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Georgs Urlaub
An einem Ende des langen Tisches saß ein Mann mit strenger Stirn und jungenhaft weichem Kinn. „Wie steht es um unser Baby?“, fragte er und sah dabei von dem einen zum anderen, „Herr Händel?“, rief er einen Mann auf, der mit den Fingern in den Taschen zwischen Tisch und Tür stand, „Frau Kluger?“, fragte er an eine gerichtet, die nicht weit von Herrn Händel entfernt ihre Arme verschränkte.
Am Tisch saß ein weiterer Mann, er war dick und begann in eben diesem Moment, mit den Füßen zu scharren, während sein Blick an dem Herrn mit der strengen Stirn hing. Nur ab und zu blickte er scheu zu der Frau hinüber, die neben dem Chef stand und durch die Glasfront des Konferenzraumes in den Himmel sah. Herr Händel Sagte in das Loch, dass die Frage des Strengstirnigen im Raum hinterlassen hatte hinein: „Alles bestens, Herr Hauptmeyer.“
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Georg Egert erwachte. Die Sonne schien ihm durch das kleine Fenster ins Gesicht. Er drehte sich auf die Seite, wobei die linke Hand den rechten Arm streifte und augenblicklich zurück zuckte, ein Schauer stellte Georg die Nackenhaare auf. Atemlos umfasste er abermals seinen Arm. Mager und nackt fühlte er sich an. Viel zu dünn war er, wie ein schmales, haarloses Tier.
Er sprang aus dem Bett, zu schnell, Schwindel übermannte ihn. Kalter Schweiß stand ihm im Gesicht, er starrte auf seinen Arm. Doch der Arm war normal. Georg betastete ihn, er spürte dicke Härchen auf einem Unterarm, der breit und fest war, so wie Georg seinen Arm kannte.
Benommen taumelte Georg in das kleine Badezimmer des Bungalows, dort wollte er sich rasieren, die Zähne putzen, diesen albernen Traum vom nackten Arm vergessen.
Im Spiegel über dem Waschbecken besah er sein Gesicht, der Schrecken blickte ihm aus fahlen Zügen entgegen. Einige Minuten später griff Georg nach einem Handtuch, sein Blick streifte seine Füße. Er hätte sie gar nicht bemerkt, wenn da nicht etwas gewesen wäre, das überhaupt nicht mit seinen Erwartungen übereinstimmte. Georgs Blick schnellte zurück zu den Füßen, sein Atem stockte. Sie waren rot! Die Zehen des linken Fußes waren knallrot!
Keuchend setzte er sich auf die kleine Fußbank neben dem Waschbecken, packte seinen Fuß und starrte ihn an. In einem tiefen, satten Rot schimmerten die unsauber geschnittenen Fußnägel wie fünf kleine Blutlachen. Sie rochen streng nach Terpentin und als er sie mit den Fingern berührte, waren sie noch nicht ganz trocken. Mit einer Grimasse des Entsetzens stand er auf und humpelte zurück ins Zimmer. Ein Arzt! Er sollte einen Arzt aufsuchen! Doch als er sich auf das Bett setzte, um den Fuß ein weiteres Mal genau zu studieren, war das Rot verschwunden.
Erschöpft ließ sich Georg auf dem Bett nach hinten sinken und schaute an die Decke. Er machte sich so seine Gedanken, war er verrückt? Nein, war er nicht, da war er sich sicher. Aber überarbeitet? Er dachte an seinen Job als Fotolaborant. Er entwickelte Fotos und bediente manchmal die Kunden des Studios, das war natürlich Arbeit. Hatte er sich tatsächlich zu viel aufgehalst? Wahrscheinlich. Oder spielte ihm jemand einen Streich? Natürlich, ein kleiner Wicht unter dem Waschbecken hatte ihm beim Rasieren frech die Nägel lackiert! Erst der deformierte Arm, dann bemalte Fußnägel. Ein nervöses Kribbeln kroch über Georgs Körper, es schüttelte ihn, er sprang auf und vor den Spiegel, der in den Kleiderschrank eingebaut war. Georg sah sich an. Sein Gesicht, seinen Hals, die Hände, er hob die Pyjamahosenbeine an und betrachtete die darunterliegenden Gliedmaßen. Von vorne, von hinten. Nichts Ungewöhnliches. Als er sich auszog kam über den käsigen Beinen auch der käsige Bauch zum Vorschein. Früher hatte er eine gesunde Farbe gehabt. Als Fünfzehnjähriger, auch als Zwanzigjähriger. Er sollte anfangen weniger faul vor dem Fernseher und wieder mehr faul in der Sonne zu liegen. Noch in Gedanken zog er sich schließlich Urlauberkleidung an und verließ den Bungalow.
