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Giuseppe Fascioli geht in die Großstadt
Das faltige Gebirge mit den fast abgegrasten Hängen und den durchsichtigen Bächen war seine Heimat. Giuseppe Fascioli war ein Ziegenhirt. Das ganze Jahr streunte er mit seiner Herde in dem kargen Gebirgsmassiv herum. Nur abends stieß er auf Gleichgesinnte in der steinigen Berghütte, unterhalb des Passes. Sie waren vier an der Zahl, die sich bei Einbruch der Dämmerung in dem kleinen Verschlag einengten. Obwohl Giuseppe der Älteste von ihnen war, besaß er nur eine sterile Ahnung vom Leben fern seiner Welt. Während die andern von der Großstadt erzählten, von Autos, hohen Häusern und schönen Frauen, blieb Giuseppe nur das Zuhören übrig. Doch an diesem Abend war alles anders. Der Padrone hatte Giuseppe vorgeschlagen, wenn er heute Abend mit der Herde ins Dorf hinunter pilgert, um die Tiere zu melken, ja dann könnte er nach getaner Arbeit, am nächsten Morgen mit dem Bus für einen ganzen Tag in die Großstadt fahren. Vor seiner Abfahrt gaben ihm seine Freunde noch gute Ratschläge mit auf den Weg.
Der Morgen kam und der amtsmüde Bus wartete mit knarrendem Motor und aufgerissenen Türen auf seine Kundschaft. Giuseppe hatte einige Brote, die er mit Ziegenkäse bestrichen hatte, eingepackt und ein wenig Geld trug er auch bei sich.
Die anfangs holprige Fahrt verlief ohne Zwischenfall. Dann wurde der Belag fester und glatter. Die Stadt war endlich in Sicht. Die Kameraden hatten Recht, überall Autos, links, rechts, vorne, hinten, so als würde er sich inmitten seiner Ziegenherde wiederfinden.
Den ganzen Tag flanierte Giuseppe ziellos durch die Stadt. Dabei besuchte er ein kleiner Palazzo, der eine schmeichelhafte Kopie eines berühmten Palastes aus Florenz darstellen sollte. Er schritt über die karminrot bepflasterte Piazza Grande, die umringt war von prächtigen öffentlichen Gebäuden. Hier tauchte er in einen Wirrwarr von Menschen ein, die wie Ameisen zwischen den einzelnen Gebäuden strömten. Doch seine Ruhe fand Giuseppe schlussendlich beim Betreten einer kleinen aus Granitsteinen bebauten Kirche aus der Spätrenaissance.
Zufrieden mit seiner Ballade kutschierte Giuseppe mit dem Bus in sein Dorf zurück. Noch am gleichen Abend kraxelte er hinauf auf den Berg. Hier erwarteten ihn bereits sehnsüchtig seine Kameraden und überfielen ihn mit allerhand Fragen. Giuseppe verstand die Aufregung nicht. Da martern sie ihn mit Fragen, dabei müssten sie die Stadt doch schon kennen, so oft sie schon davon geredet haben. Da ging ihm ein Licht auf. Da hatten sie ihn doch glatt all die Jahre angeflunkert.
Giuseppe fühlte sich nun besonders geehrt, denn er konnte ihnen unverblümt aus erster Hand berichten. Er erzählte ihnen von Häusern, die so hoch waren, dass man ihre Dächer nicht sehen konnte, von mächtigen Denkmälern, von sauberen Straßen und schönen Frauen. Am Ende fragte jemand, ob er sich ein Andenken aus der Stadt mitgebracht hätte. Stolz grapschte Giuseppe in seine Hosentasche und legte vorsichtig einen kleinen runden Käse auf den alten Tisch.
Zuerst blieben alle stumm bis Pietro das Wort ergriff:
„Du hast einen Käse mitgebracht?“
„Ein Ziegenkäse!“, berichtigte Giuseppe stolz.
„Aber Fascioli, was soll dass?“, wiederholte Pietro und gestikulierte aufgeregt mit den Händen, „du gehst in die Stadt, du erzählst uns von den wunderschönen Sachen, die du in den Fenstern sahst, und kehrst, zurück mit einem … Ziegenkäse, den wir fast täglich verspeisen.“
Giuseppe aber lachte nur und meinte:
„Hört Freunde! Als ich in der Stadt war, stand ich für eine kurze Zeit vor einem kolossalen Reiterdenkmal. Ich musste sehr weit nach hinten treten, bis ich das Denkmal in seiner ganzen Pracht bewundern konnte. Dabei hatte ich mich ungewollt dem Fenster eines Käseladens genähert. Der Inhaber des Ladens kam heraus und sprach mich an.“
„Was wollte der Käsemann von dir?“, fragte Pietro neugierig.
Giuseppe erklärte, dass der Besitzer nur wissen wollte, aus welcher Gegend er herstammen würde.
„Ich sagte es ihm und erwähnte nebenbei, dass ich Ziegenhirt wäre, das gefiel ihm besonders. Er lud mich daraufhin in seinen Laden ein. Dort stand eine riesige Käseglocke. Daraus nahm er diesen Käse“.
Giuseppe hielt ihn zwischen Daumen und Zeigefinger fest, zeigte ihn stolz in der Runde und zu Rino gewandt sagte er:
„Lies was drauf steht“.
„Aber Giuseppe, du weißt doch, ich kann nicht lesen genauso wie du“, antwortete dieser ein wenig beschämend.
„Gib her“, sagte der bärige Pietro.
„Du kannst lesen?“, entfuhr es Rino.
„Ich habe schließlich das dritte Schuljahr gemacht“, antwortete Pietro und war ziemlich stolz dies zu verkünden.
Er rückte nun näher an die Feuerstelle, um genügend Licht zu erhaschen. Gebannt warteten die andern darauf, dass er das Wort ergreifen soll. Aber Pietro machte sich ziemlich schwer dran, den Text zu entschlüsseln. Endlich nach mehrmaligem Räuspern verkündete er die Botschaft.
„Giuseppe, ich bin stolz auf dich, von all den schönen Sachen, die du in der Stadt gesehen hast, bliebst du bescheiden und hast diesen Käse mitgebracht. Es ist ein Dank an uns alle, an die Ziegenhirten der Region. Dieser Käse trägt den Namen unserer Gegend Monte Capricio, er wurde aus der Milch von deinen, von seinen, von meinen, von unseren allen Ziegen hergestellt. “
„Das soll alles auf diesem kleinen Käse stehen?“, meinte Rino verwundert.
„Nein du Depp, nur dass die Milch von Ziegen aus dieser Region stammt“, belehrte ihn Pietro.
Alle hatten es verstanden auch Rino, der sich das Bild der Ziege auf dem Käse einen Moment lang genauer ansah und dann ganz ernst meinte:
„Ohne Zweifel, sie hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Antonietta, meiner Lieblingsziege“.
Sie sahen alle verdutzt auf den Käse, dann auf Rino und plötzlich brach ein herzvolles Lachen aus, das weit bis unten im Tal zu hören war.