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Gedanken über Trauer

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04.04.2008
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Gedanken über Trauer

Gedanken über Trauer

Lena zu treffen, bedeutet Unsicherheit. Sie ist eine gute Freundin, doch jetzt ist sie eine Trauernde.
Ich halte aus, dass sie nicht mehr lacht, ihren abwesenden Blick und das stundenlange Rühren im Kaffee, der schon längst kalt ist, alles halte ich aus. Sie ist verantwortlich für meine Gänsehaut mitten im Sommer, dafür, dass die Sonne bloß brennt und nicht wärmt.
Wenn sie anruft, mit dünner Stimme um ein Treffen bittet, (nur eine halbe Stunde, das reicht schon), klopft es gleich hinter der Schläfe und die Schmerzsichel legt sich um meinen Kopf.
Ich sage nie ab. Das geht doch nicht. Sie trauert um ihren Mann, das wird weniger mit der Zeit, mein Gott, es war ein Schock für Lena, für mich auch, niemand war darauf vorbereitet.
Sie versaut mir den Sommer, sie ödet mich an! Ich schäme mich für diese Gedanken, doch ich denke sie und stelle manchmal das Telefon ab.

Jetzt sitzen wir wieder auf der Seeterrasse, ihr Kaffee ist kalt, der Erdbeerkuchen von der Sonne matschig und die halbe Stunde längst vorbei.
So geht es nicht mehr, denke ich, es sind schließlich meine Lebensstunden.
Erzähl mir, wie die Trauer ist, Lena!
Wollte ich das sagen? Ich will es aber wissen, wirklich. In sie rein kriechen will ich, damit meine Wut verraucht, vielleicht. Wenn ich ihr Innerstes verstehen kann, verschwindet die Hilflosigkeit, diese lähmende Ohnmacht.
Sie hat mich sofort verstanden, schaut plötzlich klar und mit diesem nachdenklichen Blick, den sie auch hat, wenn wir über Lebensdinge reden, über Kino, Arbeit, Politik, Urlaub.
Lena hat ihre Steilfalte zwischen den Augenbrauen, sie atmet tief.
Trauer ist Abwesenheit, sagt sie, leere Stellen im Alltag, weiße Flecken in jedem Raum.
Ich beuge mich vor. Was noch, was ist Trauer noch?
Trauer ist Stille in mir, wenn draußen alles laut ist, wenn Stimmen mich nicht erreichen, weil meine Kraft nur für den nächsten Schritt reicht, aber nicht fürs Zuhören.
Sie weint, sieht mich aber an.
Weiter, Lena, was weiter?
Ich gehe durch meine Strasse, sagt sie, und plötzlich werden alle Fenster zu Feinden. Sie versperren mir den Blick in die Häuser, sie schotten alles ab. Mauern sind dicker als früher, die Menschen sitzen in ihren Bollwerken, ich gehe vorbei und die Fenster grinsen hinter mir her.
Aber deine Nachbarn, Lena, sie sind doch da, sie sind doch die gleichen geblieben!
Sie dreht an ihrem Ehering, ich sehe nicht hin, halte ihren Blick fest.
Ihre Augen flattern weg, huschen über das Wasser, es dauert, bis sie weiter spricht.
Ich kann ihre Blicke nicht mehr auffangen, sie gehen vorbei, verstehst du, ich verliere ihre Blicke. Ich verliere auch die Worte, vergesse einfach, was man sagt, so im Alltag, wenn alles ganz gewöhnlich geschieht. Was immer ich gesagt habe, ich weiß es nicht mehr.
Ich schlage mit der Hand auf den Tisch, mein Kopf droht zu platzen.
Das geht mir doch genau so, Lena! Ich weiß auch nicht mehr, was ich sagen soll! Was haben wir geredet, was haben wir gelacht, weißt du noch? Und jetzt? Gar nichts mehr ist davon übrig, es gibt wohl keinen Vorrat für schlechte Zeiten, was?
Sie schweigt lange.
Vielleicht doch, sagt sie schließlich, nimmt über den Tisch hinweg meine Hand und beginnt wieder zu weinen. Ich warte, doch mehr kommt nicht.
Die halbe Stunde ist eine lächerliche Zeitspanne, denke ich und bin froh, dass die Sonne endlich hinter den Bäumen verschwindet. Eine lächerliche Zeitspanne, wenn man über die Lebensdinge redet.