Das Frühstück war im Preis inbegriffen und fand in einem Restaurant mit Plastikstühlen und Plastiktischen statt. Die Decke des Gebäudes war niedrig, das Buffet aber reichhaltig. Georg füllte sich einen Teller und wählte einen abgelegenen Tisch. Sein Blick fiel auf eine der vielen blau-gelben Fähnchen, die auf dem Gelände verteilt waren. „Hauptmeyerreisen – Mein Urlaub im Paradies“ Stand darauf und ein Delfin umschwamm den Schriftzug. Er nahm das Fähnchen von seinem Tisch und steckte es zu einer Plastikpflanze in den Blumentopf. Nur eine Familie saß in Georgs unmittelbarer Nachbarschaft, Eltern mit zwei Kindern und einer Oma. Er musste an seine Ex-Frau denken und an seine Kinder, die bei seiner Ex-Frau lebten. Seit fünf Jahren fuhr er allein in den Urlaub. Georg schaute mit abwesendem Blick immer wieder zu dem anderen Tisch herüber. Schließlich sah ihn die Mutter interessiert an und fragte ihn über seinen Aufenthalt in der Bungalowsiedlung aus. „Ja, ich bin tatsächlich alleine hier, geschieden.“, sagte Georg. Die Kinder wedelten mit blau-gelben Fähnchen. Sie nickte und fragte nach den Quarkbällchen auf seinem Teller. Die Welt war doch in Ordnung, dachte Georg, ein gutes Frühstück und ein kleiner Plausch am Morgen. Und dann der Strand. Schließlich stand Georg auf und folgte den übrigen Gästen zum Wasser. Ein sandiger Weg führte, auf beiden Seiten von einem Holzzaun begrenzt, zum Strand hinab. Bald tauchten rechts weiße Klippen auf, links gab es Sand. Georg legte sich schlafen. Die Wellen rauschten und der Wind kitzelte ihm das Ohr. Er sank tief, immer tiefer in den Schlaf und träumte vom Meer. Möwen kreischten.
Er schlenderte den Weg vom Restaurant zum Meer hinab, Luft durchströmte seine Lungen, er wollte schwimmen gehen. Sand drängte sich jedes Mal aufs Neue zwischen seine Zehen, massierte ihm die Füße, sein Haar wehte im Wind und der Bikini war neu und wunderschön, er fühlte sich frei. Mit einer eleganten Bewegung warf Georg ein Himmelblaues Handtuch mit weißen Wolken auf den letzten Pfahl des Zauns, seine Schritte wurden schneller und federnder.
Er wachte auf. Die Wellen rauschten, um ihn herum reges Treiben von Menschen in bunter Bademode. Er hatte geträumt. Er hatte geträumt, dass er Schwimmen gehen wollte. Georg stand auf und ging ins Wasser. Er schwamm hinaus, durch ein Rudel planschender Halbwüchsiger hindurch, an einer roten Schnorchelspitze vorbei, die in das Wasser ragenden Klippen entlang. Schwimmen war sein Sport gewesen, schon immer, sein liebster und einziger Sport. Bald war Georg mit dem Klippenvorsprung auf einer Höhe. Rechts erstreckten sich die Klippen in einem breiten weißen Band über dem Meeresspiegel bis hin zur nächsten in das Meer ragenden Landzunge.
Er konnte sich noch gut daran erinnern, wie er als kleines Mädchen mit seinen Eltern und Geschwistern da oben gestanden hatte und das erste Mal beim Anblick des weiten Wassers von jenem starken Eindruck überwältigt worden war, der manchmal die Erwachsenen dazu bewegte mit ausgestreckten Armen oder glänzenden Augen regungslos zu verharren, wenn sie aufs große Meer blickten. Nur der Opa, der fing an zu singen. Und süß war sie, die Erinnerung, herrlich süß auf seiner Zunge.
