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Gastfreundschaft
Die Uhr auf ihrem Computer zeigte dreizehn Uhr. Ihre Mittagspause begann. Rabaya seufzte und legte die Stirn in Falten. Ein Druck baute sich in ihren Nackenwirbeln auf. Ja, sie war müde und brauchte eine Pause. Nur - wenn sie nun nach Hause ginge wie jeden Mittag, hätte sie alles andere als das. Sie wurde erwartet. „Nun hab dich nicht so“, schalt sie sich selber und fuhr den Computer herunter. „Gast ist Gast, und sie bleibt ja nicht für ewig. Sie hat nun mal niemand anderen, und du weißt dass sie auf dich wartet um zu essen. Also mach dich auf die Socken.“
Als sie ihr Moped in der Garage abstellte, hatte sie für einen Moment die Hoffnung, dass Jenny nicht da sein würde - vielleicht ist sie im Internet-Café, vielleicht schlendert sie über den Markt … Aber natürlich stand die Eingangstuer, so wie jeden Tag seit gut einer Woche, beim Naehertreten offen. Und Jenny saß auf der Terrasse und schaute ins Leere.
„Hallo!“ rief Rabaya gespielt fröhlich. „Jenny, wie war dein Tag?“
Jenny sah sie prüfend an, ohne zu lächeln. Es war dieser Blick der einem Menschen signalisiert, dass er die falsche Frage gestellt hat. Dann seufzte Jenny. „Gut. Ruhig. Und bei dir?“
Rabaya erzählte von dem Meeting am Morgen, und den Problemen die sie mit ihren Partnerorganisationen hatte, die im Grunde nur aufs Geld auswaren und wenig Gegenleistung zeigten. Das Thema lag Rabaya am Herzen - doch sie gestand sich heimlich ein, dass sie weitaus detailreicher berichtete als es normalerweise ihre Art war. Wollte sie Zeit gewinnen?
Während sie erzählte, inspizierte sie den Kühlschrank. Ihr Magen knurrte, und sie strich sich gedankenvoll über den Bauch – Junior verlangte seinen Nahrungsbeitrag. Die Pasta von gestern stand unberuehrt, die dreckigen Teller verstopften die Spüle. Hättest ja wenigstens mal die Nudeln warm machen können, dachte Rabaya bitter. Laut sagte sie lächelnd: „Ich mach uns Pasta mit Omelettes, ok?“
„Wie du willst“, erwiderte Jenny, die sie vom Türrahmen aus beobachtete.
Zehn Minuten später saßen beide über ihren Tellern. Jenny ass mit gutem Appetit. Rabaya rutschte auf ihrem Stuhl hin und her. Ihre Mittagspause war fast vorüber, und eigentlich wollte sie noch kurz unter die Dusche springen.
„Es ist heiß“, sagte Jenny.
„Ja“, seufzte Rabaya. Regen hatte es schon Wochen nicht mehr gegeben, und die Temperaturen waren hochsommerlich heiss. Der Schweiß lief den Frauen über das Gesicht.
„Was hast du denn eigentlich so gemacht heute?“ fragte Rabaya schließlich. Wieder dieser Blick: Falsche Frage.
„Na, nichts. Ich war hier.“
„Ich dachte, du wolltest ein wenig in die Stadt. Du hättest ja auch das Fahrrad nehmen können. Du hast doch Ferien! Ich muss halt nur leider arbeiten.“
„Nee nee, danke. Es ist zu heiß. Wo ist denn Jo?“
Rabaya fühlte ein kleines Ziehen in ihrem Bauch und fragte sich, ob es das Baby oder ein ungutes Gefühl waren. Ihr Lebenspartner Jo war tagsüber oft unterwegs, um Geschäfte zu machen oder Freunde zu treffen. Es war Rabaya kein Bedürfnis ihn zu kontrollieren, da sie keinen Grund sah, ihm nicht zu vertrauen. Nur schien Jenny dies nicht zu verstehen. Sie würde natürlich niemals etwas sagen, aber die Art wie sie Rabaya manchmal musterte bedeutete: Wen hast du da bloß geheiratet, das geht doch nicht gut.
