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Geschenke, Geschenke

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17.09.2005
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Geschenke, Geschenke

Andrea saß im hinteren Teil des Busses, der sie mit Geruckel und Geschnaufe durch die festlich geschmückte Innenstadt fuhr. Der Regen prasselte gegen die Scheiben und die hinunter laufenden Tropfen verzerrten die bunten Lichter der Weihnachtsdekorationen in den Fenstern. Die entstandenen grellen Lichtflecken machten sie schläfrig und ließen sie entspannt vor sich hinträumen. Unbewusst wickelte sie ihren dicken Wintermantel noch etwas enger um sich herum. Sie musste noch eine halbe Ewigkeit in diesem Vehikel, dessen Heizung kaputt war, sitzen und ihre Hände hatten sich bereits blau verfärbt. Doch das merkte sie nicht, tauchte sie doch gerade in die warme, heile Welt der Vergangenheit ein.

Sie dachte an Weihnachten. Früher, als sie noch ein Kind gewesen war, hatte sie Weihnachten immer besonders geheimnisvoll gefunden. Ihre Eltern hatten ihr damals erzählt, dass das Christkind die Geschenke bringen würde und mehr als einmal, hatte sie sich eingebildet es tatsächlich gesehen zu haben. Viele Abende hatte sie am Fenster ausgeharrt, um den Engel zu sehen, der ihren Wunschzettel abholen sollte und war darüber eingeschlafen. Mitten in der Nacht hatte ihre Mutter sie geweckt und erzählt, der Engel wäre gerade weggeflogen, hätte sich aber sehr über ihre schönen Zeichnungen gefreut. Unwillkürlich musste sie seufzen. „Ach damals...“

Heute sollte es eigentlich darum gehen mal wieder Zeit mit der Familie zu verbringen. Schenken wollte man sich nur Kleinigkeiten. Eben damit man etwas zum Auspacken hatte und wer freut sich nicht über ein kleines, nett gemeintes Präsent.
Andreas Gedanken wanderten zu ihrem letzten Weihnachtsfest, das sie zusammen mit der Familie gefeiert hatte. Es war erst ein Jahr her, doch hatte sie es geschafft es ganz gut zu verdrängen. Langsam allerdings bohrten sich die Gedanken daran aus ihrem Unterbewusstsein und schossen schließlich ungebremst in ihren Besinnliche-Weihnachten-Tagtraum hinein.

Das verträumte Gesicht verabschiedete sich, um einer ärgerlichen Fratze Platz zu machen, welche die heiße Atemluft wie eine Lokomotive in den Raum pustete, als müsse sie jeden Moment platzen vor Wut.
Wie hatte sie dieses schreckliche Fest nur derart aus ihrem Gedächtnis streichen können? Verärgert griff sie nach ihrer Tasche, die auf dem Sitz neben ihr lag und riss mit viel zu viel Wucht den Reißverschluss auf.
Statt wie geplant ihre Mutter anzurufen, um die Weihnachtsverabredung kurzerhand abzusagen, fand sie sich auf allen vieren krabbelnd und fluchend auf dem nassen Fußboden des Busses wieder, um ihre Habseligkeiten, die gerade in alle Himmelsrichtungen des Abteils geflogen waren, wieder einzusammeln.
Brummelnd setzte sie sich, nachdem sie auch das letzte durchweichte Taschentuchpäckchen wieder in die Handtasche gestopft hatte, wieder auf ihren Platz.

In ihrem Kopfkino lief der Film vom letzten Weihnachtsfest ab.
Es hatte eigentlich ganz schön angefangen. Alle hatten sich hübsch zurecht gemacht ...bei näherer Betrachtung waren alle ganz in schwarz gekleidet gewesen und es hatte mehr nach Beerdigung, denn nach Weihnachten ausgesehen, aber dennoch hätte es ein schöner Abend werden können. Auf die Farbe der Kleider kam es ja nun wirklich nicht an!

