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Grün

teo

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09.05.2005
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Grün

An der Ampel stand ich. Im Auto saß ich. Auf Grün wartete ich. Endlos wie mir schien. Immer muss ich länger als die anderen warten. Dachte ich. Hinter mir rollte ein schwarzer aufgemotzter Opel mit Breitreifen heran. Mein Armaturenbrett begann zu zittern und ich spürte den Bass seiner Lautsprecher in meinen Knochen. Ein Blick in meinen Rückspiegel und ich erkannte ihn. Es schaltete inzwischen auf Grün. Er hupte laut und es riss mich aus meinen Tagträumen. Der erste Gang. Wo war er nur? Kupplung zu schnell. Meine Reifen quietschten. Hinter mir wurde er nervös und ließ seinen Turbo aufheulen. Er drängelte fürchterlich. Meine Hände schwitzten und meine Knie schlotterten. Sein Bass brachte inzwischen die ganze Karosserie zum vibrieren. Endlich war ich wieder unterwegs. Ich atmete durch.
Aber er war immer noch hinter mir. Außerhalb des Ortes überholte er mit Getöse. Fast hätte er noch die Ecke meiner hinteren Stoßstange mitgenommen. Als er auf meiner Höhe war, grinste er zu mir herüber. Seine Sonnenbrille blitzte. Er zeigte mir den Finger und gab noch mal ordentlich Gas. Genau wie früher. Jetzt war ich sicher. Er war es.
Ich war froh ihn damals nie wieder sehen zu müssen. Hatte er mich nicht immer als letztes beim Fußball gewählt? Er lieh sich immer mein Radiergummi aus. Nur noch kleine Stückchen warf er mir über die Tischreihen ins Gesicht. Meine Wintermütze tauchte er regelmäßig in die Toiletten und unter dem Gelächter aller musste ich öfters ohne meine Sporthose turnen.
Er raste vorbei, schnitt scharf an meiner vorderen Stoßstange nach rechts und ließ die Bremslichter ein paar Mal hell aufleuchten. Panisch drückte ich auch auf die Bremse, während er schon wieder Gas gab. Sein Grinsen bohrte sich in meine Erinnerungen. Ich war wie gelähmt. Endlich entfernte sich die düstere Silhouette seines röhrenden Gefährts.
Wie oft hatte er mir ein Bein gestellt. Meine Knie waren blau angelaufen. Mein Schulranzen war voll mit Spinnen und mein Pausenbrot hat er vor meiner Nase genüsslich aufgegessen.
Eine langgezogene Kurve. Rechts und links lauter Bäume. Ich bremste ab. Die meisten der dicken Eichen waren gezeichnet durch zerfetzte Rinden und an der ein oder anderen Stelle standen die üblichen Holzkreuze. Holzkreuze. Er war es gewesen, der das Kreuz im Klassenzimmer zerbrochen hatte. Mir legte er die Stücke unter die Bank.
In Gedanken versunken sah ich hundert Meter vor mir seinen Wagen an der rechten Seite. Jetzt hatte es ihn erwischt. Geschieht dir recht. Irgendwann muss jeder mal bestraft werden. Auch du bist mal dran. Dachte ich.
Aber er parkte nur an der Seite. Kein Unfall. Kein verbogenes Blech und keine auseinandergerissene Haube. Er beugte sich gerade zu einem der Holzkreuze herunter und legte ein paar Blumen ab.
Ich weiß nicht warum, aber ich hielt an. Ich stieg aus. Wie ein Schlafwandler bewegte ich mich auf ihn zu. Um mich herum verschwamm Raum und Zeit. Das Vogelgezwitscher entfernte sich mehr und mehr. Er stand auf. Seine Hände strichen über sein glattgegeltes Haar. Gerade wollte er die Sonnenbrille aufsetzen, da bemerkte er mich. Zum ersten Mal grinste er nicht. Sein Blick strahlte eine mir unbekannte Ruhe aus.
„Du?“
„Ja.“
„Meine Frau!“ Er zeigte auf das Kreuz während er seine Sonnenbrille aufsetzte. Ich hörte die Autotür zuknallen und das tiefe Brummen seines Turbos.
Das Vogelgezwitscher wurde lauter und bohrte sich wieder in mein Bewusstsein. Meine Erinnerungen verblassten. Er gab Gas. Weg war er.

 

Hallo teo!

