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Gier
„Du kannst mich doch nicht einfach irgendwo anmelden, wo ich vielleicht gar keine Zeit oder gar Lust zu habe!“ Meine Stimme war mehr als nur erzürnt und am liebsten hätte ich Sabine am liebsten aus der Wohnung rausgeworfen. Ich soll an einem Arm Wrestling Contest mitmachen, ausgerechnet ich! „Wie kommst du darauf, dass ich dort nur einen Hauch von Chance habe?“ Sabine guckte mich inzwischen schuldbewusst an. „Nun ja, ich dachte, der Gewinner bekommt eine Nebenrolle neben dem Bodybuilder Ralf Möller in einem Film,, ich dachte, das könnte dich interessieren, alles andere wird ja bezahlt, Zimmer und so was, tut mir leid.“
Inzwischen hatte sich meine wütende Ader wieder beruhigt und ich schüttelte nur mit dem Kopf. „Mensch Sabine, ich bin doch für so was wahrscheinlich viel zu alt, außerdem machen dort Frauen mit, die was auf den Muskeln haben, nicht wie ich, also, nicht dass ich schwach wäre, aber gleich einen Contest zu bestehen, ich weiß nicht …“
„Probiers doch einfach, wie gesagt, fahr dorthin und alles andere ist schon von der Filmfirma bezahlt, Du brauchst nur antreten.“
Erstes Kapitel: Schnelle Entscheidung
Die Eingangshalle war riesig. Zwar hatte ich schon einige Empfangshallen gesehen, aber diese hier war das Größte, was ich bislang erlebt hatte. Mit einem etwas mulmigen Gefühl ging ich zum Empfangsschalter und meldete mich an. Der Portiere guckte mich groß an und innerhalb von Sekunden wurde mir klar, dass ich in diesem Hotel nicht die passende Kleidung anhatte. „Was gucken Sie denn so, es können nicht alle nur im Smoking durch die Gegend rennen!“
Beschämt fragte mich der Mann, was er für mich tun könne und erfüllte prompt meine Bitte, mir meinen Zimmerschlüssel auszuhändigen. Ich war nun Inhaberin eines Lochschlüssels mit der Nummer 369.
Nun, ich muss zugeben, Ralf Möller war bis dato so als Schauspieler zwar unbekannt, aber hatte ich von ihm einiges gehört, was soziale Projekte betraf. Diese Mischung aus Egoist und sozial (in meinen Augen ist ein Bodybuilder egoistisch, weil er nur seinen Körper im Sinn hat) zusammenpasste. Aber ich wurde bitter enttäuscht – der Muskelmann war noch nicht eingetroffen, dabei sollten die ersten Kämpfe heute Abend schon sein. Etwas enttäuscht ging ich in die Bar, wo sich eine kleine Gruppe von Japanern versammelt hatte und aufgeregt miteinander redeten.
An der Bar selbst saßen nur wenige Menschen und ich beschloss kurzerhand, den Barkeeper mal zu fragen, ob er was über den Contest wusste.
„Ralf Möller kommt nur zur Siegesverleihung, wie ich gehört habe, also hat der nur einen Miniauftritt. Tja und was die Kontrahenten angeht – ja, die Frau dort vorn ist eine der Mitstreiterinnen.“ Ich blickte kurz zu einer Frau, die ungefähr 20 oder 25 allerhöchstens alt war. Ihr Haar war schon fast weißblond und ihre Arme waren dünn. Superdünn, fast schon mager. Ich guckte den Keeper nur an und der grinste breit. „Ja, so sehen fast alle Ihre Gegner aus. Nur eine, die scheint etwas mehr Pudding am Bizeps zu haben.“
„Armdrücken wird mit den Unterarmen entschieden, der Bizeps hat weniger damit zu tun. So habe ich es zumindestens gelesen.“ Wieder grinste der Mann hinter der Theke breit. „Nun, wie auch immer, Sie haben nicht allzu schlechte Chancen, den Contest zu gewinnen.“ Ich nickte ihm zu und er machte sich wieder an seine Arbeit. Gelangweilt guckte ich auf die Uhr. Es war erst Mittag und gegen Abend sollte die erste Begegnung sein. Im Keller standen Trainingsgeräte zur Verfügung, so hatte man mir erzählt, aber ich war nicht der Typ Mensch, der stundenlang Gewichte stemmen würde. Zudem hatte ich mein eigenes Trainingsgerät mit, eine kleine Kugel, die bei Betätigung durch die Umdrehungen immer schwerer zu halten war und damit auch ein Training war. Ich blickte zu den Japanern und ließ meine Gedanken schweifen, als plötzlich sich die Worte, die ich hörte, zu richtigen Sätzen bildeten, die ich auch verstand. Nun gut, ich hatte ja auch einige Semester Japanisch an der VHS gelernt, aber das ich einen Japaner in vollem Tempo verstehen würde, hätte ich nie für möglich gehalten. Neugierig lauschte ich der Konversation. Vier Männer saßen um einen runden Tisch.
„Was machen wir nun mit dem Geld? So einfach es ausgeben wird nicht drin sein.“
Zweiter Mann: „Wir müssen es auf die Bank bringen, damit es Gewinne machen kann.“
Erster Mann: „Gute Idee, aber welche Bank könnte das Geld annehmen, es ist viel. Wir müssen immer nur einén kleinen Betrag einzahlen, dann fällt es nicht auf.“
Zweiter Mann: „Wir fallen mit diesem Koffer immer auf.“
„Wollen Sie noch eine Cola?“ Ich riss mich innerhalb von Sekunden von dem Gespräch los und widmete mich dem Barkeeper. „Nein, ich habe noch, danke.“ Plötzlich bemerkte ich, wie meine Blase sich von der Cola gefüllt fühlte. Ich ergriff meine Schlüsselkarte und erhob mich von dem Hocker, als plötzlich das Licht ausging. Binnen von Sekunden wurde es stockfinster.
Mein Gehirn schaltete sofort, blitzschnell eilte ich zu den Japanern in geduckter Haltung schnappte ich mir den Koffer und rannte vorsichtig, aber mit ungeheurem Tempo aus der Bar in Richtung Zimmer. Mein Zimmer lag nur ein paar Meter um eine Ecke entfernt von der Bar weg, der komplette Weg war ebenerdig, von daher war stolpern durch Stufen nicht zu erwarten und mit Windeseile steckte ich zielsicher die Karte in den Schlitz. Die Tür reagierte und ich schlüpfte leise hinein und schloss ebenso leise hinter mir die Tür. Mein Puls raste, das Teil von Koffer war nicht leicht, ein echter Samsonnite, den ich da mitgenommen hatte und er war schwer. Aber ich musste das Ding nun verstecken. Gehetzt guckte ich mich um. Der Balkon, den ich hatte, vor dem Fenster war klein, mehr als klein, im Grunde war es nur ein Gitter zum Schutz vor Stürzen aus dem Fenster. Was tun? Unter dem Bett ging nicht, auf dem Schrank ebenso wenig, schnell …
Ha! Ich hatte eine Idee. In rasanter Eile löste ich meinen Gürtel, band den um den Griff des Koffers und wuchtete das Ding über die Brüstung. Ich griff durch die Gitterstäbe hindurch und band den Koffer an den Gitterstäben fest. Zum Glück wohnte ich ebenerdig, von daher würde er anderen Menschen unter mir nicht auffallen. Und sehen konnte den Koffer auch niemand, denn das Hotel lag etwas ländlich, so hatte die Fensterseite Blick auf eine große, leere Wiese. Der Koffer baumelte schwer an meinem Gürtel und ich betete zu allem und jedem, das er halten würde. Geschwind schlüpfte ich in meine Hausschuhe, die ich gewohnheitsmäßig immer mitnahm und ging auf Toilette. Meine Blase weigerte sich, sich zu entleeren durch den plötzlichen Adrenalinschub und ich musste mit voller Blase wieder zurückkehren. Es war immer noch dunkel, doch als ich auf dem Flur war, ging das Licht wieder an. Ich hatte mich soweit wieder gefasst und machte einen entspannten Eindruck, denn fast fünf Minuten war bei den Japanern normale Lautstärke, doch dann …
Zweites Kapitel: Ruhe bewahren!
„Der Koffer ist weg!“ außer mir und den Japanern konnte niemand diesen Satz verstehen und ich spielte nun eine Rolle. Ich musste eine Rolle spielen, sonst wäre alles aus, Diebstahl ist kein Kavaliersdelikt und gerade Geld zu klauen ist besonders heikel. Der Barkeeper schaute mich fragend an und ich schaute ebenso fragend zurück. Und es kam, wie es kommen musste, einer der Japaner kam auf mich zu und sprach mich auf Japanisch an. „Du hast ihn gestohlen, gerissene Schlange, los, gib ihn zurück.“
„Ähh, do you speak English by any chance?“ Ich verstand natürlich kein Wort. Aber das nutzte nichts, denn einer der Japaner hatte bereits zum Handy gegriffen und sprach in gebrochenem Englisch mit jemandem. Dass es die Polizei war, war fast so klar wie Kloßbrühe. Ich musste ruhig bleiben, obgleich das alles andere als leicht war, denn die Japaner hatten mich im wahrsten Sinne des Wortes im Schwitzkasten. Immer wieder redeten sie auf mich ein, drohten mir, was ich ja alles verstand und was überhaupt nicht gut klang. Innerhalb dieser Zeit war mir klar geworden, dass ich tatsächlich die Yakuza bestohlen haben musste.
Die Polizei kam sehr schnell, fast schon zu schnell. Drei Beamten waren zugegen und versuchten, Ruhe in die vier Männer zu bringen, die nun wie wild quasselten und sprachen. An dieser Stelle werde ich nicht ansatzweise erwähnen, was sie von sich gegeben haben.
Schließlich wandte sich einer der Beamten zu mir und bat mich, zu erklären, was vorgefallen war.
„Nun, ich war auf dem Weg zur Toilette, als plötzlich das Licht ausging. Durch diese plötzliche Dunkelheit musste ich natürlich erst einmal den Schlitz für die Karte suchen, das war ja vollkommen überraschend. Tja, schließlich habe ich die Tür offen bekommen, bin zur Toilette gegangen und bin wieder zur Bar gegangen. Auf dem Weg dahin ging das Licht wieder an, also war in etwa fünf Minuten das Licht aus, ungefähr.“
Der Beamte kritzelte alles fleißig auf seinen Block. „Haben Sie noch andere außer Ihnen die Bar verlassen sehen?“
„Darauf habe ich nicht geachtet.“
„Haben Sie irgendwas Verdächtiges bemerkt?“
„Nein, überhaupt nicht, hier war alles ruhig.“ Der Beamte schrieb wieder alles auf und bedankte sich bei mir. Inzwischen hatten die anderen zwei Polizisten die Japaner soweit ruhig bekommen, dass sie nicht mehr durcheinanderredeten und auch einzeln befragt werden konnten.
Keiner der vier Herren hatte was gesehen, nur, dass ich kurz bevor das Licht ausging, aufgestanden bin. Das bestätigten alle vier.
Diesmal stand ein anderer Beamter auf und ging auf mich zu. Ich atmete tief und ruhig ein und aus, es war mir nichts vorzuweisen, es gab keine Beweise. Sollte er doch kommen.
„Sagen Sie, können wir uns mal Ihr Zimmer bitte ansehen?“
„Wozu wenn ich fragen darf?“
„Nun, Sie sind die einzigste, die aufgestanden ist und die Bar verlassen hat, niemand sonst war sonst weg, also bleibt natürlich der Verdacht, dass Sie was mit dem Verschwinden des Koffers zu tun haben könnten.“
„Koffer, Koffer, ich weiß nichts von einem Koffer, ich hab noch nicht mal einen gesehen!“ Ich gab mich entrüstet, denn Unschuldige reagieren natürlich etwas brüskiert. „Nur einen kleinen Blick, dann ist alles klar.“
„Also bitte kommen Sie mit.“ Mit weichen Knien führte ich den Beamten zu meinem Zimmer und öffnete die Tür. Dieser öffnete die Schränke, guckte im Badezimmer nach und guckte nach oben auf die Schränke, doch dort konnte man nichts deponieren, da die Schränke bis unter die Decke gingen.
„Ok, das war´s, wir werden das klären, Entschuldigung nochmal.“
Drittes Kapitel: Überlegungen
Er verließ das Zimmer und ich schloss hinter ihm die Tür. Sollte das etwa bedeuten, das ich erfolgreich gewesen war mit dieser irrwitzigen Aktion? Ich setzte mich auf das Bett und versuchte, meinen Atem unter Kontrolle zu bringen. Plötzlich merkte ich meine Blase wieder und nun war der Toilettengang auch erfolgreich. Ich guckte aus dem Fenster. Der Koffer hing tatsächlich noch an meinem Gürtel, als es plötzlich klopfte. Mein Adrenalinspiegel schoss wieder in die Höhe und mit inzwischen eisigen Fingern öffnete ich die Tür. Wieder stand der Beamte, der mein Zimmer betrachtet hatte vor der Tür, diesmal mit einem der Japaner.“Ich bin untröstlich, aber der Herr verlangt auch Einsicht in ihr Zimmer, er glaubt mir nicht.“ Schweigend trat ich beiseite und ließ die Herren eintreten. Der Japaner guckte genauso erst in den Schrank, dann ins Badezimmer, doch dort war nichts zu finden. Doch dann geschah etwas, was mich innerlich sterben ließ – er ging auf das Fenster zu. Er zog die Gardine zurück und guckte raus. Er guckte. Minutenlang. Mein Herz wollte sich nicht mehr beruhigen und raste wie bei einem tausend-Meter-Lauf. Nur nicht schwitzen …
Schließlich zog er die Gardine wieder zu und verabschiedete sich kurz und ohne mich anzugucken. Der Beamte folgte ihm auf dem Fuß. Das Einrasten der Tür ins Schloss ließ mich zusammensinken. Mein Kreislauf war am Ende seiner Kraft. Dieses Desaster hatte ich nicht erwartet. Nun gut, die Leute würden schimpfen und all das, aber gleich so wild? Wie viel Geld war in dem Koffer? Wusste die Polizei, was in dem Koffer drin war?
Zum Fragen beantworten war für mich jetzt aber keine Zeit, ich musste irgendwie versuchen, mitsamt des Geldes, ohne Koffer das Hotel zu verlassen. Tja und das mit vier argwöhnischen Yakuza im Nacken. Ich spürte, wie ich richtig zu frieren begann und ich beschloss, zurück in die Bar zu gehen, um mir was Warmes zu trinken.
Meine Ankunft wurde von vier Japanern sehr misstrauisch beobachtet. Ich beschloss, diese Herrschaften nicht mehr zu beachten und verlangte nach einem Tee. „Was hat die Polizei bei Ihnen gemacht?“
„Sie haben das Zimmer durchsucht, als ob ich diesen Koffer hätte.“
„In der kurzen Zeit? Das konnten Sie doch gar nicht, zumal es ja auch dunkel war.“
„Stimmt, aber tun Sie mir einen Gefallen, lassen wir das Thema, ja. Mir sitzt der Schreck ganz schön in den Knochen. Von jetzt auf gleich verdächtigt zu werden, einen Koffer geklaut zu haben, ist nicht ganz leicht.“
Ich bekam meinen Tee und trank ihn mit langsamen Schlucken. Und plötzlich hörte ich wieder Stimmengewirr, diesmal aber Deutsches. Jemand musste eingetroffen sein, der etwas bekannter war. Ich lugte vorsichtig um die Ecke und sah Ralf Möller, wie er, umringt von meinen Kontrahentinnen war, um ein Autogramm zu erbettelten.