 

Hallo Jutta Ouwens!

Sehr schöner Text! Die Freundin der Trauernden will sich nicht mehr in das schwarze Loch reißen lassen, das Lena um sich verbreitet. In ihrer Begierde, das Leben wieder mit irgendetwas auszufüllen, sticht sie direkt ins Nest dieser Trauer und lässt sich von Lena davon erzählen. Sie saugt das gleichsam aus Lena heraus, um wieder irgendein Gefühl zu haben, scheint mir, genau so wie Lena die Lebensenergie aus der Ich-Erzählerin saugt, die sich zunehmend dagegen wehrt. Gefällt mir!

Ich gehe durch meine Strasse, sagt sie
Straße

Gruß
Andrea

 

Hallo Andrea,
schön, dass die Geschichte Dir gefallen hat und danke für dein Lob.
LG,
Jutta
Hallo Are-Efen,
auch Dir vielen Dank für Dein Lob bezgl. des Stils. Annäherung an Gefühle eines anderen Menschen halte ich nur für begrenzt möglich, Wahrnehmen der eigenen Genzen für immens wichtig. Die Kommunikation darüber ist meist schwierig, selbst bei vertrauten Menschen. Ob die Fragen oder auch die Antworten dämlich sind, oder evtl. hilfreich, liegt sicher im Auge des Betrachters.
LG,
Jutta

 

Hallo Jutta,

der Konflikt, mit einem Trauernden umzugehen, kommt in deiner Geschichte gut zum Ausdruck. Ein Gespräch, wie du es hier darstellst, wird Lena sehr viel gebracht haben, auch wenn sie es im ersten Moment nicht erkennt. Die Gedanken über die Trauer in Worte zu fassen ist doch, sie ein Stück weit von sich wegzustellen und von außen zu betrachten. So stelle ich mir Freundschaft vor, auch mal unbequeme Fragen zu ertragen und zu beantworten, um dann zu erkennen, dass sie mir helfen mit der Verarbeitung fertig zu werden!

Sehr gern gelesen!

Liebe Grüße
GinaM

 

bedächtig und ruhig

Hallo Jutta Ouwens,

die Geschichte hat mir gut gefallen. Sie kommt vor allem durch die traurige Atmosphäre. Der Mann von Lena tod. Ich weiß nicht wie lange der Tod her ist, aber es scheint noch sehr viel Herz hängengeblieben zu sein. Lena´s alte Gewohnheiten kamen zum Erliegen. Nun rührt sie im Kaffee und ist woanders.
Die Freundin muss ihr Beistand leisten, auch wenn ihr das schwerfällt, wo das Innenleben schwer zugänglich ist.
----`
eine ruhige, warme Geschichte, die den Trauermoment gut bezeichnet.

einige schöne philosophische Beschreibungen und Metaphern haben mir imponiert.

die Schmerzsichel legt sich um meinen Kopf.

Trauer ist Stille in mir, wenn draußen alles laut ist, wenn Stimmen mich nicht erreichen, weil meine Kraft nur für den nächsten Schritt reicht, aber nicht fürs Zuhören.

was Trauer ist, ist vielleicht Alleinsein unter Menschen

MfG Mantox

 

Ich verliere auch die Worte, vergesse einfach, was man sagt, so im Alltag, wenn alles ganz gewöhnlich geschieht.

Salü Jutta,

die Trauer der Einen ist die Ohnmacht der Anderen. Für mich hast Du sehr subtil die beiden Positionen beschrieben. Von den vielen Stationen, die ein Trauerprozess durchlaufen muss, ist dies einer und so, wie Du ihn darstellst, ist er nachvollziehbar - ja, auch nacherlebbar.
Da kann man schon kommen und sagen, da könntest Du noch viel mehr beschreiben, noch viel dichter drangehen. Aber es ist eben dieser eine Aspekt, dieser Moment in dieser Begegnung. Und in diesem einen Moment einen Menschen zu haben, der nachfragt, kann sehr erleichternd sein.

