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Godot wartet

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29.01.2010
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Godot wartet

Vor einiger Zeit bezog ich eine Wohnung an der Nietzschestrasse, zwischen Flughafen und Stadtmitte gelegen. Die Häuser in dieser Strassenzeile wirken eher klobig, aber es ist keine verkehrsreiche Durchgangsstrasse, was für mich ausschlaggebend war.

Erst nach vierzehn Tagen, fiel mir der Hund am Fenster am Haus gegenüber auf. Er hockte dort und schaute auf mich hinab. Wann immer ich kam oder ging, beobachtete er mich. Sein faltiges Gesicht wachsam auf mich gerichtet.

Anfänglich löste es in mir höchst unangenehme Gefühle aus. Sinneseindrücke, wie wenn eine Überwachungskamera konstant in meine Privatsphäre Einblick nähme, durch die Beobachtung abschätzend, welche Gewohnheiten mir eigen sind und wer in meiner Begleitung ein und aus ginge. Ich versuchte es mit unregelmässigem Erscheinen und Weggang. Doch der Hund war auf der Lauer, selbst am späten Abend. In der Dunkelheit war er mehr erahnbar als wirklich erkennbar. Einzig, wenn im Raum hinter dem Fenster ein Licht brannte, sah man verräterisch seine Silhouette. Schlafen ging er wohl nur, wenn er mit Sicherheit annahm, er könne mich nicht verpassen.

Es hat aber auch etwas Angenehmes, dass man erwartet wird, wenn man nach Hause kommt. Diese Empfindung stieg in mir auf, als ich einmal an einem nasskalten Regenabend in die Strasse einbog, meinem Hauseingang zueilend ihm einen kurzen Blick zuwarf. Er schaute mich mitleidsvoll an, selbst im Trockenen sitzend. Das veränderte meine Beziehung zu ihm. Ich hatte schon mal daran gedacht, ihm die Zunge herauszustrecken oder ihm den Mittelfinger zu zeigen. In Gedanken bat ich ihn nun um Entschuldigung, auch wenn ich es gar nicht ausgeführt hatte. Aber schon die Tatsache, dass ich überhaupt so etwas in Erwägung zog, erzeugte mir nun Scham.

Am nächsten Morgen, als ich das Haus verliess, nickte ich ihm knapp zu. Ich glaube, er hatte den Kopf auch leicht bewegt. Seinen Blick vermeinte ich auf meinem Rücken zu spüren, als ich die Strasse hoch ging, bis ich in die Schleiermacherstrasse abbog.

So ging es nun fortwährend, er begrüsste mich, wenn ich nach Hause kam, und verabschiedete mich, wenn ich wegging.

Zufällig sah ich mal in einer Zeitschrift ein Foto eines Hundes, das ihm sehr ähnlich sah, nur in den farblichen Zeichnungen gab es Unterschiede. Da mir seine Zeichnung gut in Erinnerung war, konnte ich dies mit Sicherheit sagen. Seine Brust und die Vorderbeine sind Weiss. Um die Augen und den Kopf hinaufziehend ein warmer Braunton, die Nase Schwarz darum eine dunkle Schattierung ins Weisse übergehend, die ganze Rückenseite ein falbes Braun. Der Hund im Bild hatte jedoch auch Rot. Aber jetzt wusste ich, er gehört zur Rasse der englischen Bulldogge.

In einer Bibliothek nahm ich Einblick in ein Buch über Hunderassen. Was da über sein Wesen geschrieben stand, war interessant. Der äussere Eindruck, die bullige Schnauze täuscht, es ist ein gutmütiger Hund. Meine Sympathien für den Nachbarshund stiegen mit diesem Wissen noch.

An einem Morgen, ich war später als üblich dran, war der Fensterplatz verwaist. Ich blieb stehen und schaute, ob er nicht doch noch erscheinen würde. Die Minuten verstrichen, ohne dass er mich verabschieden kam. Da fiel mir auf, dass an den Fenstern die zur gleichen Wohnung gehörten, die Vorhänge entfernt waren. Es erfüllte mich mit Besorgnis, da ich den Grund dieser Veränderung nicht kannte. Waren die Mieter vielleicht am frühen Morgen ausgezogen? Ich kam in Versuchung nachfragen zu gehen, doch beliess ich es dann dabei, an der Haustüre auf die Namensschilder der Mieter zu sehen. Der Anordnung nach musste es das Namensschild unten rechts sein. Es war nicht entfernt, »H. Meyer« war da zu lesen.

