- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 12
Gestohlene Herzen
Die Stimmung war perfekt.
Die Kerzen und Rosen erfüllten den ganzen Raum mit Romantik, Ali trug das dezente, lange, schwarze Trägerkleid, das er so sehr an ihr liebte und ihre Haare fielen ihr weich über die nackten Schultern. Perfekt, es war einfach perfekt.
Er legte sein Messer zur Seite, um nach seinem Glas zu greifen und nippte an seinem Wein, während er beobachtete, wie Ali langsam wach wurde. Er ließ ihr die Zeit, sich zu orientieren, immerhin hatte sie geschlafen, als er sie umgezogen und den Raum vorbereitet hatte. Er hatte ja gar keine andere Wahl gehabt, als ihr die Schlaftabletten in ihr Wasser zu mischen, er wollte sie doch zum Valentinstag überraschen. Das ihm die Überraschung gelungen war, konnte er an dem Blick sehen, den sie nervös durchs Wohnzimmer schweifen ließ.
Gute vier Wochen lebte er jetzt schon hier, beobachtete sie Tag und Nacht, setzte sich an ihr Bett wenn sie schlief und fotografierte sie, wann immer er konnte. Er hatte sich ein eigenes kleines Reich in einer Ecke ihres Dachbodens eingerichtet, von wo er einen ausgezeichneten Blick auf ihr Schlafzimmer hatte. Er hätte sich nicht einmal verstecken brauchen, Ali war so selten dort oben, dass er die ganze Fläche hätte nutzen können. Sie wich den Erinnerungen aus, die oben in den Kisten lagerten, Erinnerungen an ihre Kindheit, Erinnerungen an ihre verstorbenen Eltern.
Sie hatte nicht einmal geahnt, dass er da war, und das, obwohl er ihr genug Hinweise gegeben hatte. Er hatte Sachen im Haus umgestellt, Kleinigkeiten, die ihr auf jeden Fall aufgefallen waren. Er hatte sie oft ratlos davorstehen sehen, aber er wusste nicht, wie sie es sich im Endeffekt erklärt hatte. Auf ihn war sie jedenfalls nicht gekommen.
Sie sah verängstigt und schockiert zu ihm auf. Vor ein paar Tagen war sie in der Badewanne eingedöst und er hatte die Gelegenheit genutzt, den Verdacht auf ihren Nachbarn Alex zu lenken, indem er ihren Kopf unter Wasser gedrückt hatte, bis sie kurz davor gewesen war, das Bewusstsein zu verlieren. Er mochte Alex einfach nicht, er war ein Angeber, der immer wieder versuchte, Ali zu verführen. Seine Ali! Sie flirtete auch noch mit diesem Versager! Er hatte ihnen einfach eine Lektion erteilen müssen. Eine kleine Warnung.
Alex war verdächtig geworden, weil er einen Schlüssel zu ihrem Haus besaß und weil er so kurze Zeit nach diesem kleinem „Ereignis“ da gewesen war, um sie ins Krankenhaus zu bringen. Er hätte ein ungutes Gefühl gehabt, hatte er erklärt. Ali war das alles trotzdem merkwürdig vorgekommen und hatte endlich damit angefangen, diesem Mann zu misstrauen. John hingegen hatte als Held dagestanden, der Arzt, der ihr vielleicht das Leben gerettet hatte, der Mann, dem sie sich anvertraut hatte.
Sie war sein Engel. Sie war bezaubernd, unschuldig, intelligent und wunderschön. Eine hervorragende Kinderärztin, die bei ihrer Arbeit aufblühte. Das süßeste, netteste Wesen, das er je gesehen hatte. Er hatte sofort sein Herz an sie verloren. Jetzt war es Zeit, sich endlich ihr Herz zu holen.
„John“, flüsterte sie fassungslos und gleichzeitig verängstigt. Sie versuchte erst gar nicht, sich zu bewegen, es wäre auch sinnlos gewesen, er hatte sie so fest an den Stuhl gefesselt, dass das Seil in ihre weiche, karamellfarbene Haut schnitt. „Sie?“
„Überraschung!“, lächelte er stolz über die Blumen und Kerzen. Es war das erste Mal, dass er sich soviel Mühe gegeben hatte und er fand, dass sich das Ergebnis durchaus sehen lassen konnte. „Etwas Wein?“
Sie schüttelte langsam den Kopf, Schweiß wurde auf ihrer Stirn sichtbar. Sie hatte Angst vor ihm, er liebte es, wenn sie Angst vor ihm hatten.
„Ich weiß, du trinkst nicht, aber heute ist Valentinstag! Ausnahmsweise?“
Sie schüttelte wieder den Kopf.