„Da ist der große Conan.“ Ich guckte den Mann vor mir fast schon tadelnd an. Nun gut, er hatte in der Serie „Conan, der Abenteurer“ mitgespielt, aber diese war so was von grottenschlecht, dass man über diesen Held nur lachen konnte.
„Haben Sie je einer dieser Serien gesehen? Grottenschlecht sage ich Ihnen, echt wahr. Absolut C Film mäßig.“ Er nickte nur kurz und blickte gebannt in seine Richtung. Nach wenigen Minuten spürte ich eine starke Hand auf meiner Schulter, die mir wieder das Herz in die Hose rutschen ließ und meinen Ellenbogen reflexartig nach hinten schnellen ließ. Doch Gottlob traf ich den Mann nicht. „Und Sie sind die letzte Kontrahentin, richtig?“ Ralf Möller schaute mich breit grinsend an und ich versuchte, nicht zu zittern. Ein leichtes Nicken bekam ich hin und lächelte. „Na dann – möge der Beste gewinnen.“ Er setzte sich nicht weit von den Japanern weg, die mich mit jedem Blick versuchten, aufzuspießen. Oder kam mir das auch nur so vor, weil sie so enge Augen hatten? Ich beschloss, diese Kerle zu ignorieren. Ralf Möller zog leider nicht nur die Fans an, sondern auch die Presse. Fünf Reporter standen in der ganzen Bar herum und knipsten und riefen, er solle doch bitte mal gucken. Ich musste ruhig bleiben und immer wieder versuchte ich ruhig zu atmen, was aber nicht so wirklich gelang. „Ich glaube, mich hat Lampenfieber gepackt, ich gehe ins Zimmer, sagen Sie dem Portiere, das er mich anklingelt, wenn der Wettkampf losgeht?“
„Das kann ich aber auch tun, Sie haben Zimmer 369, richtig?“ Ich nickte. „Dann rufe ich Sie an, ist ja wirklich noch Zeit. Gehen Sie schwimmen, das entspannt.“ Ich lächelte kurz und ging dann auf mein Zimmer, gefolgt von bissigen Blicken.
Im Zimmer angekommen, ließ ich mir eine warme Wanne ein und nach wenigen Minuten umhüllten mich duftender Badeschaum und wunderbar warmes Wasser. Ich genoss die Wärme und spürte, wie mein Körper sich entspannte. Jeder Muskel wurde wieder weich, mein Atem wurde flacher und die Finger wurden warm. Ich war von den Japanern weg, die waren der Grund, wieso ich mich so mies fühlte. Die wussten irgendwie, das ich deren Sprache sprach und verstand. Nun hatte ich Zeit, nachzudenken. Wie sollte ich aus dem Haus kommen, ohne gesehen zu werden? Also ich konnte ja gesehen werden, aber eben ohne den Koffer. Also einfach so aus der Tür hinaus, war unmöglich, besonders, wenn die Typen weiter in der Bar saßen. Nein, es musste anders gehen.
Meine Zehen spielten gedankenversunken mit dem Schaum und da hatte ich die Idee. Ich würde einfach aus dem Fenster klettern oder springen, das würde gehen. Dann über die Wiese und fertig. Aber die Karte müsste doch abgegeben werden? Den würde ich mit der Post zurückschicken, mit der Begründung, dass ich ihn ausversehen eingesteckt hatte und ihn vergessen hätte, abzugeben. Aber war das sicher, was, wenn die Polizei wieder käme, um noch Sachen zu erfragen? Aber anders ging es nicht, wenn die Tür zu ist, komme ich ohne Karte nicht rein … wie sah es eigentlich hinter dem Haus aus? Konnte ich den Koffer nicht irgendwo hinter dem Haus deponieren, ohne das er gesehen werden würde?
Ich verwarf den Gedanken wieder, bestimmt würde mir einer der Japaner folgen. Nun, so wie die Situation war, standen meine Chancen ganz gut und von daher sollte ich mir keine Sorgen machen.
Nach einer Stunde kam ich aus dem Wasser und trocknete mich ab. Kaum war ich damit fertig, klopfte es wieder an der Tür. „Wer ist da?“ Ich hatte keine Lust mehr, irgendwen in das Zimmer zu lassen. „Isch bin einer der hellen, delen der Kofferl gestholen wurlde, können wirl leden?“ Mir stockte der Atem. „Was wollen Sie denn noch, die Polizei hat doch zweimal nachgeguckt hier in meinem Zimmer, ich habe ihren Koffer nicht, bitte gehen sie!“ Meiner Bitte wurde entsprochen, ich hörte seine harten Absätze auf dem Boden. Nun wurde es mir zu bunt, ich musste ohne anzutreten hier weg. Gleich, die Japaner würden mich nie in Ruhe lassen. Ich rief in der Bar an, nachdem ich unter dem Telefon eine Liste für die Rezeption und so weiter fand.
„Holz?“
„Guten Abend, hier ist Zimmer Nr.369, ich habe ein Problem, ich fürchte, ich habe mir einen Muskelfaserriss zugezogen vor einigen Tagen beim Training, mein Arm tut irre weh, streichen Sie mich bitte von der Liste?“
„Ähh, ja, aber Moment Frau … Kelch, Sie haben unterschrieben, dass sie mitmachen, das würde ich jetzt nicht abblasen, sie wissen doch, das sie die besten Chancen haben.“
„Das mag ja auch sein, aber mein Arm …“
„Was ist der wirkliche Grund, warum sie plötzlich nicht mehr mitmachen wollen?“ ich holte tief Luft. „Nun gut, ich will´s ihnen sagen. Einer der Japaner hat gerade wieder bei mir angeklopft und wollte mit mir reden. Für mich ist die Sache vom Tisch, ich habe diesen vermaledeien Koffer nicht und Ende, aber die gucken mich an, als wollten sie mich am liebsten meucheln. Denen unter die Augen zu treten kann ich einfach nicht.“
Frau Kelch, ich kläre das, wäre ja noch schöner, wenn andere sie hier belästigen, ich rufe sie gleich nochmal an, wenn die Kerle weg sind.“ Damit legte er auf und in mir begann wieder, alles zu verkrampfen.
Verdammt, das hätte ich nicht tun dürfen! Aber warum eigentlich nicht, jeder Mensch ist verschieden und ich bin eben zart und sensibel. Ich kann böse Blicke nicht ertragen.
Nach wenigen Minuten hörte ich noch einmal die Japaner, wie sie lautstark sich beschwerten, dass sie aus der Bar geworfen wurden und danach war es still. Nur noch die qietschigen Stimmen der Fans waren noch dumpf zu vernehmen. Mein Herz begann wieder zu hämmern, aber nun hatte ich genug. Mein Leben würde weitergehen, ohne Blicke von diesen Typen. Die Einzigsten, die nun gucken würden, wären die Reporter, aber die waren mit dem Hollywood Star beschäftigt.
Als ich an die Bar kam, waren die meisten Reporter schon wieder verschwunden, was mich nicht sonderlich überraschte, denn Ralf Möller ist nicht so bekannt, dass man über ihn irre viel schreiben könnte. Nur noch ein Reporter saß an der Bar und schrieb anscheinend schon seinen Artikel.
Ich setzte mich zwei Sitze weiter neben ihn und bestellte nun was Alkoholisches, ich musste mich etwas betäuben. Aber der Ouzo erreichte genau das Gegenteil. Er trieb mir das Blut nun richtig in die Adern und ich wurde hochrot.
„Hohohoho, da kann wohl jemand gar kein Alkohol vertragen, was?“ Der Reporter sprach mich an und ich guckte ihn mit gequälten Augen an. Dass Ouzo so scharf war, hatte ich nicht gewusst. „Nein, ich bin von der Schärfe etwas überrascht.“ Das Gefühl verschwand gottlob ziemlich schnell wieder, als der Mann plötzlich sich direkt neben mich setzte. „Sagen Sie, was hatten denn die Japaner, das die rausgeworfen wurden?“ Ich gab mich unwissend. „Keine Ahnung, vielleicht waren sie zu laut? Ich hab echt nicht den blassesten Schimmer.“Sie schienen sich ständig über einen Koffer unterhalten zu haben, was wissen Sie darüber?“
„Hä? Wieso können Sie Japanisch?“
„Nun, ich habe sechs Jahre in Japan gelebt und außerdem liegen mir Sprachen, meine Oma kann auch japanisch, also?“
„Sorry, ich hab nichts mitbekommen, tut mir echt leid. Für welche Zeitung schreiben Sie?“
„Welche Zeitung, ja … nun ich … ich bin freier Journalist und bin immer für andere unterwegs. Ich hatte gedacht, meine Story an die BILD-Zeitung zu geben …“
„Viel Spaß, aber wenn Sie so ein Schundblatt bedienen, dann machen Sie das bitte ohne mich.“ Ich nahm mein Glas mit noch etwas Ouzo und begab mich an den runden Tisch, an dem kurz zuvor die Japaner gesessen hatten. Ihr Aftershave hing noch etwas in der Luft. Von Ralf Möller und den anderen Mädels war nichts mehr zu sehen, die mussten wohl während meiner kurzen Unterhaltung mit dem Reporter gegangen sein. Ich hatte nicht drauf geachtet.
Rasch leerte ich mein Glas und überlegte fieberhaft, was ich noch machen konnte. Sollte ich auch in den Keller gehen, um etwas Muskeltraining zu machen? Oder etwas spazieren? Meine Nerven waren immer noch bis zum Reißen gespannt. Dieser riesige Koffer hing einfach so an meinem Gürtel, was, wenn ihn jemand sah?
Wenn ich wieder in mein Zimmer gehen würde, würde das bestimmt auffallen. Plötzlich sah ich wieder ein paar Beamte, wie sie an der Rezeption jemanden befragten. Waren die immer noch nicht fertig? Nachher machen die noch ne komplette Razzia wegen diesem Koffer…
Nervös schaute ich auf die Uhr, es waren noch über drei Stunden Zeit. Der Koffer musste weg! Und der Inhalt musste in ein Behältnis, das überhaupt nicht nach Geldtransport aussah. Aber was? Sicherlich durchsuchten die jedes Transportmittel, Koffer, einfach alles.
Vor meinem inneren Auge schaute ich über die Wiese, die ich aus meinem Zimmer sehen konnte. Sie war groß, sehr groß. Wenn ich am helllichten Tag mit einem Koffer darübergehen würde, würde man das bestimmt sehen.
Nein, es blieb mir nur der Schutz der Dunkelheit. Und die Frühe des Morgens. Also:
Um zwei Uhr in der Frühe den Koffer über die Wiese wuchten, dann würde mich mit Garantie keiner sehen.
Erleichtert über diesen Plan lehnte ich mich zurück und schaute in Richtung Rezeption. Tatsächlich – die Polizei begann damit, die Koffer und anderen Sachen der Leute zu durchsuchen, zwei standen direkt in der riesigen Halle und fingen die gehenden Leute ab, um ihre Taschen zu kontrollieren.
Viertes Kapitel: der Contest
Der Contest verlief fast so, wie der Kellner es vorhergesagt hatte. Meine Gegnerinnen waren alles sehr schlanke, sehr dünne Frauen, die mit ihren vollgeschmiertem Gesicht mir nichts entgegen zu setzen hatten. Immerhin war ich seit meinem 18. Lebensjahr auf mich alleine gestellt und schleppte und wuchtete Tragetaschen und Getränke alleine ins Haus, manchmal drei Mal in der Woche. Zusätzlich arbeitete ich mit meinem kleinen Muskeltrainer, dieser Kugel, die bei Rotation immer schwerer durch die Flugkraft wurde. Also war ich diesen möchte gern Frauen auch im Alter schon um einiges im Voraus. Die ersten Durchgänge waren kinderleicht, es dauerte keine zwei Minuten, da hatte ich die Mädels besiegt. Beim zweiten Durchgang kam eine Frau, welche wohl schon häufiger ein Sportstudio von innen gesehen hatte, aber als dann der Wettkampf begann, merkte ich schnell, auch bei dieser Frau war nur Pudding in den Armen. Ihre Niederlage machte sie richtig wütend und sie versuchte mich doch tatsächlich, vor all der Presse (die Anzahl der Reporter hatte zum Abend extrem zugenommen) anzugreifen. Doch dank einiger Probestunden beim Aikidotraining konnte ich die Dame auf die Nase fallen lassen, sie rannte an mir einfach vorbei, kam zu stolpern und fiel auf ihren dicken Hintern. Schweigend verließ ich die Bar, in dem sich der ganze Rummel abgespielt hatte und verschwand im Getümmel der Menschen.
Im klein machen war ich schon immer gut gewesen, besonders, wenn viele Menschen zugegen waren. Auf der gegenüberliegenden Wand hatten die Bediensteten den Notausgang geöffnet, der nur für die Mitstreiter des Contests zu benutzen war und aus diesem verschwand ich leise und still. Nun war ich hinter Rezeption und musste durch einen kleinen Gang an der Seite des Tresens entlanggehen, um zu meinem Zimmer zu gelangen. Die Beamten waren immer noch fleißig dabei, jeden zu filzen, der das Hotel verließ. Ich verschaffte mir kurz einen Überblick. In der großen Empfangshalle war nicht mehr besonders viel los, nur vereinzelnd kamen Menschen von der großen marmorierten Treppe inmitten der Halle hinunter. Dieses Hotel glich einem Schiff! Oben die Luxussuiten und unten die Billigzimmer, denn an der Marmortreppe führten jeweils zwei kleine Gänge zu anderen Zimmern. Und groß konnte ich mein Zimmer nun wirklich nicht nennen. Aber ich war froh, überhaupt ein Zimmer zu haben. Morgen sollte die Endrunde sein und bis dahin musste ich hier raus sein, mit dem Koffer … in mir sank die Zuversicht, es zu schaffen. Aber irgendwie musste es gehen. Und die Rückseite des Hotels interessierte keinen Menschen.
Einer der Beamten ging zur Rezeption und fragte den Portiere, ob noch mehr Gäste heute abreisen würden. Der Portiere verneinte das und innerhalb von wenigen Augenblicken waren die Männer verschwunden. Und wieder hatten sie mich nicht gesehen! Unglaublich. Kaum waren die Beamten weg, ging ich zügig an der Treppe vorbei und ging in den kleinen Flur, wo sich mein Zimmer befand. Niemand schenkte mir Beachtung, keiner sah mich. Die Tür schloss sich hinter mir und ich ging zügig zu dem Fenster. Inzwischen war es dunkel geworden und nichts war mehr zu sehen. Die Wiese war nur noch zu erahnen. Ich atmete tief durch und guckte auf die Uhr. Ich schluckte bei der Erkenntnis, dass es erst 21:00 Uhr war. Bis zwei Uhr ist es noch ein ganz schönes Stück Zeit. Und das alleine nur auf dem Zimmer zu verbringen? Es blieb mir nichts anderes übrig. Außerdem mussten sich meine Arme von der plötzlichen Anstrengung erholen. Also machte ich mir erneut wieder eine Wanne voll mit warmen Wasser. Eine Stunde war wieder herum und meine Arme wieder voll entspannt. Meine Nerven waren ebenfalls wieder auf dem Level des Normalen. Ich öffnete meine Tür einen Spalt und lauschte in den Flur hinein. Der Trubel schien sich gelegt zu haben, denn das Stimmengewirr war sichtlich leiser geworden.