Tagsüber kamen mir immer wieder Gedanken auf, weshalb der Hund heute nicht am Fenster war. Möglicherweise hatte er geschlafen oder war auf einem Spaziergang, dies musste ja auch sein. Ob er wohl krank war? Diese Überlegung beunruhigte mich wieder.

Im Telefonbuch suchte ich den Eintrag von H. Meyer. Herbert Meyer, Generalintendant, war unter der Adresse eingetragen. Ich wählte die Telefonnummer, legte nach mehrmaligem erfolglosen Klingeln dann aber auf. Herr Meyer war anscheinend nicht zu Hause. Was hätte ich auch sagen sollen? Wie geht es ihrem Hund? Ich hatte ihn heute Morgen am Fenster vermisst. Er würde mich wohl für etwas verwirrt halten.

Am Abend eilte ich schnell nach Hause. Schon beim Einbiegen in die Nietzschestrasse spähte ich auf das Fenster. Bereits aus einiger Entfernung konnte ich die Konturen ausmachen, er thronte da und wartete. Freudig schritt ich aus, den Blick auf ihn gerichtet. Er wirkte wohl etwas blasiert, doch liess er mich nicht aus den Augen. Ich war überzeugt, dass auch er sich freute, mich zu sehen. An der Haustüre drehte ich mich nochmals um, die Hand kurz zum Gruss erhebend.

Beim Einkauf in einer Metzgerei in der Innenstadt kam mir die Idee, ihm eine Freude zu bereiten, einfach so, aus reiner Sympathie. Ich kaufte einen mittelgrossen Knochen, an dem er eine Weile zu nagen hätte.

Eine Notiz falls niemand zu Hause wäre hatte ich vorbereitet und würde den eingepackten Knochen an die Wohnungstüre von Herrn Meyer hängen. Mein Herz klopfte etwas, als ich die Klingel betätigte. Ob er wohl bellen würde? Ich hörte Schritte, die Tür öffnete sich. Mir gegenüber stand eine ältere, elegant gekleidete Dame mit schlohweissem Haar, mich freundlich fragend anschauend. «Helmut Lange», stellte ich mich vor. «Ich wohne im Haus gegenüber und kenne Ihren Hund, der zuweilen im Fenster sitzt. Ich finde es so schön, wie er mich jeden Tag begrüsst und verabschiedet. Deshalb würde ich ihm gerne einen Knochen schenken.» Sie war eindeutig verblüfft, wie ich ihrem Gesichtsausdruck entnahm, doch dann trat ein Lächeln ein.

Sie bat mich einzutreten und führte mich in ein Arbeitszimmer. Da thronte er auf dem Fenstersims, hinausschauend.

«Den Hund hat mein verstorbener Mann, der Intendant am Theater Bremen war, von einem Schauspieler geschenkt erhalten. Dieser kaufte ihn in Vallauris, als er dort war um das Grab von Jean Marais, einem namhaften französischen Schauspieler, zu besuchen. Er überreichte den Hund meinem Mann mit den Worten: Hier ist Godot. Sie hatten einmal das Stück ‚Warten auf Godot’ von Samuel Beckett gespielt. Bei einem Umtrunk nach der erfolgreichen Vorstellung hatte die Theaterequipe darüber gescherzt, wie Godot sich wohl präsentierte, wenn er erscheinen würde.»

Frau Meyer erhob sich und bemerkte lächelnd, «ich finde es schön, welchen Eindruck der Hund auf Sie macht: Godot wartet». Mit diesen Worten war sie ans Fenster getreten, ihre Hand über den Kopf des Hundes streichend. «Begrüssen Sie ihn», wandte sie sich an mich und machte Platz. Ich liess meine Hand über seinen Kopf streichen, das kurze raue Haar verspürend. Godot bewegte sich nicht. Plötzlich wurde mir bewusst, dass er sich kalt anfühlte, ohne Körperwärme.

«Vallauris ist eine Kleinstadt, die auch für ihre Keramik bekannt ist. Godot ist, so lebendig und real er auch wirkt, aus Keramik», äusserte Frau Meyer sanft.