Lieben Gruss,
Gisanne

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Gina,
ja, so empfinde ich es auch: Die starken Gefühle vielleicht ein Stück zu transzendieren, indem man sie beschreibt und dadurch schon wieder im Leben ist...so gut es eben geht. Ich danke Dir für Deinen Kommentar, habe mich sehr gefreut.
LG,
Jutta

Hallo Mantox,
auch Dir vielen Dank, besonders für den Satz. "Trauer ist, allein unter Menschen zu sein". Hier sehe ich meine Intention gut angekommen, und das freut mich besonders.
LG,
Jutta

Hallo Gisanne,
die Geschichte ist in einer anderen Fassung bedeutend länger und wird evtl. noch eine Erzählung. Ich freue mich sehr, das mein Anliegen so gut verstanden wurde: Niemand kann wirklich die Gefühle eines anderen Menschen empfinden und gerade durch dieses Erkennen können Entlastung und Annäherung wieder möglich werden. Herzlichen Dank fürs Lesen und Kommentieren!
LG,
Jutta

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Jutta!

Wie schon im Titel angekündigt, geht es in der Geschichte um etwas Abstraktes: die Trauer. Leider schaffst Du es in meinen Augen aber nicht, sie auf die Gefühlsebene zu holen, und so bleibt sie auch abstrakt.

Es tut mir sehr leid, daß auch diese Geschichte von Dir nicht so bei mir ankommt, wie Du Dir das wünschst. Wie sie stattdessen ankommt, will ich Dir hier zeigen:

Lena möchte sich mit der Erzählerin treffen, was diese erst einmal fürchterlich leiden läßt. Unsicher fühlt sie sich, Gänsehaut bekommt sie, eine Schmerzsichel legt sich um ihren Kopf, die Sonne wärmt nicht – Lena ödet sie an und versaut ihr mit ihrer blöden Trauer so richtig den Sommer.

Sie ist eine gute Freundin, doch jetzt ist sie eine Trauernde.
Als Trauernde ist sie natürlich keine gute Freundin …
So geht es nicht mehr, denke ich, es sind schließlich meine Lebensstunden.
… die Zeit mit ihr sind vergeudete Lebensstunden.
In sie rein kriechen will ich, damit meine Wut verraucht, vielleicht. Wenn ich ihr Innerstes verstehen kann, verschwindet die Hilflosigkeit, diese lähmende Ohnmacht.
Nicht um Lena geht es ihr, sondern um sich selbst, um die eigene Wut, Hilflosigkeit, Ohnmacht, …
Erzähl mir, wie die Trauer ist, Lena!
… und daher zielt auch die Frage nicht auf Lenas Gefühle ab, sondern auf eine Definition der Trauer, mit der die Erzählerin ihren Wissendurst stillen kann.
mit diesem nachdenklichen Blick, den sie auch hat, wenn wir über Lebensdinge reden, über Kino, Arbeit, Politik, Urlaub.
Kino, Arbeit, Politik und Urlaub sind natürlich viel mehr »Lebensdinge« wie diese blöde Trauer. Das Auto würde noch gut in die Aufzählung der »Lebensdinge« passen.
Ich beuge mich vor. Was noch, was ist Trauer noch?
Are-Efen stimme ich nicht nur dabei zu: »Die Freundin wird sich hinterher wegen der Beantwortung solch dämlicher Fragen wahrscheinlich auf die Zunge beißen.« Die Erzählerin kommt von oben herab und behandelt sie wie ein kleines Kind … nein, dann würde sie wenigstens fragen, wo es wehtut, so aber will sie doch nur eine Erklärung, was Trauer ist, ohne daß es dabei um Lena und ihre Gefühle geht.
Sie weint, sieht mich aber an.
Weiter, Lena, was weiter?
Gefühlsregungen werden übergangen, sie will nur die Erklärung endlich fertighören, damit sie bald selbstzufrieden gehen kann.
Aber deine Nachbarn, Lena, sie sind doch da, sie sind doch die gleichen geblieben!
Wenn die Erzählerin aufgrund des von Lena Gesagten annimmt, daß sie glaubt, die Nachbarn wären andere geworden, dann kann sie sie nicht ernst nehmen, wofür auch die ständige Wiederholung des Namens spricht.
Ich schlage mit der Hand auf den Tisch, mein Kopf droht zu platzen.
Das geht mir doch genau so, Lena! Ich weiß auch nicht mehr, was ich sagen soll!
Diese arme Erzählerin, was muß sie nicht leiden wegen dieser Trauernden … Es ist auch sehr nett, jemand Leidendem zu sagen, daß es einem doch genauso geht – davon wird sofort jeder Schmerz ganz klein und Lena fühlt sich bestimmt wunderbar ernstgenommen.
Was haben wir geredet, was haben wir gelacht, weißt du noch? Und jetzt? Gar nichts mehr ist davon übrig, es gibt wohl keinen Vorrat für schlechte Zeiten, was?
Sie hält ihr vor, daß sie keinen Vorrat an Lustigsein hat, auf den sie während der Trauer zurückgreifen kann, um der Erzählerin eine gute Schönwetterfreundin zu sein?
Vielleicht doch, sagt sie schließlich, nimmt über den Tisch hinweg meine Hand und beginnt wieder zu weinen. Ich warte, doch mehr kommt nicht.
Tröstet nun die Trauernde die Erzählerin, weil die ihr so viele Schuldgefühle gemacht hat? Oder ist es mehr eine Bitte um Trost, den sie doch wieder nicht bekommt? Und was erwartet die Erzählerin, daß noch kommt, von ihr kommt doch auch nichts, außer dieser oberflächlichen Fragerei. Nichts Herzliches, kein echtes Interesse, kein nettes Wort – nichts, woran die angebliche gute Freundschaft erkennbar wird.
Die halbe Stunde ist eine lächerliche Zeitspanne,
Während Lena also dasitzt und weint, denkt die Erzählerin schon wieder an die Uhr.