Als Essen hatte der Familienrat Fondue gewählt. Töpfchen mit lauwarmer Brühe, in die man rohe Fleischstückchen reinhielt, um sie grau gekocht wieder heraus zu holen und danach musste man sie auch noch essen ...und das drei Stunden lang, um richtig satt zu werden. Andrea musste Grinsen. Ihr Mann schaffte es immer wieder das Essen so lange hinaus zu dehnen, bis die Geschenke-geirige Verwandschaft es fast nicht mehr aushielt und ihn mit bösen Blicken malträtierte, sein Essen endlich zu beenden. Was ihn allerdings dazu anstachelte noch langsamer zu essen und die Bescherung noch weiter hinaus zu zögern.

Irgendwann war es dann aber soweit und es kam was kommen musste: die heilige Beschenkung. Andrea erinnerte sich plötzlich, als wäre es erst gestern gewesen. „Ach weißt du Liebes, wir schenken uns ja nichts besonderes. Es soll halt jeder was zum Auspacken haben.“, hatte ihre Mutter in einem säuselnden Tonfall zu ihr gesagt. „Irgendwie gehört das doch auch dazu.“
Und so saß Andrea nebst Ehemann im elterlichen Salon, voller Überzeugung, schöne Geschenke ergattert zu haben. Einen Tick zu teuer vielleicht, aber das ist einem die liebe Familie schon wert. Und dann ging es los.

Das goldene Glöckchen wurde geläutet und als wäre gerade ein Startschuss abgefeuert worden, rasten alle wie wild durcheinander und tauschten, in einem heillosen Durcheinander, Geschenke und fromme Wünsche aus. Papiere wurden abgerissen, Geschenke begutachtet, für gut oder schlecht befunden und zur Seite geschmissen, um sich schnell des nächsten Päckchens zu bemächtigen. Andrea und ihr Mann konnten alles ganz genau beobachten, denn der gebrauchte Eierkocher, den sie geschenkt bekommen hatten, war schnell ausgepackt gewesen und blieb für den Rest des Abends das einzige Geschenk.

Die sündhaft teure Creme, die Andrea und Mann der Mutter geschenkt hatten, wurde naserümpfend in Empfang genommen und der alten Tante Irma untergeschoben, welche die ganze Bescherung schnarchend in einem großen Ohrensessel verbracht hatte. Der Ehrlichkeit halber muss man aber anmerken, dass sie neben Designerklamotten, Diamantengeschmeide und dem Nerzmäntelchen wirklich etwas ärmlich ausgesehen hatte. Die Creme, nicht Tante Irma!

Der alte ehrwürdige Rotwein mit dem Andrea ihren Vater beeindrucken wollte, wurde ebenso wenig beachtet in die Ecke gestellt. Der Vater war viel zu beschäftigt damit, die vielen Funktionen des silbernen Reiseschuhlöffels auszuprobieren, den er eben erst unter einem Haufen quietschbuntem Papier zu Tage gefördert hatte. Doch bettete er die Flasche wenigstens auf seinen eigenen Geschenkeberg, der aus Kaschmirpullis, mundgeblasenem Schlag-mich-tot und vergoldeten Was-weiß-ich-was-hauptsache-es-kostet-viel-und-macht-Eindruck-Stücken bestand.

Andreas Schwester, die weder Mann noch Frau besaß, dafür die überschwängliche Liebe ihrer Mutter und des Vaters wurde noch mehr mit Geschenken überschüttet. Doch diese Gedanken blendete Andrea, aufgeschreckt durch ein heftiges Ruckeln des Busses, aus ihrem Gedächtnis aus. Außerdem hatte sie da auch gerade so eine Idee gehabt: dieses Jahr würde sie alle mit ihren eigenen Waffen schlagen...

