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Geschichte vom Waldschrat, der zu friedfertig war

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21.04.2007
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Geschichte vom Waldschrat, der zu friedfertig war

Gleich hinter dem Städtchen Zinna liegt ein Wald durch den man sich zuwinken kann, der war früher einmal sehr viel größer und dunkler.
Damals tummelten sich allerlei Tiere im Dickicht, doch kaum jemand weiß heute noch von ihnen und ihrem absonderlichen Treiben und das ist die Schuld von Horst, dem langwimprigen Waldschrat.
Im allgemeinen müssen sich auf Schönheitswettbewerben die Schrate mit den hinteren Plätzen begnügen, nicht aber Horst, der von seinen Eltern, einem filigranen Elf und einer muffigen Alraunwurzel, mit einem unverschämt guten Aussehen bedacht wurde.
Da Horst in seinem Wald als der ungekrönte König galt, denn den Waldschraten werden übersinnliche Kräfte zugeschrieben, machten sich die Tiere nur flüsternd über seine ungewöhnliche Schönheit lustig, seiner zarten Haut und der langgeschwungenen Wimpern wegen gaben sie ihm Namen wie Tausendschönchen, Blütenweiß und Transvestit.
Natürlich wußte er von diesem Gerede, denn er verfügte über ein ganz erstaunliches Gehör, doch selbst seine Liason mit einer als in Liebesdingen erfahren geltenden Igeldame konnte den bösen Klatsch nicht beenden, denn Gerüchte, die aus Neid und Missgunst entstehen, halten sich oft länger als ein schlecht ausgeheilter Tripper.
Trotzdem schätzten die Tiere seinen Rat und ließen gegenüber Außenstehenden nichts auf ihren Anführer kommen, bis zu dem Tag, als ein schlimmer Streit im Wald entbrannte und dessen Bewohner in zwei Lager zu spalten drohte.