Die Trauer:

Trauer ist Abwesenheit, sagt sie, leere Stellen im Alltag, weiße Flecken in jedem Raum.
[…]
Trauer ist Stille in mir, wenn draußen alles laut ist, wenn Stimmen mich nicht erreichen, weil meine Kraft nur für den nächsten Schritt reicht, aber nicht fürs Zuhören.
[…]
Ich gehe durch meine Strasse, sagt sie, und plötzlich werden alle Fenster zu Feinden. Sie versperren mir den Blick in die Häuser, sie schotten alles ab. Mauern sind dicker als früher, die Menschen sitzen in ihren Bollwerken, ich gehe vorbei und die Fenster grinsen hinter mir her.
[…]
Ich kann ihre Blicke nicht mehr auffangen, sie gehen vorbei, verstehst du, ich verliere ihre Blicke. Ich verliere auch die Worte, vergesse einfach, was man sagt, so im Alltag, wenn alles ganz gewöhnlich geschieht. Was immer ich gesagt habe, ich weiß es nicht mehr.
Trauer besteht also aus abstrakten Betrachtungen und hat mit dem Verstorbenen überhaupt nichts zu tun? Kein »Er fehlt mir, wenn …« oder vielleicht sowas wie »Ich warte immer noch jeden Tag um fünf, dass er nach Hause kommt, obwohl ich weiß, es ist vergeblich«, stattdessen »Trauer ist«-Definitionen, Straße, Häuser, Mauern, Fenster. Weiße Flecken im Raum als Bild für Leere finde ich auch unpassend, weil die Leere ja im Inneren ist, durch das Bild aber nach außen verlagert wird. – Einzig der zweite Satz gefällt mir halbwegs – deshalb nur halbwegs, weil es seltsam klingt, daß die Stille nur in ihr ist, wenn draußen alles laut ist; verschwindet die innere Stille, wenn es draußen still ist?

Was das in den Kommentaren angesprochene Thema »Wahrnehmen von Grenzen« betrifft, davon sehe ich nichts in der Geschichte. Unehrlichkeit sehe ich schon mehr, weil das Interesse der Erzählerin an Lenas Trauer nur vorgespielt ist – hier könnte sie ihre Grenzen setzen und was nicht ehrlich gemeint ist, von vornherein ehrlich ablehnen.

