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Ghostwriter

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12.05.2025
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Ghostwriter

Obwohl ich viele Jahre ausschließlich im Hintergrund gearbeitet habe, wurde meine berufliche Tätigkeit landesweit öffentlich bekannt, und zwar auf eine Weise, die mich lange Zeit belastete.

Es begann damit, dass ich als loyaler Mitarbeiter der kommunalen Verwaltung, Registrator im Stadtarchiv, dem Wunsch unseres damaligen Bürgermeisters nachkam, im Verein für Denkmalpflege ehrenamtlich als Schriftführer mitzuarbeiten. In unserer kommunalen Verwaltung war ich bis dahin als zuverlässiger Beamter bekannt, ich folgte meinem Chef in den Verein. Protokollieren und schreiben, das beherrschte ich schon immer gut, und war darüber hinaus für eine lebendige Ausdrucksweise bekannt, ebenso wie für selbstständiges Arbeiten.

Die von mir verfassten Protokolle und andere Niederschriften fanden von Anbeginn an volle Zustimmung bei den Mitgliedern des Vereinsvorstands, allesamt angesehene Persönlichkeiten unserer Stadt, wie Apotheker, Schuldirektor, Museumsleiter, Stadtpfarrer, um nur die wichtigsten zu nennen. Diese Honorationen, manche von ihnen zusätzlich als Mitglieder in weiteren Vereinen, Parteien oder Verbänden tätig, hatten sich schnell an die hohe Qualität meiner Schriftsätze gewöhnt. In der Folge forderten sie meine Dienste immer häufiger an, sodass ich für meine ursprüngliche Tätigkeit in der Registratur nur noch wenig Zeit fand. Der Bürgermeister war stolz auf mich. Er stellte mich von meiner eigentlichen Tätigkeit frei und schuf eine neue Planstelle, eigens für mich. So wurde ich der wohl erste und bislang einzige beamtete Ghostwriter in einer deutschen Kommune.

Und in dieser Position konnte ich meine Kreativität ausleben, indem ich vieles im kommunalen Schriftwesen, oft im standardisierten, trockenen Behördendeutsch verfasst, geschmeidig gestaltete, und falls es mir notwendig erschien, lebendig ausformulierte. Große Begeisterung bei allen Beteiligten. Was niemand in Verein und im Amt wusste, ich konnte auf eine jahrelange Erfahrung im kreativen Schreiben zurückgreifen. Ich hatte einen wesentlichen Teil meiner bewussten Zeit damit verbracht, meinen großen Traum zu verwirklichen, ein Leben als Schriftsteller zu führen. Daraus wurde nichts. Leider. Sämtliche meiner Manuskripte für Romane, oder Drehbücher für Serienkrimis, wurden von Verlagen und Fernsehredaktionen abgelehnt. Was blieb, war die meiner Meinung nach zu Unrecht nicht erkannte Begabung eines Schreibgenies.

Ich fühlte mich in der aktuellen Talentverlagerung, hin zu Sitzungsprotokollen, zu amtlichen Mitteilungen, und irgendwann immer häufiger auch zu Predigten unseres Stadtpfarrers, mit meiner Expertise allerdings gnadenlos unterfordert. So stürzte ich mich mit großen Einsatz in eine Schriftstellerei der anderen Art. In Ausübung dieser Tätigkeit verfasste ich bald auch Schriftsätze fürs Stadtparlament, Protokolle, Vorschläge und Anträge für alle darin vertretenen politischen Parteien, für Verbände, sowie für diverse andere gemeinnützige Einrichtungen – insgesamt eine Aufgabe, die meine Zeit komplett ausfüllte. Und meinen Formulierungskünsten, gepaart mit der Fähigkeit, Interpretationen subtil in Texten unterzubringen, war es geschuldet, dass unsere Gemeinde zur Vorzeigekommune gekürt wurde. Sie wurde von der Landesregierung in der Kategorie Kreatives Gemeinwesen zur Musterstadt erklärt. Denn alle kommunalen Beschlüsse, die sie in die Öffentlichkeit brachte, oder in die Tat umsetzte, trugen im Verborgenen eine kreative Handschrift; sie entstammten allesamt meiner Feder - von einer wohlwollenden Empathie getragen. Und alle folgten der Macht der geschriebenen Worte. Alles in meinen Texten klang plausibel, exzellent durchdacht und überwiegend gut umsetzbar. Auf diese unterschwellige Art manipulierte ich unser Kommunalwesen - nicht in unlauterer Absicht; es entstand alles auf der Grundlage eines gesunden Menschenverstands, was nun im Kommunalwesen zum politischen Standard wurde. Verklausulierte altruistische Grundzüge gab es von mir als Zugabe.

