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Gleis 9

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24.04.2007
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Gleis 9

Langsam bog er in seine Straße ein, fast automatisch, wie immer wenn er in Gedanken versunken durch die Stadt streifte.
Doch diesmal war es anders. Diesmal trieb ihn keine innere Unruhe wie sonst in die kühle Herbstnacht.
Diesmal war es anders...

Diese Leere und Kälte hatte er noch nie gespürt.
Die Augen auf den Boden gerichtet schlich er an seiner Wohnungstür vorbei. Fast wie in Zeitlupe liefen seine Gedanken ab, folgten seine müden Schritte mehr dem leichten Gefälle der Straße, als dem eigenen Antrieb.

Der Anruf.
Immer wieder hämmerten sich die Worte in sein Hirn.
So kühl gesprochen, so sachlich und im Augenblick der Wahrheit mit einer Spur Zurückhaltung. Im Leben hätte er sich das nicht vorstellen können. Zu oft hatte er sich etwas vorgemacht, geglaubt, ihm könne das nicht passieren.

Seit dem Anruf schlich er nun durch die Stadt, ohne Ziel, überquerte die Straßen ohne hinzusehen.
Nur einmal musste ein Auto bremsen.
Wütend stieg der Fahrer aus und verstummte sofort als sich ihre Blicke trafen. Wortlos, mit einer kurzen Geste des Verstehens stieg dieser wieder ein und fuhr davon.

An der Laterne auf der Brücke blieb er stehen, geisterhaft beleuchtet, mit dem Hauch des kühlen Windes vor dem Mund.
Langsam steckte er sich die Zigarette an und sog gierig den Rauch in seine Lungen.
`Wie immer`, dachte er, wie immer...

Er ahnte das es genau das war.
Seit einigen Wochen war sie da, die innere Unruhe. Täglich griff sie nach ihm, wie ein eisernes Band schnürte sie ihm die Kehle zu.
Müde lehnte er sich auf das Geländer vor ihm, blickte hinunter auf die Gleise.
Kalte glitzernde Stahlbänder die sich scheinbar vom Nichts ins Nirgendwo erstrecken.

Ein paar Schritte weiter stieg er den Damm hinunter, lief am Güterschuppen vorbei und trat auf die Gleise. Irgendwo tauchte ein Licht auf, kam langsam näher.
In diesem Augenblick erschien ihm das Licht wie eine Erlösung. Warm und hell strömte es in seine Gedanken, löschten alle Ängste aus.
Es suchte ihn, genau zu diesem Zeitpunkt.
Nun empfand er die Leere in sich als wohltuend, konnte er endlich frei atmen, musste nicht mehr denken.
Mit ausgebreitete Armen empfing er das sich nähernde Licht.

Das kreischene Geräusch um ihn hörte er nicht, spürte schon nicht mehr wie ihn das grelle Licht in seine Arme nahm und mittriss...
---------------
Ein Mann verlässt gerade sein Auto, schliesst es sorgfältig ab und geht auf das Bahnhofsgebäude zu.
Ein langer Tag steht ihm bevor, Frühschicht. Noch 10 Minuten bis sein Zug kommt. Zeit für eine Zigarette und ein Blick in die Zeitung.

'Komischer Typ vorhin auf der Straße' denkt er.
Er wusste nicht was es war, dass ihn sofort verstummen lies als er in seine Augen sah. So leer und doch irgendwie so unglaublich vielsagend...
'Vielleicht Drogen, wer um die Zeit schon draußen rumläuft...'
Einen kurzen Augenblick nur denkt er darüber nach, dann widmet er sich wieder seiner Lektüre.

Das Signal für die Gleisdurchsage erklingt...
'Aha, mein Zug'
Sorgfältig faltet er die Zeitung zusammen und drückt die Zigarette aus.
Plötzlich stockt seine Bewegung, die Hand beginnt zu zittern als die Zeitung von seinen Knien rutscht.
Mit bleichem Gesicht lauscht er der Durchsage...

