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Gelebte Loyalität
Der Verwaltungsratspräsident unserer Firma, Herr Van der Bloom hielt sich mit beiden Händen am Rednerpult fest. Alle Augen und Kameras der Journalisten waren auf ihn gerichtet. Ich stand daneben und sah zu ihm hoch.
Irgendwo hatte ich mal gelesen, egal was passiert, der Vizepräsident bezeugt am besten seine Loyalität, in dem er gespannt an den Lippen seines Bosses hängt und zwar ununterbrochen. Kein Blick in die Menge, kein Blick zu Boden und auf gar keinen Fall ein Blick zur Decke.
Van der Bloom hatte gerade begonnen, seine Einführungsrede über die Vorzüge der Wahl unserer Firma als Generalunternehmung für das Stadion Grossprojekt zu halten, da sah ich es. Ein kleiner grüner Fleck inmitten Van der Blooms makellosem Gebiss. Ein Überbleibsel des kurzen Mittagessens, hastig eingenommen zwischen Maske und Auftritt.
Der Schreck fuhr mir in die Glieder. Jetzt nur keine Panik. Ich hustete leicht in die Faust und Van der Bloom, der eben sein Argumentenfeuerwerk abgebrannt hatte, grinste mich strahlend an. Die Journalisten schrieben geschäftig die letzte Aussage auf ihre Stenoblöcke, ein Volontair vom Fernsehen hastete gebückt herbei und rückte ein etwas aus der Bestimmungsrichtung geratenes Mikrofon zurecht.
Ich strahlte ebenfalls weiter in Richtung Rednerpult, obwohl es in mir kochte. Das Mikrofon fiel nun ganz um, da sich der arme Techniker im Kabel verheddert hatte. Mit hochrotem Kopf versuchte er das widerspenstige Teil doch noch in die richtige Position zu rücken. Diese kurze Pause musste reichen, um Van der Bloom einen Wink zu geben. Ich fuhr mit der Zunge innerhalb meines geschlossenen Munds über die Zähne, so dass eine leichte Wölbung erkennbar war.
Van der Bloom und ich waren ein eingespieltes Team. Er verstand sofort, dass etwas an seiner Erscheinung zurechtgerückt werden musste. Doch statt meine Zungenakrobatik richtig zu deuten, ging seine Hand unter das Rednerpult. Doch sein Reissverschluss war geschlossen wie eine Bank am Sonntag und Van der Bloom liess ein leichtes Augenbrauenzucken erkennen. "Was noch", schien sein Blick fragen zu wollen, ich kratzte mir kurz die Nase und tippte dabei zwei mal leicht an die Lippe. Eine Frage aus den Reihen der Journalisten liess ihn herumfahren und sein Gesichtsausdruck schaltete auf geschäftsmässiges Interesse. Dazu neigte er den Kopf leicht nach rechts und signalisierte Zuhörbereitschaft.
"Herr Van der Bloom, wie sieht es mit der Restfinanzierung für die dritte Bauphase aus." Die Frage kam von einem jungen Mann in Kordhose und offenem Karohemd, der wohl für sein lokales Gemeindeblatt eine sensationelle Story witterte. Van der Bloom schaute kurz auf seine Unterlagen. Anscheinend hatte er während unseres kurzen Intermezzos den Faden verloren.
"Das kann ich ihnen gerne beantworten." Wieder blickte er kurz zu mir. Das Überbleibsel vom Mittag war immer noch da. Im unteren Bereich zwischen Eck- und Schneidezahn festgeklemmt, unheilvoll und grotesk wie ein kleiner grüner Kobold leuchtete das Blattgrün aus dem sonst makellosen Gebiss des Verwaltungsratspräsidenten hervor. Ich dachte, er wolle sich noch mal nach dem Problem erkundigen und ich beschloss, es nun kurz und unmissverständlich anzuzeigen.
Alle Kameras waren auf Van der Bloom gerichtet, also schob ich meine Vorderzähne über die Lippen und rubbelte mit dem Zeigefinger wie mit einer imaginären Zahnbürste über den linken Eckzahn. Als Van der Blooms Gesicht einen entsetzten Ausdruck annahm, bemerkte ich, wie alle Augen und Kameraobjektive auf mich gerichtet waren. Vor Schreck biss ich mir auf den Finger, was zwar schmerzhaft war, zum Glück aber meine Erstarrung löste. Alle, die Journalisten, Van der Bloom und Tausende von Zuschauern da draussen warteten darauf, dass der loyale Vizepräsident den Faden, der verloren gegangen war, gekonnt wieder aufnahm und eine plausible Antwort auf die nicht unbedeutende Frage des wichtigtuerischen Gemeindeblattschreiberlings lieferte.
"Äh, nun, das ist so." - Blattgrüner Kobold - "Wenn wir die Zähne, eh, Zahlen der letzten Bauperiode...". Ich krächzte. Ich schwitzte. Das flaue Gefühl im Bauch wurde noch flauer und ich musste urplötzlich husten. Klasse, ich hatte einen Frosch im Hals, einen giftgrünen wahrscheinlich. Und nun konnte ich nicht aufhören zu husten. "Also, das mit der Restfinanzierung der dritten Bauperiode ist eigentlich ganz...", ergriff Herr Van der Bloom nun seinerseits mit wiedergewonnener Selbstsicherheit das Wort. Ich bellte wie ein Rottweiler. Eifrig wurde mir von irgendwoher ein Pappbecher mit Wasser gereicht. Hastig ergriff ich das rettende Nass und leerte es promt über Van der Blooms Hose. "...bei solchen Projekten statistisch gesehen, Whaa - GLOGGNER." Van der Bloom sprang zur Seite, strauchelte über die Podiumskante und riss im Fallen mehrere Mikrofone mit. Ein schreckliches Pfeifen, verursacht durch die entstandene Rückkopplung dröhnte durch den Presseraum und der arme Techniker von vorhin riss mit schmerzverzerrtem Gesicht seine Kopfhörer herunter. Ich setzte mich auf die Stufen zum Podium und gab tränenüberströmt noch einige Huster von mir, während um mich herum das totale Chaos herrschte.
"Hallo Schatz, du kommst gerade rechtzeitig. Im Fernsehen läuft eure Pressekonf...", weiter kam Karin nicht. Sie sah mich an, als hätte sie gerade ein Gespenst gesehen.
"Was hast Du? Bist du krank?"
Ich warf meine Jacke in die Ecke und liess mich zu Karin auf die Couch fallen. Karin schaute etwas kariert.
"Sieh es dir an“, sagte ich und deutete auf den Fernseher. „Wollte doch bloss Van der Bloom retten, weil sich da so ein Stück Salatblatt zwischen den ..." Ich erstarrte und konnte nicht glauben, was ich da sah. Auf dem Bildschirm hielt gerade Van der Bloom seine Einführungsrede. Dabei verdeckten die zahlreichen Mikrofone seinen Mund und der verdammte grüne Fleck war gar nicht zu sehen! Der kleine grüne Kobold war unsichtbar, mein im Chaos endender Rettungsversuch völlig überflüssig.
"Schalt um, tu dir das nicht an", flüsterte ich heiser, während der Volontair im Presseraum gerade das Mikrofon zurechtrückte. Karins Gesichtsfarbe veränderte sich zunehmend gegen Weiss.
"Hast du den Stellenanzeiger schon entsorgt?", fragte ich Karin leise.