Dann die Katastrophe. Von unserem Pfarrer eingeleitet. Dieser hielt seine Predigten schon seit längerer Zeit nur noch nach meinen Vorlagen. Seine körperliche Präsenz, gepaart mit einer dröhnenden Kirchenrhetorik, hatte schon vorher jede Predigt zu einem liturgischen Erlebnis der besonderen Art werden lassen. Leider befand sich der gute Mann zu diesem Zeitpunkt bereits in einem prädementen Zustand und brachte Sachverhalte oft durcheinander. So verwendete er mitunter Entwürfe bereits gehaltener Predigten erneut; dies sorgte überwiegend für Heiterkeit in der Gemeinde. Als er dann, ohne mein Zutun, einen Redeentwurf für einen Stadtverordneten der Partei Die Linke aus einem für ihn nicht vorgesehen Ordner fischte, um diesen in eine Predigt umzuwandeln, klang das zwar originell, aber für ihn hatte es schwerwiegende Folgen - es war von da an Schluss mit Predigen für den ansonsten hochgeschätzten Pfarrer. Die Kirchenoberen schritten ein. Der Hintergrund des skandalösen Vorfalls musste geklärt werden, alle Details sollten auf den Tisch. Keine Verschleierungen, so tönten die hohen Herren des Bistums. Ausgerechnet!

Und so wurde ich durch den engagierten Einsatz hoher kirchlicher Würdenträger enttarnt. Alle von mir generierten Schriftstücke wurden von eigens hierfür beauftragten Sprachwissenschaftlern in Bezug auf Indoktrination genaustens untersucht. Eindeutig, es war hochgradige Manipulation, die dabei ans Tageslicht kam. Nicht nur, dass sämtliche Schriftsätze und Dokumentationen ausschließlich von mir stammten, diese enthielten auch überwiegend meine Einschätzungen zu vielen Themenbereichen - allerdings geschickt im Fließtext verborgen. Für mich sprach, es war durch meine Einflussnahme kein ersichtlicher Schaden für das städtische Gemeinwohl entstanden, eher das Gegenteil davon war der Fall. Gleichwohl, ich wurde meines Amtes enthoben und in den einstweiligen Ruhestand versetzt.

 

Hallo rubber sole,

Danke für Deinen Text!

Obwohl ich viele Jahre ausschließlich im Hintergrund gearbeitet habe, wurde meine berufliche Tätigkeit landesweit öffentlich bekannt, und zwar auf eine Weise, die mich lange Zeit belastete.

Es begann damit, dass ich als loyaler Mitarbeiter der kommunalen Verwaltung, Registrator im Stadtarchiv, dem Wunsch unseres damaligen Bürgermeisters nachkam, im Verein für Denkmalpflege ehrenamtlich als Schriftführer mitzuarbeiten. In unserer kommunalen Verwaltung war ich bis dahin als zuverlässiger Beamter bekannt, ich folgte meinem Chef in den Verein. Protokollieren und schreiben, das beherrschte ich schon immer gut, und war darüber hinaus für eine lebendige Ausdrucksweise bekannt, ebenso wie für selbstständiges Arbeiten.

Die von mir verfassten Protokolle und andere Niederschriften fanden von Anbeginn an volle Zustimmung

Der Stil eines Arbeitszeugnisses, das ist beabsichtigt, vermute ich.
bei den Mitgliedern des Vereinsvorstands, allesamt angesehene Persönlichkeiten unserer Stadt, wie Apotheker, Schuldirektor, Museumsleiter, Stadtpfarrer, um nur die wichtigsten zu nennen.
Die Wichtigsten
Diese Honorationen,
Diese Honoratioren
Was blieb, war die meiner Meinung nach zu Unrecht nicht erkannte Begabung eines Schreibgenies.
lieber: eine zu Unrecht verkannte Begabung

Verklausulierte altruistische Grundzüge gab es von mir als Zugabe.
Wie soll ich mir "verklausulierte altruistische Grundzüge" konkret vorstellen?
Warum nicht ein paar lebendige Proben seines unfassbaren Könnens einflechten?

So verwendete er mitunter Entwürfe bereits gehaltener Predigten erneut; dies sorgte überwiegend für Heiterkeit in der Gemeinde.
Das sorgt für Heiterkeit? Das ist bei manchen nicht-dementen Pfarrern im echten Leben nicht gerade ungewöhnlich :-)
Nicht nur, dass sämtliche Schriftsätze und Dokumentationen ausschließlich von mir stammten, diese enthielten auch überwiegend meine Einschätzungen zu vielen Themenbereichen - allerdings geschickt im Fließtext verborgen.
Ja, genau, und das merkt keiner der diversen Auftraggeber verschiedener politischer Couleur, gerade, wenn es Indoktrination in immer nur eine undiverse (wohl linke) Richtung ist... nur die Rezipienten lassen sich davon unsichtbar lenken, ohne es zu merken. Weil der Ghostwriter so furchtbar genial ist. Ok....

Ich fand die Satire nett, wenn sie mich auch ganz am Ende nicht abgeholt hat. Die besten Satiren sind doch die "Realsatiren" oder eben die, die nur ganz knapp an der Realität vorbei gehen. Letzteres empfinde ich hier nicht.

Viele Grüße von Pazifik

 

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