"Meine Damen und Herren an Gleis 9, aufgrund eines Personenunfalls auf der Strecke fällt der Zug Nummer xxx in Richtung Rxxxx, planmäßíge Abfahrtszeit 3:50 Uhr, heute leider aus. Für Reisende in Fahrtrichtung Rxxxx besteht die Möglichkeit....."

Den Rest der Durchsage hört er nicht mehr, auch nicht die Stimmen der anderen.
"So ein Mist, schon wieder zu spät ins Büro, sch..."
"Verdammt, müssen die Leute immer dann vor den Zug fallen wenn ich zur Arbeit muss...?!"

Niemand sieht seine Augen, sieht den Moment des Verstehens in seinem Blick.
Plötzlich kann er lesen,
wie in einem Buch.
Lesen, was er in den Augen des anderen sah...

 

Hallo Spiegelwelten,

und herzlich Willkommen auf kurzgeschichten.de.

Einen Erstling über einen Suizid zu posten ist schonmal, nun, gewagt. Nicht, weil es thematisch so frisch, ggf. innovativ wäre, sondern ob des genauen Gegenteiles...
Du versuchst, durch den Perspektiv- und Tempuswechsel ein bisken frisches Fleisch an einen sowas von abgenagten Knochen zu kriegen, und dieser Dreh kann mir gefallen, viel besser jedoch in einem anderen Kontext :) Das Stilmittel alleine adelt den Text nicht, er schwächelt nicht nur am Thema.

Du gibst ein paar Andeutungen über Hintergründe, die diese ein wenig plastischer gestalten sollen, doch diese Reduktion trägt nicht, vielleicht weil z.B. eine Information wie

Der Anruf.
Immer wieder hämmerten sich die Worte in sein Hirn.
zwar eine Richtung andeutet, einen Grund andeutet, eine Motivation für den Prot, doch zum einen ist es so nicht glücklich formuliert, oder hämmerten ihm die Worte "Der Anruf" im Hirn ? Besser wäre, wenn sich ihre oder seine Worte in sein Hirn hämmern, und dann entweder kein Wort mehr darüber zu verlieren oder es deutlicher zu machen, daß dieses offenbar der Auslöser, wenn nicht sogar die Ursache sind.
So bleibt Dein Prot nicht nur blass sondern konturlos, er lebt in einer tristen Welt und sieht das Licht, endlich ändert sich etwas. Da bleibt kein Gedanke an ihn beim weiterlesen, zumal dann ja Prot #2 kommt, der inkonsistent beschrieben, charakterisiert wird und insgesamt auch blass ist. So sind es also zwei Blaupausen, ein Selbstmörder und ein Zuschauer, das ganze ohne erlesbares Interesse an den Charakteren oder Situationen.

Nimm Dir mehr Zeit dafür, sie zum leben zu erwecken, die Schauplätze auszuleuchten, im ersten Abschnitt hast Du ein paar gute Bilder und Betrachtungen drin, im zweiten entdecke ich nicht eine. Warum beschreibst Du nicht mehr von seiner Innenwelt und der Aussenwelt. Wenn er in seinen Augen wie in einem Buch lesen konnte (im übrigen wieder ein starker Schluss im Vergleich zu dem absatz davor), dann will ich diese Aussage als Konklusion selber begreifen, spüren, so klingt es nach Pathos und unglaubwürdig. Weil das was Du beschreibst nicht in mir entsteht, weil ich es nicht vorher erlesen kann, begreifen.

Da sollte mehr drin sein, das glaube ich manchen Formulierungen von Deinem Erstling, lies herum, schau Dir Geschichten an (und dabei auch manche Suizidstory...) und wie andere Autoren einen Spannungsbogen aufbauen, Charaktere zeigen, das ist sehr lehrreich und spannend obendrein. Und schreib weiter, probier Plots, Charaktere aus, da gibt es viele spannende, tiefe, gute und fesselnde Geschichten zu schreiben, mit schier unendlichen Mengen von Themen.