Eigentlich hat mir die kurze Szene gut gefallen. Am Anfang hab ich mir schon in Gedanken notiert, Dich wegen der vielen kurzen Sätze anzusprechen, aber im Nachhinein finde ich sie eigentlich passend. Die zwischengeschobenen Gedankenfetzen und die Erinnerungen kommen beim Leser gut an, die Gefühle des Prots werden lebendig - gut! Der Schluss hat mir auch gut gefallen. Auf der einen Seite am Holzkreuz kurz und trocken - im Verhältnis zu seinem Fahrstil und der Vorgeschichte! Dann der kurze Abschied. So schnell, wie er wieder aus der Erinnerung auftaucht, ist er auch wieder weg. Und durch das eben Erlebte gehen auch die Erinnerungen, mit ihm ... hat mir eigentlich gut gefallen!

schöne Grüße
Anne

 

Hallo teo,

eine gute Geschichte! Ich kann mich sehr gut in deinen Protagonisten einfühlen, der auf der Straße von einem penetranten Raser bedrängelt wird, und dann auch noch erkennen muß, dass dieser ein ungelibeter Mensch aus der Vergangenheit ist, der ihn in der Schule immer sehr gequält hat. Das du die Sätzte so kurz schreibst finde ich sehr passend; wenn man selber im Auto sitzt kommen einen Ereignisse immer auch sehr kurz vor (geht jedenfalls mir so).
Am spannendsten finde ich die Stelle an der dein Protagonist aussteigt und seinen ehemaligen Mitschüler gegenübersteht. Dieser zeigt sich dann von einer anderen Seite, er grinst nicht. Um aber eine weitere Unterhaltung oder gar eine Konfrontaion mit der Vergangenheit zu vermeiden, rast er mit seinem Turbo-Auto davon.
Insgesamt sehr glaubwürdig und gut geschrieben :-)

Gruß
Thomas O.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Anne und Thomas O.!

Vielen Dank für eure positive Rückmeldung. Ich weiß, dass meine Sätze manchmal sehr kurz sind. Ich möchte, dass der Leser sich die paar Worte dadurch intensiver "auf der Zunge zergehen lässt". Aber vielleicht ist das auch trügerisch, denn kurze Sätze verleiten natürlich zum schnelleren Lesen ...

Danke nochmal, :)

Gruß,
Theo

 

Hallo Teo,

ich habe bei der Aufzählung der Gemeinheiten, die der Prot abbekam, noch erwartet, dass ihm der Opelfahrer zu alledem noch die erste Freundin abspenstig macht...die den Blender auch noch heiratete...

Gute Idee und lesenswert geschrieben :).

Eins fiel mir noch auf:

Silhouette

Lieber Gruß
ber

 

Hallo bernadette!

Danke für deine Idee! Vielleicht bau ich es noch ein. Danke auch für die Korrektur von Silhouette! Nachdem mein PC das Wort unterkringelt hatte, habe ich über die PC-Korrektur nach der richtigen Schreibung gesucht .... aber leider gibts das Wort nicht! Dann wollte ich zum Duden greifen ... der liegt gerade im Wohnzimmer und ich hätte von meinem Arbeitszimmer zwei Stockwerke hinunterpoltern müssen ... faul wie ich bin, war mir das einfach zuviel! So ist das eben. Ich werds ausbessern! :)

Grüße,
Theo

 

Hallo Theo,

mir hat der Inhalt deiner Geschichte sehr gefallen. Die Vergangenheit holt den Erzähler sein. Der Ungeliebte, der ihn damals schon schikaniert hatte, hat sich nicht verändert. Sein Charakter ist immer noch selbstverherrlichend, egoistisch und gemein. Mir hat sehr gut gefallen, dass der Erzähler sich nach göttlicher Gerechtigkeit sehnt, also eine schicksalgesteuerte Rache. Der Unfall kam ihm recht. Aber es war kein Unfall - und das ist die wirklich gelungene Wende. Nämlich 3 Dinge. Zum einen gab es diese Rache, nur war sie schon längst geschehen, und so herbe, dass das selbst vom Erzähler nicht gewünscht war. Zum 2., der Schicksalsschlag hat den widerlichen Charakter des Opelfahrers nicht verändert .. also, "er ist so, er kann nicht anders." Und zum 3. - seinem widerlichen Charakter zum Trotz - Er ist nicht so oberflächlich, wie der Erzähler ihn kennt, wenn der Widerling für Blumen für seine verstorbene Frau sorgt.
Ich muss sagen, der Inhalt hat mir gefallen.
Über den Erzählstil bin ich erst gestolpert. Er ist im Ton durchaus angemessen. Du bedienst Dich aber einer Methode, die zweischneidig ist. Die Geschichte ist in Vergangenheit geschrieben. In ihr kommen Blöcke (also mehrere Sätze hintereinander) der Erinnerung. Jeder Block beginnt mit dem ersten Satz in vollendeter Vergangenheit. die restlichen Sätze im jeweiligen Erinnerungsblock schreibst Du wieder in Vergangenheit.
Der Effekt ist, dass sich Erinnerung mit Gegenwart des Erzählers vermischt. Also träumt der Erzähler gerade beim Autofahren!! Wirklich interessant. Aber leider ist die Wirkung auch ein Stolperstein. Der Leser stutzt! Ich glaube es ist sinnvoller, darauf zu verzichten. In wahnhaften Erinnerungen könnte ich mir das Verfahren eher vorstellen.