Ein Schwall Salzwasser geriet Georg in den Mund, heftig spuckte er es wieder aus. Er würde nicht in Panik geraten, nicht so weit draußen im Wasser. Nicht weil er die Erinnerungen eines Mädchens hatte. Auch nicht, weil er Erinnerungen an einen Ort hatte, an dem er nie gewesen war. Mit einer grimmigen Falte auf der Stirn machte er kehrt und schwamm zurück zum Strand. Er nahm seine Sachen und stapfte zu dem Weg, der ihn zur Bungalowsiedlung führen sollte. Über dem ersten Zaunpfosten am Rande des Wegs hing ein himmelblaues Handtuch mit weißen Wolken. Er hatte es geträumt! Es war nicht Wirklichkeit gewesen, dass er dieses Handtuch gehabt und hier abgeworfen hatte! Wütend und verwirrt nahm er es mit.
Als Georg kurz darauf wieder auf dem Bett saß, bemerkte er ein Schreiben mit blau-gelber Kopfzeile auf dem Nachtschränkchen. Er nahm es und runzelte die Stirn. Das Schreiben behauptete, dass er Helene Fuchs hieß. Er stand auf und kramte ein beinahe identisches Schreiben aus seinem Koffer, welches bestätigte, dass er, Georg Egert, den Bungalow seit der letzten Nacht mietete. Das Schreiben vom Nachtschränkchen hatte nur den Namen ausgetauscht, Helene Fuchs sollte hier wohnen, in diesem Augenblick. Zu allem Überfluss musste Jemand das Schriftstück während Georgs Abwesenheit neben das Bett gelegt haben, denn am Morgen hatte es dort noch nicht gelegen.
Georg suchte auf dem Tisch, unter dem Tisch, auf der Küchenablage, im Schuhschrank, in der Schublade des Nachtschränkchens, unter dem Bett und im Papierkorb. Er wollte einen Hinweis. Schon außer Atem verharrte er vor dem geöffneten Kleiderschrank, in der Hand eine weiße Bluse. Kleine Schweißperlen sammelten sich auf seiner Stirn, als sich eine groteske Ahnung mitten in sein geordnetes Realitätsverständnis drängte und einige dort herrschende Prinzipien schlicht außer Acht lies. Ich bin nicht allein, dachte er. Ein Geist, also eine Geisterfrau, die weiße Blusen trägt. Was soll das nur bedeuten? Fragte er sich. Was ist das für ein Hokuspokus?
Und dann dachte er „Oh je, nur gut, dass ich die Klamotten hier oben gelassen habe, sonst wären die wohl auch noch verschwunden. Ich bin klitsch nass!“
Und dann überlegte er wieder, wie das zweite Schreiben mit all den anderen mysteriösen Geschehnissen zusammenhängen könnte. War er nur auf dem Papier nicht der Einzige Bewohner dieses Bungalows?
Dann dachte er „wenigstens den Schmuck sollte ich bei mir tragen, nur für den Fall, dass der Herr Handtuchdieb den ebenfalls verschwinden lassen möchte.“
„Schmuck? Habe ich gerade an Schmuck gedacht?“ verwirrt schüttelte Georg den Kopf. Er wollte diesen Urlaub! Um jeden Preis! Aber damit aus dem Chaos ein Urlaub wurde, musste er herausfinden, was hier vor sich ging.
Dann änderte er seine Meinung und dachte: „Ich werde meine Sachen packen und verschwinden! Und dann werde ich herausfinden, was dieser Spuk zu bedeuten hat!“
„Ein Schreiben, auf dem steht, dass eine Frau in meinem Bungalow wohnt.“
„Ich verstehe.“ Georg hörte der Frau am anderen Ende der Leitung an, dass sie nicht verstand.
„Ich glaube, dass diese Dame und ich gleichzeitig in demselben Bungalow wohnen.“
„Gut, dass Sie uns informiert haben, Herr Egert, wir werden unsere Buchungen überprüfen, ich rufe Sie umgehend zurück.“
Georg legte auf und starrte auf seinen Schreibtisch. Die Tage, nein Stunden, am großen Wasser waren vorbei. Georg hatte das Gefühl, auf gemeine Weise um seinen Urlaub betrogen worden zu sein. „Mein Urlaub im Paradies“, dachte er. Trotzdem war er erleichtert, wieder in der eigenen Wohnung zu weilen, bisher schien ihn die Geisterfrau nicht bis in die Stadt verfolgt zu haben. Er griff erneut zum Telefon und wählte die Nummer seiner Schwester.