Langsam bog er in seine Straße ein, fast automatisch, wie immer wenn er in Gedanken versunken durch die Stadt streifte.
immerKOMMA
Die Augen auf den Boden gerichtet schlich er an seiner Wohnungstür vorbei.
gerichtetKOMMA
Er ahnte das es genau das war.
ahnteKOMMA dass!!
Kalte glitzernde Stahlbänder die sich scheinbar vom Nichts ins Nirgendwo erstrecken.
StahlbänderKOMMA
löschten alle Ängste aus.
das Licht löschte alle Ängste aus
spürte schon nicht mehr wie ihn das grelle Licht in seine Arme nahm und mittriss...
mehrKOMMA
'Komischer Typ vorhin auf der Straße' denkt er.
Straße'KOMMA
Er wusste nicht was es war, dass ihn sofort verstummen lies als er in seine Augen sah.
liesKOMMA
'Vielleicht Drogen, wer um die Zeit schon draußen rumläuft...'
Wieso kommt ein Malocher der Frühschicht nicht auf die Idee, daß es ebenfalls ein Arbeitnehmer ist ? Diesen Gedanken glaube ich so einfach nicht, der wirkt unlogisch.
Plötzlich stockt seine Bewegung, die Hand beginnt zu zittern als die Zeitung von seinen Knien rutscht.
Mit bleichem Gesicht lauscht er der Durchsage...
Auch hier glaube ich die Reaktion nicht, besonders, weil er ein paar Sätze später erklärt, daß der Zugsuizid ihm häufiger begegnet, ebenso wie die Zugverspätung. Und da kriegt er jedesmal das Zittern ??
... fällt der Zug Nummer xxx in Richtung Rxxxx ...
"xxx" ist literarisch nichtmal altbacken, es ist schlicht sinnlos. Dargestellt wird ja keine journalistische Tatsachenbeschreibung, bei der reale Menschen geschützt werden müssen, und wenn Dir an einem Beliebigkeits-Effekt gelegen war, den versaust Du, indem Du alles ausixt. Warum hat der Bahnhof keinen Namen, der Zug keine Nummer, es liest sich verschämt, wo doch nichts zu schämen ist...

Grüße,
C. Seltsem

 

Hallo Spiegelwelten,

C. Seltsem hat schon die meisten Dinge angesprochen, die auch mir aufgefallen sind.

Deine Geschichte liest sich nicht schlecht - aber es bleibt auch nichts davon hängen. Es wird nur ein paar Tage dauern, bis ich alles vergessen habe.
Wie Seltsem schon sagte, ist das Thema als solches kein Neues (hehe, ich wette, dass fast jeder hier eine Selbstmordgeschichte geschrieben hast) und auch die Umsetzung ist trotz des Perspektivenwechsels auch nicht innovativ.

Im Grunde genommen lässt mich das Schicksal des Protagonisten kalt - hauptsächlich, weil ich nichts über ihn erfahre. Du deutest nur an, dass es wohl einen Vorfall (Anruf) gab und der Protagonist aufgrunddessen verzweifelt ist - ich weiß weder etwas über diesen Vorfall noch über das Leben des Mannes.

Und gerade durch eine gute Charakterisierung werden viele Geschichten ja erst so richtig lebendig. Gib deinem Mann einen Hintergrund - gib ihm eine Familie, eine Vergangenheit etc. - und auch den Grund, der ihn zum Selbstmord treibt, solltest du ein wenig ausleuchten. Es muss ja etwas sehr Schlimmes gewesen sein (und vermutlich hatte er schon lange vorher Probleme), dass ihn zu diesem Schritt treibt. Und all das fehlt in deiner Geschichte.

Jedenfalls bin ich mir sicher, dass du aus dieser Geschichte noch einiges herausholen kannst.

Lieben Gruß, Bella

 

Hi Spiegelwelten,

möchte dich nicht mit Wiederholungen langweilen, ich bin der gleichen Auffassung wie Seltsem und Bella.

Gruß Weltflucht

 

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