Ich nahm meine Karte und ging langsam in Richtung Bar, in der sich nur noch meine letzte Kontrahentin befand und noch andere Gäste. Ich atmete tief durch und begab mich in den inzwischen vollgequalmten Raum, in dem nicht ein Fenster geöffnet war. Der Rauch stach sofort in meinen Lungen und mir war auf einen Schlag klar, dass ich nicht lange bleiben konnte, denn ich war Nichtraucher und diese vernebelte Luft tat mir absolut nicht gut.
Ich setzte mich an den Tresen und bestellte eine Cola, die ich relativ schnell trank. Plötzlich sah ich die Frau, welche gegen mich verloren hatte, sich neben mich gesellen. „Hey, das von vorhin tut mir leid, ich wollte nur etwas Show machen, alles klar?“ Ich nickte stumm, denn mein Hals fühlte sich an, als wollte er jeden Moment zerreißen durch die schlechte Luft. „Mensch, man sieht Dir gar nicht an, dass Du so stark bist, machst Du Bodybuilding?“
„Nein, ich lebe das Leben einer Hausfrau ohne Mann und stemme meinen Einkauf jedes Mal alleine in die zweite Etage, besseres Training gibt es nicht.“
Das glaube ich, naja, morgen ist ja noch ein Tag, möge der Beste gewinnen!“ Mit diesen Worten ging sie wieder an einen der Tische.
Schon wieder merkte ich meine Blase von der Cola und zweifelte langsam an meiner Kontingenz. „Sagen Sie, gibt es eine öffentliche Toilette hier in diesem Hotel?“ Ich war es leid, immer wieder in mein Zimmer zum Wasserlassen zu laufen. „Nein, tut mir leid, wir haben keine öffentlichen Toiletten, aber sie wohnen doch hier, oder? Dann nehmen sie dort die Toilette in ihrem Apartment..“ Ich nickte stumm und wandte mich zum Gehen, als ich in der Tür einen der Japaner stehen sah. Er stand da nur rum und guckte in meine Richtung. Meine Blase ließ kein Warten zu und ich bat den Mann auf Englisch, zur Seite bitte zu gehen. Er ging tatsächlich ein wenig zur Seite, hielt mich aber plötzlich fest.“ Glaub ja nicht, dass du uns davonkommst, wir wissen, dass du den Koffer hast!“ Seine Worte waren auf Japanisch gesprochen, aber ich verstand ja leider jedes Wort. Ich riss mich los, zeigte ihm einen Vogel und verschwand in mein Zimmer. Hoffentlich war das nicht zu grob gewesen, mein Arm hatte ein schlechtes Bindegewebe und innerhalb von Minuten konnte man, wenn man zu doll drückte, einen blauen Fleck auf die Stelle zaubern. Mir reichte es immer mehr. Die Kerle würden nicht nachgeben. Ich musste JETZT mit dem Koffer weg.
Fünftes Kapitel: Flucht
Ich guckte wieder aus dem Fenster, natürlich war nichts zu sehen. Ich schaltete das Licht aus und entschlossen schnappte ich mir meine Jacke und öffnete das Fenster. Langsam und vorsichtig kletterte ich über die kleine Brüstung und auf der anderen Seite angekommen, zog ich das Fenster wieder, so gut es ging, zu. Anschließend machte ich mich an den Abstieg und musste zu meiner Überraschung feststellen, dass das Fenster kaum einen Meter vom Boden entfernt war. Sichtlich erleichtert nahm ich den Koffer vom Gürtel, als ich plötzlich Taschenlampen aufblitzen sah. Sie schienen sehr zackig und unkontrolliert, kamen aber auf mich zu. Nun half alles nix, ich musste rennen, auf den Zaun zu und somit weg aus dem Schein. Ich umklammerte den Griff des Koffers und setzte zum Spurt an. Geradeaus, da war der Zaun, ca. sechs Meter, vielleicht auch zehn entfernt. Nur nicht stolpern. Ein harter Aufprall ließ mich erkennen, dass ich an einen Zaunpfosten gestoßen war. Hektisch schleuderte ich den Koffer unter dem Zaun entlang und ertastete hektisch die Abstände des Drahtes. Mit Schrecken erkannte ich, dass es Stacheldraht war, der diese Wiese absperrte und noch mehr Hektik stieg in mir auf. Die Lichter waren nun in Höhe meines Fenster und schwankten immer noch unkontrolliert hin und her. Nur ein falscher Schwenker mit der Lampe und sie würden mein offenes Fenster sehen … Aber sich darum sich zu kümmern, war keine Zeit. Schweißnass kletterte ich über den schwankenden Draht und betete zu allen Mächten, dass ich mir nicht allzu viel Blessuren bei diesem Unterfangen einfangen würde. Der Zaun war unglaublich instabil und durch mein fehlendes Gleichgewicht wankte ich wie wild hin und her. Vollkommen unsicher schwank ich das andere Bein über den Draht …, es blieb noch alles Heil. Die Lichtscheine entfernten sich wieder von meinem Fenster und gingen einfach geradeaus. Dann konnte ich Kinderstimmen hören und atmete vor Erleichterung auf. Es war kein Japaner! Mit dieser Erkenntnis kam ich auf der anderen Seite an und wollte mich nach dem Koffer bücken, als ich ein Ratschen hören konnte. Meine Jacke hatte sich im Draht verfangen. Ich drehte mich um und versuchte so, die Jacke zu befreien, doch dabei griff ich ziemlich tief in eine der Dornen, was eine ziemlich dicke Reißwunde hinterließ. Und wahrscheinlich war dieser Sch … Zaun rostig … Na ja, gegen Tetanus war ich geimpft, aber wehtun würde es dennoch. Nun zog ich die Jacke aus und tastete mich vorsichtig an meiner Jacke entlang und fand schnell den Haken, der die Jacke festhielt. Schnell löste ich die Jacke und griff nach dem Koffer. Nun hieß es, im Stockfinsteren auf die andere Seite der Weide zu gelangen und auf den Waldweg zu kommen, den ich am Tag einige Meter links von der Wiese gesehen hatte.
Der Weg war mühselig, ständig stolperte ich und musste mich neu aufrappeln. Langsam verlor ich die Geduld und war kurz davor, wieder umzukehren, doch das war natürlich viel zu riskant. Und außerdem konnte ich schon wieder einige Lichter erkennen, die auf eine Siedlung hinwiesen. Also riss ich mich zusammen und ging weiter. Es dauerte nicht all zu lange, da bemerkte ich wieder einen Zaun, das Ende der Wiese war wohl erreicht. Und als wenn es der Mond gut mit mir meinte, kam er tatsächlich für einige Minuten hinter einer dicken Wolkendecke hervor und ich konnte das Tor, das den Eingang zu der Wiese beschrieb, erkennen. Schnell ging ich auf es zu und ergriff das Gitter, als mich ein kräftiger Stromschlag durchzuckte. Auch das noch! Völlig außer Atem und durchfroren schaute ich schnell nach einem Plastikgriff oder Ähnlichem. Doch nichts war zu finden. Dann sah ich jedoch den Transformator und kurzerhand riss ich die Kabel aus dem Apparat, damit ich das Tor nutzen konnte. Keine Minute zu früh, denn schon schoben sich wieder Wolken vor den Mond und es wurde stockdunkel. Nur die Lichter der Siedlung waren zu sehen. Mit müden Armen schleppte ich den Koffer durch die Landschaft und kam schließlich in eine Gegend, die mir nicht nur vollkommen fremd vorkam, sondern auch etwas Angst machte. Es war absolut still und nicht eine Jalousie war oben. Alle Fenster waren gerammelt zu. Aber das sollte mir nun egal sein. Ich griff zu meinem Handy und schaute mich nach einem Straßenschild um. Bogenweg stand an einem Masten. „Guten Abend, bitte einen Wagen in den Bogenweg …“ schnell guckte ich mich um, „28.“ Die Dame an der Taxizentrale bedankte sich und meinte, es würde ein paar Minuten dauern.
Es dauerte keine 10 Minuten, da kam eine Taxe auf mich zu und hielt direkt bei mir. Ohne zu zögern, packte ich meinen Koffer in den Kofferraum und stieg vorne beim Fahrer ein. „Guten Abend, bitte zu dem Försters Hof .
Sechstes Kapitel: Was nun?
Schweigend gab der Fahrer Gas und nach 20 Minuten war mein Fahrziel erreicht. Stumm verlief die Fahrt und ebenso stumm bezahlte ich den Fahrer. Anscheinend konnte der Mann kein einziges Wort Deutsch, oder zumindestens so schlecht, dass er freiwillig den Mund hielt.
Schnell holte ich den Koffer aus dem Wagen und begab mich hinter das Haus. Unsere Wohnung war ebenerdig, genauso verhielt es sich mit der Terrasse. Ich konnte einfach so auf sie draufgehen, denn einen Zaun gab es nicht, den hatte unserer Vermieter nicht vorgesehen.
Ich musste den Koffer loswerden, das stand außer Frage. Aber wohin? Im Keller ging es nicht, dort würde er bei einer Hausdurchsuchung sofort gefunden werden. Genauso verhielt es sich innerhalb der Wohnung. Nein, er musste außerhalb der Wohnung, aber noch nah genug am Grundstück sein und da blieb nur eine Möglichkeit: Ich musste den Koffer vergraben.
Nun hatte ich nur ein Problem: Ich hatte nicht richtiges Buddelzeug, sondern nur eine kleine Schaufel meines Sohnes, mit der er immer im Sandkasten spielte. Aber nun gut, ich durfte nicht wählerisch sein, kurzerhand nahm ich die Schippe und wollte zum ersten Stich ansetzen, als mir ein Gedanke kam. Nun, ich hatte keine Ahnung, wie lange der Koffer dort eingegraben sein würde und wie das Wetter würde, er sollte also irgendwie wasserdicht eingepackt werden, in einem gelben Sack oder Ähnliches. In meiner Handtasche befand sich eine etwas größere Tüte, die sich für diese Aufgabe gut eignete. Der Sammeltrieb meines Mannes hatte sich inzwischen auf mich übertragen und nun hatte ich auch ständig eine Plastiktüte in der Handtasche. Sein Motto war immer: Wer weiß, wozu es nutze ist. Wie recht er in diesem Fall hatte …
Wieder wollte ich ansetzen, als mir noch was einfiel. Für den Fall, dass es wirklich zu einer Hausdurchsuchung kommen sollte, durfte die Ausgrabungsstelle so gut wie nicht zu sehen sein, also musste ich ordentlich arbeiten. Leichter gesagt als getan, denn wir hatten mehr Acker als Wiese, da unser Haus ganz neu gebaut worden war. Die Besäung eines Rasens würde vermutlich im Frühling stattfinden. Wie auch auf der Wiese war es hier hinter dem Haus stockdunkel und ich musste mir was einfallen lassen. Denn nun im Dunkeln rumzubuddeln ohne Sinn und Verstand wäre absolut fatal. Da fiel mir ein, dass wir eine Taschenlampe auf der Terrasse liegen hatten, unser Schwager hatte sie vergessen. Leise ging ich auf die Terrasse und griff nach der Lampe. Ihr Schein war sehr stark und nun konnte ich endlich mal richtig sehen. Mit eisigen Fingern begann ich, den Boden auszuheben, was sehr gut mit dieser Kinderschaufel ging. Innerhalb kürzester Zeit hatte ich die gewünschte Breite, nun musste nur noch an der Tiefe gearbeitet werden. Aber dank des weichen Sandes, der überall in unserer Gegend lag, ging auch das sehr gut. Schließlich legte ich den Koffer in das Loch und begann, es wieder zuzuschaufeln. Kurz bevor ich fertig war, nahm ich mir aus einer anderen Ecke des Gartens einige Grasbüschel und setzte sie so ein, als wären sie schon immer da gewesen. Am Ende konnte man wirklich nur erahnen, das an der Stelle gebuddelt worden war. Ich war sehr zufrieden mit mir. Leise brachte ich die Utensilien wieder an ihren Platz und ging zum Eingang. Leise schloss ich die Tür auf und ging zur Waschküche hinunter. Dort reinigte ich meine Finger notdürftig von Sand und guckte mir meine Klamotten an. An der Jacke war nichts mehr zu machen, sie hatte einen riesigen Riss und fiel auch sofort auf. Wieder eine Lösung musste her.
Siebentes Kapitel: In der Not …
In die Wohnung konnte ich nicht, zwar waren die Jalousien beim Wohnzimmer unten, aber das mein Mann schlief, war ausgeschlossen. Bernd war eine Nachteule, wie sie im Buche steht. Ohne Jacke zurück ins Hotel kommen war äußerst unklug, denn es waren höchstens 2Grad draußen und mein Pulli erschien alles anderes als warm. Und mittags würde es nicht wärmer werden, denn wir hatten Februar, also streng genommen Winter. Dass dieses Jahr noch keine Flocke gefallen war, war wohl mehr Glück als alles andere. Also woher eine Jacke herkriegen? Ziemlich ratlos ging ich in den Nebenraum, wo die Kleidungsstücke zum Trocknen hingen. Nun war eine Leihgabe von Nöten. Auf das es nicht auffallen würde. Ich guckte mich um. Also was hing dort denn? Der Ständer von Frau Boone – dort hingen Kindersachen, der Ständer von Frau Kutsch war voller Bettwäsche…aber von Frau Schubert, ja da hing ein Poncho! Zwar war er wahrscheinlich viel zu klein, aber das war jetzt nicht so wichtig. Rasch fühlte ich, ob das Kleidungsstück trocken war. Am Rücken erschien es mir noch etwas klamm, aber das war jetzt egal. Ich musste wieder zurück zum Hotel. Rasch nahm ich das Teil und zog es mir an. Meine zerrissene Jacke stopfte ich in meine Waschmaschine, wo ich sie später wieder rausholen würde. Zu meinem Erstaunen passte der Poncho besser als geplant und strahlte auch etwas Wärme aus. Schnell schaltete ich das Licht wieder aus und verließ das Haus durch den Fahrradkeller. Ich ging einige Meter an der Straße entlang, dann erst rief ich eine Taxe, die mich wieder zum Hotel brachte. Einige Meter zuvor ließ der Fahrer mich raus auf meinen Wunsch, denn um diese Uhrzeit konnte ich vorne eh nicht mehr rein, weil es keinen Nachtportiere gab. Ich musste ja so reinkommen, wie ich rausgekommen war. Doch kaum war ich um das Haus gegangen, öffnete der Himmel seine Schleusen und es begann zu regnen, ach was sage ich, es schüttete wie aus Kübeln. Binnen der paar Minuten war ich nass bis auf die Haut und kam zitternd in das Zimmer rein, das vollkommen leer und ruhig war. Nun half nur eins, die Heizung hoch und die Sachen trocknen, bis morgen musste alles wieder frisch, bzw. trocken sein.
Ich ging mit relativ nassen Haaren ins Bett und schlief völlig erschöpft ein.
