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Giesela
Gleich wird er sich wieder den Gin Tonic einschenken. Er liegt in der Badewanne, hat die Shampooflasche in der Hand und hört das heiße Wasser nachlaufen. Er denkt an die Sülze, die er und seine Jungs, so nannte er seine Lehrlinge in der Fleischerei, morgens zubereitet hatten. Sülze, genauso fühlte er sich, als ob er in eine wabbelige Masse Gelatine gegossen wurde.
Er trocknet sich nach dem halbstündigen wohltuenden Bad ab, geht durch seinen kleinen Bungalow, durch den mit Bambus verkleideten Flur in Richtung eines kleinen Zimmers, welches er immer abschließt wenn Verwandtschaft kommt. Den Schlüssel bewahrt er in der linken Tasche seines, in siebzigerjahre Farben gescheckten Bademantels auf. Er greift den Schlüssel, steckt ihn in das Türschloss, dreht ihn und tritt in ein kleines Zimmer. In dem vielleicht 6m² großen Zimmer steht ein alter Schreibtisch, auf ihm eine fünfzigerjahre Lampe, mit trichterförmigen Lampenschirmen. In der Mitte des Schreibtisches ein Theaterschminkspiegel. Vor dem Spiegel diverse Schminksachen, darunter Make-Up, Rouge, Lippenstifte jeglicher Couleur, Kajalstifte, eine Wimpernzange, Wimpern zum Aufkleben, verschiedenfarbige Wimperntusche, sowie Glitzerpuder und vieles mehr. Glitzerpuder hat er am Liebsten, es ist so ähnlich wie frische Leberwurst morgens in der Fleischerei zu probieren. Neben dem Schreibtisch mit den Schminkutensilien, ein Kleiderständer auf dem verschiedene Abend-, Ball- und Bühnenkostüme hängen. Auf der Fensterbank ein CD-Player, in und neben dem Gerät Madonna, die eine trällert Borderline und die Andere hält ein Jesuskind.
Er sitzt vor dem Schreibtisch, nippt an dem verdienten Gin Tonic, den er sich gerade gemischt hat und denkt an Giesela. Er greift in einen kleinen Karton unter dem Kleiderständer, nimmt eine grobmaschige Netzstrumpfhose, streift seinen Bademantel ab und zieht das Grobmaschige an. Die falschen Wimpern klebt er sich an, legt Rouge auf, nimmt den Lippenstift, diesmal ist es ein dezentes Rot und lässt seine Lippen in diesem Rot baden. Er klebt sich ein falsches Mal unterhalb seines linken Auges, mit einem Kajalstift zieht er eine dünne schwarze Linie auf seine Augenlider und setzt sich eine fuchsrote Perücke auf. Der ausgestopfte BH wird angelegt. Mit einem letzten Griff fasst er in den Kleiderständer und es kommt ein schmal geschnittenes schwarzes Abendkleid zum Vorschein. Er steigt hinein, macht es mit einem Reißverschluss an der Seite zu.
Nachdem er mit seiner gewohnten abendlichen Arbeit fertig ist, verlässt er dieses kleine 6m² große Zimmer. Er stellt sich in den Flur vor den etwa 2m großen Garderobenspiegel, begutachtet sich, ist mit sich zufrieden und steigt in die schwarzen Hochhackigen. Neben der Wohnungstür hängt ein roter Kunstpelz, das gleiche Rot wie seine Perücke, er zieht sich den Pelz an, geht in die Küche und setzt sich an den Küchentisch. Er holt ein kleines durchsichtiges Tütchen mit weißem Inhalt aus seiner Handtasche, die auf dem Küchentisch steht, kramt weiter in ihr herum und findet seine Kreditkarte. Das Mouspad, welches auf dem Kühlschrank liegt benutzt er als Unterlage. Er zieht sich zwei Linien, in jedes Nasenloch eine, lässt es auf sich einwirken, steht auf, verlässt die Küche, grinst euphorisch in den Garderobenspiegel, zwinkert sich zu, sieht den Rentenversicherungsbescheid auf dem Garderobenspiegeltischchen, macht die Haustür auf und geht einige Schritte.
Er kommt am Betonmischer, an dem er nach der Arbeit noch gestanden hatte, um seine Garage fertig zu machen vorbei, und betritt die offene Straße. Die Nachbarn kommen ihm entgegen und schauen ihn entsetzt an. Er aber geht an ihnen vorbei und ist stolz auf Giesela.
Giesela liebt sich.