„Typisch für euch Frauen!“, murmelte er. „Ich hab’ den besten Wein besorgt! Für dich, aber du sitzt nur da und schüttelst den Kopf!“
„John...“
„Shh!“, er legte seinen Zeigefinger auf seinen Mund und Ali gehorchte sofort. Nachdenklich nahm er das Messer vom Tisch und legte die kühle Klinge an seine Wange. „Was denkst du, wollen wir ein Spiel spielen?“
„Sie waren das alles, nicht wahr? Und dann haben Sie alles so gedreht, dass... dass ich dachte, Alex sei hier gewesen...“
„Ihr habt es mir ja so einfach gemacht!“, er ging um ihren Stuhl herum und betrachtete ihre kleinen Hände. Sie zitterte, sie wirkte noch zerbrechlicher als sonst. Er konnte sie flüstern hören. Sie betete. Er hatte es schon so oft gemacht und jedes Mal war es das Gleiche. Sie beteten. Als ob es ihnen wirklich helfen könnte. Er war allerdings überrascht, dass Ali lediglich zusammenzuckte als er mit der kalten, scharfen Klinge über ihre Haut fuhr und eine kleine, rote Blutspur hinterließ. Die anderen hatten immer spätestens an diesem Punkt angefangen zu schreien. Ali nicht. Sie betete weiter, versuchte, ihren Kopf aufrecht zu halten und nicht zu weinen. Wie sehr er diese Frau liebte, wie perfekt sie war!
„Ich werde dich heute nacht zu einem richtigen Engel machen!“, flüsterte er ihr ins Ohr und lächelte, weil sie weiter betete als hätte sie ihn nicht gehört. Die Todesangst stand ihr trotzdem über ihr ganzes Gesicht geschrieben, sie biss sich immer wieder auf ihre Unterlippe, um ihre Tränen zurückzuhalten.
„Was habe ich denn getan?“, fragte sie schließlich verzweifelt. „Warum ich?“
John lächelte. „Du hast mein Herz gestohlen, und heute nehme ich mir deins!“
Panische Angst sprach aus ihren Augen. Er hatte gewusst, sie würde ihn nicht enttäuschen. Sie hatte ihn ganz genau verstanden. Sie war eben sein Engel.
„Du bist viel zu gut für diese kalte Welt, mein Engel! die menschen sind schlecht, aber du... du bist was Besonderes!“, lächelte er, während er sich über sie beugte. Sie betete wieder, aber sie schrie nicht, als sich sein Messer in ihre Haut bohrte. Routiniert ließ er die Klinge durchs Fleisch gleiten und nahm sich endlich ihr Herz. Sie hatte sich nicht gewehrt, kein einziges Wort gesagt, hatte nicht geschrieen. Er strich über ihre weichen Haare und hob ihren Kopf an, um ihr einen Kuss auf die noch warme Stirn zu geben. Sie hatte genau gewusst, wie er es am liebsten mochte, sie war still geblieben.
Es war viel intimer, wenn es still verlief.
Er band ihren Körper los, trug ihn vorsichtig zur Couch und legte sie behutsam hin. Er nahm eine Rose vom Boden und legte sie auf ihre Brust, dort, wo vorher ihr Herz gewesen war.
„Schlaf’, mein Engel!“, sagte er leise, bevor er ihr wieder einen Kuss auf ihre Stirn gab.
***
Die Zeitungen schrieben von einem grausamen Mord, man hatte der jungen Ärztin so sauber das Herz entfernt, dass man vermutete, der Täter müsse wenigstens chirurgische Grundkenntnisse haben. Perfekte Arbeit, hatte man gesagt, und irgendwo stand auch etwas über die Rose, die Kerzen, die im Wohnzimmer verteilt gewesen waren und über die Blumen, die er im ganzen Haus verteilt hatte.
In den Medien hörte und sah man immer wieder schockierte, verängstigte Nachbarn und Arbeitskollegen, nur Alex ging den Medien aus dem Weg. Einmal hatte ein Fernsehteam versucht, ein Interview mit ihm zu bekommen, weil er direkter Nachbar gewesen war und, nach Angaben der anderen Nachbarn, dem Opfer sehr nahe gestanden hatte. Alex war wortlos an den Leuten vorbeigegangen und hatte ihnen förmlich die Tür vor der Nase zugeknallt. Er hatte abgenommen, die Trauer war ihm anzusehen, aber John hatte kein Mitleid mit ihm. Das war nun einmal der Preis dafür, dass er versucht hatte, sich an Ali heranzumachen.
Dr. John Brewster legte zufrieden die Zeitung zur Seite und zog den kleinen, liebevoll gearbeiteten Holzkasten, der auf seinem Schreibtisch lag, zu sich. Reine Handarbeit, ein echtes Einzelstück, nur das Beste für Ali.
Bald würden die Medien sie wieder vergessen, aber John würde für immer ihr Herz besitzen. Er strich liebevoll über den Kasten und lächelte.
„Für dich habe ich einen ganz besonderen Platz, mein Engel!“, sagte er leise. „Du gehörst nicht zu den Anderen, du bist etwas besonderes. Dein Herz ist vollkommen rein und unschuldig...“
Er wusste, er würde nie wieder eine Frau wie sie finden, trotzdem nahm er das Notizbuch, in dem er alle Bilder und Notizen dazu aufbewahrte und blätterte es aufmerksam durch. Nach einer Weile hielt er inne, sah zum Kasten rüber und lächelte.
„Rebeca, eine Rothaarige!“, aus dem Lächeln wurde ein Grinsen. „Ich hatte noch nie eine Rothaarige, die sollen ziemlich aufregend sein...“, er sah wieder in sein Buch, sie war nicht so süß wie Ali und bestimmt auch nicht so unschuldig, aber sie hatte etwas. „Bald wirst du mir dein Herz schenken, Beca“