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Grauender Morgen

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24.04.2003
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Grauender Morgen

Du wachst auf, eingebettet in den grellen Lichtern der Großstadt, und du merkst sofort: Etwas stimmt hier nicht.
Die Unmöglichkeit einer Benennung, weil Unbegreifbares zwischen den Fingern verrinnt wie weggesperrte, sterbende Träume.
Langsam stehst du auf, und da ist dieser bitter-süßliche Geschmack auf den Menschen um dich herum. Als hätte man sie in Verwesung glasiert.
Sie sind da, torkeln, gröhlen, vögeln sich in primitiver Sprache gegenseitig den Verstand aus dem Schädel, doch sehen sie dich nicht. Das weißt du einfach, ohne es zuvor gelernt zu haben.
Autoscheinwerfer haben keinen Schweif mehr, das Grelle ist gleichförmiger. Eine im Chaos gefundene Ordnung, mit der Trägheit verschwindet und Geschwindigkeit banal wird.
Vorsichtig wagst du den ersten Schritt.
Alles hat sich verändert. Erst jetzt wird dir das richtig und in aller Vollkommenheit bewusst.
Die Welt ist ein Regenschauer, dessen Tropfen du aus der Luft leckst; und solche, die dir dabei verloren gehen, bleiben ungekostet.
Der Lauf der Dinge, nur in Zeitlupe ... so willst du das gerne beschreiben.
Normalität büßt ihre Routine nicht durch halbierte Länge ein. Vielmehr geht der Routine das Normale verloren.

"Alter, komm ma klar. Gehen wir nun noch ins 07/11, oder willste auf deine Kotze nochen zweites mal draufkotzen?"
Jenna strahlte mich aus geweiteten Glas-Wasser-Pupillen an, die in ihrem Blutrausch selbst nicht wussten, welcher Fleck der Landung dienlicher war.
Ich lachte und streckte den Daumen aus.
"Fickfleisch klaren ... klarra ... klarmachen?"
"Na, was denksten du?"
Solidarisch in die Arme gebumst, und voll hetero nach Weibsfleisch schnüffelnd, strampelten unsere Gliedmaßen auf Geilheit reitend dem wunderschönen Horizont entgegen.
Die Sonne würde wohl dann aufgehen, wenn die Sterne diesen beschissenen Anblick nicht länger ertrugen, aber das zu erklären überließ ich den Malern und Intellektuellen.
"Meinst du, wir ..."
Jenna erbrach sich kunstvoll auf ausgetragene Schuhe. Man hätte es fotografieren, einrahmen und ausstellen sollen.
"... sollten noch geil ficken im Leben?"
Wo waren eigentlich meine Schuhe hin? Weg!
"Sag ma, Jenna, hast du meine verdammten Schuhe gesehen?"
"Ich meine, wie oft kommt das schon vor, dass man die Liebe seines Lebens findet?"
"Ich bin auf Socken unterwegs!"
"Und weißt du, was noch issss?"
"Mann, so komisch doch in keinen Club mehr rein!"
Wir lachten beide über die seltsame Wortkonstruktion meinerseits.

Per Definition ist der Irrsinn nicht auf geistig gesunde Menschen begrenzt.
Du kannst irgendwo auf der Welt aufwachen, an einem warmen Strand liegen, dich in die bequemen Körbe eines fünf Sterne Hotels kuscheln, während die Bediensteten nach deinem verlorenen Verstand suchen.
Dem Gehirn ist es scheißegal, wo es geklaut wird, solange du den Diebstahl nicht bemerkst.
Wenn aber doch, wird es höchst kritisch, oder, um es anders auszudrücken: Merkt man, dass die Handtasche im Schädel nicht mehr da ist, verteilt sich illusorischer Inhalt wahllos dort, wo man ein zusammen gesetztes Puzzle erwarten sollte.
Aber davon hast du keine Ahnung.

"Was hat er gesagt?"
"Verpissen."
"Verpissen?"
"Sollen wir uns!"
"Hast du meine Schuhe gesehen?"
"Gehen wir weiter."

Ja, dachte ich.
Sollten wir uns doch treiben lassen.
Es begann zu regnen, doch die meisten Tropfen verpasste ich.

Die Erde ist kein Planet.
Die Erde ist eine Welt.

Dann zogen wir weiter, vorbei an den Sternen.

 

Aber davon hast du keine Ahnung.
So geht es mir bei großen Teilen dieses Textes. Irgendwie ist er mir zu kompliziert. Nicht positiv kompliziert, sondern nur kompliziert.

Sehr gut geglückt finde ich deine Darstellung des "5 Uhr morgens nach der Disko"-Gefühls.

 

Hi Cerberus,

manche deiner Sätze sind gerade in ihrer Stimmigkeit absurd, denn wer würde zum Beispiel auf die Idee kommen, dass Irsinn auf geistig gesunde Menschen begrenzt ist, die meisten würden ihn doch eher für sie ausgrenzen?
Und ist ein Puzzle nicht zunächst wahllos verteilter Inhalt, der erst in Form gebracht Struktur und Bild ergibt?
Das Bild mit den Regentropfen finde ich sehr schön, so schön, dass ich nach "doch die meisten Tropfen verpasste ich" Schluss machen würde.
Die Gespräche der Protagonisten erscheinen mir so sinnlos, wie sie um diese Uhrzeit im Suff nur sein können, über "komisch" bin ich gestolpert und für mich mache es die notwendige Erklärung leider auch nicht besser.
Es ist eine Momentaufnahme, da gebe ich Blackwood recht, auch wenn Bewegung natürlich schon stattfindet, wenn auch ziel- und ergebnislos, die Schuhe werden nicht gefunden, der Fick findet nicht statt, und das Leben wird im Vollrausch verpasst (er bekommt kaum Regentropfen zu fassen). Die Bewegung findet darin statt, dass das Leben dort verpasst wird, wo man es sucht.
Details:

Die Unmöglichkeit einer Benennung, weil Unbegreifbares zwischen den Fingern verrinnt wie weggesperrte, sterbende Träume.
- Unbegreifliches
- kein Komma nach weggesperrte
Solidarisch in die Arme gebumst, und voll hetero nach Weibsfleisch schnüffelnd
Daraus schließe ich, Jenna ist männlich. Ich kenne es bisher nur als weiblichen Namen.

Lieben Gruß, sim

 

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