Achtes Kapitel: The day after
„Man, was war das für ein Sturm, haben Sie das mitbekommen?“ Der Barkeeper Herr Holz guckte mich fragend an. „Ne, wirklich nicht, mich hat der Contest so geschafft, dass ich nur noch so ins Bett gefallen bin..“ Mit einem Ruck hielt ich inne und betrachtete meine Hand. Verdammt, der Schnitt! Mit dieser Wunde konnte ich unmöglich zupacken!“Haben Sie hier vielleicht einen Verbandskasten?“ Ich zeigte ihm meine Hand. „Wo ist das denn passiert?“ Ich zuckte die Schultern. Heute Morgen bin ich damit aufgestanden, keine Ahnung, ob ich schlafgewandelt bin oder was?“ Mit fragender Miene griff der Mann zu einem kleinen Kästchen und verband mir notdürftig die Hand. „Dann war es das wohl mit dem Sieg, was?“
„Ne, wieso?Rechts bin ich auch nicht gerade schwach, sogar noch stärker. Aber man will ja fair zu Anfang sein.“ Ich grinste ihn an und er zwinkerte mir verschwörerisch zu. „Na dann essen Sie gut, denn in zwei Stunden kommt die Endrunde.“
Ralf Möller war diesmal derjenige, der eine kleine Ansprache hielt, von wegen was sportliche Fairness anging und das Doping das absolut letzte wäre. Danach begaben wir uns an die Tische, wo die Wettkämpfe stattfanden. Mir gegenüber saß eine Frau, die gestern gar nicht dabei war, was mich sehr stutzig machte. Verlief das hier nicht nach dem K.O System? Jeder mit jedem bis keiner mehr übrig war? Oder wollten die unbedingt so ein Hungerhühnchen an Ralfs Seite? Dann sollten sie es doch verdammt nochmal nehmen! Ich riss mich nicht darum, bei einem B-Film eine Gastrolle mit vielleicht nur einem Satz zu sein.
Das Mädel vor mir gab sich richtig Mühe, lief rot an, als sie versuchte, meinen Arm nach unten zu drücken. Doch ich hielt nur dagegen. Minutenlang. Und als ich merkte, dass sie am Ende ihrer Kraft war, drückte ich ihren Arm nach unten. Das war einfach. So verliefen die nächsten sechs Kämpfe und ich begann, die Sache als langweilig zu betrachten. Ralf Möller hingegen guckte sehr amüsiert und grinste immer nur in einer Tour. Inzwischen begann die linke Hand zu puckern, was nun in dieser Minute alles andere als praktisch war. Zwar konnte ich mich konzentrieren, doch dieser pochende Schmerz war nervend. Zumal machte ich mir Sorgen, das sich die Wunde doch entzündet haben könnte.
Meine Gegner waren allesamt nur Püppchen, die nichts auf den Armen hatten und am Ende ging ich als glorreicher Sieger hervor. Ralf gratulierte mir und flüsterte: „Hoffentlich biegst du mir nicht auch den Arm so um, du bist nämlich die böse und ich der Gute.“ Ich grinste ihn nur an und damit war der Contest beendet.
Neuntes Kapitel: Verdacht
Und kaum hatte sich der Trubel wieder gelegt, kamen die Japaner in die Bar, alle vier. Sie waren immer noch sehr grimmig dreinschauend und ich bemühte mich, sie zu ignorieren. Doch ihre Drohungen, die sie mir gegenüber geäußert hatten, saßen tief im Gemüt. Ihre Anwesenheit hier in der Bar war eine Qual. Doch ich durfte nun nicht gehen, denn einige Reporter kamen und wollten mich befragen. Ich stand brav Rede und Antwort und nach einigen Minuten verschwand der Reporter auch wieder. Und die Japaner standen zu viert an der Tür und machten mir deutlich, mich hier nicht mehr rauszulassen. Mein Adrenalin schoss bei diesem Anblick wieder in die Höhe und in mir gingen zig Möglichkeiten durch den Kopf, wie ich die Jungs loswerden könnte. Aber alles war nicht durchzuführen, denn mit Sicherheit konnten die irgendeine Kampfsportart. Also versuchte ich auf die normale Art, aus der Bar zu kommen. Aber zuerst wollte ich mir Zeit lassen, denn zum Ersten war mit Ralf Möller noch nicht alles besprochen wegen der Gastrolle und zum anderen war ich nicht in der Stimmung, immer nur hin und her zu rennen.
Es dauerte nicht lange und der Muskelmann kam direkt auf mich zu, gratulierte mir und bat mich, mit in sein Zimmer zu kommen, denn dort könnten wir in Ruhe reden und nicht jeder würde lauschen. Besser konnte es ja gar nicht gehen! Freiwillig folgte ich dem Mann und ohne jegliche Probleme kam ich an den Japanern vorbei, die sich auch schnell in alle Richtungen verteilten.
Sein Zimmer war genau das Gegenteil, was ich hatte – riesig und luxuriös. Supersauber geputzte Fenster und vor allem weiße Gardinen zierten den Raum, dazu lag ein wunderschön dunkelblauer Teppich im ganzen Raum aus. Natürlich hatte er auch eine kleine Bar, die auch sichtlich gefüllt war mit allen Alkoholsorten, die nicht nur sehr prozentig waren, sondern auch sehr teuer. Er goss sich gleich ohne zu zögern ein Glas Whiskey ein und trank es auf Ex weg. Anschließend setzte er sich mit mir an einen großen Tisch und begann mit mir, alles und jenes zu bereden, wovon ich die Hälfte nur verstand, weil er im Slang der Filmbranche redete und ich keine Ahnung hatte, was er meinte. Doch am Ende des Gespräches gab er mir eine Karte seines Agenten, den ich bei Fragen rund um die Uhr anrufen konnte. Mit diesen Worten brachte er mich zur Tür. In drei Wochen sollte ich nach Köln Bocklemünd …
Zehntes Kapitel: Jetzt geht´s los!
Zu Hause angekommen erfreute die Nachricht, dass ich den Wettkampf gewonnen hatte und man war sehr gespannt, wie der Film werden würde. Ich hingegen war immer noch angespannt von den letzten Stunden und hatte auch Angst, dass mir die Yakuza gefolgt sein könnten. Doch die ersten vier Tage blieb alles ruhig.
Meine beiden Kinder hatten sich neugierig bei mir erkundigt, wie alles abgelaufen war und ich bemühte mich, Rede und Antwort zu stehen. Doch als mir die Fragen zu viel wurden, versuchte ich ein Ablenkungsmanöver. „Wie wär´s, wir gehen zur Feier des Tages in die Eisdiele und essen uns alle ein großes Eis. Jubelnd wurde dieser Vorschlag angenommen und wir machten uns auf dem Weg.
Die Eisdiele war sehr klein, aber gemütlich. Wir nahmen im Innenraum Platz und bestellten jeder, was er haben wollte. Die Kinder spielten mit den liegen gelassenen Papierhütchen, als meine Augen einen anderen Gast erspähten, der sichtlich neugierig die BILD Zeitung las. Die Überschrift war in fetten Druckbuchstaben gefasst, wie es bei der BILD immer war.
„Die Yakuza bestohlen – 24 Millionen sind weg!
Ist die nationale Sicherheit gefährdet?“
Also stimmten meine Vermutungen, es war die Yakuza. Mit diesem Wissen nun rumzulaufen, war mehr als schwer. Das Geld musste aus seinem Versteck, irgendwie. Auf ein Konto oder in ein Schließfach … Nein – nur keine Panik bekommen. Die Typen waren seit dem Vorfall nicht mehr zu sehen, es war alles in bester Ordnung … oder vielleicht doch nicht? Ich beschloss, meine Augen nach asiatischen Menschen besonders aufzuhalten.
Nachdem das Eis aufgegessen war, wollten Michelle und Sven noch etwas auf den Spielplatz. Ich ließ sie laufen und schaute mich um. Doch kein Mensch war zu sehen, absolut niemand. Auf dem Marktplatz saßen keine Leute, denn dazu war es einfach zu kalt und auch in der näheren Umgebung sah ich niemanden, der mir folgte.
Doch die Kälte ließ die beiden nur etwa zwanzig Minuten unberührt spielen, danach fing Sven zu jammern, dass ihm kalt sei. Also kehrten wir um und gingen nach Hause. Und meine Augen schauten sich wieder um, jeder Mensch wurde besonders betrachtet und jedes Auto samt Insasse ebenso. Doch es blieb, wie es war – kein Mensch war dort. Ich verwarf mein Misstrauen und achtete nicht mehr darauf, ob und wer in welchem Auto saß.
Am nächsten Tag fischte Sven einen Brief aus dem Kasten, der Bernd stutzen ließ, mir aber das Herz in die Hose rutschen ließ. Es war eine Einladung zum Verhör bei der örtlichen Polizei. Schnell hatte ich Bernd die Sache erklärt, er war auch sofort davon überzeugt, dass ich den Koffer nicht haben konnte und ich ging zwei Tage später zu dem Gespräch.
Nicht, dass ich wüsste, wie eine Vernehmung verlaufen sollte, ich hatte nur eine Gegenüberstellung mal machen müssen aber in diesem Fall erschien sie mir ziemlich unsicher und aggressiv von Seite der Beamten.
„Frau Kelch, wir wissen, dass Sie das Hotel für kurze Zeit verlassen haben, also – wo waren sie?“
„Bin ich nun Ihnen zur Aussage verpflichtet, was ich an einem für mich ganz normalen Tag gemacht habe?“
„Werden Sie nicht frech, Sie wissen, dass Sie unsere Hauptverdächtige bei dem Diebstahl sind und nun hat man sie auch gesehen.“
Ich schüttelte nur den Kopf. „Hören Sie, in den kurzen Minuten war ich auf Toilette, wie Sie ja wissen, hat das Hotel keine frei zugängliche Toilette, also musste ich eben in mein Zimmer, was soll das? Der Stromausfall war binnen kurzer Zeit behoben, viel zu wenig Zeit, einen so großen Koffer mal eben irgendwohin zu schleppen.“
Nervös drehte sich der Beamte eine Zigarette. „Dürfte ich Sie bitten, nicht zu rauchen, ich bin Nichtraucher.“ Genervt legte er die Kippe wieder hin.
„Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, dass zwei Mal mein Zimmer durchsucht wurde, also …“
„Frau Kelch, ich spreche nicht von den Minuten des Stromausfalls, sondern von der Zwischenzeit zwischen den Kämpfen. Zwei Kinder haben Sie gesehen, wie sie über einen Zaun gestiegen sind.“
Ich rümpfte die Nase. Verdammter Mist – ich hätte doch warten sollen, war nun die Sache aus? „Was für Kinder denn? Ich habe die ganze Zeit nach dem Wettkampf im Zimmer verbracht, zuerst nahm ich eine Wanne, dann legte ich mich hin, denn ich war hundemüde!“ Ich versuchte mit aller Kraft, ruhig zu bleiben. „Ach ja, und wie kommt es dann, das die Kinder ausgerechnet Ihr Zimmerfenster geöffnet vorfanden?“
„Ganz einfach, weil die Luft in diesem Zimmer absolut mies war und ich sturzgelüftet habe, um Sauerstoffaustausch zu bewirken. Ich habe die Kids übrigens auch mit ihren Taschenlampen gesehen und mich gewundert, wer da so rumläuft.“
Dem beamten stiegen Schweißperlen auf die Stirn. Damit hatte er nicht gerechnet. Er hatte mir absolut nichts vorzuweisen. Innerlich atmete ich auf. „Kann ich jetzt gehen?“
„Verschwinden Sie!“ Mit diesen Worten verschwand ich aus dem Gebäude und sah zu, dass ich nach Hause kam.
Elftes Kapitel: Observierung
„Frank komm mal her!“ Ein ziemlich dicker Mann, dessen Polizeiuniform von Kaffeeflecken nur so stand, kam in das Büro des Kommissars geschlurft. „Ja Dirk, was gibt´s?“
„Wir müssen die Kelch beschatten, besorg mir bitte eine Genehmigung und dann informier das BKA. Die Frau hat gute Nerven, meine sind aber besser.“ Der dicke Beamte verschwand und kam wenig später wieder. „Das mit der Beschattung geht klar, allerdings müssen wir zwei von unseren Leuten nehmen, das BKA ist überlastet.“ Der Kommissar verdrehte genervt die Augen. „Also gut … dann hol Singers und Kolsch, hoffentlich baggern die nicht wieder so wild rum!“
Nach wenigen Minuten standen zwei in zivil gekleidete Polizisten vor dem Kommissar und schauten ihn fragend an.
„Also, ihr zwei müsst mir eine Dame namens Angelika Kelch beschatten, ihren Wohnort entnehmt ihr bitte aus der Akte. Die Frau ist Mutter von zwei Kindern, es ist also flirten absolut tabu, verstanden Singers?“ Ein dumpfes Grollen kam von einem Mann, den man gut und gerne als Macho durchgehen lassen konnte. Seine Haare waren mehr als gut durchgestylt und er trug Kleidungsstücke, die immer zum Kontrast zueinanderstanden. Die vollkommen weiße Krawatte war der absolute Reißer.
Der andere erschien wie ein ganz normaler Mann, er trug blaue Jeanshosen und unauffällige Hemden. „Nehmt bitte keinen Wagen von uns, das fällt schon wegen dem Nummernschild auf. Die Frau ist nicht besonders dumm.“
„Geht klar Chef, auf was sollen wir genau achten?“
„Sollte sie mit einer großen Reisetasche aus dem Haus kommen, oder in ein Auto verladen, ist der Zugriff erlaubt, aber nur dann! Und – bis Mitternacht geht immer der Job.“
„Was fällt diesen Würstchen nur ein?!“ Ich war mehr als aufgeregt. Bernd versuchte, mich zu beruhigen. „Die tun nur ihren Job, aber ich werde vorsichtshalber mal eine Rechtsanwältin kontaktieren, so wie die Sache aussieht, werden die nicht so schnell aufgeben. Haben die Knilche dir erzählt, was in dem Koffer ist?“
„Wo denkst du hin, die denken nur, das ich ihn habe, dies … ach du hast recht, ich rege mich nicht mehr auf, ist nur Zeitverschwendung.“ Mit diesen Worten wandte ich mich wieder der Hausarbeit zu. Michelles Fenster mussten geputzt werden, die hatten es bitter nötig, und da heute ein sonniger Tag war, konnte ich das heute in Angriff nehmen. Also bereitete ich alles vor.
Die frische Luft durchströmte das Kinderzimmer und nun hatte ich direkten Blick auf den Parkplatz unseres Hauses. Jeder Platz hatte ein kleines Schildchen, das die Wohnung angab und somit hatte jeder auch seinen Standort.. Es war früher Mittag, fast keiner der Mitbewohner war zu Hause, die Parkplätze waren fast alle leer. Nur ein Auto stand auf der anderen Straßenseite und in ihnen saßen zwei Männer, die sich aufgeregt unterhielten. Ich nahm es nicht besonders zur Notiz und putzte die Fenster fleißig weiter. Nach einigen Minuten war ich mit der Arbeit fertig und wollte mich ins Badezimmer begeben, als ich plötzlich innehielt. Der eine der Männer hatte ein Walkie - Talkie? Wozu das? Es war ein ganz normaler PKW, keine Werbung oder ähnliches war zu sehen… ich schaute unauffällig, aber direkt hin. Der eine Kerl trug eine Krawatte, die absolut weiß erschien. Dazu eine rosa Jacke? Was für eine Farbzusammenstellung! Aber nun gut, für seine Gesinnung kann ja bekanntlich niemand!
Ich hing die Gardinen wieder auf und schüttete das schmutzige Wasser weg.