Fazit: Interessante und lesenswerte, kurze Geschichte. Prima!

Barde

 

Hallo Barde!

Vielen Dank für deine genauen Ausführungen zu meiner Geschichte. Sie waren sehr interessant und haben genau das getroffen, was ich mit dem kurzen Text beabsichtigt hatte.
Könntest du mir mal ein paar Sätze aus der Geschichte so umschreiben, damit der Erzählstil deiner Meinung nach, besser zum Inhalt passt. Dann fällt es mir vielleicht leichter deine Vorschlag zu verstehen. ;)

Vielen Dank nochmal!
Gruß,
Theo

 

Hallo Teo,

"Ich war froh ihn damals nie wieder sehen zu müssen. Hatte er mich nicht immer als letztes beim Fußball gewählt? Er lieh sich immer mein Radiergummi aus. Nur noch kleine Stückchen warf er mir über die Tischreihen ins Gesicht. Meine Wintermütze tauchte er regelmäßig in die Toiletten und unter dem Gelächter aller musste ich öfters ohne meine Sporthose turnen."

"Ich war froh, ihn damals nie wiedersehen zu müssen. Hatte er mich nicht immer als letztes beim Fußball gewählt?! Hatte er sich mein Radiergummi ausgeliehen; nur noch das Reststücken hatte er über die Tischreihen mir ins Gesicht geworfen. Hatte er regelmäßig meine Wintermütze in die Toiletten getaucht. War er der Grund gewesen, dass ich unter Gelächter der anderen ohne Sporthose turnen musste (hatte turnen müssen)."

Hier vermischt sich nicht Erinnerung mit Gegenwart der Hauptperson.

Ich hoffe, das hilft *smile*.

Barde

 

Hallo Barde!

Danke für deine Rückantwort. Jetzt verstehe ich, was du meinst. :)
Ich werde den Text demnächst mal überarbeiten.

Gruß,
Theo

 

Hallo Simy!

Treuer Leser meiner geistigen Ergüsse! War einer dieser heißen und unerträglichen Tage an Pfingsten, als die Geschichte entstand!

Gruß,
Theo

 

Hallo teo,

eine kurze, knappe, aber an sich gute Geschichte. Sie zeigt wie sich manche Dinge ändern und wie wir oft mit einer gewissen Oberflächigkeit an sie herangehen. Störend finde ich aber, dass du keine weiteren Worte zu dem Opelfahrer verlierst. Irgendwie erscheint mir sein Schicksal doch etwas unbeleuchtet. Ansonsten hab ich nichts zu meckern.

Einen lieben Gruß...
morti

 

Hallo teo,

ich war sicher, ich hätte schon etwas zu dieser Geschichte geschrieben.
Hole ich es also nach.
In dem kurzen Text hast du viel versteckt.
Einen Protagonisten, der ohne Kenntnis der Situation an eine Gerechtigkeit von oben glaubt, die ihm sicherlich beim Aussteigen leid tut.
Einen Klassenkameraden, der ihn schon in der Schule immer drangsaliert hat und ihn jetzt auf der Straße abdrängelt. Und der eine menschliche Seite zeigt, die dein Prot bei ihm nicht erwartet. Aber kaum fühlt er sich darin beobachtet, demonstriert er wieder Härte und vor allem, dass er anscheinend aus seinem Verlust nichts gelernt hat.
Der Text ist wirklich gut auf den Punkt geschrieben. Hat mir gut gefallen.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo sim!

Auch dir danke, für deine treffenden Worte. Die Geschichte habe ich vor ein paar Wochen in einem durch geschrieben. Das gelingt mir selten, bin aber der Meinung, dass die besten Geschichten so entstehen. Wenn man ewig an einer Geschichte "rumdoktort", wird sie meistens nicht so gut.
Ich hoffe, dass ich bald mal wieder solche kreativen Stunden habe. Momentan drückt mich nur der Alltag. Aber so wird es jedem gehen.

Gruß,
Theo

 

Hi Teo!

Deine Story hat mir sehr gut gefallen. Ich finde die kurzen Sätze gut und ich denke auch, dass sie passend sind. Den Schluss finde ich besonders gut, da er so unerwartet kommt. Im Allgemeinen ist die Story interessant und echt lesenswert!

Weiter so!

Lg
Chillaz

 

Hallo Chillaz!

Danke für deine positive Rückmeldung. Dass dir die kurzen Sätze gefallen, freut mich. Die letzten Tage habe ich mal wieder nen Spiegel (Zeitschrift) in die Hand genommen ... ich habe festgestellt, dass den ihr Schreibstil auch oft aus kurzen und recht emotionslosen Sätzen besteht ... ist wahrscheinlich so der Berichterstatterstil ...
Ich hoffe, dass in den Sätzen in meiner Geschichte mehr Emotionen rüberkommen.

Gruß,
Theo

 

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