„Georg, ich bin überwältigt. Ich weiß zwar nicht, ob du übergeschnappt bist, oder wie du sonst zu diesen Wahrnehmungen kommst, aber immerhin. Du legst dich dafür ins Zeug, etwas heraus zu bekommen. So etwas nennt man Interesse. Wirklich, ich freue mich für dich, das ist ein Fortschritt!“, antwortete sie auf seine Schilderungen.
Kurz darauf kam Tanja in Georgs Wohnung und tat ihrem Bruder den Gefallen, bei der Bungalowvermietung anzurufen und sich als die Geisterfrau auszugeben.
„Ich muss den Papierkorb doch hoffentlich nicht selbst ausleeren?“, Tanja drückte sich mit gehobenen Augenbrauen den Hörer ans Ohr, „genau, Helene Fuchs, ich wohne im Bungalow 34, seit letzter Nacht, der Papierkorb ist voll! In Ihrer Werbung sprechen Sie von hotelgleichem Service! Genau, Sie haben mich doch da auf ihrer Liste? Eingetragen für den Bungalow 34?“
Nachdem sich die Person am anderen Ende für den vollen Papierkorb entschuldigt hatte, legte Tanja auf. Diese Frau Fuchs wohnte tatsächlich in Georgs Bungalow.
Da Google über viel zu viele Helene Fuchs verfügte und ab sofort beim Bungalowverleih niemand mehr ans Telefon ging, geschweige denn umgehend zurückrief, blieb es bei diesem Kenntnisstand. Nach drei weiteren Tagen begann Georg wieder zu arbeiten und den Abend vor dem Fernseher zu verbringen, am sechsten Tag las er einen Artikel in der Zeitung, der ihn dazu veranlasste, aufzuspringen und durch die Wohnung zu laufen. Die Journalistin Helene Fuchs berichtete in ihrer wöchentlichen Kolumne von einem Urlaub an ihrem Lieblingsstrand, den sie in einem Bungalow verbracht hatte, in dem es spukte. „Homöopathie, Ufos, Gerechtigkeit. Es gibt viele Märchen und Mythen, von denen die Menschheit nicht so recht weiß, ob sie die Wahrheit erzählen. Die meisten meiner Freunde sind sich dennoch von Zeit zu Zeit, und immer mit entrücktem Gesichtsausdruck, in einem einig: Es gibt mehr als wir für möglich halten…“
So begann der Artikel. Und es ging noch ein paar Sätze auf diese Weise weiter, bis es tatsächlich interessant wurde. „…Zwischen den Abstrusitäten, die in dem neu entstandenen Ferienort geschahen, schien zunächst kein Zusammenhang zu bestehen. Der Nagellack wollte nicht auf meinen Nägeln halten, drei Quarkbällchen verschwanden vor meinen Augen von meinem Teller, mein Handtuch verschwand ebenfalls (hier vermutete ich doch einen Zusammenhang, ein unsichtbarer Dieb musste sein Unwesen treiben), später im Bungalow fing ich an zu schwitzen, bis mir klar wurde, dass mir für einige Augenblicke ein mehr oder minder dichter Pelz unter meiner Bluse gewachsen war, und schließlich dachte ich hin und wieder Gedanken, die nur von einem lethargischen Dummkopf stammen konnten…“
Der Autorin schien bewusst zu sein, dass niemand an ihre Erlebnisse glauben würde und erzählte von dem Urlaub so, dass er als fiktive Spielerei verstanden werden konnte. Helene Fuchs hatte die Buchungsbestätigung von Georg gefunden und ähnliche Schlüsse gezogen wie er, sie hatte ebenfalls bei der Bungalowvermietung angerufen, hatte im Restaurant Fragen gestellt und in den folgenden Tagen andere Gäste interviewt, war schließlich zu dem Schluss gekommen, dass die Bungalows mindestens in einigen Fällen doppelt und mehrfach vermietet wurden, doch Beweise gab es nicht. Am Ende des Artikels rief sie in scherzhaftem Ton den unsichtbaren Handtuchdieb dazu auf, sich bei der Redaktion zu melden.
Georg war der unsichtbare Handtuchdieb. Einige Minuten stand er bewegungslos im Zimmer, dann setzte er sich an den Rechner und schrieb eine Mail an die Zeitungsredaktion.