Ihre Augen flattern weg, huschen über das Wasser,
Damit kannst Du Salem in Horror Konkurrenz machen. ;)

Liebe Grüße,
Susi :)

PS.: Und was die Geschichte in Gesellschaft sucht, ist mir auch ein Rätsel, ich würde sie eher in Alltag einordnen.

 

Hallo Jutta,
so, wie ich das verstehe, geht es hier um Hilflosigkeit. Man sollte Trauernden zur Seite stehen, ihnen helfen, ihnen gegenüber stets das Richtige sagen und tun, mitfühlen – das verlangt die Moral! Das kann einen selbst überfordern, umso mehr wenn der Trauernde jemand ist, der einem nahe steht. Das kann in Trotz, Wut und auch eine Art Verzweiflung führen, die gesellschaftlich nicht akzeptiert werden. Die innere Spannung deiner Protagonistin wird spürbar, weil sie natürlich nicht nur ihre Pflicht der Freundin gegenüber erfüllen, ihr nicht nur mit Floskeln und typischen Mitgefühlsgesten zur Seite stehen will.

In deiner Geschichte bricht jemand also ein gesellschaftliches Tabu und nimmt sich nicht zurück angesichts der Trauer eines anderen. Das Rührende: Es funktioniert, weil die Freundschaft hier ehrlich ist und am Ende stellt sich ein wahres, weil ‚gemeinsames Mitgefühl’ ein!

Du stellst das Ganze sicherlich sehr minimalistisch, fast skizzenhaft dar - hat mich am Anfang auch ein wenig gestört. Doch wüsste ich um eine passendere Form nicht, die Hilflosigkeit und den Trotz der Protagonistin zu zeigen als mittels harter Fragen, grausamer Überlegungen und Auslassung überflüssiger Beschreibungen. Aber ich hätte mir die Geschichte trotzdem länger gewünscht, weil das ein Stoff ist, aus dem Dramen gewebt werden – spannend, tragisch.

Gruß
Kasimir

 

Hallo Jutta,
mein erstes Lesen deiner Geschichte war eher ein Überfliegen.
Angeregt durch die Kritik von Häferl, die ich teile (die Kritik), habe ich etwas nachgedacht. Das kam dabei heraus:
Dieser Satz leitet meine Mißstimmung ein:

es sind schließlich meine Lebensstunden. [...]
Ja, zu so einer Einstellung kann einen das Leben wirklich bringen. Die Trauer eines nahen Menschen kann sehr zerstörerisch wirken, natürlich auch gute Freundschaften zerstören. Meiner Meinung nach ist dies in der Geschichte bereits geschehen. Oder es ist die Geschichte einer überforderten, genervten Freundin, vielleicht eine RTL-Freundin, der zwischen Oberfläche und Grund die Tiefe fehlt.

Beispiele dafür:

das stundenlange Rühren im Kaffee [...]
Wenn sie anruft, mit dünner Stimme [...]
Sie versaut mir den Sommer, sie ödet mich an! [...]
und bin froh, dass die Sonne endlich hinter den Bäumen verschwindet

Für mich sind das Aussagen einer Freundin, die ich besser zur Feindin haben möchte.

Der Ehemann ist gestorben!!
Die Geschichte verrät nicht, wie lange das her ist, wie lange sie verheiratet waren, wie tief ihre Liebe war, wie groß ihre Trauer. Das muss dem Leser mit auf den Weg gegeben werden, um den Faden der Geschichte überhaupt verstehen zu können. Ohne dieses Wissen ist das Verhalten der "guten" Freundin nicht einzuordnen, das Maß der Trauer nicht zu verstehen.

Die Trauernde selbst spricht in einer Kunstsprache:

Trauer ist Stille in mir ... [...]
und plötzlich werden alle Fenster zu Feinden ... [...]
und die Fenster grinsen hinter mir her.
etc ...

Die Erzählende zeigt keine Liebe, zu der eine Freundschaft fähig sein muss.
Die Trauernde bräuchte dringend einen Psychologen, damit sie ihre Trauer bewältigt, denn nicht
die Menschen sitzen in ihren Bollwerken
sondern ihre Wörterwolken sind das Bollwerk ihrer Trauer.