Im Badezimmer setzte ich mich für ein paar Minuten auf den Badewannenrand und dachte nach. Kein Zweifel, wir wurden observiert. Als wenn ich nun tatsächlich den Koffer auspacken würde, was für eine Idee! Nein, der musste schön an seinem Platz bleiben. Die Stelle hatte ich unbemerkt markiert, damit ich sie nicht vergessen würde. Also noch unauffälliger werden als ohnehin schon.
„Bernd, wir werden beschattet.“ Mein Mann guckte mich fragend an. „Ja, ich habe den Wagen mit den Kerlen gesehen, sie haben ein Walkie - Talkie und eine Polizeiakte, in der sie rumblättern.“
„Und woher weißt Du das? Immerhin könnten es auch Bauarbeiter sein.“ Ich lachte auf. „Dann guck dir mal den Bauarbeiter an, komm!“ gemeinsam guckten wir unauffällig zu dem Auto, indem der seltsam gekleidete Mann drin saß und immer noch die Akte durchblätterte. „Also gut, wie ein Bauarbeiter sieht er nicht aus, also gut, wenn die bis heute Abend 8 Uhr nicht weg sind, glaube ich Dir.“
Der Tag verflog, es waren so viele Dinge innerhalb des Hauses zu erledigen, das ich um acht Uhr abends das Auto schon fast wieder vergessen hatte. Tatsächlich: Da stand immer noch das Auto mitsamt der Männer drin.
„Bernd, wir werden wirklich beschattet!“ Unglaubwürdig wurde ich angesehen. „Guck selber aus dem Fenster, die Typen stehen immer noch auf der gleichen Stelle und sitzen immer noch im Auto. „Glaubst du wirklich, das die Polizei solche Idioten entsendet, um uns zu beschatten, wo man es sieht?“
„Wer weiß, vielleicht hat das was mit Psychologie zu tun, Einschüchterung oder was weiß ich. Auf jeden Fall werde ich morgen mal im Revier anrufen, um zu fragen, was der Blödsinn soll.“
„Nein, Frau Kelch, Sie werden nicht beschattet, also wirklich nicht, das kostet viel zu viel Geld.“ Der Beamte auf der anderen Seite der Leitung klang sehr überzeugend. Aber ich für meinen Teil hatte die Typen gesehen und sah sie schon wieder, denn sie waren wieder da.“Na gut, ich will Ihnen dann mal Glauben schenken, Wiederhören.“
„Ich gehe raus und quatsch die Typen jetzt an, vielleicht verschwinden die dann ja von alleine.“
Bernd eilte aus der Küche. „Ja, aber sei vorsichtig, für den Fall, dass die aggressiv werden, kommst Du sofort wieder rein, klar?“ Ich nickte ihm zu und verschwand durch die Tür.
„Guten Morgen die Herren, sagen Sie, kann es sein, das Sie beide gestern das Haus beobachtet haben?“ Die beiden Männer guckten sich gegenseitig fragend an. „Ähh… nun … wieso fragen Sie das, selbst wenn, geht Sie das was an?“
„Nun ja, nicht direkt, aber ich fühle mich unwohl, wenn den ganzen Tag auf ein und derselben Stelle immer ein Auto steht und ständig nur zwei Männer sitzen, die unentwegt in unsere Richtung gucken – fahren Sie bitte jetzt weg.“
Schweigend wurde meiner Bitte entsprochen und ich war mir sicher, ins Schwarze mit meiner Vernutung getroffen zu haben.
„Verdammt nochmal, die ist wirklich schlauer als wir dachten, was machen wir jetzt?“
„Zum Chef fahren und ihm berichten, das dieser Plan fehlgeschlagen ist, was sonst?“
Zwölftes Kapitel: Stille Wasser sind tief
Marco zog die Handbremse an und stieg aus. Endlich Urlaub von der stressigen Taxifahrerrei. Was mal ein Gelegenheitsjob hätte werden sollen, war nun zum Fulltime-Job geworden, der jede Menge an Stunden in Anspruch nahm, besonders die Nachtfahrten. Doch auf die konnte er noch weniger verzichten als auf die Tagestouren. Alles in allem warf der Job gerade so viel ab, das er mal drei Wochen Mallorca sich gönnen konnte, wenn er wollte. Doch das Geld legte er sich lieber auf die hohe Kante, bei der heutigen Arbeitssituation weiß man ja nie.
Er reckte sich ausgiebig und öffnete alle Fenster seines Wagens. Die stickige Luft und die rauchenden Gäste während der Fahrten waren ihm schon immer ein Dorn im Auge. Sobald der Wagen frisch gereinigt war, kam ein Schild ins Taxi, das den Glimmstängel für immer aus seinem Wagen verbannen sollte. Er sprach ja kaum mit den Gästen. Nicht dass er es nicht könnte, er war zwar schwarzhaarig und machte einen ausländischen Eindruck, aber er war durchaus der deutschen Sprache mächtig. Er wollte nur keinen Kontakt zu den Leuten, das war alles. Besoffene laberten auch so schon genug, wenn er fuhr, da brauchte er sie gar nicht zu animieren. Sein Blick schweifte über sein Gefährt, als sein Blick an einem kleinen, roten Fleck auf der Hinterbank haltmachte. Was in aller Welt war das? Er ging näher ran und schaute sich den Fleck genauer an, der auf dem hellen Stoff auffiel. Marco kratzte mit dem Fingernagel darüber, aber der Fleck war schon eingetrocknet. Sah aus wie Blut … Marco überlegte. Wann hatte er denn einen verletzen Fahrgast gehabt? Er ging die Tagestouren durch. Nein, da war nur eine jammernde Schwangere, aber keiner mit einer Verletzung, die blutete. Zudem war der Fleck auf der Hinterbank. Wer saß denn in den letzen Tagen hinter ihm? Tagsüber war da niemand, aber … ja, die eine Nacht war doch die so schweigsame Frau zu ihm nach hinten eingestiegen. Ein anderer Fahrgast kam nicht in Frage. Typisch Weiber und ihr Monatskram, verflixt nochmal! Aber mal nach einer Decke zu fragen, um Schlimmeres zu verhindern – nein auf keinen Fall! Er beschloss, zum Clean - Park zu fahren, dort konnte er sich in Ruhe dem Fleck und auch dem Rest der Reinigung widmen.
Die Fußmatte war so voller kleiner Steinchen, dass Marco schon Sorge hatte, das rasselnde Geräusch im Saugschlauch würde gar nicht mehr aufhören. Mensch, wie schmutzig doch manche Schuhe einzelner war! Die Leute konnten zwar auch nicht immer was dafür aber war es denn zu viel verlangt, bei Regen oder Schnee mal eben die Füße vorher kurz abzuschlagen gegeneinander? Wahrscheinlich war er einfach für manche Menschen zu sauber, aber sein Taxi war nun mal sein Arbeitsplatz und zudem sein Lebensunterhalt, dieses Gefährt musste nun mal etwas länger halten als nur fünf Jahre.
Er legte die Fußmatten, nachdem er dem Innenraum ausgesaugt hatte, wieder in den Innenraum. Er drehte sich um und zuckte gehörig zusammen. Direkt hinter ihm stand sein alter Freund Jörg, der ihn grinsend anguckte. „Oh Himmel, was hast du mich nur erschreckt, hey altes Haus, wie geht´s?“
„Jow danke der Nachfrage Marco. Ich bin versetzt worden hier in euer Nest.“ Jörg Schmeling, ein kleiner Streifenpolizist, aus der Nachbarstadt hatte sich zwar immer eine Versetzung gewünscht, aber diese kam ihm absolut ungelegen.
„Was, du und versetzt? Wieso, haben wir hier keine Leute mehr, die Knöllchen verteilen?“ Marco grinste mehr als breit. „Haha, sehr witzig. Nein, es geht um diese Diebstahlsgeschichte, von der Du bestimmt gelesen hast. Meine Kollegen sind hilflos, sie sagen, sie haben eine Frau im Verdacht, aber nichts führt wirklich zu ihr, seltsame Kiste. Dabei kann doch so ein riesiger Samsonniete Koffer doch nicht verschwinden!“
„Ja, da wirst du wohl … Moment, sagtest du Samsonniete?“
„Ja, ziemlich großes Teil.“
„Silber – metallic?“
„Ja, genau! Woher weißt du das?“
Ich glaube, ich muss dir was erzählen. Mir ist da vor einigen Wochen da nämlich eine Frau ins Taxi gestiegen …“
Dreizehntes Kapitel: Schweigen ist Gold
„Nun raus mit der Sprache Frau Kelch, wo ist der Koffer? Wir haben Sie, kapieren Sie das nicht?“ Kommissar Bered war alles andere, als geduldig mit mir, aber ich schwieg. Mir blieb einfach keine andere Wahl, alles stimmte. Meine Rechnung hatte ich ohne einen Taxifahrer gemacht, der durch den dümmsten Zufall der Welt einen Bullen aus alter Zeit getroffen hatte. Es stimmte alles, was dieser Mensch erzählt hatte, ich bin nach Hause gefahren, mit einem gewaltigen Koffer, den ich hinten in den Kofferraum verstaut hatte, einfach alles stimmte. Nur mein Mann konnte nicht bezeugen, dass ich zu Hause war, was ja auch der Wahrheit entsprach, war ich ja nur im Garten gewesen.
Während der Bulle versuchte, mich voll zu dröhnen mit seinen Drohungen, schaltete ich innerlich ab und überlegte, was als Nächstes kommen könnte. Untersuchungshaft? Oder vielleicht eine Hausdurchsuchung? Nicht dass ich davor Angst hätte, aber danach sollte man seine Wohnung nicht nur in einem absolut kaotischen Zustand wiederfinden und dann auch der seelische Stress …
„Haben Sie mich verstanden?“ Der Bulle schrie mich schon fast an. Klasse, wenn man japanische Entspannungsübungen kennt, die alles um einen herum wirklich verschwinden lassen! „Nein, könnten Sie das bitte nochmal wiederholen? Ich lasse mich nur ungern anschreien.“ Fast platzend vor Wut verließ der Mann das Zimmer und ich atmete tief durch.
Wenig später kam Bernd ebenfalls in das Büro, in dem ich saß, und schaute mich mehr als verärgert an. „Verdammt nochmal, was soll dieser ganze Zirkus von wegen Koffer und all das? Sag den Leuten doch nun, was Du weißt, dann herrscht wieder Ruhe.“Bernd, mein Schatz, ich weiß absolut nichts, aber ich bin sicher, dass Frau Frontzek demnächst viel mehr wissen wird, Du weißt schon, die Rechtsanwältin. Und solange wir diese Sache nicht ihr übergeben haben, ist Schweigen ab heute bestes und reinstes Gold. Also setz dich zu mir und meditier mit mir, das entspannt.“ Ich schloss die Augen und hob leicht die Arme. „OOOOOOOOOOOOOOOOOOOHHHHHHHHHHHHHHHMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMMM…“
„Raus hier, alle beide, aber seit euch nicht so sicher, wir kriegen den Koffer, wir kriegen den Inhalt und vor allem – wir kriegen Sie werte Frau Kelch, da können Sie Gift drauf nehmen!“
„Es war vollkommen richtig, das Sie nichts mehr gesagt haben Frau Kelch, denn Sie müssen nichts sagen, niemand kann Sie dazu zwingen, auch nicht dieser aufgeblasene Schnösel von Kommissar!“ Frau Frontzek klang sehr sicher in ihrer Stimme und auch erbost. „Aber eine Frage muss ich Ihnen leider dennoch stellen, der Punkt geht aus der Polizeiakte nicht hervor. Können Sie Japanisch sprechen?“
„Nun, wenn man langsam spricht und sehr deutlich, dann komme ich mit und verstehe ich, aber wie gesagt, nur dann. Diese Japaner im Hotel haben so immens schnell gesprochen, das es mir überhaupt nicht möglich war, zu verstehen. Also wirklich nicht.“
„Nun ja, ich frage deswegen, weil Ihr Mann bei der Polizei ausgesagt hat, dass Sie eine japanische Brieffreundin hätten, mit der Sie, wenn Sie mal anruft, in Japanisch sprechen und das eben nicht langsam und deutlich.“
Ich verzog angewidert das Gesicht, es brach alles zusammen, jetzt fiel mir auch schon mein eigener Mann in den Rücken!
„Also, ich will meinem Mann nichts Böses, aber er verachtet die Sprache japanisch, immer wenn mir mal ab und an mal ein japanisches Hallo oder Ähnliches rausrutscht, dann flippt er aus, von wegen, wir wären in Deutschland und diese Scherze, also diese Aussage würde ich als äußerst emotional bezeichnen und auch etwas böse. Aber gut: Machen wir den Test. Bestellen Sie einen Japaner, der mir was sagen soll, ich versuche es zu übersetzen, keine Chance, sage ich Ihnen!“
Nun schaute die Rechtsanwältin etwas skeptisch drein. „Nein Frau Kelch, um ganz ehrlich zu sein, ich habe auch das Gefühl, das sie mehr wissen, als Sie zugeben. Und ich muss mein Mandat sofort niederlegen, sobald nur der kleinste Funken davon stimmt, was ich denke.“ Nun begann ich, herzhaft zu lachen, doch nur wenige Sekunden später guckte ich die Frau so energisch an, das sie in ihrem Stuhl etwas nach hinten wich.
„Jetzt will ich Ihnen mal was sagen. Für wie blöd halten Sie mich? Klar, ich habe mal eben 24 Millionen Euro in irgendeinem Koffer geklaut und rücke sie nicht raus … haha. Was glauben Sie, mache ich morgen früh? Ich gehe zum Amtsgericht, lasse mich dort auf eine ewige Menschenmenge ein, die darauf wartet im dicksten Winter, durchleuchtet und gefilzt zu werden, das bei -8° Grad. Danach gehe ich zur dritten Etage, wo das Büro zur Ausstellung für Beratungsscheine sitzt und lasse mich da morgen auch wieder dumm anquasseln. Klar, alles, weil ich der Geizknopf vom Dienst bin? Ich beziehe Grundsicherung, das sind 311 Euro, verstanden?“
Frau Frontzeks Gesichtszüge entspannten sich wieder.“Ich wollte Ihnen nur mitteilen …“
„Ja, ich kenne die Sprüche, aber nun zum letzten Mal: Ich habe diesen blöden, verdammten Koffer nicht und Sie haben dafür Sorge zu tragen, den Bullen das begreiflich zu machen!“ Meine Laune war am Nullpunkt, das alles war jetzt doch zum Scheitern verurteilt, nun hieß es kämpfen und die Bullen von mir fernzuhalten, mit allen Mitteln.
Heißt es nicht, im Zweifel für den Angeklagten? Also machen Sie Ihre Arbeit!“
Mit diesen Worten ließ ich die baffe Rechtsanwältin stehen und ging nach Hause.
Vierzehntes Kapitel: Gier und Macht = …
„Nein, Frank, es ist ausgeschlossen, anders komme ich an die Frau und die Kohle nicht ran. Sie hat den Koffer mit Sicherheit zu Haus im Keller versteckt, jede Wette.“
Kommissar Bered schwitzte. Seit einer geschlagenen halben Stunde versuchte er den Leiter des BKA davon zu überzeugen, das er eine Hausdurchsuchung für Frau Kelch erwirken musste, wenn er in dem Fall weiter kommen wollte.