Als ich am nächsten Morgen das Haus verliess, schaute ich instinktiv hinüber. Er hockte da und schaute mich an. Ich nickte ihm zu und ging mit dem vertrauten Gefühl und dem Wissen, Godot wartet.

 
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Ja, das ist fein, um einen Freund zu wissen, der auf einen wartet, oft sogar der einzige ist, der sich richtig freut, wenn man kommt*,

lieber Anakreon,

und es ist eine angenehm einfache Gestaltung und doch zugleich die Umkehrung des Wartens auf Godot. Auch wie das anfänglich >unangenehme Gefühl< gegenüber dem Unbekannten langsam in Gewohnheit & Erwartung bis hin zu Interesse und Sorge sich wandelt, was aber keineswegs Vernunft unterdrückt, denn es ist gut, den Telefonhörer wieder aufzulegen, wenn man - eigentlich - nix zu sagen hätte.
Gleichwohl kommt's noch zur Bekanntschaft - alles durch stille Freundlichkeit, die in Freundschaft sich wandelt mit dem gleichen Effekt wie in Becketts Text.

Mir gefällt's!, dennoch muss ich um die Rettung des ß beben ... Schweizer Tastatur? da hätt's sich von selbst erledigt. Aber warum so viele würde-Konstruktionen?
* Mein einleitender Satz sollte auch ursprünglich "das ist fein, um einen Freund zu wissen, der auf einen wartete, oft sogar der einzige wäre, der sich richtig freute, wenn man käme*, und wäre doch nicht unwürdig. Oder?

Gruß

Friedel

 

Hallo Friedel

Das Doppel s ist in Deutschland anscheinend ein emotional besetztes Thema, wie mir ein Nachlesen von deutschen Rechtschreibereformkritiken zeigte. Es ist zutreffend, dass ich auf die Schweizer Rechtschreibung eingestellt bin, die seit jeher diese Form anwendet. Da ich von meinem Naturell her zu Kompromissbereitschaft neige, werde ich mir Gedanken machen, ob ich künftig für diese Plattform den Argumenten der Reformkritiker folgen soll oder auf die eigene Identität beharre. Selbst lese ich beide Formen problemlos.

Deine Anmerkung zu den würde-Konstruktionen ist richtig bemerkt, wie mir ein Durchlesen auf diesen Aspekt zeigte.

Schön ist, dass Godot dennoch auf Sympathie stieß.

Gruß

Anakreon

 
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>Das Doppel s ist in Deutschland anscheinend ein emotional besetztes Thema< ist selbstredend,

lieber Anakreon,

mit den verflognen Tausendjahren verbunden (dass sogar das Gerücht rumging, ein Literaturpreisträger habe seinen Namen der Rechtschreib"reform" angepasst, worauf er seine Mittäterschaft als Pimpf in der Schutzstaffel eingestanden hätte. Nachdem ich mir den Gottfried Keller wie im Rausch reingezogen hab und gerade der Jenatsch des andern großen Zürchers dran ist, wär's schad, wenn Eigenheiten des Deutschen verloren gingen und zuviel Kompromiss um sich griffe. >Selbst lese ich beide Formen problemlos< trifft wohl auf jedermann zu. Beharr auf eigener Identität, denn es gibt eh allzu viele, die sich nur mehr anpassen.

"Godot", Beckett, Anakreon u. a. können gar nicht anders, als auf meine Sympathie zu stoßen. Hinzu kommt, dass ich auch an ETA Hoffmanns Sandmann erinnert werde (was aus Euch dreien einen hundsgemein guten Mix entstehen ließe), aber das wär schon wieder eine ganz andere Geschichte. Allein die Vorstellung, dass Gott (= Godot) ein Hund aus Keramik wäre ... Seltsame Vorstellung. Aber wo Idole angebetet werden, gar nicht so abwegig.

Schaun wir mal, was die nächste Geschichte bringt!

Gruß

Friedel

 

hallo anakreon,

schöne Geschichte. Sie ist sehr warm und langsam erzählt, ohne irgendwelche Effekte zu erhaschen, und hat mir gut gefallen.

