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Geschäftsreise
Feine Regentropfen verteilen sich auf der dunklen Frontscheibe. Die Heizung bläst trockene und viel zu kalte Luft in den Innenraum des Firmenkombis. Neben Schulze sitzt der Gebietsleiter. „Ein ganz hohes Tier“, haben sie in der Firma gesagt. Eine wichtige Fahrt zu einem Großkunden steht an. Schulze steuert das schwere Auto durch den dichten Autobahnverkehr – so, wie er es immer macht, Tag für Tag und oft genug auch in der Nacht. Der Gebietsleiter auf dem Beifahrersitz hat es sich sichtlich bequem gemacht, obwohl er so aussieht, als würde er mehr auf dem für ihn viel zu kleinen Sitz hängen als sitzen. Gut und gerne 130 Kilo füllen den ganzen Beifahrerraum aus.
Schulze blickt immer nur kurz und anteillos herüber, wenn der Gebietsleiter etwas sagt. Und der redet viel. Dabei fällt Schulze auf, dass sein Mitfahrer das Jackett längst auf den Rücksitz befördert hat. Das nun zum Vorschein gekommene weiße Hemd ist ziemlich faltig, irgendwie schon kaputtgesessen; an einigen Stellen sind große Schweißflecken. Schulze aber friert, traut sich jedoch nicht so recht, die Heizung höher zu drehen. Der Verkehr wird immer dichter, das Wetter noch schlechter. Schulze muss sich konzentrieren. Tausende Rücklichter im Dunst des aufwirbelnden Regens vor ihm bilden ein abstraktes, sich ständig bewegendes Gemälde. Wie eine rotglühende Schlange wälzt sich das mechanische Getier immer weiter vorwärts, bergauf und bergab. Der Gebietsleiter fährt fort: „Schulze, aus Ihnen wird nochmal was. Habe nur Gutes von Ihnen gehört. Wollen Sie nicht mal weg vom Außendienst? Ich meine, einfach mal weiterkommen, weiter nach oben. So alt sind Se doch noch nicht.“ Doch bevor Schulze eine Chance hat, zu antworten, legt der Gebietsleiter richtig los. Er redet ununterbrochen. Von seiner letzten Fortbildung in der Schweiz, vom Meeting am Donnerstag mit den Geschäftspartnern aus Japan, die kein Wort Englisch verstanden haben, von den Beförderungen, von Schulzes Vorgänger, von … ja von allen möglichen Dingen und Situationen. „Hamse Kinder?“, fragt er plötzlich und ziemlich unvermutet. „Naja, ich hab` zweie“, beantwortet er die Frage gleich selber. „Richtige Racker sind das, sage ich Ihnen. Jungs eben. Nur Fußball und wildes Raufen im Kopf. Sollten Sie mal sehen! Leider hab` ich viel zu wenig Zeit. Sie wissen ja, der Job.“ Schulze denkt an seine Ex-Frau. An Kinder ist bei ihm nicht zu denken. Der Zug ist schon lange abgefahren.
Selbstherrlich berichtet der Gebietsleiter weiter von seiner steilen Karriere bei der Firma. „Man bekommt nix geschenkt bei uns. Echt nich. Da zählen nur harte Arbeit und vollster Einsatz. Und wie stell`n Se sich eigentlich Ihre weitere Laufbahn bei uns so vor?“, fragt er verheißungsvoll und blickt mit weit aufgerissenen Augen lange zu Schulze herüber. Der überlegt nur kurz, wie oder ob er da überhaupt noch antworten soll. Doch schon nutzt der Gebietsleiter die entstandene Pause, um gleich wieder eine eigene Antwort nachzuschieben – so, als sei er eine Art Stellvertreter für Schulze. „Sie sind mehr so der Vertretertyp – sowas merke ich sofort. Außendienst ist schon das Richtige für Sie.“ Schulze fühlt sich unwohl und ihm ist kalt.
