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Gefesselte Helden
Zum ersten Mal in meinem Leben steht mein Name in der Zeitung. Ich würde lügen, wenn ich behaupte, dass es mich nicht ein klein wenig mit Stolz erfüllt.
Er steht da in fetten Lettern: Sven Mazoni. Nicht auf der letzten Seite bei den Todesanzeigen, nein, auf der ersten Seite! Wie paralysiert starre ich auf die Headline: "32-Jähriger rettet durch selbstlosen Einsatz Waisenhaus" und direkt daneben das Bild, das es schafft, trotz der Peinlichkeit aus meiner Blödheit einen Helden zu machen.
Hier ist er also, der Held der Nation: ungewaschen, unrasiert, an einem Milchbrötchen kauend und gebrandmarkt. Ich glaube, ich sollte die Zeitung verklagen. Darf man so ein Bild, das den Blick auf alles dies- und jenseits meines im Ansatz erkennbaren Bierbauchs ungefiltert Preis gibt, überhaupt drucken? Ist so etwas nicht verboten? Wo bleibt der Schutz der Jugend, wenn man ihn dringend braucht? Stolz hin oder her.
Wie war doch gleich ihr Name? Monika? Mona? Ramona? Nachts sind alle Katzen grau. Keiner weiß das besser als ich. Aber gewiß Tausende wissen, wie Mona oder Ramona (im Nachfolgenden der Einfachheit halber Mona genannt) es schafft, einem mit ihrem Engelsblick das Gehirn zu vernebeln und ehe man sich versieht, wird man vom Abschlepper zum Abgeschleppten und ganz beiläufig zum Volksheld.
Heute morgen lächelten mir zwei dralle Mütter mit prall gefüllten Kinderwagen zu. Als ich mit meiner Brötchentüte und der Zeitung for free (an dieser Stelle sei der netten Bäckerin gedankt, der wohl mein Bauch gefiel) wieder auf die Straße trat, traf mein Blick auf eine Politesse, deren eisiges Lächeln plötzlich jäh erstarrte und zerschmolz wie ein Schneemann im Frühling. Mit einem neckischen Augenzwinkern zerknüllte sie meinen Strafzettel für Parken im absoluten Halteverbot und drückte mir stattdessen einen Zettel mit einer Nummer in die Hand.
Alles in allem ist das nicht wirklich unangenehm, abgesehen von dem Foto natürlich. Dennoch plagt mich das schlechte Gewissen. Die Zeitungsfritzen nageln mir Lorbeerkränze aufs Haupt, die mir gar nicht zustehen. Ob ich die Politesse anrufen soll?
Wie schaffen es Frauen nur immer wieder, einen zum vermeintlichen Helden zu graduieren und ihn trotzdem als letzten Deppen dastehen zu lassen? Eine Tatsache, die wohl im zweiten x-Chromosom verankert sein muß. Bei Mona war diese genetischer Defekt besonders stark ausgeprägt. Wie eine schwarze Witwe spann sie ihr Netz um mich und mein Bierglas, um mich dann der Welt vorzuführen. Die Domteuse und der gezähmte Tiger verließen nach einigem Geplänkel in üblicher Manier, auf das ich hier nicht näher eingehen möchte, da wohl jeder die geläufigen Balzriten kennt, das Lokal, in dem das Übel seinen Anfang nahm. Das gegenseitige, stille Einverständnis über den weiteren Verlauf der Nacht kam ins Stolpern, als man bei der Frage: „Zu dir oder zu mir?“ mit verheißungsvollen Blicken nicht mehr weiterkam. Aber das zweite x hat immer für alles eine Lösung. So auch Mona. Sie erzählte von einem romantischen Platz, von wo aus man einen „gigantischen Blick“ auf die Sterne hätte. Innerliches Augenrollen meinerseits, zustimmendes Nicken durch die Netzhaut. Dort angekommen verlor sich ihre romatische Engelhaftigkeit in meiner Hose und ehe ich überhaupt dazu kam, ihren verheißungsvollen grauen Körper zu erforschen, hatte sie mich bereits ausgesaugt und mich meiner Kleidung beraubt. Noch während ihre Zunge mich einkreiste, vernahm ich ein metallisches „Klackklack“. Erst jetzt wurde ich des Maschendrahtzauns hinter mir gewahr. Man hatte mich auf tückischste Weise meiner Bewegungsfreiheit beraubt! Leider war mir zu dem Zeitpunkt das Ausmaß der Katastrophe nicht im Mindesten bewußt. Im Gegenteil. Bisher fand ich das alles recht anreizend. Nach dem Klackklack schien die Zeit still zu stehen. Nichts passierte. Die Zunge entließ mich in die Nacht und Mona rauschte wortlos davon. Als meine Perplexität abgeklungen war und ich meiner Kehle ein hölzernes „Hey, Moment! Warte!“ entlocken konnte, war Mona längst außer Hörweite. Wie ich mich mich fühlte, bedarf wohl keiner Worte. Demütigung in ihrer reinsten Form.
In einem Punkt hatte sie allerdings Recht. Von hier aus konnte man sehr gut die Sterne sehen. Über das Zählen muß ich dann wohl eingeschlafen sein. Die ersten Sonnenstrahlen rissen mich jäh aus einem Alp und meine Lage hatte sich leider nicht, wie erhofft, im Traume verbessert. Ich war immer noch an diesen Maschendrahtzaun gekettet und erst jetzt hatte ich Gelegenheit, meine Umgebung, soweit es der Drehgrad meines Kopfes zuließ, zu begutachten. Vor mir erstreckte sich besagter Zaun und eine Wiese, zu meiner Linken eine Art Feldweg. Hinter mir lag, soweit erkennbar, eine alte, baufällige Ruine, die meines Erachtens abgerissen gehörte. Der Putz bröckelte von den Außenwänden und der Spielplatz davor verschönerte das Anwesen nicht wirklich. Während ich noch darüber sinnierte, warum dieses hässliche Gebäude so hässlich hier herumstehen darf, manifestierte sich klammheimlich ein schwaches Tucktuck zu einem ohrenbetäubenden Krach. Meine verkaterten Augen glaubten kaum, was sich in ihnen spiegelte. Eine wahre Kavallerie an Baufahrzeugen rauschte den Feldweg entlang, direkt auf meinen Zaun zu!
Unmittelbar vor mir kam der Verkehrsfluß zum Erliegen. Hunderte, ach was rede ich, tausende Männer sprangen aus den Fahrzeugen und versammelten sich vor mir, beäugten mich und schüttelten unentwegt ihre Häupter. Es wurde lautstark diskutiert, während man mich weiter völlig unverhohlen begutachtete.
Wäre es vermessen gewesen, zu erwarten, daß die Männer mit einem gepeinigten und gedemütigten Mitglied ihrer Gattung Mitleid gehabt und sich schnellst möglich um dessen Befreiung gekümmert hätten anstatt über ihre Arbeit zu diskutieren? Fassungslos über dieses unkollegiale Verhalten fiel ich aus purem Protest gegen den Verfall der männlichen Rasse in Ohnmacht.
Gestern hat man mich aus den Krankenhaus entlassen. Ich glaube, ich werde jetzt die nette Politesse anrufen und mich für ihr entgegenkommendes Verhalten erkenntlich zeigen. Wenigstens auf die Frauen ist heutzutage noch Verlaß. Während wir Männer uns von einem Bierglas zum nächsten hangeln, retten sie die Welt ... und die Waisenhäuser.