zu sein, als er wieder zu Hause ankam. Er stand im Schlafzimmer, wo an der Wand eine vergilbte Fotografie seiner Mutter angenagelt war. Er sprach zu ihr, wie immer wenn er einen Entschluss zu fällen hatte, bat sie um Rat, um ein Zeichen. Aber er wusste sehr wohl, dass sie ihm auch diesmal nicht helfen könnte.
Aber der Freitag kam und es wäre ein verdammt schöner Tag gewesen, wäre da nicht diese Signorina Batista, dachte Gambetta, als er ein wenig zappelig das Haus verließ. Er wusste, dass sie auf ihn warten würde. Während der kurzen Busfahrt überkamen ihm dann unterschiedlichste Gefühlsausbrüche, die sich in kalten und warmen Wellen durch seinen Körper abwechselnd jagten.
Das Kaffeehaus in der Altstadt war bereits dicht besucht und Gambetta hatte große Mühe noch einen Platz am Fenster zu erhaschen. Gleich darauf traf Signorina Batista ein. Sie saßen sich nun einen Augenblick wortlos gegenüber, bis er die Initiative übernahm.
„Florella…ich darf Sie doch so ansprechen?“
„Immerzu, Rino“, antwortete sie amüsiert.
„Nun gut, ich möchte den Giro mit Ihnen zusammen beenden“, sagte er und war heilfroh, dass ihm die aufgegriffene Metapher im letzten Moment wieder eingefallen war.

„Ich bin sehr glücklich darüber Rino, und ich will mein Bestes geben, damit unsere letzte Etappe noch ein Weilchen anhält“, sagte sie lächelnd.
„Hoffentlich nicht zu lange“, meinte Gambetta.
„Wie bitte?“, fragte sie überrascht.
„Na ja, ich war schon immer ein miserabler Radfahrer.“
Sie fand die Ausrede recht lustig und beichtete ihm dann lachend:
„Rino, … ich kann überhaupt nicht Rad fahren.“

 

hallo lettre,

ich muss raten, geht es um eine liebesbeziehung? beide scheiden aus dem berufsleben aus, und sie denkt, eine ehe oder ähnliches wäre ein ersatz? ich als leser hatte anfangs vermutet, dass die frau ihm eine selbstständigkeit vorschlagen würde, das wäre die inhaltliche assoziation bezüglich ausscheiden aus dem staatsdienst. die frau bewegt sich so sehr in der metapher, dass es dem leser eventuell verschlossen bleibt. wenn der mann mit dem bild spricht, und dabei nur erwähnt, dass er es eigentlich gewohnt sei, allein zu leben, wäre der hinweis stark genug. also, ein wenig direkter musst du wohl werden, um den leser zu lenken.

stilistisch ist das wieder einmal sehr schön. ich mag deinen stil und lese ihn gerne. er ist belebend und motiviert bis zum ende. die pointe ist auch wieder typisch deine - zart und schön.

nur einige kleinigkeiten:

Als Gambetta an diesem Morgen den Bus nahm, wusste er nicht, dass in der strada di Fiori bereits eine ebenso altrige Dame nach ihm Ausschau halten würde.
"altrige" *smile*, ist das eine mischung aus "alte" und "klapprige"?

Eine Dame fragte mit charmanter Stimme, ob sie sich an seinen Tisch setzen konnte.
"konnte" >> "könnte"

Sie quatschte ihn weiter an, sodass Gambetta schlussendlich die Zeitung nach einer Weile auf die polierte Tischplatte hinlegte.

"quatschen" ist eine negative wertung. ich kann mir nicht vorstellen, dass du das beabsichtigt hast. "sie redete weiterhin auf ihn ein."
aber grundsätzlich wäre es schöner, wenn du die frau reden lässt.

Als hätte sie seine Gedanken gelesen, erklärte sie, dass sie an seinem frühen Liebesleben keine Interessen anzeigen würde. Ihr läge nur etwas an der Zukunft.

einen kritikpunkt, den ich bei deinen anderen geschichten auch immer wieder habe. das, was du zu erzählen hast, ist gut. dein talent für wörtliche rede ist ebenfallst sehr gut. es gibt gar keinen grund dafür, indirekte rede zu verwenden. lass sie erzählen. fürhe den dialog komplett aus und unterbreche ihn nur für kleine gestiken (rührte seinen kaffee um, kratzte sich am hals etc).

was Sie mit ihrer Zukunft bezwecken ist Ihnen allein überlassen,

vor "ist" ein komma

„Na und, was stört Sie daran.“

ist das eine frage?

„Sie werden kommen, und Sie werden bis dahin echte Gedanken anstellen. Sie werden sich jemanden anvertrauen und wenn es nur wie bei mir, der zottigen Katze ist.“

ich stoße mich an dem wort "echte" es klingt künstlich und fremd für den ganzen dialog. kannst du das vielleicht streichen?
vor "nur" ein komma

Und wie Recht sie hatte; war es der Espresso oder waren es gar die Faseleien dieser Frau, jedenfalls schien Gambetta völlig aufgedreht zu sein, als er wieder zu Hause ankam.

aber ich frage mich ernsthaft, wovon!

und sie ihm dann die unangenehme Frage stellen würde.

ich, als leser, habe keine vorstellung davon, warum die frage unangenehm sein wird.

„Nun gut, ich möchte den Giro mit Ihnen zusammenbeenden“
"zusammenbeenden" auseinander

„Immerzu, Giorgio“, antwortete sie amüsiert.

wer ist Giorgio?

„Naja, ich war schon immer ein miserabler Radfahrer.“

"Naja" auseinander

sagte Sie lächelnd.
"Sie" klein

fazit: bitte versuche unbedingt diese verwirrung herauszunehmen (also was will die signorina genau!), dann hast du eine wirklich schöne geschichte.

bis dann

barde

 

"Hacken" sind hinten an Füßen dran, ich glaube, du meinst "Haken".

Zur Story selbst:
Irgendwie hinterläßt das bei mir einen zwiespältigen Eindruck. Du hast das Szenario schön gestaltet, aber irgendwie sind mir die Dialoge etwas zu plump und das Ganze wirkt unrund.
Das Ende ist gut gemacht in dieser Form. Ich finde diese Art der Anmache, die die Signorita vollzieht, zwar etwas ungewöhnlich. Aber ungewöhnlich bedeutet ja nicht schlecht.

Die Idee ist gut, die Umsetzung auch. Allerdings komme ich mit dem Stil nicht klar, das wirkt auf mich irgendwie, als hätte man das unter Zeitdruck geschrieben.

Gruß

 

Hallo barde,

Schön, dass dir meine Geschichte gefallen hat. Ich danke dir für deine Vorschläge, die ich bereits teilweise in der Neuversion meines Textes berücksichtigt habe.
Doch deine Vorliebe für die direkte Rede kann ich leider nicht ganz mit dir teilen. Der Dialog ist sehr wichtig in einer Geschichte, denn er soll Informationen liefern und Fakten erläutern. Man charakterisiert im und mit dem Dialog Menschen. Man kann durch die Redeweise Personen sich selbst darstellen. Man kann Rückblenden einschalten und Handlungsfäden verknüpfen. Man schafft Handlungshöhepunkte.
Aus diesem Grunde finde ich, dass meine Geschichte hinreichend Dialoge beinhaltet. Sorry!
Salut lettre, :D

 

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