Das Ende ist auch überraschend. Der Hund war aus Keramik.

gerne gelesen

mantox

 

Hallo Anakreon,

Eine schöne und rührende Geschichte, unspektakulär geschrieben, was mir gut gefällt. Es hat zwar eine Pointe am Schluss, aber der Text ist zum Glück keine öde, klassische Pointengeschichte, die nur auf Effekt aus ist.

Dein Erzählton hat mich an einige alte schweizer Autoren erinnert, es wirkt einerseits etwas antiquiert, aber andererseits hast du es konsequent umgesetzt, es liest sich nicht aufgesetzt. Ich würde die Rechtschreibung auf alle Fälle so lassen, die umgekehrten Guillemets und ss gehören genau so zur Geschichte wie der etwas veraltete, aber durchaus gepflegte Erzählstil. Ich habe mich beim Lesen in eine Zeit versetzt gefühlt, die ich selber nicht mehr erlebt habe, mir aber gut vorstellen kann. Wie soll ich das beschreiben? Ein bisschen die Welt von Dürrenmatt, Loetscher und co. ...

Liebe Grüsse,
sirwen

 

Hallo Friedel, Mantox und sirwen

Mir ist beinah etwas bange, bei den Erwartungen die meine Texte auslösen. Nicht Versagensangst, aber den Weg zu finden zwischen den „Richter(n) und sein(en) Henker(n) [Dürrenmatt]“, manchmal gar nah am Schafott vorbei, die Weite der Unbefangenheit suchend. Auch mir bleibt nur, der Weg ist das Ziel, also gehe ich ihn mit der Bürde der Befangenheit.

Euch allen sei Dank, für die bestärkenden Worte.

Gruss

Anakreon

 

hallo Anakreon,

mir hat Dein Godot auch sehr gut gefallen, wenn auch aus dem Grund, dass uns in einer früheren Wohnung ein Dalmatiner ins Wohnzimmer "spinkste". Und wir haben damals gerätselt und über diesen Hund nachgedacht.

Dann lag er eines Tages mit einem zerschmetterten Bein neben einem ebenfalls kaputten Beistelltisch unter einer versifften Matratze und wartete auf die Sperrmüll-Abholung.

Ich hoffe, Deinem Godot ergeht es nicht ähnlich!

Mir gefällt Dein Ton, werde mir noch weitere Deiner Geschichten mit Vorfreude durchlesen.

liebe Grüße,
tierwater

 

Hallo tierwater

Dass Godot bei Dir Anklang fand und eigene Erinnerungen wachrufen konnte, freut mich. Ich hoffe auch, dass sein Weg nicht der Sperrmüll sein wird. Die Hundefigur, welche die Geschichte inspirierte, sitzt neben dem kalten Cheminée und mustert kritisch meine eintretenden Besucher.

Gruss

Anakreon

 

Lieber Anakreon,

ich finde das eine schöne Geschichte zum Weglesen, doch mehr als ein bisschen allgemeine Entspannung hat sie bei mir leider nicht bewirkt. Interessanter wäre der Text in meinen Augen, würde es um ein einst lebendiges, ausgestopftes Tier handeln.

Viele Grüße,
-- floritiv.

 

Hallo floritiv

Danke für Dein Feedback. Tja, Du hast mich durchschaut, ich wollte mit der Geschichte auch nur etwas leichte Kost bieten, wenngleich subjektiv einzelne Assoziationen möglich sind.

Vor einigen Jahren war ich einige Tage als Gast an einem Ort, wo es im Wohnraum ausgestopfte Tiere im Überfluss gab. Da das Wetter hundsmiserabel war, gab es nur kurzweiliges entrinnen. Ich reiste dann mit einer Ausrede vorzeitig ab, da es doch zu bedrückend war. – Godot in solcher Form aufleben zu lassen, wäre mir so doch nahezu Traumaverarbeitung gewesen. Die Idee an sich aber erscheint mir schon wieder inspirierend.

Gruss

Anakreon

 

Hallo Anakreon,

du nimmst den Leser durch die schlichte Erzählweise an die Hand, läßt ihn den Protagonisten begleiten, seine Stimmung (und den Stimmungsumschwung) plausibel nachvollziehen. Deshalb ein angenehmer Text, nicht richtig spannend, aber mit guter Atmosphäre. Die Pointe am Schluss wirft neues Licht auf das Geschehen – auch eine eingebildete emotionale Zweiseitigkeit kann ‚wahr‘ sein (geworden sein).
Damit wird eigentlich der 'Seltsamkeitsaspekt' aufgehoben - interessant.