„Jo ist unterwegs“, antwortete Rabaya halbherzig und schlug die Augen nieder, um der Musterung zu entgehen. „Du, ich muss gehen. Mach dir einen schönen Nachmittag.“
Siebzehn Uhr – Feierabend fuer Rabaya. Statt nach Hause zu gehen, traf sie Jo in einer Bar. Er schmunzelte. „Na, hast du die Nase voll von deiner Freundin?“
„Hör bloß auf. Sie ist einfach so unselbständig! Jedes Mal wenn ich nach Hause komme, wartet sie schon auf mich. Und will unterhalten werden. Aber natürlich muss auch zur gleichen Zeit die Küche gemacht und das Essen gekocht werden. Wenn ich wenigstens mal eine halbe Stunde Atempause hätte. Ich meine, sie ist doch im Urlaub, also warum unternimmt sie nicht einfach was? Ich komme mir vor als ob sie unser Haus besetzt.“
Jo bestellte ihr einen Softdrink. „Entspann dich, Schatz, soviel Aufregung ist gar nicht gut für Junior. Sie besucht uns für ein paar Tage und das ist alles. Das heißt doch nicht, dass du deinen Rhythmus völlig auf sie umstellen musst. Wenn du eine Pause brauchst, dann nimm sie dir!“
„Ich kann nicht“, antwortete Rabaya traurig. „Ich bin eben so erzogen. Der Gast ist Koenig.“
„Es ist ja nicht mehr für lange“, tröstete sie Jo.
Zehn Minuten später hielt sie es nicht mehr aus in der Bar, denn sie wusste dass Jenny sie erwartete. Zu Hause angekommen bot sich ihr das gleiche Bild wie am Mittag. „Es ist heiß,“ sagte Jenny zur Begrüssung.
Rabaya entgegnete nichts. Nach einer Dusche ging sie in die Küche und zermarterte sich den Kopf über Dinge, die sie der im Türrahmen stehenden Jenny erzählen könnte, während sie selbst ihre Hausarbeit aufnahm.
Am nächsten Mittag kam Rabaya später. „Hattest du viel zu tun?“ fragte Jenny ohne zu lächeln. Ihr Buch lag halb aufgeschlagen auf der Terrasse neben ihrem Stuhl. „Geht so“, murmelte Rabaya. Sie fühlte sich müde. „Ich hab uns was zu essen gebracht. Setz dich doch.“
„Ich hab keine Lust mehr zu sitzen,“ seufzte Jenny. „Es ist heiß.“
Rabaya drehte sich schnell um, damit Jenny nicht ihren schmerzverzerrten Gesichtsausdruck sehen konnte.
Am Abend traf sie sich wieder mit Jo in der Bar. „Ich habe noch keine Lust nach Hause zu gehen.“
„Ich dachte du wärst erleichtert heute!“
„Ja, das Meeting lief ganz gut. Lass uns von anderen Dingen reden. Hast du heute einen neuen Entwurf gemalt?“ Sie sprach mit Jo während einer guten Stunde über seine Kunst.
„Lass uns nach Hause gehen,“ sagte sie schließlich zu Jo, und fühlte wieder insgeheim diesen Druck in ihren Nackenwirbeln.
Während sie ihr Moped parkte, lugte sie um das Haus herum. Die Tür stand offen wie immer. Jo wollte noch Zigaretten auf dem Weg kaufen, er würde in wenigen Minuten nachkommen. Sie atmete tief durch und schlenderte auf die Terrasse zu. Jenny saß in ihrem Stuhl.
„Hallo Jenny! Wie war dein Tag?“
„Es ist heiß.“
„Ja, Jenny, ich weiß.“
„Das Wasser ist alle.“
„Oh, ich werde mich darum kümmern.“ Eine heimliche Wut stieg in ihr auf. Hätte Jenny sie nicht früher benachrichtigen können? Oder vielleicht selbst mal Initative zeigen und in den Laden gehen können?
Sie holte ihr Handy aus der Tasche, wählte Jos Nummer und ging ums Haus, damit Jenny nicht ihre genervte Stimme hörte. „Kannst du bitte Wasser mitbringen? Sieht so aus als wären die Vorräte erschöpft. Ja, danke, bis gleich.“
Kaum hatte sie aufgelegt, klingelte ihr Telefon erneut. Jennys Nummer? Rabaya runzelte die Stirn, aber aus Reflex nahm sie ab. „Jenny?“
„Hey Rabaya, ich wollte dir nur sagen dass ich gut angekommen bin. Bei mir ist es übrigens genauso heiß wie bei euch. Die Reise war anstrengend, sage ich dir, zehn Stunden im Bus. Bei dir alles ok?“
Trotz der Schweißperlen auf ihrer Stirn war Rabaya blass geworden. Sie ließ das Telefon sinken. Ihr Herz schlug heftig in ihrer Brust. Ein Schritt vorwärts, vorsichtig. Ein zweiter. Nun konnte sie schon die offene Einganstür sehen. Mit kleinen Schritten, leise, näherte sie sich weiter der Terrasse. Jenny saß in ihrem Stuhl auf der Terrasse.
Sie blickte zu Rabaya auf. „Es ist heiß, nicht?“
Rabaya spürte ein starkes Ziehen in ihrem Bauch.