Die letzten Frühnebel waberten noch über den feuchten Waldboden, da war die gesamte Rattenfamilie Grützmann schon unterwegs, um dem anderen Viehzeug zuvorzukommen und ihre Speisekammer mit allem zu füllen, was noch nicht zu vergammelt und irgendwie essbar war.
Während ihrer Nahrungssuche mussten sie häufig große Bögen um die Schlangenhöhlen machen, denn schon einige der jüngeren Kinder mußten ihren Leichtsinn mit dem Leben bezahlen und wurden noch immer von zufriedenen Nattern verdaut.
Bei dieser vorsichtigen Wanderung gerieten sie immer näher an den Rand des Waldes und plötzlich gab es keine schützende Deckung mehr und sie standen auf freier Wiese.
„St st still „ flüsterte der Rattenvater, der von Geburt an unter einem Sprachfehler litt, „still dd doch, ss seht ihr dd den nihi nicht?“, und deutete aufgeregt auf eine ungeheure Anzahl der verschiedensten Tiere, die dicht gedrängt auf der Wiese standen. „Www was kö köhen köhönnen diehie ww woll woll…“ ,
„-Wollen-“, beendete die Rattenfrau seinen Satz und der Alte nickte bekräftigend.
Die Rattenkinder zuckten mit den mit den Schultern, aber der Tapferste, ein schon fast ausgewachsener Rattenjunge namens Klaus, holte einmal tief Luft und lief mutig auf die fremde Meute zu. „Grützmann Junior“, rief die Rattenmutter ihrem Sohn nach, „sofort kommst du wieder her!“, der aber drehte sich nicht einmal um und hatte schon bald die Tiere erreicht, unter denen er auch viele Artgenossen sah. „Wer seid Ihr denn, und was treibt Euch zu uns?“, verlangte er frech zu wissen.
„Wir sind Heimatlose, Vertriebene könnte man auch sagen“, antwortete für alle Tiere deren Anführer, ein jämmerlicher Hirsch unbestimmten Alters mit nur einer Geweihstange, „und wir kommen,um bei Euch ein neues Zuhause zu erbitten.“ Der Hirsch schneutzte sich umständlich und fuhr fort, mit weinerlicher Stimme seine Geschichte zu erzählen. „Unsere Heimat war der Wald etwa eine Stunde östlich von hier, aber schon seit einiger Zeit rumoren die Menschen in unserem Gebiet, sie schlagen die Bäume um und legen Felder an, sie verbrennen unsere Büsche und sie haben unser Wasser verdreckt und jetzt bauen sie auch noch ein Kloster! Immer mehr Menschen werden nun kommen und unseren Lebensraum nehmen und nun sind wir hier, um endlich wieder in einem Wald ohne Menschen zu leben und in Ruhe und Würde…“
„Jau“, keifte ein langbeiniger Hase dazwischen, „und nicht nur das! Wollen wir uns einen Kohlkopf von ihren Feldern holen, so fangen sie uns in Schlingen und ziehen uns das Fell über die Ohren. Meine Mutter haben sie ganz nackend über Nacht in Buttermilch liegen lassen, damit sie zart wird, diese verlausten Dreckschweine!“
Ein kräftiger, schwarzer Wildschweinmann grunzte wütend und der Hase legte ängstlich den Rüchwärtsgang ein.
„Einjen aus meiner Familje hab`n se den Kopp abjeschnitten und über`n Kamin jehängt“, wütete der Keiler, „ick bitt Euch,wer macht denn so wat?“
Voll Entsetzen vernahm der Rattenjunge Karl all diese Geschichten über die Menschen, von deren Existenz er wohl gehört, sie aber immer für eines dieser Ammenmärchen gehalten hatte, mit denen man einen ungezogenen kleinen Ratz ins Bett zwingen möchte.
„Aber das ist ja ganz furchtbar“, flüsterte er, „bitte wartet hier, ich berichte unserem Chef, dem schönen Waldschrat Horst davon, der wird Euch sicher helfen können.“ Mit diesen Worten wendete Karl und verschwand mit seiner Familie im Wald.
Das diese Nachricht für hellen Aufruhr sorgte, läßt sich leicht denken und auf der Lichtung vor der hohlen Baumwurzel, in der Waldschrat Horst wohnte, waren bald alle heimischen Tiere versammelt und die mittlerweile warme Luft war erfüllt von den Worten und Widerworten der teils mitleidigen und teils empörten Kreaturen.
Denn es ist dort nicht anders als anderswo, und wo einer laut Ja schreit, muss unbedingt ein noch lauteres Nein gebrüllt werden.
Der alte Kauz Hassan erhob seine Stimme und appelierte an das Gute im Tier, das zu Mitgefühl und Solidarität mit den Geknechteten aufruft, die Mardermutter Irene hingegen wußte ganz genau auszurechnen, das es mit der Nahrung im Wald ohnehin schon knapp bestellt sei und alles Neue den Tod des Alten bedeuten würde.
Die vielen Unentschlossenen wackelten mit den Ohren und gaben mal der einen, mal der anderen Seite Recht, zumeist der Seite, die gerade am lautesten schrie.
Auch an Beleidigungen fehlte es nicht, so bat zum Beispiel die Ringelnatter Kunigunde um ein Bleiberecht für die Vertriebenen, weil sich daraus ja schließlich auch neue Futterquellen ergäben und sie denke dabei nicht nur an sich, sondern auch an alle anderen Schlangen. Das hatte den wütenden Protest der Kreuzotterfamile von Ebersbach zu Folge, man könne ganz gut allein für sich reden und bräuchte keine Meinung von einer Ringelnatter, die ja nicht einmal eine richtige Schlange sei. Auf diese gemeinen Worte hin beschimpfte Kunigunde die Kreuzottersippe als giftige Regenwürmer, zog noch einmal die dichten Augenbrauen drohend zusammen und verpisste sich in das Unterholz.
Natürlich forderten sämtliche Regenwürmer daraufhin den Ausschluß der Ringelnatter aus der Waldgemeinschaft, weil sie den Ruf des fleißigen Gewürms nachhaltig geschädigt hätte.
Bei dem nun ausbrechendem Tumult kam es sogar zu Tätlichkeiten unter den Tieren und an dieser Stelle können wir uns auch gleich von dem tapferen Rattenjungen Karl Grützmann verabschieden, der sich dummerweise mit einem hungrigen Mitglied der Kreuzotterfamilie von Ebersbach anlegte.
Wo aber blieb der wirklich gutaussehende Waldschrat Horst in diesen schlimmen Augenblicken, als die Gemeinschaft der Tiere auseinander zu brechen drohte?
Der hatte natürlich alles mitgehört, was die Fremden zu beklagen hatten, zudem wußte er schon seit langem von den Umtrieben der Menschen, denn das war immer wieder eines der Probleme, die bei den Schrattreffen der Umgebung zur Sprache kamen und während sich seine Landsleute noch an Federn, Pelz oder Leder gingen, faßte Horst einen folgenschweren Entschluß.
„Hört mich an,Waldbewohner“, rief er mit lautem Heldentenor, während seine blonden Locken von einem leichten Luftzug bewegt wurden wie die Wellen eines goldenen Sees, „hört mich an!“
Augenblicklich wurde es ruhig, nur noch vereinzeltes Tuscheln war zu vernehmen.
„Wir werden die Fremden bei uns aufnehmen und wir werden es für sie und für uns tun“, verkündete der Waldschrat, erntete jedoch neben Zustimmung auch reichlich Widerspruch.
„Ddd ddd das Fr Frr.. Fressen rr rrr reicht nihi nicht für uu uuu uns aa aaa aaaa…“
–„Alle!“-
„ja, danke Frau, aaa alll alle!“
Einige mißmutige Blicke streiften den Rattenmann, der immer fetter wurde, während alle die Tiere, die gerne etwas länger schliefen, noch immer keinen Winterspeck angesetzt hatten.
„Seht doch nur unseren Häuptling an“, schwärmte leise mit verstellter Stimme das Eichhörnchen Wilhelm, „ob er heute rosa Unterwäsche trägt?“
„Gnihihi…“ kicherten seine allesamt für ihre Hinterhältigkeit bekannten Eichhörnchenkollegen und taten verschämt.
„Maul halten!“, donnerte der jetzt ernstlich wütend werdende Waldschrat, „Maul halten, sonst mache ich Tiermehl aus Euch!“. Selbst der Zorn veredelte noch sein Äußeres, und seine wutroten Wangen harmonierten prächtig mit den blaublitzenden Augen.
„Habt Ihr Euch auch nur einmal angesehen, wie viele die Fremden sind und wie wenig wir? Wenn wir denen nicht geben, was sie wollen, werden sie es sich mit Gewalt nehmen und dann sind wir die ohne Heimat! Sollten wir sie aber als Freunde in den Wald lassen haben wir Verbündete im Kampf gegen die Menschen, die vielleicht schon bald an unsere Bäume Feuer legen werden!“
„Er hat Recht,Recht hat er“, flüsterten die Tiere untereinander, „da sieht man wieder, so ein Waldschrat hat ganz einfach mehr Hirn als wir Evolutionsverlierer.“
Dachs Jürgen wurde sofort losgeschickt, die neuen Mitbewohner willkommen zu heissen und noch am selben Abend gab es im Wald ein rauschendes Fest, bei dem sogar der Hase dem Fuchs mit aller gebotenen Vorsicht Gutnacht sagte.