„Mein Herz klopfte etwas, wie ich die Klingel betätigte“

als ich die Klingel


Woltochinon

 

Hallo Woltochinon

Vielen Dank für Deine positive Einschätzung, die den Inhalt schön beleuchtet, ich nahm es gern auf. Es ging mir denn auch um die Täuschung, die nicht in jedem Fall das Falsche sein muss.

Danke auch für den Hinweis auf den bestehenden Lapsus.

Gruss

Anakreon

 

Hallo Anakreon,

ich habe deine Geschichte sehr gerne gelesen.
Das Seltsame ist, ich könnte nicht einmal genau sagen, was mir gefallen hat. Ich war irgendwie einfach gefesselt und habe mich von einem zum nächsten Satz entlang gehangelt. Das ist dir wirklich gut gelungen - wenngleich ich nicht sagen kann, wie ;)
Es war wohl eine Mischung aus deinem ansprechenenden Schreibstil und die Gedanken, die man (oder zumindest ich) sich am Ende der Geschichte macht.
Mich beschäftigt die Thematik immer noch, gerade der letzte Abschnitt.

Als ich am nächsten Morgen das Haus verliess, schaute ich instinktiv hinüber. Er hockte da und schaute mich an. Ich nickte ihm zu und ging mit dem vertrauten Gefühl und dem Wissen, Godot wartet.
Du schreibst es selbst:
ich wollte mit der Geschichte auch nur etwas leichte Kost bieten, wenngleich subjektiv einzelne Assoziationen möglich sind.
Bei mir kommen wirklich reichlich Assoziationen auf, wodurch sich deine Geschichte in mein Gedächtnis einprägt.
Ich schätze, du hast bei mir ganz subjektiv mit dieser Geschichte - wie man so schön sagt - ins Schwarze getroffen.

Gruß, Lona

 

Hallo Lona

Deine Faszination an „Godot wartet“ freut mich sehr, insbesondere auch da ich vorab und zufällig, da es aktualisiert war, zum Lesevergnügen von Deinem „Reisebüro“ kam – eine fantastisch-herrliche Geschichte.

Weshalb Godot Dich in den Bann zog, könnte ich höchstens mutmassen. Mich selbst bewegte hierbei die Idee des Imaginären, Unwirklichen, da der Mensch sich von seinen Sinnen sehr leicht täuschen lässt. Als ich die ersten Zeilen in die Tasten drückte, wusste ich noch nicht, welche Form von Erzählung daraus wird, einzig die Eigenschaft von Godot stand fest. Ich versetzte mich einfach in das surreale Erleben des Helmut Lange und liess es fliessen. Die verpackten Auslöser zu Assoziationen greifen natürlich nur individuell, da sie auf persönliche Erfahrungen und Vorstellungen der Leserinnen und Leser abzielen und ankommen oder auch nicht. Dominant sind sicher die Assoziationen für Kreatürliches und Humanes, wer da ansprechbar ist, darf sich den sich ergebenden Träumen hingeben und sie dadurch weiterdenken.

Das Lob, Dir reichlich Assoziationen verschafft zu haben, heimse ich dankbar ein, ist es doch schön zu wissen, das es mir gelungen ist, eine Freude zu bereiten.

Gruss

Anakreon

 

Ich denke, hiermit fasst du gut zusammen, was in meinen Gedanken schwirrte:

Mich selbst bewegte hierbei die Idee des Imaginären, Unwirklichen, da der Mensch sich von seinen Sinnen sehr leicht täuschen lässt.
Von diesem Standpunkt aus ist der Schluss-Absatz nämlich umso faszinierender. Das Geheimnis um Godot wurde enthüllt, eigentlich ist die "Sinnes-Täuschung" aufgedeckt; und doch ist dieses Gefühl Godot wartet weiterhin vorhanden. Godot immer noch als Subjekt und nicht als Objekt.
Emotionale Selbsttäuschung. Zumindest in meinem subjektiven Empfinden. Faszinierend.