Doch das waren alles nur vorgeschobene Gründe. Die wahren Gründe lagen tiefer. Nicht, dass er wenig verdiente, aber seitdem er die Hypothek für´s Haus selber tragen musste, wurde es am Monatsende doch manchmal entsetzlich eng. Er mochte Brotschnitten, aber nicht nur, 14 Tage lang hintereinander. Er wollte auch mal wieder ein saftiges Steak im Restaurant essen, doch mit der finanziellen Belastung im Moment ging gar nichts. Dann noch die heimlichen Alimente an das Kind, das angeblich ihm auch gehörte … er brauchte die Kohle! Und aus sicherer Quelle wusste er, dass wirklich Euros in dem Koffer waren, und zwar jede Menge! Er würde den Rest ja spenden, gar keine Frage, aber dem Staat überlassen und es dann in die Schuldenkasse zu kippen? Nein, das wollte und konnte er nicht zulassen, seine Schulden waren auch wichtig, wichtiger sogar, als die vom Staat.
Ja, okay, ich habe verstanden, also dann eben nicht!“ Wütend legte er auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Verflixt, wie konnte er denn nur an diesen Durchsuchungsbefehl kommen? Gerade bei dieser Frau, die sich nicht das kleinste Krümelchen vom Brot nehmen ließ und pfiffig, wie Oskar war. Die würde doch sofort irgendwo in einer höheren Abteilung anrufen, wenn ihr irgendwas nicht gefiel oder quer kam. Und genau das musste verhindert werden. Doch er hatte bei dieser Frau mehr oder weniger verschissen, denn sein Tonfall war alles andere als korrekt ihr gegenüber gewesen. Aber er war dem Ziel so nahe! Sein Spürsinn für Kriminalität zuckte bei diesem Fall wie verrückt und überall kribbelte es ihm. Sie hatte das Geld, ganz sicher.
Wieder griff er zum Telefon und wählte eine Nummer.
„Aha, und woher dieser Sinneswandel?“ Kommissar Bered auf der anderen Leitung machte mich mal wieder misstrauisch. Er wollte sich entschuldigen für das zu scharfe Verhör und mich zum Kaffeetrinken einladen …? „Hören Sie Frau Kelch, ich habe von oben auch Derbe einen vor den Latz gekriegt, weil ich meine Befugnisse verletzt habe. Nun sieht es mein Chef vor, das ich mich bei Ihnen entschuldige. Denn immerhin habe ich wirklich schlimme und harte Worte Ihnen gegenüber benutzt.“ Er konnte ja nicht ahnen, dass ich kein einziges Wort gehört hatte, dank meiner Mediationstechnik. „Also gut, wo und wann?“ Mir war dieses Treffen absolut widerlich. „Geht es nachmittags um 15 Uhr bei Ihnen?“
„Ja, okay, ich bin zu Hause.“
„Gut, dann hole ich sie ab.“
Schon fast mit Angst im Nacken legte ich auf und bat Bernd, auf alle Fälle zu Hause zu bleiben. „Ich traue diesem Fatzke nicht mehr, von wegen Polizei dein Freund und Helfer!“
Bernd grinste. „Jetzt weißt du auch, wer die Polizei braucht, nicht wir, ach Quatsch, die kleinen Leute doch nicht, aber die dicken Bonzen, die um ihr Geld fürchten, die brauchen den Beschützer Polizei, niemand sonst.“
Der Kerl, der sich Kommissar Bered nannte, war vorzeigemäßig pünktlich und gab sich wirklich Mühe, nett zu sein. Aber er schaffte es nicht, mein Misstrauen zu ersticken, im Gegenteil, er kam nicht mal mit einer Silbe auf das Thema Koffer und quasselte ununterbrochen über alles und jenes. Ich brauchte kaum was sagen. Am Ende hatte ich zwei Käse Sahne Tortenstücke intus, vier Kakao getrunken und fühlte mich rappelsatt. Die Rechnung betraf genau 36 Euro, unglaublich. So was würde ich im Leben nicht machen, selbst jetzt, wo ich das Geld zum Greifen nah hatte. Das hätte ich alles selber gebacken und nur ein Drittel bezahlt.
Er fuhr mich wieder nach Hause und redete wieder unentwegt. Ich ging per Meditation wieder in mich hinein und öffnete mich erst wieder, als wir vor unserer Haustür standen.
Doch das diese Meditation ein fataler Fehler war, merkte ich aber erst zwei Tage später.
Fünfzehntes Kapitel: Schwingungen
Es klingelte verdammt früh an der Tür. Noch im Bademantel öffnete ich sie – und hatte mit einem Mal acht Beamte in meiner Wohnung, die sich überall verteilten. Kommissar Bered stand vor mir und zeigte strahlend mir einen Durchsuchungsbefehl, der seiner Truppe ermöglichte, jeden Winkel, damit meine ich wirklich JEDEN, abzusuchen. „Gehen Sie nur eben bitte alle ins Wohnzimmer, ich wecke eben meinen Mann.“
„Was zum Teufel soll das denn nun schon wieder? Ich glaube so langsam, ihr Typen seit schizophren …“
„Bitte Herr Kelch, wenn Sie kooperieren, dann dauert es nur zwei kleine Stunden, ansonsten den ganzen Tag.“
Ich ging dazwischen, denn mein Mann sah nicht so aus, als wollte er sich beruhigen. „Sagen Sie, was sie brauchen, ich arbeite mit, aber nur unter einer einzigen Bedingung.“
„Und die wäre?“ Sein Haifischgrinsen war nicht mehr zu übersehen, doch er hatte nicht mit mir gerechnet. Denn in der Wohnung war das Geld ganz sicher nicht …“
„Ich erwarte, dass jedes Teil wieder an seinen Platz kommt, jedes Buch, jede Pflanze, einfach alles, passiert das nicht, fliegt ihr hier wieder raus, alle acht!“
„Beantworten Sie mir einige Fragen zur Lage der Wohnung, dann ersparen Sie uns unnötige Flächen.“
Eine stumme Handbewegung von mir ließ ihn seine Liste abgrasen.
„Wann haben Sie zuletzt renoviert?
„Wir sind die ersten Mieter hier im Haus, der Boden ist gerade mal vier Monate alt, ebenso die Tapeten.“
„Verfügt dieses Haus über einen Dachboden mit Dielen?“
„Nein, hier ist gar kein Dachboden eingebaut.“
„Tja, dann war´s das schon, also zwei gehen in den Keller, und der Rest verteilt sich in der Wohnung.“
Eine Wohnungsdurchsuchung ist eine Angelegenheit, die starke Nerven erfordert. Jedoch hatte ich, so glaubte ich Glück, denn die Beamten respektierten meinen Wünschen sofort, wenn ich ihnen sagte, sie möchten doch bitte das Kinderzimmer von Sven verlassen, da ich den Jungen wickeln wollte, oder wenn man auf Toilette wollte.
Inzwischen hatten die Herren sämtliche Räume durch und – natürlich nichts gefunden. Die Herrschaften, die mit ihrer Arbeit fertig waren, gingen wieder zurück zu dem Mannschaftswagen und am Ende waren nur noch der Kommissar und zwei andere Beamte da, die nun meine Küche durchsuchten. „Eine Tasse im Schrank ist angeschlagen, bitte vorsichtig!“ Ein dunkles Brummen kam als Antwort. Dann schlossen die Männer die Tür. Ich dachte mir zuerst nichts. Der Kommissar hingegen guckte unentwegt nach draußen und schaute sich um. „Wann wird denn hier der Rasen ordentlich bepflanzt?“ Bernd und ich zuckten die Schultern. „Sieht ja wirklich nicht schön aus, besonders, wenn normales Gras demnächst anfängt, zu wachsen.“ Ich gab keinen Ton von mir und Bernd folgte meinem Beispiel.
„Ich kann Sie ja beide verstehen, dass Ihnen unangenehm ist, aber nach der Aussage des Taxifahrers …“
„Was wollen Sie? Meine Frau war nicht hier, sprich sie hat hier auch nichts deponiert. Vielleicht war sie ja nur was essen im Ort, was weiß man denn? Lassen Sie uns in Ruhe. Nachher haben wir noch die Yakuza am Fell wegen der ganzen Geschichte!“
„Ja, die haben Sie sowieso am Hals, wann die kommen weiß keiner, aber ich kann Ihnen versichern, dass die Kerle kommen werden.“
Nun wurde es mir zu Bunt. „Im Hotel haben Sie nichts gefunden, weder der Japse, noch Sie – wie um Gottes Willen soll ich innerhalb von vielleicht fünf Minuten einen riesigen Koffer, der ja auch schwer sein wird, mal eben verschwinden lassen? Ich heiße nicht Copperfield!“ Durch die hitzige Diskussion hatte ich eine trockene Kehle und ich ging Richtung Küche. Doch ich wurde ich nicht reingelassen. „Wir sind gleich fertig, noch fünf Minuten, dann können Sie in Ihre Küche zurück.“
„Was soll das Bered? Jedes Zimmer wurde freiwillig geräumt, einfach jedes, aber die Küche nicht, was geht da vor?“
Der Kommissar schaute mich etwas verdutzt an. „Die Küche ist durch den Tisch sehr eng, dann die beiden Beamten, es ist einfach zu klein. Wie gesagt, sie sind ja auch gleich fertig.“
Kaum hatte er diesen Satz gesagt, kamen die Herren wieder. „So, nichts zu finden. Also hier ist nichts, absolut nichts. Bered stand auf. „Na, wenn das so ist …“ er deutete mit einer Handbewegung, dass alle die Wohnung verlassen sollten. Schließlich verschwanden alle wieder so schnell, wie sie gekommen waren und wir waren wieder allein. In mir tobte ein Sturm an Gefühlen und Tränen kamen hervor.
Die Tage vergingen, doch in der Küche war etwas anders. Ich konnte es nicht beschreiben, aber desto häufiger ich diesen Raum betrat, um so mulmiger wurde mir. Schließlich mied ich diesen Wohnbereich, so oft es ging, was zu Spannungen führte.
Schließlich hielt ich es nicht mehr aus. „Wir müssen die Küche durchsuchen, jeden Schrank, einfach alles. Die haben dort ´ne Wanze wahrscheinlich versteckt.“ Bernd lachte auf. „Ja logisch, wir leben in Deutschland, nicht in irgendwelchem Krimistreifen, ich bitte Dich!“
„Dann erkläre mir bitte, wieso ich in Michelles Zimmer reingehen konnte, um was zu holen. In Svens Zimmer durfte ich die Männer sogar rausschicken, das Wohnzimmer wurde auch mit uns geteilt, die Bäder sowieso, aber die Küche – in die …“
Mein Satz wurde von dem Klingeln des Telefons unterbrochen. Bernd saß in unmittelbarer Nähe und nahm ab. Eine Sekunde später gab er mir den Hörer.
„Ja?“
„moschi moschi“
Sofort schaltete mein Gehirn, es war meine Brieffreundin Mei Li aus Tokio.
„Ja hallo Mei, wie geht es dir?
„Danke gut. Du, ich komme nach Deutschland und zwar in Deine Stadt.“
„Toll! Willst du hier schlafen?“
„Nein, mein Vater hat schon ein Hotel gemietet, aber wir könnten uns ja sehen.“
Ja, klar, wann kommst du hier an?“
„Wir kommen in zwei Wochen und bleiben einige Tage. Kann ich dich dann nochmal anrufen?“
„Wenn es geht, aber abends, tagsüber haben wir viel zu tun.“
„Gut mache ich, Wiederhören.“
„Bis dann!“
„Stell dir vor, Mei Li aus Japan kommt in unsere Stadt und möchte mich besuchen.“ Bernd schien zum ersten Mal wieder zu lächeln. „Und wann?“
„In zwei Wochen, sie ruft dann aber nochmal an.“
„Wenn wir bis dahin noch leben und die Yakuza nicht aufgeknöpft haben.“ Er zwinkerte mir zu.
„Was ist nun mit meinem Vorschlag, die Küche komplett durchzusuchen?“
„Also ich gebe erstmal Abhörwanze im Internet ein und gucke nach, wo diese Dinger genau platziert werden, wenn sie denn platziert werden. Das erspart jede Menge Arbeit.“ Mit diesem Vorschlag war ich einverstanden und ging wenig später mit Sven spazieren.
„Och Mama, warum können wir denn nicht wieder in der Küche essen, mir geht das langsam auf den Geist, ständig hier im Wohnzimmer zu essen!“ Michelle sprach endlich das aus, was uns alle bedrückte. Ich guckte sie verzweifelt an.“Mein Schatz, ich glaube, in unserer Küche ist eine Abhörwanze, das bedeutet, dass jedes Wort abgehört werden kann von der Polizei, die haben sich seltsam damals bei der Durchsuchung benommen, ich bin eben so misstrauisch, sorry!“
„Jow, ich habe nachgeguckt, wegen Wanzen. Also tatsächlich: meistens werden sie in Küchen installiert an einem ungeahnten Ort, im Bad und so würden die keine fünf Minuten überleben, weil diese Dinger absolut empfindlich gegen Luftfeuchtigkeit sind.“ Meine Miene hellte sich schlagartig auf. „Komm Michelle, wir gehen in die Küche …“
„Was hast du nun vor Mama?“ Ich grinste und versuchte, nicht zu lachen. Achtung, nun mussten die Worte mit Bedacht gewählt werden. „Nun, mein Kind, ich möchte den heilenden Wirkstoffen vom Japanöl noch etwas mehr Pepp verschaffen.“
(Was will die?)
„Wie willst Du das denn machen?“
„Indem ich den Raum zum Inhalieren vergrößere, mir ist das Röcheln in diesen kleinen Bottich da zu dumm.“
(Was hat die nur vor, verstehst du das Jörg?) Und deswegen werde ich nun einen Topf nehmen und dort Japanöl reintun und damit inhalieren. Aber ohne Tuch …“
Michelle verstand und nickte nur. Ich dagegen setzte den größten Topf und noch die anderen drei, die ich hatte, auf den Herd und füllte sie mit Wasser. Alle Platten sollten aktiviert werden, das waren vier zusammen. Anschließend schloss ich das Fenster. „Wie lange machst du das?“
„Auf der Packungsbeilage steht, dass man zwanzig Minuten unter dem entstehenden Wasserdampf inhalieren soll.“
(Ne verdammt, die will inhalieren mit Wasserdampf … Jörg, ruf Bered an, gleich haben wir keinen Kontakt mehr.)
Der Herd arbeitete auf Hochtouren und binnen weniger Minuten war die Küche vollkommen mit Wasserdampf gefüllt. Ich hatte mir vorgenommen, etwa zehn Minuten diesen Zustand bei zu behalten, um ganz sicher zu gehen.
Anschließend musste alles wieder abgetrocknet werden. Und nach einer hoffentlich defekten Wanze gesucht werden. Ich versuchte, mein Gefühl die Wanze zu finden. Instinktiv griff ich unter den Tisch und untersuchte dort die Kanten und Ecken von den ausziehbaren Brettern. „Michelle guck du mal drunter nach.“ Und tatsächlich, sie fand ein Fingernagel Großes, Schwarzes Etwas, das einen kleinen Draht mit einer seltsamen Endung hatte. „Na warte Bered, das gibt Krieg, aber Juristischen. Jetzt hast du deine Befugnisse um Längen überschritten.“
Sechszehntes Kapitel: Ende gut, alles gut?