Irgendwo in der Ferne blitzen hektisch gelb-orange Lichter einer Baustelle auf. Mein Leben ist nicht so, denkt Schulze, während sein Nachbar sehr detailliert von einem ausgedehnten Urlaub in der Karibik berichtet. Aber würde ich tauschen? Er versucht, seine Gedanken zu ordnen. Er stellt sich den Gebietsleiter in der Badehose vor, mitten im warmen, hellblauen Pazifik. Aber Schulze findet den Gedanken nicht einmal witzig. Von hinten prescht ein flacher Sportwagen mit grellen Nebelscheinwerfern heran. Nein, ganz sicher würde ich nicht tauschen. Aber berauschend ist es auch nicht, mein Leben. Nach gut zwei Stunden Fahrt durch eine einförmige, nass-graue Umgebung, vorbei an endlosen, beschmierten Betonwänden, deutet der Gebietsleiter mit seiner riesigen Hand plötzlich auf das blaue Schild mit der Aufschrift RASTHOF, das gerade am Wagen vorbeirauscht. Seltsamerweise sagt er diesmal nichts.
Die Pause dort tut Schulze gut. Endlich andere Luft, endlich andere Leute. Und endlich eine warme Umgebung, weg von der staubig-kalten Luft aus dem Gebläse des Firmenwagens. An einem kleinen Holztisch mit fröhlichen Stoffdeckchen trinken sie Kaffee. Der Gebietsleiter hat sich dazu noch ein großes Stück Kuchen geholt und fragt verwundert: „Schulze, Sie nicht?“ Doch Schulze möchte nur seine Ruhe haben. Er blickt in den langen Raum mit den vielen Tischen: Daran sitzen alte Leute in bunten Anziehsachen und unterhalten sich angeregt – vermutlich eine der zahllosen Ladungen aus den Bussen draußen. Dazwischen immer wieder junge Eltern mit Kindern. Ferienzeit, denkt Schulze. Der Gebietsleiter isst und trinkt und erzählt mit vollem Mund von den gewaltigen Schwächen der firmeneigenen EDV-Abteilung. Er redet von Menschen, die Schulze noch nie im Leben zu Gesicht bekommen hat. Aber der hört schon länger nicht mehr zu.
„Noch mal kurz austreten“, schnauft der dicke Gebietsleiter knapp, als sie das Restaurant verlassen und wankt schon die breite Fliesentreppe in den Keller zum WC hinunter. Schulze nickt mechanisch, obwohl sein Beifahrer eigentlich schon außer Sichtweite ist. Nur noch das schaukelnde, weiße Hemd ist am Ende der Treppe zu sehen. Dann geht Schulze mit sicheren Schritten zum Parkplatz, schließt den grauen Firmenwagen auf und setzt sich ans Steuer. Einen Moment noch zögert er. Er blickt sich um, sieht die vielen geparkten LKW mit den bunten Planen und den Aufschriften in den unterschiedlichsten Sprachen. Er sieht die unzähligen Busse mit exotischen Kennzeichen und die Menschen, die sich davor Zigaretten rauchend die Füße vertreten. Er sitzt da, atmet tief und wartet noch einen Augenblick. Dann dreht er den Schlüssel um und hört das vertraute Brummen des Diesels.
Schulze beschleunigt und setzt sich vor einen 40-Tonner, der wie ein Ozeanriese durch das Wasser auf der Autobahn pflügt. Der Sitzplatz neben ihm ist leer. Nur noch ein Hauch des After-Shaves kündigt von der ehemaligen Präsenz des Gebietsleiters, der jetzt vermutlich verdutzt auf dem Parkplatz in seinem riesigen Hemd steht und nach Schulze und dem Firmenkombi Ausschau hält. Doch Schulze interessiert das nicht. Er hat die Heizung hochgedreht und das Lenkrad fest umklammert. Der Regen hat mittlerweile aufgehört und am Horizont drückt sich eine kleine, rot-orange Sonne über den Horizont. Auf dem Asphalt bildet sich dunstiger Nebel, der in kleinen Schwaden über die Bahn tanzt.
Einen Moment lang schaut Schulze in den Rückspiegel. Doch dann tritt er das Gaspedal ganz durch und lässt die Raststätte immer weiter hinter sich.