 

Hallo Lona

Sehr schön, wie Du die Erkenntnis auf den Punkt brachtest, es ist analytisch vollbracht. Bleibt zu hoffen, dass künftige Leser unseren Austausch nachvollziehen, falls Godot Nachwirkungen auf sie ausüben sollte. Es würde ihnen den Umweg über Delphi ersparen, um das Orakel zu befragen. Am Eingang über dessen Tempel soll u. a. die Inschrift gnôthi seautón, γνῶθι σεαυτόν (Erkenne dich selbst) angebracht gewesen sein, was ein Schlüssel zu manchen Teilen unserer Selbsttäuschungen sein mag.

Gruss

Anakreon

 

Hi Anakreon,

bei dem tollen Titel habe ich mehr erwartet. Dabei stört mich weniger das Alltägliche (Seltsam ist diese Geschichte nun wirklich nicht), sondern die Erklärung des Sinnbildlichen durch Frau Meyer zum Ende hin. Die Umkehrung des Titels wäre uns sicher auch so gelungen. Das einzige Rätsel, das so bleibt, ist, warum der Keramikhund den einen Tag nicht im Fenster hockte? Das finde ich schade.

Liebe Grüße
sim

 
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Dass Godot wartet, nicht seltsam ist, stimmte mich nachdenklich. Also nichts wie auf die Couch mit ihm, den Autor gleich dazu.

Hallo sim

Spontan deute ich seltsam als etwas von der „normalen“ Wahrnehmung abweichendes, Merkwürdiges. Doch der Grenzen meines Wissens bewusst, griff ich zu Wälzern im Büchergestell und in die Tasten zu Online-Datenbanken, dem Seltsamen nachspürend. Seltsam, was sich mir da erschloss. Ich fand zwar Worte, die ich nicht unbedingt seltsam fand, doch auch so manches, mit dem ich in Gedanken den geschriebenen Text verband. Auch die folgende Deutung aus textlog.de/37602.html schien sich anzunähern: „Auffallend ist das, was von seiner Umgebung sich entschieden abhebt und dadurch plötzlich und gewaltsam unsere Aufmerksamkeit auf sich lenkt, z. B. eine auffallende Erscheinung, ein auffallendes Geräusch, ein auffallendes Benehmen, oft mit der Nebenbedeutung, daß es unangenehm berührt, verletzt.“

Nun mein zaghafter Rechtfertigungsversuch, mich rückbesinnend auf Rainer Forst, Das Recht auf Rechtfertigung, Suhrkamp TB Wissenschaft, 2007.

Die Figur Godot selbst ist nichts seltsames, ein Keramikhund, der durch ein Fenster ersichtlich ist. Also fällt für sie die Zitierung aus textlog.de zur Beweisführung dahin. Seltsam ist für mich jedoch der Ich-Erzähler, dessen Wahrnehmung ein Abbild in vermeintlicher Realität aufzeichnet, ihn emotional beeinflusst und letztlich, nach Klärung des Irrtums, diese psychische Bindung dennoch aufrecht erhalten lässt.

Doch stört Dich insbesondere die Erklärung des Sinnbildlichen. Ich denke Deine Empfindung nachvollziehen zu können, wenngleich verschiedene Dinge vorhanden sind, die in diesem Teil ein Leser subjektiv als störend wahrnehmen kann. Ich habe den Textabschnitt nochmals gelesen. Es hätte sich natürlich auf verschiedene Weise lösen können, es offen lassen wie bei Warten auf Godot wäre aber schon Abklatsch gewesen, meine ich. Den Floh hast Du mir auf jeden Fall ins Ohr gesetzt, danke dafür. Wohl hatte ich gestern infolge Vollmond bereits eine schlaflose Nacht, aber ich werde mir sicherlich noch des Langen und Breiten überlegen, ob und überhaupt und wie allenfalls eine Änderung mir opportun erscheint

Sollte der Störenfried unter den Seltsamen aber dem Anspruch, „Das "Seltsame" muss der inhaltliche Hauptaspekt der Geschichte sein, nicht eine Nebensächlichkeit“ nicht genügen, so schicke Godot auf eine letzte Odyssee unter Sonstiges, sofern er dort genehm ist, wo er dann als unverstandener Existenzialist sein Dasein fristet.

Gruss

Anakreon

 

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