„Sie haben Ihre Befugnisse um einiges gedehnt, wahrscheinlich nur aus privaten Interessen, Bered! Dafür gibt es für mich nur eins: Suspendierung des Dienstes, bis alle Zweifel der Korruption erloschen sind!“ Der große, stabil gebaute Mann vor Kommissar Bered war alles andere als zufrieden. Der Brief einer Rechtsanwältin war schon ohnehin nicht toll, aber dann so eine Nachricht? „Verdammt nochmal Bered, acht Leute zu einer Wohnungsdurchsuchung, die nicht von mir genehmigt worden ist und dann noch mit so vielen Kollegen! Wie die Wohnung jetzt aussehen mag, will ich mir gar nicht ausmalen. Und die Rechnung einer eventuellen Reinigungs und Auräumfirma müssen WIR zahlen, verstehen Sie das?“
Bered nickte stumm. Ihm stand mal wieder der Schweiß auf der Stirn und ihn fröstelte es. Er wusste, das jeder Schritt, den er in die Richtung Frau Kelchs gemacht hatte, falsch war, abgrundtief falsch. Was ihn erstaunte war, das er die Wanze nicht erwähnt hatte.
„Gehen Sie nach Hause Bered, Ihr Verfahren kommt, aber bis dahin sortieren Sie zu Hause schön Ihre Socken.“ Mit diesen Worten schlich der Kommissar, der auf über zwanzig Jahre immer gut ausgeführten Dienst blicken konnte, beschämt nach Hause.
Ich saß zu Hause und grübelte über die inzwischen vergangenen Wochen nach. Was war nicht alles geschehen! Aus einer absolut verrückten Laune heraus stahl ich einen gewaltigen Koffer, hatte vier Yakuza im Nacken und musste mir verdammt gute Schnüffelarbeit von Beamten angucken. Dann die Geschichte noch mit dem Taxifahrer … sollte mir weiterhin das Glück treu bleiben?
Sollten wir tatsächlich einen endlich normalen Lebensstandard führen dürfen, wenn das ganze Zetergeschrei nach dem Geld vorbei war? Meine Güte – 24 Millionen Euro! Dafür konnte man sich ein schönes Haus kaufen, man könnte sich ein eigenes Pferd leisten …
„Hey Schatz, guck Dir das Mal an!“ Bernd riss mich aus meinen Gedanken. Mühsam erhob ich mich von der Couch und ging auf Bernds Schreibtisch zu.
„Polizei der Korruption verdächtigt, Yakuza wollen Rache.
Nimmt das Verbrechen nun das Gesetzt in die Hand?“
Diese Zeilen schockten mich nicht mehr. Die BILD-Zeitung war dafür bekannt, Fakten absolut verdreht darzustellen und viel zu hoch zu bewerten. Und dennoch, die Zeilen beunruhigten mich, denn die ganze Zeit fragte ich mich, wo die Yakuza geblieben waren, die konnte die Sache mit dem Koffer nicht kalt gelassen haben. „Diese Sache ist noch lange nicht vorbei, das sage ich Dir Bernd. So lange die BILD weiter ihre Schundartikel schreibt, bleibt dieses Thema warm und ich unter Verdacht. Schatz, wir müssen mehr oder weniger untertauchen.“ Ein kurzes Lachen wurde hörbar. „Ja, liebend gerne, aber wohin?“
„Lass mich mal machen mein Mann, ich hab da schon eine Idee.“
„Angelika, du weißt, dass wir nicht weg dürfen, das Amt …“
„Das kann mir gestohlen bleiben, Mensch merkst du denn nicht, dass wir durch diese Geschichte in Gefahr geraten? Dass hier noch kein Reporter vor der Tür stand, ist absolutes Glück. Außerdem haben wir Kinder, die jeden Tag theoretisch verschleppt werden könnten!“ Bernd sagte darauf nichts mehr und ich ging zurück auf die Couch.
Siebzehntes Kapitel: Japanischer Schnüffler
Als wenn diese Worte gehört worden wären, klingelte es plötzlich an der Tür und ein Japaner stand vor meiner Tür. Keiner der Yakuza, das sah ich sofort, aber immerhin ein asiatischer Mensch.
„Guten Tag Frau Kelch, mein Name ist Kubajaschi, kann ich mit Ihnen einen Moment sprechen?“ Sein Deutsch war sehr gut und wies so gut wie keine Akzente auf. Wieder stieg mein Adrenalinpegel auf ein Höchstmaß und für kurze Zeit wurde mir schlecht. Mit diesen Mengen Adrenalin kam mein Körper einfach nicht zurecht.
„Hören Sie Herr Kubajaschi …“
„Ich kann mir gut vorstellen, was Sie in den letzten Wochen durchgemacht haben müssen und glauben Sie mir, Sie haben mein vollstes Mitgefühl. Deswegen bin ich hier, mich schicken nämlich vier Herren.“ Es gibt Dinge im Leben, die muss man radikal akzeptieren, wie die Todesnachricht eines guten Freundes, zum Beispiel. Jeder hat schon mal so eine Nachricht erhalten und dementsprechend reagiert. Nur wenn man gesagt bekommt, das die japanische Mafia einen Privatdetektiv zu einem geschickt haben, damit als ALLES von einem weiß, diese Nachricht lässt einen regelrecht zusammenbrechen. Als ich wieder zu mir kam, saß Michelle mit einem Waschlappen neben mir an der Bettkante und ich hörte Stimmen aus dem Wohnzimmer. Mühsam setzte ich mich auf und schaute meine große Tochter an. „Du bist tatsächlich ohnmächtig geworden Mama. Der Herr Kuba … wie auch immer ist mit Pappa am Reden, ich glaube, er will uns helfen, er glaubt nämlich, dass wir den Koffer gar nicht haben können. Die Polizei hat wohl die Szene mal nachspielen lassen im Hotel und keiner der Darsteller hat es geschafft, den Koffer nicht ohne Radau und Geschepper aus der Bar zu kriegen.“
Mit Schwindel im Kopf schaute ich meine Tochter an. Mir wollten die Worte, die sie da gesagt hatte, nicht in den Kopf. Mein Körper war am Ende, ebenso mein Geist.
„Tu mir einen Gefallen Mausi, sag Bernd, dass ich wieder wach bin.“
„Frau Kelch, niemand hat es geschafft, den Koffer ohne irgendwo anzustoßen aus der Bar zu hieven, also kommen Sie für mich als Täterin nicht in Frage.“
„Das klingt schön in meinen Ohren, aber warum sind Sie hier?“
Herr Kubajaschi zupfte seine Krawatte leicht zurecht. „Weil ich Ihnen helfen möchte, ich will Sie aus dem Fadenkreuz der Yakuza nehmen, denn die Herren sind so langsam mit den Nerven und ihrer Geduld am Ende. Sollte nicht binnen von drei Wochen ein Ergebnis von mir vorliegen, geht eine andere Masche los, eine, die man als Einschüchterung betrachten kann und die mehr als nur schön ist.“
Bernds Augen wurden groß. „Also wie blöd sind die Japsen Fuzzis eigentlich, nichts für Ungut. Aber wenn meine Frau das Zimmer zweimal durchgeguckt hat, lassen, einmal von dem asiatischen Herren und noch mal von der Polizei, wieso…“
Das Telefonklingeln unterbrach jäh unsere Unterhaltung. Michelle ergriff den Hörer und gab ihn mir grinsend. „Dein Typ wird von Conan verlangt.“ Blitzschnell fiel mir der Contest wieder ein, ja du liebe Güte, den hatte ich ja völlig vergessen!“ Ich nahm das Telefon und Ralf Möller erklärte mir, wann ich wo zu erscheinen hätte, in drei Tagen wäre Drehtime. Ich kritzelte alles Nötige auf einen Zettel und schaute meinen Mann müde an. „Das war Ralf, in zwei Tagen beginnt der Dreh zu diesem Film, ich muss als nach Köln!“
„In Ihrem Zustand können Sie doch nicht als Gastrolle irgendwo mitmachen, lassen Sie jemanden anderes einspringen!“ Herr Kubajaschi klang mehr als aufgeregt. Ich blickte ihn nur müde an.
„Das Wichtigste, was ich brauche, ist Ruhe und Frieden. Und vor allem keine blöden Schnüffelnasen, die mir nachstellen.“
Im Gegensatz zu Bernd meinte ich meinen Satz ernst. Aber Japaner scheinen auf dem Ohr der Beleidigung recht taub zu sein.
„Okay, Sie klären das mit dem Film und dann kümmere ich mich um ein hübsches Plätzchen, wo sie ungestört sein können.“
Zum Glück war eine Nacht vernünftiger Schlaf die einzig richtige Medizin, denn am nächsten Tag fühlte ich mich schon wieder fit und gesund. Ich rief den Regisseur an und fragte, was ich denn alles zu so einem Dreh bräuchte, ob eine Übernachtung von Nöten wäre. Doch er erklärte mir im Gegensatz zu Ralf alles ganz genau und am Ende wusste ich, das ich am Abend schon wieder zu Hause sein würde, weil die Gastrolle zuerst gedreht werden würde. Ein Auftritt, der genau vier Minuten dauern sollte. Na ja, immerhin.
Am Set selbst war es furchtbar langweilig, die Leute rannten aufgeregt hin und her, und als alles soweit stand, herrschte eine gespenstische Ruhe. Wir spielten unsere Szene, die so gut klappte, dass sie nicht nachgespielt werden musste. Na ja, ich hatte genau einen Satz und musste Ralf nur am Ärmel einmal ziehen. Danach war meine Rolle fertig.
Herr Kubajaschi hatte sich bereit erklärt, mich nach Hause zu fahren, was eine enorme Zeitersparnis für mich bedeutete.
Zu Hause angekommen erzählte ich kurz, was ich in Böklemünd gemacht hatte, doch dann kam das Thema Yakuza auf.
„Also, ich bin der Meinung, dass Ihre Frau alleine mit den Kindern fährt, immerhin geht es um sie. Kennen Sie einen Ort, wo Sie Ruhe hätten?“ Mir fiel sofort das kleine Dorfhäuschen in dem kleinen Ort in Hessen ein, doch ob ich für das Haus den Schlüssel kriegen würde, war fraglich.
„Ich müsste ein Telefonat führen, dann hätte ich einen Platz, wo wir Urlaub machen könnten.“ Herr Kubajaschi nickte und wies mir, das Telefon zu nehmen. Zwar hatte ich wenig Hoffnung, dass ich meine Tante erreichen würde, aber ein Versuch war es wert. Doch meine Befürchtungen bestätigten sich, niemand ging an der anderen Leitung dran.
„Ich versuche es heute Abend noch einmal, dann ist sie wahrscheinlich da.“
„Es tut mir leid, aber wir haben nicht mehr so viel Zeit, Frau Kelch. Wir müssten jetzt sofort einen Ort finden.“
Meine Gedanken rasten. Den Weg zu finden in das Örtchen war kein Thema, aber wer bekam das alte Schloss auf? „Sagen Sie Herr Kubajaschi, können Sie alte Schlösser aufmachen, also nicht solche, wie sie heute in Türen benutzt werden, sondern eher solche wie in den Zimmertüren einer Wohnung?“ der Japaner guckte mich fragend an. „Es ist so, ich habe eine Möglichkeit, allerdings ist das Schloss ein ziemlich altes. Auffallen würde das keinem, ganz sicher nicht, jetzt ist Februar und die meisten Leute kommen nur im Sommer dort hin.“
„Nun, ich habe die Möglichkeit, das Werkzeug dazu habe ich auch, wo ist das Haus denn genau?“
„In einem Ort namens Wellingerode, das liegt in Hessen, den Weg kenne, nur habe ich wie gesagt keinen Schlüssel. Und – Sie müssten mich fahren, weil dort hin nichts fährt.“
„Also los packen Sie ihre Sachen.“
Die Tatsache, dass Bernd gar nicht gefragt wurde, war mir zwar etwas unangenehm, aber der Japaner hatte recht, hier war ich die Verdächtige, nicht er. Und die Mafia war so gestrickt, dass eben die Familienmitglieder tyrannisiert wurden, besonders die Kinder, wie ich später noch erfuhr.
Die Fahrt dauerte gerade mal eine Stunde, da waren wir in Wellingerode angekommen. Wir standen vor dem großen Gatter, das natürlich abgeschlossen und verschlossen war. Doch das war nun unwichtig. Rasch kletterte ich über das Gatter und Herr Kubajaschi sprang Behände mit einem Seitwärtssprung über das immerhin 1.50 hohe Gatter!
Wir kamen nach wenigen Schritten zu dem Hauseingang und ich musste mit Schrecken feststellen, dass die Familie das Schloss vollkommen erneuert hatte! Nun war da ein ganz normales Schloss. Wie es in jeder Tür zu finden ist. Doch auch für diesen Fall war Herr Kubajaschi gewappnet. Er holte einen Schlagschlüssel hervor, einen Schlüssel, den man ganz normal in ein Schloss steckt, doch dann mit einem kurzen Schlag auf den Zylinderkopf zum Öffnen bekommt.
Ein Schlag genügte und die Tür ging auf. Zielstrebig ging ich in die Küche und holte den Schlüssel für das Tor und binnen weniger Minuten stand der Wagen von dem Japaner auf dem Hof. Wir packten alles aus, was wir besorgt hatten, vor allem sehr viel Lebensmittel, denn der nächste Laden war wahrscheinlich einige Kilometer weit entfernt.
Es war kalt im Haus, aber wer glaubt, dass man einfach die Heizung hochdrehen braucht, der irrt. Ich musste nun alte Kohleofen in Gang bekommen, doch davor hatte ich keine Angst, auch wenn ich so was nur gesehen hatte. Herr Kubajaschi half uns bei allem sehr schnell und fleißig, was mich sehr erleichterte, denn die Kinder waren durch das Haus völlig aufgeregt und rannten hin und her.
Innerhalb einer Stunde lief der Kühlschrank, der Ofen im Wohnzimmer strahlte Wärme aus, ebenso im ersten Stock, wo die Schlafzimmer waren. Dort hatte ich die Qual der Wahl, entweder konnte ich einen sehr guten Ölofen in Betrieb nehmen, oder den Kohleofen. Doch Herr Kubajaschi sagte, das Kohle bei Weitem nicht so teuer sein würde, also nahm ich diesen Rat an.
Michelle bezog gerade die letzten Betten und in mir kehrte langsam Ruhe ein. Ich schaute mich um. Das Haus hatte ich zuletzt in den 80 gern von innen gesehen und seither hatte sich einiges getan. Es gab eine komplett neue Küche, es war renoviert worden und die Möbel waren ebenfalls ausgetauscht worden. Zumindestens die Couch und der Sessel. Alles andere war so geblieben. Ich ging in die obere Etage, wo sich gar nichts geändert hatte, alles war so, wie ich es in Erinnerung hatte. Die Gerüche … sie strömten auf mich ein und innerhalb von Millisekunden erschienen mir vergangene Zeiten, wie ich sie damals erlebt hatte. Doch musste ich mich auf das hier und jetzt konzentrieren. „Frau Kelch, wenn alles soweit klar ist, dann fahr ich jetzt wieder los, das heißt, ich nehme mir ein Taxi, Sie brauchen hier ja das Auto.“
Ich nickte ihm nur stumm zu, als Michelle mich aus meinen Gedanken riss. „Mamma gibt es hier auch KIKA? Oder Super RTL?“ Ich stockte, diese Frage hatte ich nicht erwartet. „Ich glaube nicht, aber wir können ja mal gucken.“ Ja, ich musste meiner Erinnerung Recht geben, hier gab es nur drei Programme, aber mir machte das überhaupt nichts aus, konnte ich doch diese Flimmerkiste noch nie gut leiden. „Michelle, es gibt hier einige Bauernhöfe, wo ihr bestimmt mal die Kühe angucken könnt oder auch helfen, bestimmt.“ Etwas beleidigt zog sie ab, aber dafür hatte ich jetzt keinen Sinn. Sven hingegen stand ganz begeistert im Wohnzimmer und betrachtete sich die alten Jagdbilder, die Hirschgeweihe und all die anderen Sachen. Früher hatten meine Großeltern dieses Haus benutzt, um nicht gewollte Geschenke hier zu deponieren, nach ihrem Tod war hier einiges gelandet, was wohl nicht unter den Hammer bzw. in die Schrottpresse kommen sollte. „Frau Kelch, kommen Sie klar?“
„Ja, machen Sie sich keine Sorgen, vielen lieben Dank und gute Fahrt.“ Der Japaner verließ das Haus und ich hörte wenig später eine Taxe davon fahren, anscheinend hatte er sich mit seinem Handy ein Taxi bestellt.