Georg hatte sich sehr viel Mühe gegeben, nicht zu spät zu kommen. Als er die Tür des Restaurants öffnete, zeigte die Uhr hinter dem Tresen zwei nach an. Er sah sich um und erkannte die Kolumnistin Helene Fuchs. Sie kam mit einem breiten Lächeln auf Georg zu.
„Hallo, guten Tag, Sie sind Herr Egert, richtig? Ich bin die Journalistin.“
Sie war keinen Zentimeter kleiner als er, hatte kräftiges, blondes Haar und wirkte auf Georg viel zu motiviert. Überdreht hätte er fast sagen können.
„Guten Tag.“, sagte er und erwiderte ihren Händedruck.
Sie setzten sich an einen Tisch. „Eine komische Sache, die uns da passiert ist.“, sagte sie.
„Ja.“, sagte er.
Es entstand eine kurze Stille. Georg hatte erwartet, dass die geschäftige Frau das Gespräch wieder aufnehmen, ihm Fragen stellen und alles notieren würde. Aber sie sah nur in ihren Kaffee und wippte mit dem Fuß. Ein Gedanke zappelte in seinem Kopf, schon die ganze Zeit, seit er wusste, dass er diese Frau treffen würde, hielt der eine kleine Gedanke nicht ruhig.
„Sie haben mir die Fußnägel lackiert.“, sagte er schließlich, um sich auf andere Gedanken zu bringen.
„Wirklich?“, sie lachte, „Im Ernst?“
„Ja.“, sagte er und nickte. „Und ich weiß, was Sie damals auf dieser Klippe erlebt haben. Was Sie gesehen und wie sie sich gefühlt haben.“
Sie sah ihn verblüfft an. „Tatsächlich? Was habe ich denn – hatte ich ein Schokoladeneis in der Hand und das Meer war so weit?“
Er nickte.
„Ja, das war ein schöner Tag, es muss Hochsommer gewesen sein.“
Hochsommer, dachte Georg, bald kommt der Herbst, ein ganzes Jahr wird es dauern, bis er wieder da ist, der Hochsommer.
„Haben Sie irgendwas vor?“, fragte er, „Einen Plan?“
Sie schüttelte den Kopf. „Ich werde Leute befragen, die Augen offen halten, nicht aufgeben. Das gehört zum Beruf, und Sie?“
Er dachte an Sonne, Strand und Meer, und er überlegte, welche Bedeutung dieses Gespräch für ihn schon haben konnte. Und dann bahnte sich dieser eine drängende Gedanke seinen Weg bis auf Georgs Lippen.
„Wissen Sie, was ich mich frage?“, sagte Georg und ein bedauernd fiebriger Ausdruck stahl sich auf sein Gesicht, „Sie sind in der Bungalowsiedlung geblieben und ich bin abgefahren. Ich frage mich, wer von uns beiden wohl diesen seltsamen Entschluss gefasst hat, tatsächlich schon nach der ersten Nacht zu gehen!“
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Die Sekretärin brachte einen schmalen Ordner, den sie vor Herrn Hauptmeyer auf den Tisch legte. „Hauptmeyerreisen“ stand dort in verspielten Blau- und Gelbtönen, darunter war in schöner Sekretärinnenschrift „Beschwerdeprotokolle“ zu lesen. Herr Hauptmeyer blätterte in dem Ordner, ohne dem Inhalt Beachtung zu schenken. Dann schlug er den Ordner zu. „Bestens?“, seine Stimme lärmte, „Nichts da bestens! Es gab Komplikationen, wie mir Herr Nütz hier berichten musste!“ Der Dicke saß auf seinem Stuhl und scharrte stolz mit den Füßen. „Das ist uns bekannt.“, sagte Herr Händel, er hatte die Finger aus den Taschen genommen und knetete Luft. Neben ihm sah Frau Kluger dem strengstirnigen Herrn Hauptmeyer ins Gesicht. „Die Schwierigkeiten sind behoben, den Urlaubern werden keine Unannehmlichkeiten mehr widerfahren, die Kapazität der Parallelbuchungen konnten wir auf sechs erhöhen.“, sagte sie.
„Mh.“, machte Herr Hauptmeyer, er drehte den Kopf und lächelte mit seinem jungen Kiefer zu der Frau hinauf, die neben seinem Stuhl stand. Als die Übrigen den Konferenzraum verlassen hatten, lächelte auch sie. „Cousinchen.“, hauchte er ergeben und sie tätschelte ihm den Kopf.