Das hört sich ja nun alles ganz gut an und man könnte das ganze Gekropps im Eierkuchenparadies wähnen,wenn wir nicht der Wahrheit verpflichtet wären und darum muß berichtet werden, das diese unsinnige Verbrüderung der Anfang vom Ende des Waldes war.
Natürlich reichte die Nahrung bei weitem nicht für alle Tiere aus, sie waren viel zu viele in einem zu kleinem Wald, sie konnten sich nicht aus dem Wege gehen, die Großen fraßen die Kleinen und schließlich wurden die Großen von den Menschen gefressen und außerdem zu geschmackvoller Dekoration verarbeitet. Die meisten Bäume wurden gefällt und Häuser daraus gemacht, an deren Wänden man dann die ausgestopften Schädel der einstigen Einwohner bestaunen konnte.
Die Tiere, die man heute mit sehr viel Glück durch den lichten Wald spazieren sieht, sind allesamt Made in Taiwan und der letzte Überlebende dieser Katastrophe hält sich wohlweislich unter seiner Baumwurzel versteckt und erzählt niemanden von dieser wahren Geschichte, weil er sich zu Recht schämt.

Mittlerweile ist der wissenschaftliche Nachweis gelungen, das Waldschrate bis zu neunhundert Jahre alt werden können und mit ziemlicher Sicherheit, namentlich wenn die Mutter eine Alraunwurzel war, von Geburt an schwul sind.

 

Hallo Nachtlicht,

deine Geschichte fand ich unterhaltend, aber nicht sehr lustig.Sie ist gut geschrieben und läßt sich auch relativ munter runterlesen, aber es fehlt ihr irgendwie der letzte Biss. Vielleicht liegt es daran, dass die Geschichte denn doch zu sehr fabelartig wirkt, also zu sehr menschliche Probleme aus der Sicht von (sprechenden) Tieren darstellt oder daran, dass zu wenig wirklich überraschendes passiert weiß ich nicht.
Für meinen Geschmack sind die einzelnen "Personen" auch zu austauschbar. Bis auf Horst sind alle doch relativ austauschbar. Und der Waldschrat ansich gefällt mir auch nicht so recht. Man assoziiert zwar vielleicht Häßlichkeit mit einem Waldschrat, aber vielleicht hättest du gerade da ein wenig mehr einbauen können an Übertreibungen. Zum Beispiel.

liegt ein Wald durch den man sich zuwinken kann,
Das finde ich auch ein wenig unglücklich. Prinzipiell kann man sich wohl in jeden Wald zuwinken, wenn man nur 5 Meter auseinander steht. Mag penibel sein, aber sprachlich wirkt das auf mich recht holperig.

Nix für ungut ...
Lemmi

 

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