Nun war ich mit den Kindern allein und atmete tief ein, was mich röcheln ließ, denn nun merkte ich erst, wie abgestanden und schlecht die Luft hier im Wohnzimmer war. Kurzerhand riss ich ein Fenster auf und roch auch an den Gardinen. Ja, sie rochen nach kaltem Rauch und Schmutz. Für einen Raucher mag dieser Geruch nichts Schlimmes sein, doch für mich war er die reinste Hölle. Im Erdgeschoss, gegenüber vom Wohnzimmer, befand sich eine Toilette, in der auch eine Waschmaschine stand. Ich ging in den Raum und eine eisige Kälte empfing mich. Tatsächlich, da stand die alte Maschine noch, sie stammte mindestens aus den Späten 80 gern, wenn nicht sogar noch aus früherer Zeit. Hoffentlich tat es das gute Stück …
Auf der Maschine selbst lag ihre Bedienungsanleitung, die ich mir rasch ansah. Das Waschprogramm konnte man verschieden einstellen und ich hatte vor, die Gardinen auf Kurzwäsche einmal durchzuwaschen, damit dieser widerliche Gestank rauskam. Waschmittel hatte ich überflüssigerweise mitgenommen, es stand noch ein gut gefüllter Bottich mit weißem Pulver da, der ziemlich nach Persil roch. Ja ja immer nur das Beste …
Wenig später sprang sprudelnd und glucksend die Waschmaschine an. Sven klammerte sich vor Schreck an mich und guckte ängstlich an mir hoch. Ich erklärte ihm, das die Waschmaschine lange geschlafen hatte und nun erstmal sich recken und strecken müsse, um wach zu werden. Das schien mein fast Zweijähriger zu verstehen. „Mamma, die Fenster sind ja wahnsinnig dreckig!“ Ich guckte sie mir an und musste meiner Tochter recht geben. Durch die lange Abwesenheit sahen die Fenster aus wie Milchscheiben, so ein Schlier saß auf ihnen.
„Ach Michelle, wer weiß, wie lange wir hier bleiben, ich bin dafür, sie so zu lassen, es ist eh noch sehr schnell dunkel, also rausgucken lohnt sich nicht.“
„Aber Mamma, ich helfe dir, das sind doch nur vier kleine Fensterchen.“ Ich seufzte. „Mir wäre es lieber, wenn wir gleich nach dem Aufhängen mal das Dorf erkunden, sicherlich hat sich einiges geändert.“
Meine Aussage, es hätte sich einiges geändert, war hoffnungslos untertrieben. Es hatte sich ALLES verändert. Kein Mensch, den ich von früher kannte, lebte noch, sie waren alle auf dem Dorffriedhof begraben. Nun waren einige Höfe zum Verkauf freigegeben und andere waren neu bewohnt. Aber wer glaubt, dass diese Menschen höflich wären, der irrt. Einer hetzte seine Hunde auf uns, als wir seinen Hof betraten und die anderen baten uns ebenfalls, ihr Grundstück zu verlassen, aus versicherungstechnischen Gründen.
Nichts war mehr so, wie ich es in Erinnerung hatte. Alles war anders. Als wir zurückkamen, hatte ich Tränen in den Augen, teils vor Wut wegen diesem dämlichen Bauern, der uns seine Hunde auf uns gehetzt hatte und dann weil ich eine Fremde in einem Dorf war, das ich seit über zehn Jahren kannte. In mir tobte ein Gefühlssturm, schlimmer als alles andere, was ich in den letzten Wochen erleben musste. Und es sollte noch schlimmer kommen.
Wir saßen am Frühstückstisch, als es an der alten Tür klopfte. Michelle sprang auf und öffnete die Tür. „Mamma, da steht ein Polizist vor unserer Tür.“ Sofort schaltete ich, das konnte theoretisch mein Onkel Joachim sein. Mit einem mulmigen Gefühl ging ich an die Tür. „Guten Morgen, mein Name ist Hauser, ich bin Eigentümer dieses Hauses. Wie bitte kommen Sie hier rein?“ Ich blinzelte, denn vor mir stand mein Onkel Joachim. Er hatte sich Derbe verändert und war kaum wieder zu erkennen. Ihm erging es wohl genauso. Ich sprang in die Rolle sofort an. „Mit hat den Schlüssel Frau Dr. Flassen gegeben, nachdem ich sie gefragt hatte.“
„Frau Dr. Flassen ist seit zwei Wochen in Österreich …“
„Ja, ich weiß, sie schickte mir den Schlüssel schon vor drei Wochen, aber das sollte nicht stören, oder?“
Mein Onkel schaute verwirrt, dann aber nickte er. „Also gut, ich möchte Sie nur bitten, alles wieder in einwandfreiem Zustand zu hinterlassen, wenn Sie wieder fahren. Wie lange wollen Sie bleiben?“
„Ähh, ja eigentlich hatte ich drei Wochen gedacht, oder ergibt das ein Problem?“
„Nein, alles ok, im Winter macht hier normalerweise keiner Urlaub, von daher haben Sie viel Spaß.“ Der letzte Satz war voller Sarkasmus, aber er hatte ja keine Ahnung, wer vor ihm stand. „Ich werde hier alles picobello verlassen, keine Sorge. Das habe ich Frau Dr. versprochen.“ Mit diesen Worten verabschiedete er sich und watschelte zu seinem Mercedes, in den er sich mühselig reinsetzte.
„Wer war das Mamma?“ Michelle war neugierig. „Das mein Liebling war mein Onkel. Aber wie du gesehen hast, hat er mich nicht erkannt. Gehst Du mit Sven bitte in den Garten und spielt Fußball?“ Das Mädchen verschwand mit ihrem kleinen Bruder und ich setzte mich ins Wohnzimmer und brach in Tränen aus. Was war nur geschehen, das er mich nicht mehr wiedererkannt hatte? Gut wir hatten uns 20 Jahre nicht gesehen, aber ich hatte ihn sofort wiedererkannt, wenn er auch um einiges breiter um die Hüfte geworden war. Sein Haar war auch fast verschwunden, aber dennoch er war mein Onkel.
In mir kamen die alten Tage in Erinnerungen wieder hoch, wie ich mit Joachim spielte und Spaß hatte. All das war vergessen bei ihm. Mein Herz raste und schmerzte bei dem Gedanken. Hier konnte ich nicht bleiben, ich musste an einen Ort, der neutral war, aber wie dort hin kommen, ohne viel Geld zu bezahlen? Immerhin waren wir noch offiziell arm, denn keiner wusste von dem Geldkoffer.
Wenn das Wetter nur nicht so hundsmiserabel wäre, dann hätte ich eine Auswahlmöglichkeit. Meine Großeltern hatten, nicht weit von dem Dorf entfernt, einen alten Weinberg gekauft, der von Joachim in mühseliger Arbeit sehr schön hergerichtet worden war. Doch bei dem Wetter konnte man unmöglich auf einer Wiese campen.
Kurzerhand griff ich zum Telefon und rief Herrn Kubajaschi an.
„Ich kann Sie verstehen Frau Kelch, aber fahren Sie weg, erleben Sie was. Die alten Zeiten sind vorbei. Ich habe Ihnen einen kleinen Koffer dagelassen, mi6t etwas Kleingeld, das müsste reichen, damit Sie mindestens vier Wochen klarkommen mit Museeumsbesuchen, Schwimmbädern und so weiter. Eine andere Möglichkeit sehe ich nicht.“
Tief schluckend legte ich auf. Sofort wählte ich wieder eine Nummer, diesmal unsere von zu Hause.
Ich erzählte Bernd alles, was ich fühlte und was mein Problem war mit der Erinnerung, aber auch Bernd meinte, ich sollte mich zusammenreißen und nach vorne blicken. Kaum war dieses Gespräch beendet, begann ich, das Haus zu putzen und die Fenster zu putzen – alle. Ebenso wusch ich alle anderen Gardinen ebenfalls und das waren reichlich.
Wenn man vier Wochen enthaltsam lebt, vergisst man so einiges. Aber in meinem Fall begann mein Gewissen, erst richtig Alarm zu schlagen. Drei Wochen hatten wir hinter uns gebracht, das Geld war auch fast alle. Die Kinder fühlten sich rundrum wohl. Sogar ein Bauer hatte sich bereit erklärt, die Kinder ab und an beim Füttern dabei zu haben. Nun mussten wir wieder fahren, was mir nach anfänglichen Schwierigkeiten doch schwer fiel. Hier hatte ich Ruhe und Frieden gehabt, keine neugierigen Reporter und Polizisten. Joachim kam mir wieder in den Sinn, als ich plötzlich seinen Wagen die Auffahrt hochfahren sah. Ich grüßte ihn fröhlich. Doch sein Blick war sehr ernst.
„Ja, also, ich bin zuerst echt entsetzt, das ich dich nicht wiedererkannt habe Angelika. Tut mir leid.“
Er saß am großen Esstisch und schaute sehr betrübt drein, was ich zuerst für eine Geste des Schämens ansah.
„Mir haben die Kollegen aus NRW gesagt, das du verdächtigt bist, einen Koffer im Wert von rund 24 Millionen gestohlen zu haben, was ist daran wahr?“
Ich erzählte ihm die ganze Geschichte und ließ natürlich die wahren Begebenheiten raus. Er glaubte mir sofort.“Es ist wegen diesem Koffer eine bundesweite Fahndung rausgegeben worden, jeder Mensch wird mit einem silber farbenen Koffer gefilzt, egal wie groß oder klein er ist, es ist irre. Vier Kollegen stehen wegen Korruptionsverdacht vor Gericht. Diese Geschichte zieht Kreise.“ Ich winkte müde ab. „Joachim sei mir nicht böse, aber ich möchte davon nichts mehr hören, immerhin habe ich wegen den Scheiß Yakuza jetzt jede Menge Ärger am Hals und das für vier Minuten Film!“ Er lachte und schaute mich arrogant an. „Ich werde dann mal gehen, wie gesagt, wenn du was weißt, meine Adresse hast du ja.“ Mit diesen Worten verschwand er und ich beschloss, das Gleiche zu tun. Die Kinder wehrten sich mit Händen und Füßen, doch mein Entschluss stand fest. Wir sollten wieder nach Hause fahren, zumal ich auch nagendes Heimweh hatte. Wir machten das Haus soweit sauber und dann ging es mit dem Auto zurück nach NRW.
Achtzehntes Kapitel: wer zuletzt lacht…
Bernd war heilfroh, dass ich wieder da war und mir erging es genauso. Nachdem die Taschen wieder ausgepackt waren, erzählte er erstmal, was alles passiert war. Herr Kubajaschi hatte es tatsächlich geschafft, die Yakuza davon zu überzeugen, dass wir über alle Berge wären mit dem Geld. So hatten diese Typen Bernd gar nicht aufgesucht. Dieser Japaner stand tief in meiner Schuld.
Ich erzählte ihm ebenfalls, was wir alles in Hessen gesehen und erlebt hatten, es war bei Weitem nicht so viel aber mir hatte es vollkommen genügt.
„Mensch bin ich froh, dass dieser Horror wegen diesem Koffer vorbei ist. Diese Angst, immer irgendwo ein Schlitzauge zu sehen ist nicht sonderlich toll, das kann ich dir sagen.“ Bernd reckte sich. Ich guckte ihn nur an und nickte langsam. „Bernd mein Schatz tust Du mir einen Gefallen? Geh mal mit den Kindern ins Kinderzimmer und komme nicht vorher raus, bevor ich euch rufe, ok?“ Mein Mann schaute mich fragend an. „Vertrau mir, du wirst dich freuen, es ist eine Überraschung.“ Schließlich ging er mit den Kindern in das Kinderzimmer von Sven und schloss die Tür. Ich hingegen zog mir Handschuhe an und ergriff die Kinderschaufel, die auf der Terrasse lag, und begann zu buddeln. Nach 15 Minuten konnte ich den Griff von dem Schweren Koffer sehen und zog ihn mit Leibeskräften aus der Erde. Die Tüte, die ich schützend über ihn gestülpt hatte, hatte tatsächlich keinen Tropfen an den Koffer rankommen lassen. Nun war der Moment der Wahrheit. Was war in dem Koffer? Seit fast 20 Wochen quälte mich diese Frage. Aber ich hatte Geduld gezeigt, wo andere nur Gier und Macht im Kopf hatten.
Ich wuchtete das Monster von Koffer auf dem Wohnzimmertisch und betete, das die Schlösser nicht verschlossen waren. Meine Gebete wurden erhört und die Schlösser schnackten gleichzeitig auf.
„Bernd, ihr könnt kommen!“
Stumm starrte er den Koffer an, der da auf dem Tisch lag. Michelle fiel der Unterkiefer runter und wollte sich nicht mehr zuklappen lassen und ich … zitterte am ganzen Leib. Dann öffnete Bernd den Deckel und zum Vorschein kamen viele Hundert Euro Scheine, gebündelt zu 1000 Euro Päckchen. „Wie …?“Mehr bekam er nicht aus seiner Kehle.
„Es ist genauso gewesen, wie es die Polizei immer gesagt hatte, in der Bar ging das Licht aus und ich schnappte mir den Koffer. Kein Mensch hat mich gesehen. Nur die Yakuza, wie ich kurz vor dem Stromausfall aufgestanden bin, das war alles.“
„Alles? Mamma, wegen diesem Koffer haben wir fast unser Leben verloren!“ Ich schaute Michelle tadelnd an. „Unser Leben war nie ernsthaft in Gefahr, das sagte nur Herr Kubajaschi, niemand sonst. Aber nun will ich wissen, wie viel wirklich in dem Koffer ist.“
Das ließ sich Bernd nicht zwei Mal sagen. Er packte die Bündel und zählte sie. Als er am Grund des Koffers angekommen war, war das zählen zu Ende, denn nun konnte man nur noch schätzen. Dort lagen auf dem Boden noch sechs große Goldbarren, die jeweils ein Kilogramm wogen. Nun war auch die Frage, warum der Koffer so ungemein schwer war, geklärt. 24 Millionen und ca.200.000 Euro in Gold waren nun in unserem Besitz. Bernd wollte es exakt wissen und ging ins Internet, um den genauen Preis für Gold herauszufinden.
Der Wert hatte ein Rekordhoch erreicht, da alles andere so schlecht stand. 500.000 Euro für ein Kilogramm Gold konnte man derzeit bekommen.
Bernd schaute mich lächelnd an und ich ihn ebenso. Schließlich ergriff er das Wort.
„Na, was sollen wir mit dem Geld nun machen?“