Ich glaube also weder der Erzählenden die Freundschaft, noch der Trauernden die Trauer.

Respekt, wenn du diese Gedanken alle bewusst in deine Personen hinein gearbeitet hast, was ich dir keineswegs absprechen möchte.

Ganz zum Schluss kommt mir der Gedanke, dass die Erzählerin natürlich auch ein Mann sein könnte. Was erst mal grundsätzlich nichts ändern würde. Aber eine andere Motivation des Erzählers, eine andere Ungeduld, eine völlig andere Geschichte...

Herzlichen Gruß
Jürgen

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Häferl,
es muß Dir doch gar nix Leid tun, denn was kann einer Geschichte besseres passieren, als kontrovers diskutiert zu werden! In der Erzählung, aus der diese Sequenz stammt, kommen die beiden Frauen dahin, über die eigentliche Unausprechlichkeit des Gefühls zu reden, ihre Freundschaft Revue passieren zu lassen und eine gegenseitige Hilflosigkeit zu akzeptieren. Der Tote ist für mich eher Katalysator eines Prozesses.
Allerdings überrascht es mich, dass die Äußerungen der Freundin, die eher ihrer Hilflosigkeit zuzuordnen sind als einer Gefühlskälte, so wörtlich genommen werden und so eindeutig polarisieren. Das muß ich dann wohl überdenken.
Du hast, wie immer, eine geaue Analyse gemacht und ich danke Dir für die Mühe. Die Rubrik 'Gesellschaft' habe ich gewählt, weil ich glaube, dass der hilflose Umgang mit Trauer und Verlust zwar alltäglich ist, aber ein gesellschaftliches Phänomen, das entweder totgeschwiegen oder überkompensiert wird. Wahrscheinlich fällt es deshalb auch so leicht, die grantige, überforderte Freundin in die "Bösenecke" zu stellen.
Jedenfalls habe ich wieder reichlich Stoff zum Nachdenken und zum Überprüfen meiner Gedankenketten.
LG,
Jutta

Hallo Kasimir,
danke Dir für Deinen Kommentar. Ja, es geht um die Hilflosigkeit, wie auch oben schon erklärt. Vielleicht geht es in der Kürze wirklich nicht, darüber denke ich noch nach, habe jetzt ja eine Menge Input!
LG,
Jutta

Hallo Jürgen,
auch Dir herzlichen Dank für die genaue Betrachtung der Geschichte. Dein Aspekt, dass Du keiner Person die Trauer abnimmst, ist für mich ein wichtiger Hinweis auf ein gedankliches Transportproblem meinerseits und deshalb wichtig. Nein, es sollte eigentlich keine RTL-Freundin sein, eher eine hilflose Helferin. Zur Person des verstorbenen Ehemannes habe ich oben Stellung bezogen.
LG,
Jutta

 

Hallo Jutta Ouwens,
mir hat deine Geschichte sehr gefallen, sie handelt von etwas, was schon fast so etwas wie ein Tabuthema ist, und ist dabei sehr feinfühlig und sensibel. Sehr schön! (naja, eher traurig, du weißt schon, wie ichs meine...;) )
LG,
Maeuser

 

Hallo Maeuser,
schön, dass Dir die Geschichte zusagt. Was Du genau meinst, kann ich natürlich nicht wissen, doch das ist ja auch gar nicht nötig.
LG,
Jutta

 

Hallo beemen,
danke für deinen Kommentar und das Lob. Also, mit der Sichel, das geht so: Ich kenne so einen Halbseitenkopfschmerz, der sich vom rechten Auge, hoch über den halben Schädel, bis zum Nacken zieht. Da kann man doch genau eine Sichel drüber legen. Hhmm, glaube ich jedenfalls...
Die Augenflatterei schaue ich mir noch mal an, ebenso den Teil nach 'weil'.
Der Ausweg aus einer Beziehungszwickmühle ist, denke ich, immer Ehrlichkeit. Dazu muß man sich selber allerdings kritisch einschätzen können. Ätzend wird es, wenn einer sein Helfersyndrom ausagiert und dann seinem Gegenüber Vorwürfe macht...
LG,
Jutta

 

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