Endlich war der heilige Abend da und Andrea saß mit einem triumphierenden Lächeln im Gesicht in einem knallroten Abendkleid („Kind, das lässt dich aber blass aussehen!“) am Tisch und würgte das Weihnachtsfondue hinunter. Auch ihr Mann hielt sich ganz tapfer. Dieses mal, das wussten sie, würden ihre Geschenke einschlagen wie der Blitz. Und dabei hatten sie kaum etwas dafür ausgeben müssen. Nur ein Teil hatten sie sich geleistet: einen Geschenkeveredler, wie Andrea ihn liebevoll nannte. Man konnte auch Preisschildchendrucker dazu sagen.

Überall auf den zugegebenermaßen sehr billigen und auch ziemlich hässlichen Geschenken, hatte sie kleine Preisschildchen versteckt, die dem geschulten Blick sofort ins Auge fielen und den geneigten Betrachter darüber in Kenntnis setzten, dass er da gerade etwas unbezahlbares in seinen Händen hielt.

Und es klappte! Andreas Mutter war hin und weg von dem Parfum, dass ihr gerade ein geldstückgroßes Loch in das seidene Oberteil gefressen hatte, stand doch auf dem Preisschild („Ups. Das habe ich ja ganz übersehen.“) der stolze Preis von 647€, die man für eine solche Rarität schon mal berappen musste. In Wirklichkeit stammte dieser kleine Flakon von einem Jahrmarkt und würde, bei näherer Untersuchung, bestimmt in die Kategorie C-Waffe eingestuft werden. Aber wen interessierte das schon?

Der Rest der Familie geriet beim Anblick seiner kostspieligen Geschenke ebenfalls in Verzückung und man ließ sich am späten Abend sogar noch dazu hinreißen den kleinen fleckigen Sparkassenkalender, welcher das feudale Geschenk für Andrea und ihren Mann gewesen war, mit einer Widmung zu versehen. Frohe Weihnachten!

 

Hallo tramini,

eine schön zu lesende Geschichte. Zu Anfang baust du eine überzeugende Atmosphäre auf, und gegen Ende wird immer mehr eine auch ganz lustige Geschichte daraus. Inhaltlich würde ich nichts verändern.
Nur waren es mir ein paar viele Kommas, an Stellen, wo ich nie auf den Gedanken gekommen wäre, welche zu setzen. :)

Ein paar kleine Fehler:

ihre Hände hatte sich bereits jetzt blau verfärbt.
-hatten
-"jetzt" könntest du auch weglassen

Andreas Gedanken wanderten zu ihrem letzten Weihnachtsfest, dass sie zusammen mit der Familie gefeiert hatte.
das

In ihrem Kopfkino lief der Film vom letzten Weihnachtsfest ab.
Das erwartet der Leser schon. Vielleicht besser "In ihrem Kopfkino lief der Film vom letzten Weihnachtsfest nun komplett und in geordneter Reihenfolge ab." Dann hättest du den Gegensatz zu dem Kontext-entrissenen Bild von vorher.

Als Essen hatte der Familienrat Fondue gewählt. Und das hatte es dann auch gegeben.
Den zweiten Satz könntest du mMn weglassen.

Geschenke-geirige Verwandschaft
Buchstaben vertauscht

Was ihn allerdings dazu anstachelten noch langsamer zu Essen
das "n" weg, das "E" klein

Andreas Schwester, die weder Mann noch Frau besaß, dafür die überschwängliche Liebe ihrer Mutter und des Vaters, wurde noch mehr mit Geschenken überschüttet.
Hier gehört ausnahmsweise noch ein Komma mehr hin. Vielleicht sogar besser in Gedankenstriche setzen.

Dieses mal, dass wussten sie,
"m" groß; "s" weg

Gruß, Tolkiens Padawan

 

Hallo Tolkiens Padawan,

vielen Dank für das Lesen meiner Geschichte, die wohlwollende Kritik und die Fehlerkorrektur :D !!!

Mit den Kommas muss ich dir recht geben! Habe im Eifer des Gefechts mit den Kommas nur so um mich geschmissen...
Ich habe ein paar davon wieder rausgefischt und die Fehler korrigiert. :shy:

Viele Grüße
tramini

 

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